Читать книгу Ragnarök - K.T. Rina - Страница 7
Die Prophezeiung
ОглавлениеOdin, der sich ständig nach mehr Wissen und sogleich Macht sehnte, seit er von Mimirs Brunnen getrunken hatte, ging zu den Nornen, weissagende Frauen, die—ähnlich wie Mimir—an einem Brunnen lebten, dieser jedoch bei den Wurzeln Yggdrasils stand. Odin hoffte, dass ihre Quelle ihn mit Weisheit erfüllen würde ohne ein Opfer von ihm. Je tiefer er den Stamm hinunterkletterte, desto mehr fühlte er seine Kraft nachlassen, seine Wärme schwinden. Die Welt, auf denen die Wurzeln Yggdrasils verankert waren, war genannt Niflheim. Es war ein kalter, trostloser Ort. Die Dimensionen waren schier endlos und niemand, der Niflheims Enden erkunden wollte, war jemals zurückgekehrt. An einem der riesigen herauswirbelten Wurzeln brannte ein Feuer. Odin hörte die Stimme von paar Frauen, eine sprach gellend. Er näherte sich dem Feuer, seine Hand auf der Wurzel aufliegend. Als seine Hand die Wurzel berührte, fühlte er wieder seine Kraft zurückkehren, und als er Yggdrasil losließ, verschwand sie sogleich. Er lief weiter und strich mit seiner Hand über die Wurzel. Er fühlte verschiedene Gravuren darin, eingeschnitzt, nicht natürlich. Die Stimmen der Frauen wurden leiser, je näher er dem Feuer kam, bis sie gänzlich verstummten. Ein kleines Mädchen kam Odin entgegen und blieb ihn begutachtend vor ihm stehen. Ihr blondes Haar war geflochten in zwei Zöpfen, die vor ihren Schultern herabfielen. Sie neigte ihren Kopf und sagte: „Hallo, Odin. Komm, du bist spät dran—wenn es nach Skuld geht.“ Sie nahm ihn bei der Hand und hopste zum Feuer. Eine schwangere Frau stand am Feuer, blickte auf das Holz in ihren Händen, bevor sie es den Flammen fütterte. Ihr braunes Haar fiel flach hinter ihre Schultern; ihr Gesicht glänzte schön im Licht des brennenden Holzes. Eine alte Frau stand daneben und webte an einem Teppich. Ihr Haar war weiß und kurz, dünn und zerbrechlich wie die Frau selbst.
„Urd ist zurück“, sagte die schwangere Frau zur Alten.
„WAS?“ schrie die halbtaube Greisin.
„URD IST ZURÜCK!“ kreischte die Schwangere zurück.
„Endlich!“ erwiderte die alte Norne Skuld. Sie drehte sich zu Verdandi und tastete sich blind zum Feuer. Die Schwangere half ihr auf einem Holzstuhl Platz zu nehmen. Skuld hob ihre Hände über dem wärmenden Feuer. „Urd, sei doch so lieb und schöpf etwas Wasser, ja?“
Das Mädchen ließ Odin los und hopste zum Brunnen, dessen Rand gerade noch von der Feuerstelle sichtbar war. „Setz dich, Ase!“ sagte Verdandi und zeigte auf einen Holzstummel am Feuer. „Du suchst nach Wissen. Oh, ich versteh die Sorgen, die das Sein bereiten“, sagte sie und strich über ihren gewölbten Bauch. „Doch beharre dich nicht auf die Worte, die du gleich vernimmst, sonst wirst du vom Morgen geblendet und fühlst nicht mehr die ungesehenen Wehen des Heute.“ Das Mädchen Urd kam zurück mit einem Krug voll Wasser. Sie schöpfte zuerst einen Schluck heraus, dann übergab sie es Verdandi. Die Schwangere trank ebenfalls, bevor sie den Krug der blinden Skuld in die Hand drückte. Diese schöpfte und verschlang wie eine verdurstende das Wasser von ihren faltigen und zittrigen Händen. „Nun du“, sagte Verdandi und reichte den Krug dem Asen. Odin tränkte seine Hände hinein und trank das Wasser darin. Er merkte nichts, so wie damals bei Mimirs Brunnen.
„Die Geburt des Lichts…“, sprach das Mädchen.
„…ist die Geburt des Schattens“, führte die Greisin fort.
„Die größte Finsternis wird kommen…“
„…wenn das größte Feuer brennt“, schloss Skuld wieder Urds Satz.
„Wie das Feuer Müspelheims und das Eis Niflheims zusammenkamen und Leben schufen, so erneut wird der Zusammenprall von Wärme und Kälte eine neue Ära gebären“, sagte die Schwangere.
„Was Freund war, wird Feind“, sagte Urd.
„Was neun ist, wird eins“, sprach Verdandi.
„Was sein wird, wird sein“, schloss Skuld ab.
Sie schwiegen. Nur das Knistern des brennenden Holzes hallte durch die Dunkelheit. Die alte Norne wurde von der Schwangeren wieder zu ihrem Webstuhl geführt, während das Mädchen spielend mit einem Zweig das brennende Holz stoß. Odin erhob sich und verließ die Nornen und die machtentziehende Kälte Niflheims.