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5.Form-, traditions- und sozialgeschichtliche Differenzierungen der Überlieferungsbereiche

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Textgenetische Differenzierungen stehen naturgemäß in einer literaturgeschichtlichen Darstellung des Alten Testaments im Vordergrund. Sie dürfen jedoch nicht vergessen lassen, dass sie nur eine unter mehreren möglichen, sinnvollen oder nötigen Unterscheidungen darstellt, unter denen das Alte Testament als Literatur wahrgenommen werden kann. Seine Texte und Bücher sind ja nicht nur in unterschiedlichen Zeiten verfasst, erweitert, redigiert und ediert worden, sondern gehen auf unterschiedliche Autoren in verschiedenen geistigen und sozialen Milieus zurück, auch wenn diese Milieus – jedenfalls von der persischen Zeit an – geographisch sehr eng beieinander gelegen haben mögen: Der wichtigste Ort der alttestamentlichen Literaturproduktion dürfte damals Jerusalem gewesen sein. In der babylonischen und vor allem auch in der ägyptischen Diaspora, in Alexandria, entwickelten sich zwar auch bedeutende Zentren der Schriftgelehrsamkeit, die jedoch für die Entstehung des Alten Testaments selbst noch von untergeordneter Bedeutung sind.

Die nachfolgende Darstellung versucht, die alttestamentlichen Texte nach literaturgeschichtlichen Epochen – im Wesentlichen der Übersichtlichkeit halber – sowie nach verschiedenen Überlieferungsbereichen zu sortieren. Idealtypisch werden darin kultische, weisheitliche, erzählende, prophetische und rechtliche Überlieferungen voneinander unterschieden. Diese Unterscheidung ist dabei zunächst lediglich von den jeweiligen Textsorten-„Familien“ her indiziert, stützt sich also auf – im weiteren Sinn – formgeschichtliche Überlegungen. Was die in der klassischen Forschung damit verbundene Frage nach dem „Sitz im Leben“ der jeweiligen Textsorten betrifft, so ist allerdings höchste Vorsicht geboten. Da viele Texte des Alten Testaments nicht einfach als Verschriftungen ursprünglich mündlicher Einheiten angesehen werden können, bleibt der Rückschluss von einer bestimmten Textsorte (oder „Gattung“) auf einen dahinterstehenden, zugehörigen Sitz im Volksleben ganz unsicher. Vielmehr wird man sich in der Regel mit dem Urteil bescheiden zu haben, dass viele Texte als schriftstellerische Produkte zunächst nur auf ihren „Sitz im Leben“ der Literaturproduktion hin transparent sind und dass der ursprüngliche „Sitz“ im Leben einer bestimmten Gattung nur noch hypothetisch postulierbar ist.

Die Unterscheidung nach Überlieferungsbereichen erlaubt aber immerhin eine erste Sortierung verschiedener traditionsgeschichtlicher Strömungen (vgl. Steck 1978/1982). Kult, Weisheit, Annalistik, Prophetie, Recht lassen sich zwar nicht säuberlich voneinander trennen, sind aber doch je und je auf unterschiedliche geistige Grundüberzeugungen und Rückräume hin befragbar. Es ist allerdings zu bedenken, dass im Verlauf der religionsgeschichtlichen Umbrüche im 7. bis 5. Jahrhundert v. Chr., die man als Aufkommen des Monotheismus interpretieren kann, diese Überlieferungsbereiche in sachlicher Hinsicht mehr und mehr zusammenrückten, entsprechend wird oft von „Theologisierungs“-Vorgängen zu sprechen sein. In der königszeitlichen Religion Israels war der Kult noch nicht von vornherein als eine die menschliche Lebenswelt und -führung bestimmende Größe konzeptualisiert – dafür waren die in sich differenzierten Systeme von Weisheit und Recht zuständig. Erst mit der monotheistischen Wende greifen die kultisch geprägten Überlieferungen mit ihren Spiritualisierungs- und Universalisierungstendenzen auch auf Überlieferungsbereiche wie Weisheit und Recht aus.

Schließlich sind auch sozialgeschichtliche Differenzierungen im Auge zu behalten. Reflektieren die besprochenen Texte die offizielle Religion, spiegeln sie lokale Religiosität wider, oder werden sie aus dem Zusammenhang der Familienreligion verständlich (vgl. Albertz 1992; Kessler 2006)? Mutatis mutandis gilt hier allerdings dasselbe wie bei formgeschichtlichen Rückfragen: Natürlich äußerte sich die altisraelitische Religion je nach sozialer Lage der Familien in unterschiedlicher Weise. Die Texte des Alten Testaments aber, selbst wenn sie solche voneinander abhebbaren sozialen Situationen noch erkennen lassen, bezeugen diese nur mehr in gebrochener Form. Religiöse Äußerungen aus dem Bereich der Orts- und der Familienreligion finden sich im Alten Testament nur noch in offiziell rezipierter Form – einen unmittelbaren Zugang zu ihnen, wiewohl oft gesucht und vermeintlich gefunden, gibt es aller Wahrscheinlichkeit nach kaum mehr.

Literaturgeschichte des Alten Testaments

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