Читать книгу Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte - Käthe Lachmann - Страница 8

Оглавление

4.

Brigitte setzte sich aufrecht hin. »Sie kennen sich also wie lange genau?«, fragte sie ihre beiden Gäste, die in den schweren Ledersesseln Platz genommen hatten. Bisher hatten sie in Freds Wohnung gestanden, da er sie aber nach Frankfurt nicht mitnehmen wollte, hatte er sie ihr geschenkt. Brigitte fand, in eine psychotherapeutische Praxis gehörten mindestens zwei Ledersessel. Sie hatte drei. Schließlich machte man Paartherapie zu dritt. Ihren hatte sie so gestellt, dass sie sowohl aus dem Fenster gucken als auch den kleinen Zimmerspringbrunnen betrachten konnte. Sicher war ein Zimmerspringbrunnen kitschig, aber er sorgte – vor allem wenn die Heizung an war – für ein wunderbares Raumklima. Außerdem empfand Brigitte das leise Plätschern als herrlich beruhigend. Für die Klienten – sie selbst fühlte sich sowieso sehr wohl in dem hellen Raum mit den Holzdielen, den gelben Vorhängen und dem Kiefernschrank.

Eigentlich sahen Andreas Berner-Hängeloh und Jennifer Serpensteiner ganz vernünftig aus. Ein schönes Paar: Andreas war groß und schlank, größer als Fred, und hatte, genau wie ihr Freund, dunkle, vielleicht sogar noch dunklere, kurze lockige Haare und einen lässigen Dreitagebart, der seine grünen Augen strahlen ließ. Er trug eine Cordhose und ein kariertes Hemd, in dem sich seine Augenfarbe wiederholte. Von Andreas’ zweitem Anruf wusste Brigitte, dass er als Gymnasiallehrer und sie – fast so groß wie er, dunkler Pagenkopf, schlank, eine aparte Frau in ausgewaschenen Jeans und Turnschuhen – als Galeristin arbeitete. Die beiden trieben sicherlich regelmäßig Sport (sie Yoga, er auch) und wirkten schon erstaunlich vertraut und liebevoll im Umgang miteinander.

»Seit letzten Freitag. Das wissen Sie doch schon. Wir haben uns auf diesem Aufmerksamkeitsseminar kennengelernt.« Seine Stimme zitterte kaum merklich. Kein Wunder, dass er aufgeregt war, war er doch der Hauptinitiator dieser ungewöhnlichen Aktion gewesen. Umso erstaunlicher, dass Jennifer sich darauf eingelassen hatte.

Die brünette, hochgewachsene Mittvierzigerin berührte sanft seine Hand, als sie ihn verbesserte: »Achtsamkeitsseminar, Andreas.«

»O ja, entschuldige.« Es fiel auf, wie fest und sicher ihre Stimme klang im Gegensatz zu seiner. Brigitte machte sich eine Notiz. Eine knappe Woche, das war nicht lang.

»Wir haben einfach schon so viele Enttäuschungen erlebt und wollen diesmal ganz sicher sein, dass wir alles richtig machen.«

Nun rutschte Brigitte in ihrem Sessel etwas weiter nach vorne und sah Jennifer direkt in die Augen: »Das ist natürlich lobenswert, aber was genau erwarten Sie in dem Moment von mir als Paartherapeutin? Wie kann ich Ihnen dabei helfen?«

Sie hielt die Idee nämlich immer noch für eine, die nur unter dem Einfluss von viel Alkohol oder anderen bewusstseinsverschleiernden Drogen zustande gekommen sein konnte. Das war ja ein bisschen so, als würde man ein neues Auto nur mit aufgeblasenen Airbags fahren, aus Angst, dass sie sich bei einem Unfall nicht öffnen könnten. Das war, gelinde gesagt, bescheuert. Aber hey, das waren Klienten, und sie bedeuteten Geld!

Jetzt ergriff Andreas das Wort: »Nun, wenn irgendwelche Probleme aufkommen, wollen wir die sofort mit einer außenstehenden Person besprechen können. Und wir wollen Tipps und Hinweise, damit wir von Anfang an nicht Gefahr laufen, uns ins falsche Fahrwasser zu begeben. Klar haben wir aus unseren bisherigen Beziehungen gelernt, aber –«

Jennifer unterbrach ihn: »Es ist doch einfacher, wenn wir begleitet werden. Kompetent. Und Herr Semmering hat Sie Andreas wärmstens empfohlen.«

Ihr Lächeln wirkte sehr selbstbewusst, und Brigitte war sich nicht sicher, ob sie diese Frau mochte. Nun war Sympathie aber auch nicht notwendig, im Gegenteil, wenn man sich nicht so gut leiden konnte, war man objektiver und sah vielleicht mehr. War das nicht so? Die Abschlussprüfung lag zwar erst kurze Zeit zurück, dennoch konnte Brigitte sich nicht mehr daran erinnern, ob Sym- oder Antipathie zwischen Klienten und Therapeutin überhaupt Thema gewesen war. So wie sie sich überhaupt an nicht mehr so viel erinnern konnte. In der Praxis sah alles vollkommen anders aus. Sie musste unbedingt Sibylle noch mal anrufen.

»Nun, das freut mich.« Brigitte lehnte sich wieder zurück und räusperte sich, bevor sie sagte: »Herr Semmering ist ja auch ein langjähriger Klient von mir. Also, nicht, dass er das nötig hätte, genauer gesagt ist er immer wieder mal mein Klient.«

Zum Glück reagierte der emeritierte Altphilologe sehr gut auf Bachblüten, die Beschwerden vom Heuschnupfen hatte sie wesentlich verbessern können, auch den tauben Daumen und diesen seltsamen Ausschlag am Hals. Psychotherapeutisch hatte sie allerdings bisher bei Herrn Semmering nicht rangemusst, was ihr Besuch ja aber nicht zu erfahren brauchte.

Moment, »Besuch«? Sie schalt sich innerlich, das war kein Besuch, das waren endlich Klienten! Richtige Klienten für eine Paartherapie! In diesem Fall konnte sie sich sogar ewig hinziehen, und wenn sie ihre Sache gut machte und es sich rumsprach, dann konnte sie vielleicht noch zwei, drei Paare dazubekommen und endlich, endlich ihren Traum wahr werden lassen.

Borneo. Vielleicht sogar zwei Monate. Und endlich echte Nasenaffen und Orang-Utans beobachten. Wie Jane Goodall und Dian Fossey.

Aber dafür musste sie die beiden hier bei der Stange halten. Sie hatte sich Fragen überlegt, die eine richtige Paartherapeutin jetzt stellen würde. »Was wünschen Sie sich von einer Beziehung? Wie soll Ihr Partner sein? Was vermissen Sie am meisten in Ihrem Singleleben?« Während die beiden drauflosplauderten und schon ganz schön genaue Vorstellung hatten – »Jemanden, dem ich meinen Tag erzählen kann« (Andreas), »Jemanden zum Anlehnen« (Andreas), »Jemanden, mit dem ich richtig schick essen gehen kann« (Jennifer), »Jemanden, der für mich da ist, wenn es mir nicht gutgeht, und für den ich da sein kann« (Jennifer) –, währenddessen also schweiften Brigittes Gedanken ab.

Die Idee mit der Paartherapeutin war schon wirklich genial! Wie viele Paare trennten sich? Ständig hörte man davon. Und Fred hatte auch schon öfter von Arbeitskollegen erzählt, die Probleme in ihrer Partnerschaft hatten.

Fred. So richtig toll war ihre Beziehung wirklich nicht mehr. Auf eine Art war ihr Fred zu weich, zu nett. Und in Zukunft würde sie eine Fernbeziehung mit diesem Mann haben. Durchschnittlich hielt so etwas nur drei Jahre. Und dann? Auch irgendwie schrecklich, dass es in drei Jahren vorbei sein sollte. Nun, das musste ja nicht sein. Das waren ja Durchschnittswerte. Aber andererseits: Was war, wenn sie mehr schafften? Wollte Brigitte das eigentlich? Oder war seine berufliche Veränderung auch eine gute Gelegenheit, die Beziehung zu überdenken? Vielleicht sollten sie beide mal eine Paartherapie machen. Oder war das absurd? Sie war durcheinander. Komisch, an ihrem Klienten Andreas – denn Klienten waren sie ja auch irgendwie, die beiden, die da so erwartungsvoll vor ihr saßen – an Andreas jedenfalls mochte sie die zurückhaltende Art. Er hatte auch schöne Hände. Nicht solche Pranken wie Fred.

Immer wieder vergewisserten sich die beiden gegenseitig, genau das in einer Partnerschaft auch zu suchen, wovon der andere gerade sprach. Sie strahlten sich immer mehr an und versuchten, in den schweren Ledersesseln näher zusammenzurutschen.

Brigitte lächelte freundlich. »Das war schon mal sehr schön. Aber wissen Sie denn, wie Sie sich in Partnerschaften verhalten? Wo Ihre Stärken und Ihre Schwächen liegen? Vielleicht haben Sie sogar schon erkannt, woran Ihre bisherigen Beziehungen im Laufe Ihres Lebens gescheitert sind, und bemerken eventuell ein Muster? Denken Sie doch darüber einmal nach.«

Das war eine gute Idee. Brigitte klopfte sich innerlich auf die Schulter. Sie freute sich geradezu auf die erste richtige Therapiesitzung mit Übungen und allem Drum und Dran.

»Sollen wir uns darüber bis zum nächsten Mal Gedanken machen? Und vielleicht etwas dazu aufschreiben?«, fragte Jennifer. Sie wollte wohl Hausaufgaben haben, dachte Brigitte amüsiert.

»Nein, nein«, wehrte sie ab, »nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Behalten Sie die Fragen einfach im Hinterkopf.«

Sie fand, das war ein richtig guter Abschluss für eine Kennenlernsitzung.

Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte

Подняться наверх