Читать книгу Literaturgeschichte des Alten Testaments - Konrad Schmid - Страница 25
4.Sprachgeschichtliche Entwicklungen
ОглавлениеDie literaturgeschichtliche Forschung am Alten Testament hat sprachgeschichtliche Aspekte bislang eher in untergeordneter Weise berücksichtigt – nicht ganz zu Recht (vgl. Knauf 1990; 2006; Young 1993; 2003; Saénz Badillos 1993; Emerton 2000; Hurvitz 2000; Schwartz 2005; Young/Rezetko 2008; Blum 2016; Hendel/Joosten 2018). Grundlegend für sprachgeschichtliche Datierungen ist die Unterscheidung von „klassisch-biblischem Hebräisch“ („Classical Biblical Hebrew“, CBH) und „spätbiblischem Hebräisch“ („Late Biblical Hebrew“, LBH) [[Xref zu A21 (bei Anm. 39) einfügen]], die in der Sache und auch den wichtigsten Beobachtungen auf Wilhelm Gesenius’ Klassiker aus dem Jahr 1815 (Gesenius 1815) zurückgeht. CBH ist die vorwiegende Sprachgestalt des Hebräischen in den Büchern Genesis bis 2. Könige, LBH findet sich in Chronik, Esra, Nehemia, Esther, Kohelet und Daniel. Aus dieser Verteilung wird sogleich ersichtlich, dass ein ansehnlicher Teil der alttestamentlichen Literatur aus diesem Schema herausfällt. Allerdings sind CBH und LBH nicht gleicherweise positiv zu ermitteln: Ein Text mit Auffälligkeiten, die auf LBH hinweisen, wird als LBH eingestuft. Fehlen solche Auffälligkeiten, dann gilt er als CBH. Darüber hinaus liefert die Unterscheidung von CBH und LBH zunächst nur eine relative Datierung der entsprechenden Texte. Einen gewissen Anhaltspunkt für die absolute historische Ansetzung von CBH ergibt sich aus dem inschriftlichen Befund der vorexilischen Zeit, der sich in manchen sprachlichen Eigenheiten mit CBH deckt. Für LBH existiert leider kein vergleichbares außerbiblisches Korpus, da zwischen dem 6. und 3. Jahrhundert v. Chr. hebräische Inschriften weitgehend fehlen. Erst das Qumranhebräisch, bezeugt durch die Schriften vom Toten Meer vor allem aus dem 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. (Qimron 2008), liefert einige empirische Anhaltspunkte zur Entwicklung von LBH.
Einen Angelpunkt, um den Wechsel von CBH zu LBH absolut zu datieren, wird in der Regel im sogenannten Übergangs-Hebräisch („Transitional Biblical Hebrew“, TBH) erkannt, das man in Jeremia, Ezechiel, Haggai und Sacharja 1–8 beobachtet. Entsprechend gilt CBH als im Wesentlichen vorexilisches Hebräisch und LBH als nachexilisches Hebräisch (Hendel/Joosten 2018, 84). Natürlich können sprachliche Konventionen auch willentlich überspielt werden. So ist es etwa denkbar, dass spätere Autoren, in nachexilischer Zeit, gleichwohl sich älterer Sprachformen bedienen können, also CBH schreiben, obwohl ihnen LBH näher wäre (kritisch dazu Hendel/Joosten 2018, 97).
Der sprachgeschichtliche Zugang zur Datierung biblischer Texte ist wichtig, doch er hat auch Grenzen (Blum 2016): Das Grundproblem dabei ist, dass jeweils nur sprachliche Auffälligkeiten innerhalb von Ausdrücken, bestenfalls Sätzen aufgewiesen werden können. Damit lassen sich methodisch gesichert nur diese Ausdrücke oder Sätze sprachgeschichtlich einordnen, nicht aber ihre näheren oder gar weiteren Kontexte. Darüber hinaus ergibt sich mit der Unterscheidung von CBH und LBH eine vergleichsweise schematische Sicht der Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel: Hält man sich an die sprachgeschichtlichen Urteile, die etwa Ronald Hendel und Jan Joosten vertreten, so ist Genesis bis Könige im Wesentlichen als vorexilische Literatur einzustufen, Deuterojesaja, Jeremia, Ezechiel, Threni, Haggai und Sacharja 1–8 sind exilisch zu datieren, und Chronik, Esra-Nehemiah, Esther, Kohelet und Daniel gehören in die nachexilische Zeit. Dieses Bild ist für bestimmte Literaturbereiche unproblematisch, namentlich das LBH-Korpus, obwohl es hier eigentümlich unpräzise ist: Die moderne literaturgeschichtliche Forschung gibt sich nicht mit den Kategorien „vorexilisch“, „exilisch“ und „nachexilisch“ zufrieden, denn gerade für die „nachexilische“ Literatur würde man gerne wissen, ob sie in die persische, ptolemäische oder seleukidische Zeit anzusetzen ist. Für andere Literaturbereiche ist die vorgeschlagene Einordnung aber problematisch: Hält man sich an die sprachgeschichtlichen Kategorisierungen, so ist das Hebräische in weiten Teilen von Leviticus oder Numeri oder in Einzeltexten wie Josua 24 oder 1. Könige 8 als CBH einzustufen, und entsprechend müssten diese Texte als vorexilisch gelten. Das ist aber aus inhaltlichen Gründen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen (vgl. z. B. Nihan 2007; Mathys 2008). Im Lichte solcher konfligierender Auswertungen muss man damit rechnen, dass auch biblische Autoren in nachexilischer Zeit die Sprachkonventionen von CBH, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, imitieren konnten.
Schließlich steht das Argument der absoluten Datierung von CBH and LBH auftönernen Füßen. Die Unterscheidung von CBH und LBH ist zunächst nur eine relative. Historisch absolut lassen sich CBH und LBH durch die Einführung von TBH datieren, das man gerne in das 6. Jahrhundert v. Chr. ansetzt, weil die entsprechenden Literaturbereiche Deuterojesaja, Jeremia, Ezechiel, Threni, Haggai und Sacharja 1–8 auf diese Periode weisen. Doch unterscheidet ein solches Argument nicht zwischen der Zeit der Erzähler und der erzählten Zeit dieser Bücher: Nur weil diese Texte szenisch im 6. Jahrhundert v. Chr. angesiedelt sind, müssen sie deshalb nicht zwingend zu dieser Zeit entstanden sein – sie sind zwar nicht älter, können aber sehr wohl erheblich jünger sein. Die redaktionsgeschichtliche Forschung an den Büchern Jeremia und Ezechiel rechnet mit guten Gründen damit, dass die Texte dieser Bücher zwischen dem ausgehenden 7. (Jeremia) bzw. dem beginnenden 6. Jahrhundert v. Chr. (Ezechiel) und dem späten 3. oder frühen 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden sind (vgl. für Jeremia Schmid 2018b). TBH mag so zwar im 6. Jahrhundert v. Chr. beginnen, ist aber nicht auf diese Epoche beschränkt, was sowohl die zeitliche Erstreckung von CBH als auch von LBH erheblich komplexer erscheinen lässt, als dass sie mit „vorexilisch“ oder „nachexilisch“ hinreichend erfasst wäre. Man wird also auf sprachgeschichtliche Beobachtungen zu achten haben, diese müssen aber mit anderen Datierungsanhalten – etwa konzeptioneller, geistesgeschichtlicher, politischer oder sozialgeschichtlicher Natur – vermittelt werden.