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3 Monster aus einem Schoß
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Bald nach der Vermählung Thors und Sifs suchte sich Loki aus Einsamkeit auch eine Frau an seiner Seite. Viele Asen mochten ihn, aber die Eltern wollten dennoch ihre Töchter nicht einem Täuscher überlassen, besonders seit sie von seiner ehrlosen Wette mit den Zwergen erfuhren. So blieb Loki nichts übrig als in Jotunheim nach einer Frau zu suchen. Dort fand er die Jotin genannt Angrboda. So wie Thor Vater von der Asin Thrud wurde und seither in ihren Ehren Thorheim in Thrudheim umbenannt hatte, so sollte auch jener Täuscher ein Vater werden.
Loki stand seiner Frau bei der Geburt zur Seite. Angrboda war in sichtlichen Schmerzen. Sie meinte, es würde sich so anfühlen als würde ein Wurm in ihrem Bauch rumkriechen. Odin bat Freya, einige ihrer Gehilfinnen bei der Geburt bereit zu stellen. Die Wanin meldete sich freiwillig, der Jotin zu helfen. Freyas loyale Dienerin Hlin schaute nach, dass das Kind bei der Geburt sofort versorgt würde und sollte das Kind aus Angrboda aufnehmen. Hlin schrie auf. Ein Schlangenkopf kroch aus Angrbodas Scheide. Es war wie aus einem Alptraum, die Schlange schlängelte sich heraus, blutbefleckt waren ihre Schuppen. Verstört vom Aufschrei nahm Loki Hlins Platz ein und zog die Schlange beim Kopf heraus. „Bei den Göttern, was ist das für ein Monster?“ weinte seine Frau Angrboda in Agonie. Loki legte die blutbedeckte Schlange sanft auf seine Schulter, wo es sich um seinen Hals schlängelte und seine Wangen mit ihrer gespaltenen Zunge ableckte.
„Jörmungand“, sagte Loki lächelnd. „Es ist mein Kind, unser Kind, Angrboda. Wir sind Eltern.“
Angrboda schüttelte den Kopf. Sie weinte bis sie einschlief. Freya hatte den Geburtssaal umgehend verlassen und berichtete Odin in Gladsheim von der Geburt. „Zwei Joten. Und nun ein wahres Monster in Asgard. Ich sagte dir, dass es ein Fehler war, solche Wesen hier aufzunehmen.“
„Von wie vielen Joten hast du gehört, dass sie Schlangen gebären? Keine!“ proklamierte Odin. Er lief denkend auf und ab. „Es muss wohl an Loki liegen…als wir unser Blut mischten…als ich ihm mein Asenblut gab.“
„Er zeugte schon ein Pferd, nun ist es eine Schlange. Was wird noch Folgen, bevor du es ihm verbietest?“
„Ich kann keinem verbieten, Kinder zu kriegen.“
„Dann befiehl es ihm! Du bist Gott aller Götter!“
Der Allvater warf seinen Wunschmantel um und teleportierte zu Loki und seiner Frau, die in Thors Palast Bilskirnir hausten—die damals größte Einrichtung in ganz Asgard. Freya hatte nicht gelogen: Eine schwarze Schlange mit Flecken rot wie Blut kroch über Loki umher, während er neben der schlafenden Mutter lag. „Was ein schöner Tag heute ist, nicht wahr, Allvater?“ sprach Loki euphorisch. „Schau nur wie lebhaft Jörmungand ist.“ Sie beobachteten wie Lokis Kind sich an den Säulen des Bettes hochwickelte und dort oben Insekten verspeiste.
„Loki, findest du es nicht merkwürdig, dass ihr Joten eine Schlange gezeugt habt? Nie habe ich von dergleichen gehört“, sagte Odin besorgt.
„Nein, warum auch? In Jörmungand fließt mein Blut–“
„Und dadurch etwas von mir. Ich fürchte, dies ist der Grund, weshalb ihr kein Jotenkind habt…“
Loki stand auf und nahm die Schlange von der Säule. Sie schlängelte sich über seine Schulter sanft um seinen Hals. „Allvater. Ich liebe meine Tochter. Mir macht es nichts aus, dass sie die Form einer Schlange hat. Und es ist keinesfalls dir verschuldet. Möchtest du sie mal halten?“ Loki nahm Jörmungand von seinem Hals und legte sie Odin in die Arme. Sie rollte sich ein und schlief in seinen offenen Händen ein. „Sie mag dich, hihihoh“, lächelte Loki. Odin legte die aufgerollte Schlange vorsichtig aufs Bett, wo die Sonne einen wärmenden Kreis zeichnete und die blutroten Schuppen glänzen ließ.
Odin vermochte nicht, Loki sein Glück des Vaterseins zu rauben und Angrboda wurde wieder schwanger. Diesmal war Odin selbst bei der Geburt dabei, damit er und Freya zur Not mit Seidr beistehen könnten. Dies blieb jedoch aus, die Geburt verlief ohne Komplikationen. Angrboda hatte eine gesunde Jotin zur Welt gebracht. Es war ein Mädchen. Sie nannten sie Hel. Die Mutter weinte auch bei dieser Geburt, nun aber aus Freude als aus Furcht. Doch ihr Glück war nicht von langer Dauer: Als die Jotin ihre Tochter das erste Mal gestillt hatte, deformierte das Kind. Der Säugling schrie und brannte von innen. Als die Milch aus der Brust spritzte, schmolz Hels Haut dahin und entblößte ihre Knochen darunter. Am schrecklichsten war es im Gesicht. Ihr blanker Schädel war zur Hälfte sichtbar, ihr grasgrüne, linke Auge floss aus der Sockel, ihre Nase sank zum Kinn herab und ihr Mund war lippenlos, aber so verschmolzen, dass es wie ein ständiges Grinsen aussah. Niemand vermochte dieses grässliche Kind—halb schwarz von der geschmolzenen Haut und halb weiß von den entblößten Knochen—anzusehen, geschweige denn zu pflegen—nicht einmal ihre Mutter. Loki jedoch sah über das Äußere seiner Tochter hinweg, so wie er es bei Jörmungand tat; er schätzte, was sie werden würde, und liebte sie von tiefstem Herzen. Er allein sorgte sich um ihre Wunden und Kummer, nährte sie gar an seiner eigenen verzauberten Brust.
Die Asen versammelten sich—ohne Lokis Wissen—zum Rat, dem Odin besorgt zustimmte. Freya leitete die Diskussion und verlangte, dass Lokis Kinder aus Asgard verbannt würden und das Jotunpaar ebenfalls. Als Tyr und Heimdall zustimmten, schlossen sich weitere Freyas Vorschlag an. Der Wane Njörd stellte sich dagegen: „War Hel nicht eine gesunde Jotin, als sie das Licht der Welt erblickte? War es nicht so, Freya?“
„Ja“, fügte Thor hinzu. „Vater hat sie auch gesehen!“
„Das mag sein“, erwiderte Freya ihrem Stiefsohn, „aber sieh sie dir jetzt an, wenn du dich traust!“
Odin hob sich vom Sessel und schlug auf den Tisch: „Schweigt! Weil Hel gesund geboren wurde, erlaube ich Angrboda und Loki ein weiteres, gemeinsames Kind zu haben. Sollte es jedoch wieder missgestalten sein, so werde ich sie persönlich aus Asgard bringen.“
Jahre vergingen, bevor Angrboda sich traute, wieder mit Loki zu liegen—oder überhaupt mit jemanden zu liegen, denn in Ehe oder Treue waren sie schließlich nicht gebunden. Die Jotin hatte keinen Kontakt mit ihren Töchtern haben wollen und Loki zog sie alleine auf. Hel war ein begabtes und kluges Mädchen und er brachte ihr Seidr bei und zeigte einige Runen, die er über Odins verzauberte Gegenstände lernte. Jörmungand wuchs schneller und größer, als es den Asen lieb war. Schon nach fünf Jahren umkreiste ihr Körper Bilskirnir. Eines Tages beim Spielen griff die Schlange Thors Tochter Thrud an. Thor hätte sie dort noch umgebracht, wenn Odin ihn nicht rechtzeitig beruhigt hätte. Jörmungand wurde darauf zu den Idafeldern gebracht, wo sie mehr Raum hatte sich auszubreiten. Folglich zog Loki mit Hel dorthin und sie kamen in Räumen in Gladsheim unter.
Odin, Freya und ihre Dienerin Hlin standen Angrboda und Loki wieder bei der Geburt bei Seite. „Diesmal wird alles gut werden“, sagte Hlin und strich der Schwangeren über den angeschwollenen Bauch. Die Jotin war von der mütterlichen Fürsorge der Asin erleichtert und zuversichtlich, dass diesmal alles gut verlaufen wird. Ein Lächeln verzierte ihr sonst trübes Gesicht.
„Freya, würdest du meine Hand halten?“ fragte Angrboda und Freya willigte zögernd ein.
Es war soweit. Loki sprang vor Freude hin und her. Angrboda schrie vor Schmerzen und drückte das Kind in ihrem Leib hinaus. Ein Heulen. Ein Wolfsheulen. „NEIN!“ schrie die Jotin. „Nein. Lass es nicht wahr sein.“
Loki schützte den schwarzen Welpen vor Angrbodas tretenden Beinen und hielt ihn fest in seinen Armen. „Schon wieder ein Monster. Töte es!“ befahl Freya.
Loki schüttelte den Kopf und floh aus dem Raum. Odin eilte ihm hinterher zu Hels Zimmer. Das verschleierte Kind ließ ihr Spielzeug fallen, als ihr Vater mit ihrem Wolfsbruder und Odin hereintraten. „Loki, vertraue mir! Deinen Kindern wird nichts geschehen!“ Der Wolf bellte leise in den Armen seines Vaters. Odin blickte in Lokis Augen, Blau und Rot zitterten vor Angst. „Hel, geh zu deinem Vater und halt dich an ihn.“ Das kleine Mädchen stand auf, stolperte, hob sich erneut und hielt sich fest am Bein Lokis. Odin warf seinen Mantel um Loki und seine Kinder.
Im nächsten Augenblick waren sie an einem unbekannten Ort. Ein gigantischer Wasserfall rauschte neben ihnen. „Wo sind wir?“ fragte Loki. Die Welt um sie war düster und kalt. Es war wie eine Höhle, von der Decke leuchteten Pilze so grell wie Vollmonde.
„Eine Welt zwischen Niflheim und Midgard“, Odin zeigte dabei auf das fallende Wasser. „Niemand weiß von dieser Welt. Deine Kinder können unbeschadet hier leben. Du hast mein Wort.“
Loki setzte den Welpen ab, der sofort auf Hel zulief, ihre Füße ableckte und das Mädchen zum Kichern brachte. „Jörmungand! Meine Tochter ist noch in Asgard!“
Odin warf sich seinen Mantel um und erschien in Asgard. Freya hatte die Nachricht über die Geburt des Wolfes ausgebreitet und die Götter sammelten sich alle im Idafeld. „Wo sind sie?“ fragte seine Frau ihn. „Wo hast du sie hingebracht?“
„STECKT DIE WAFFEN EIN!“ brüllte der Allvater zu den Asen, die auf die Schlange zuliefen. „Ich habe Lokis Kinder aus Asgard gebracht, so wie ich es versprochen hatte. Sie werden nicht getötet.“
„Es ist ein Fehler, sie am Leben zu lassen“, sprach Heimdall, der sein Speer immer noch gegen die gigantische Schlange gerichtet hielt.
„Ich bin Heimdalls Meinung“, fügte Tyr hinzu. „Wir wissen nicht wie sie sein werden, wenn sie einmal ausgewachsen sind.“
„Habt ihr etwa Angst vor einem Tier?“ lachte Thor. Er sprang auf den Kopf der Schlange und setzte sich auf ihr. Jörmungand hisste, worauf Thor einmal auf sie klatschte und dann drohend seinen Hammer hervorzog. Die Schlange blieb ruhig.
„Bringen wir sie im Meer in Midgard unter. Dort gibt es genug Futter und dann können ich und Thor ein Auge auf sie halten“, schlug Njörd vor. Er fühlte sich in Lokis Schuld, da nur durch seinen Streich der Wane seine Jotunfrau Skadi kennengelernt hatte und mit ihr erneut ein temporäres Glück fand.
„So soll es sein. Götter! Packt an! Wir bringen die Schlange runter nach Midgard.“
Nachdem sie Jörmungand über Bifröst trugen und letztlich in das Meer von Midgard geworfen hatten, reiste Odin mit seinem Mantel zu Loki und seinen anderen Kindern. Dort erzählte er ihm, wo sein Schlangenkind nun verweilte. Er versicherte, dass Njörd und Thor sich um sie kümmern würden. Loki blickte auf seine spielenden Kinder, bevor er stumm nickte. „Wie heißt diese Welt?“ fragte er den Asen.
„Es ist dein Heim. Nenn es, wie du willst.“
Der Schleier des Mädchens fiel herab, als ihr kleiner Wolfsbruder auf sie sprang und ihr Gesicht ableckte. „Schau, Vater“, sagte Hel stolz, während der Wolf sie weiter mit seiner Zunge abschleckte.
„Helheim“, sagte Loki. „Dies ist ihr zuhause.“ Odin legte eine Hand auf die Schulter des Joten. „Ich bleibe noch etwas hier bei ihnen.“ Odin verschwand und ließ den Vater mit seinen Kindern zurück. Er würde sie oft besuchen kommen und immer würden die Monsterkinder den Asen liebend begrüßen.