Читать книгу Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte - Käthe Lachmann - Страница 6
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»I want it all, I want it all, I want it all, and I want it now …« Freddy Mercury, der in voller Lautstärke aus ihrem Autoradio schallte, war doch immer noch der Beste. Brigitte sang aus vollem Hals mit, dafür waren Autos ja nun einmal gemacht. Bei all den Leckereien, die sie eingekauft hatte, hatte sie dummerweise ausgerechnet den Sekt vergessen, aber bestimmt hatte sie noch eine Flasche von irgendwas zu Hause. Sie freute sich auf ihren Freund. Wie lieb, dass Fred das Ereignis mit ihr begießen wollte. Jetzt war sie »Paartherapeutin«. Und wenn nun jemand unkte, dass das nicht dasselbe war wie das jahrelange Studium einer »richtigen« Psychologin, so war sie dennoch froh, diese Hürde endlich gemeistert zu haben. Vielleicht hätte sie diese Zusatzausbildung gleich am Anfang machen sollen, als sie sich entschied, Heilpraktikerin zu werden. Schließlich konnte sie als Therapeutin wesentlich mehr verdienen. Na ja, was soll’s, dachte sie, besser spät als nie.
Sie stupste den kleinen Klammeraffen an ihrem Rückspiegel an, als sie nach rechts in ihre Straße einbog. »Ich komme bald! Denn bald kann ich mir eine Reise zu euch in den Urwald leisten!«, rief sie ihm fröhlich entgegen, und es war ihr, als schaukelte er jetzt noch etwas vergnügter hin und her als zuvor.
Als sie den Mini parkte, klingelte ihr Handy. Sie machte das Radio aus, nahm ihre Handtasche vom Beifahrersitz und wühlte darin herum, bis sie es endlich fand. Es war noch nicht zu spät: »Brettschneider?«
»Hi, Brigitte, hier ist Sibylle.«
»Hallo, Sibylle, schön, dass du anrufst! Bist du in Hamburg?«
»Nein, wir sind noch auf Malle. Aber ich wollte dir doch schon gestern gratulieren – toll, dass du das jetzt geschafft hast! Und: Willkommen im Club!«
»Danke, Sibylle! Das ist aber lieb. Und herzlichen Dank auch noch mal für deine Unterstützung! Du hast mindestens auf Lebenszeit Bachblüten-Therapie bei mir gut.«
»Ach, ich bitte dich, das hast du alles allein geschafft. Und wenn irgendwelche Fragen sind, melde dich! Ach ja, ich habe dich schon weiterempfohlen. Ein Ehepaar Willner wird sich melden. Aber jetzt feiere erst mal. Und dann kommt ihr uns mal auf unserer Finca besuchen, Fred und du.«
Brigitte freute sich. Das ging ja wie’s Brezelbacken. Noch ein Paar! Toll!
»Danke, liebe Sibylle, und viel Spaß noch auf Mallorca!«
Da, wo Sibylle war, wollte Brigitte auch hin. Also, nicht unbedingt auf eine Finca auf Mallorca, aber sie wollte sich auch Reisen leisten können, vielleicht sogar ein Ferienhäuschen irgendwo, und vor allem wollte sie sich bald ihren größten Traum erfüllen.
So wie Sibylle das gemacht hatte. Sie war eine so erfolgreiche Paartherapeutin, dass sie nicht nur ein mehr als gutes Auskommen für sich hatte, sondern auch noch ihren Freund Marcus mit durchfüttern konnte. Fast die Hälfte des Jahres lebten die beiden auf Mallorca. Und zwar an einer Stelle der Insel, an der man Sangria-Eimer und »20 Zentimeter«-Sängerinnen vergeblich suchte.
Zugegeben, Sibylle und Marcus hatten es wunderschön dort, aber Brigitte wollte etwas anderes: Sie wollte zu den Affen. Nach Borneo.
Schon als kleines Mädchen hatte sie stundenlang in diversen Zoos im Affenhaus gestanden. Und einmal war sie sogar mit ihren Eltern am Bodensee gewesen und hatte den Affenberg in Salem besucht, eine riesige Anlage, in der Schimpansen in freier Wildbahn im Laubwald wohnten, durch den man ohne Zäune oder Gitter nach Herzenslust spazieren konnte.
Seit damals war sie oft bei Hagenbeck im Affenhaus, hatte sich mit der dortigen Tierpflegerin angefreundet und eine Menge über diese besonderen Tiere erfahren.
So entstand nach vielen Jahren der Zoobesuche der Entschluss, zusätzlich zu ihrem Beruf als Heilpraktikerin noch eine Paartherapieausbildung zu machen. Denn damit konnte sie richtig Geld verdienen, nicht nur so gerade über die Runden kommen wie bisher.
Dann würde sie sich endlich ihren großen Wunsch erfüllen können und einmal echte Menschenaffen in ihrer natürlichen Umgebung erleben. Seit Jahren schon spendete sie für Tierschutzorganisationen vor Ort, die sich für die bedrohten Tiere einsetzten; einmal in ihrem Leben wollte sie selbst nach Borneo und dort Orang-Utans und andere Affen auf einer, zu Recht, wie sie fand, sehr kostenintensiven begleiteten Tour beobachten! Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als dorthin zu reisen. Doch Borneo war weit weg – wenn sie so eine Reise machte, wollte sie sich richtig Zeit dafür nehmen, das Land kennenzulernen, und nicht »mal eben für zwei Wochen« dorthin fliegen. Das aber bedeutete auch, dass sie ihre Praxis für sechs bis sieben Wochen schließen musste – also Reisekosten plus Verdienstausfall. Bisher war ein solcher Urlaub leider nicht möglich gewesen. Und schon gar nicht mit Fred, denn ihr Freund litt unter panischer Flugangst. Über zehn Stunden im Flugzeug, das hätte er vermutlich nicht einmal für seinen Lieblingsfußballverein, St. Pauli, auf sich genommen. Geschweige denn für eine Tour durch den bornesischen Regenwald. Zimperlich war er, ihr Fred.
Vor ein paar Jahren hatten sie einen kleinen Urlaub in die entgegengesetzte Richtung gemacht, sie waren nach Schweden geflogen. Wenn Brigitte sich daran erinnerte, schüttelte es sie. Für Fred musste das der absolute Horror gewesen sein. Erst der – von Hamburg wirklich recht kurze – Flug und dann noch zelten.
Sie ärgerte sich heute noch, dass sie Fred dazu überredet hatte, wenn sie an die Szene auf dem Flughafen dachte: »Es ist mir egal, dass wir Flugtickets haben und ab morgen den Campingplatz gebucht, ich bleibe hier. Oder ich fahre mit dem Auto hinterher.«
Er saß hinter dem Check-in-Bereich und trank ein Bier nach dem anderen, um seine »Nerven zu beruhigen«.
»Fred, jetzt sind wir schon so weit gekommen, es ist schade um die Tickets, und wir fliegen ja nur eine gute Stunde …«
»Anderthalb.«
»Eine Stunde fünfundzwanzig, um genau zu sein. Komm, Fred, das schaffen wir!«
»Wir. Ha! Du schaffst das. Ich nicht.«
»Aber du hast doch schon etwas Bier getrunken, für deine Nerven …«
»Ich weiß nicht, ob so viel Alkohol gut ist in der Höhe. Ich glaube, der Druck verändert alles, und aus einem Promille werden fünf. Mindestens. Ich habe mal so was gelesen. Man soll nicht mit drei Bier, drei großen Bier fliegen.« Zum Ober gewandt, sagte er: »Noch eins, bitte!«
»Fred, das wäre dann dein viertes, ich bin mir tatsächlich nicht so sicher, ob das so gut ist … Dir wird vielleicht schlecht …!«
»Mir ist schon schlecht. Mir war vorhin schon schlecht, zu schlecht, um zu fliegen.«
»Du hättest einfach nur die Globuli nehmen sollen, die ich dir gegeben habe! Oder von mir aus auch was Stärkeres, ausnahmsweise. Jetzt, mit Alkohol, geht das nicht mehr.«
Aus dem Lautsprecher drang der Aufruf für ihren Flug.
»Komm, mein Fred, wir müssen los, zu Gate acht!«
»Ich bleibe hier. Und trink mein Bier. Ha! Das reimt sich sogar! Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.«
»Genau! Und deshalb fliegen wir jetzt!«
»Nein. Wir trinken in Ruhe unser Bier, und dann fahren wir nach Hause. Oder nach Schweden.«
Brigitte sah schon ihren Urlaub in die Binsen gehen und versuchte es auf einem anderem Weg: »An Bord gibt es sicher auch Bier! Lass uns mal nachschauen!«
Sie bezahlte und hakte Fred unter.
»Wir gucken uns jetzt das Flugzeug mal aus der Nähe an. Dann können wir immer noch entscheiden.«
Widerwillig ließ ihr Freund sich zum Gate mitschleppen. Da entdeckte Brigitte zu ihrer großen Freude die Rettung in der Menschenschlange, die sich zum Bording formiert hatte.
»Ist das da vorne nicht Stani?«
»Wer? Wo?«
»Der Trainer von Sankt Pauli! Da, der mit dem Sankt-Pauli-Kapuzenshirt! Er fliegt auch nach Stockholm!« Und richtig, der durchtrainierte Glatzkopf gab gerade einigen Kindern Autogramme.
Schlagartig war Fred so was wie nüchtern. »Stani!«, sagte er.
»Er fliegt auch! Guck mal! Dann kannst du das auch!«
Brigitte war sich bewusst, dass das mit Logik nicht so viel zu tun hatte. Aber immerhin brachte sie ihren angeheiterten Freund so dazu, das Flugzeug mit ihr zu besteigen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das gut ist, eigentlich müssten wir in zwei verschiedenen Flugzeugen sitzen, Stani und ich, schließlich fliegt die Queen auch nicht mit Prinz Charles, damit noch einer übrig ist, wenn man abstürzt ...«
»Du bist ja nun nicht die Queen.«
Der Flug war der Horror. Bei einer kleinen Turbulenz biss Fred so fest in Brigittes Arm, dass man den Abdruck heute noch sehen konnte. Er war die ganze Zeit kreidebleich und rief andauernd nach der Stewardess, um sich zu erkundigen, ob alles nach Plan liefe, sich ein Kopfkissen bringen zu lassen, ein Bier zu bestellen und sie zu fragen, ob sie für alle Fälle einen Arzt und eine Beruhigungsspritze dabeihatte.
Die knappen anderthalb Stunden waren relativ schnell vorbei, das Zelten war allerdings nicht wesentlich weniger aufregend für Fred. Jeden Morgen erwachte Brigitte von Freds Aufschrei: »Ich habe schon wieder in eine Nacktschnecke gefasst!« oder wahlweise »Ich bin schon wieder in eine Nacktschnecke getreten, verflucht!« Er beklagte sich über Ameisen in der Marmelade (weil er den Deckel nicht richtig draufgemacht hatte) und über zahlreiche Mückenstiche. Einmal hatten sie sich ein Ruderboot geliehen und paddelten über einen See, was einige Bremsen als schmackhafte Einladung verstanden. Eine war so hartnäckig, das Fred so wild mit dem Ruder nach ihr schlug, dass er sich nicht nur selbst damit an der Stirn traf, sondern bei der Gelegenheit auch gleich ins Wasser plumpste. Von dem Schlag hatte er tatsächlich eine leichte Gehirnerschütterung bekommen. Nein, ihr Fred war kein Outdoor-Typ. Und zurück waren sie mit dem Zug gefahren.
Es war auch immer sie, die Spinnen aus der Wohnung nach draußen beförderte. Und Brigitte brauchte dafür nicht einmal ein Glas und eine Pappe. Sie nahm sie in die Hand, selbst die haarigsten Tiere.
Was ihr als Paradies auf Erden erschien, war für Fred der absolute Horror. Regenwald, ein Dschungel voller exotischer Tiere und Gewächse in traumhaften Farben – wenn sie davon schwärmte, erzählte ihr Freund ihr nur von »das Herz-Kreislauf-System belastender feuchter Wärme und giftigen Schlangen und Insekten, deren Biss auch zum Tode führen« konnte.
Dann musste sie eben alleine fliegen. Schade. Aber bald würde sie sich diese Reise locker finanzieren können.
Brigitte hatte Sibylle schon immer bewundert. Bereits während des Psychologiestudiums hatte diese sich darauf spezialisiert, auseinanderdriftenden Paaren in ihrem Bekanntenkreis entweder den Gnadenstoß zu geben oder ihre Beziehung wiederzubeleben. Ob sie ihre Sache nun wirklich besonders gut machte oder aber einfach die Schwierigkeiten in Beziehungen so zunahmen, dass damit die Nachfrage an Paartherapeuten in der Gesellschaft immer weiter stieg, ganz egal, wer den Job machte – Brigitte konnte es nicht so recht einschätzen. Auf jeden Fall hätte sich Sibylle jedes Jahr mehrere Reisen überallhin leisten können. In ihrem eigenen Learjet, wenn nötig.
Sie war nicht neidisch auf Sibylle. Im Gegenteil, sie gönnte ihr ihren Erfolg von Herzen. Aber wenn es so viele Paare gab, die in Schwierigkeiten waren, warum sollte nicht auch sie, Brigitte, eine von denjenigen sein, die ihnen halfen?