Читать книгу Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte - Käthe Lachmann - Страница 9

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5.

Andreas war ihr wichtig. Schon jetzt spürte sie, dass es mit ihm etwas ganz Besonderes war. Eigentlich hatte sie das schon gemerkt, als sie ihn gesehen hatte. Es war die berühmte Liebe auf den ersten Blick. So etwas hatte sie noch nie erlebt.

Jennifer saß mit schwärmerischem Blick bei ihrer Freundin Rosie, ihres Zeichens Kettenraucherin, in der Küche. Natürlich rauchte Rosie im Haus, eigentlich hatte sie immer eine Kippe zwischen den Zähnen, und ihr würde auch eine abgesägte Schrotflinte gut stehen. Obwohl sie eine Mittfünfzigerin war, die sich zu kleiden wusste, und ihre Reize gekonnt einsetzte, konnte Jennifer sie sich gut in der Kittelschürze mit Lockenwicklern im Haar vorstellen, wie sie, das Gewehr im Anschlag, ihren Exmann über den englischen Rasen scheuchte.

Sie selbst konnte das Rauchen auch nicht ganz lassen. Aber sie wollte es immer mehr reduzieren, schon allein Andreas zuliebe, der Zigarettenrauch nicht ausstehen konnte. Sie rauchte nur noch ab und zu, fast ausnahmslos draußen und wenn sie alleine war, und vielleicht wollte sie im Grunde ihres Herzens auch gar nicht damit aufhören – sonst hätte sie es wahrscheinlich schon längst getan.

Denn eigentlich war sie eine Frau der Tat. »Ich müsste mal« und »eigentlich sollte ich«, hörte man sie nie sagen. Weil sie es schon längst durchgezogen hatte, bevor irgendwelche Zweifel aufkommen konnten. Chinesisch lernen? Der Gedanke daran und einen Kurs im Spracheninstitut belegen war eins. Inzwischen hatte sie das meiste zwar wieder verlernt, aber etwas Touristenchinesisch war doch geblieben, und sie war stolz darauf, wenn sie mit – zugegebenermaßen seltenen – chinesischen Gästen in ihrer Galerie ein paar freundliche Worte wechseln konnte. Rauputz im Wohnzimmer? Kein Problem, sie hatte die zentimeterdicken Tapetenschichten in mühevoller Kleinarbeit abgekratzt, Unebenheiten mit Moltofill zugespachtelt und dann die Wände ihres kleinen, alten Hexenhäuschens liebevoll neu verputzt. Alleine. Joachim war da schon längst kein Teil ihres Lebens mehr. Aber war er das überhaupt je so richtig gewesen? Völlig geborgen hatte sie sich bei ihm nie gefühlt.

»Er hat sich nie für deine Arbeit interessiert. Dieser Ignorant. Das weißt du. Wie oft war er in all den Jahren mal bei einer deiner Vernissagen? Ich erinnere mich nur an das eine Mal, als dieser technische Zeichner etwas ausgestellt hat. Technische Zeichnungen wahrscheinlich. Penner.« Rosie schüttelte verächtlich den Kopf.

Vielleicht hätte sie sogar gern ein Kind gehabt, wenn sie Andreas früher begegnet wäre. Komisch, dass sie das jetzt schon dachte. Dabei kannte sie diesen Mann doch kaum.

Nun war es dafür zu spät. Sie drückte ihre Zigarette aus und sah auf die Uhr. Um Viertel vor acht wollte Andreas sie zu Hause abholen. Sofort spürte sie ein warmes Glücksgefühl im Bauch. Seine lieben grünen Augen, die kleinen Grübchen, die sprichwörtlichen starken Arme, die, als wollten sie seine Stärke noch unterstreichen, behaart waren wie bei einem türkischen Bauarbeiter – was sie bei anderen Männern eher abschreckte, das liebte sie an Andreas.

Diese Mal hieß es: nichts falsch machen.

»Ich weiß nicht, Jennifer, das klingt mir etwas pathologisch«, sagte Rosie, als sie ihr von der Paartherapie erzählte.

Jennifer selbst fand Andreas’ Idee großartig: »Ich will lernen, wie man eine gute Beziehung führt. Wie muss man sich verhalten, damit die Liebe bleibt? Kann man diese magischen Momente festhalten, in denen ein Blick in die Augen des Geliebten genügt, und man kann sich nichts anderes mehr vorstellen, als seine nackte Haut auf der eigenen zu spüren, seine Lippen, seine Zunge überall, ihm so nahe zu sein und ihn in sich aufzunehmen, ihn zu umschließen wie eine Amöbe ihr Plankton?« Jennifer musste grinsen. Ihr war warm geworden. Obschon sie das Amöbenbild gegen Ende ihrer Sexphantasien auch wieder abgekühlt hatte.

Von Rosie kam nur ein Grunzlaut und Jennifer hakte nach: »Sag mal, Rosie, meinst du, diese Leidenschaft, die man frisch verliebt füreinander empfindet, die muss immer zwangsläufig irgendwann nachlassen?«

Rosie drückte ihre Zigarette aus und seufzte. »Ich habe es so erlebt. Jedes Mal. Mal früher, mal später. Ist so. Irgendwann ist jeder Schalter schon einmal umgelegt, jeder Quadratzentimeter Haut geküsst und jede Stellung so oft ausprobiert, dass alles gewohnt ist und gewöhnlich. Da hilft auch kein Sexspielzeug oder ein Body mit Loch im Schritt, wie uns diverse Frauenzeitschriften weismachen wollen.«

Jennifer ging nicht auf Rosies direkte Art ein. »Aber vielleicht kann man sich auch richtig, richtig lieben, auf Dauer, und dennoch genug Distanz bewahren, so dass man noch Lust aufeinander hat? Nicht wie bei Joachim, zum Beispiel …«

»Ha!«, unterbrach Rosie sie. »Diese Flachpfeife!« Sie steckte sich noch eine Zigarette an.

Unbeirrt fuhr Jennifer fort: »Sex mit Joachim war nach ein paar Jahren vertraut, kuschelig, zuletzt war es selten genug dazu gekommen, und wenn, dann nur nach ein, zwei Gläsern Wein. Er wusste, was ich mochte, und ich machte, was ihm gefiel. Vorbei war die Gier der anfänglichen Verliebtheit. Der Alltag kroch allmählich in unser rosiges Miteinander wie die Luft bei Minusgraden durch undichte Fenster. Andere Dinge haben sich unmerklich in den Vordergrund geschoben, Sachen wie Rechnungen begleichen, Urlaube buchen, Stress im Job aushalten, Krankheiten mittragen … Und es hat einfach nicht mehr genügt, dazusitzen, fassungslos über das Glück, das einem mit dem anderen gerade widerfuhr …«

»Meine Güte, Jennifer, dich hat es ja richtig erwischt! Möchtest du noch einen Kaffee?«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, schenkte Rosie ihrer Freundin ein.

»Das vergeht«, sagte sie dann. »Immer. Es muss vergehen. Weil Verliebtsein kein Beruf ist. Noch nicht. Weil man mal was essen muss, trinken, und in deinem Fall zum Sport gehen. Und Blumen umtopfen. Weil Verliebtsein allein irgendwann nicht mehr genügt.«

»Aber ich will das nicht!« Jennifer nippte an ihrem Kaffee. »Ich will nicht, dass es mit Andreas wird wie mit Joachim! Freunde einladen, Kino- und Theaterbesuche, schöne Erlebnisse teilen und danach, davor und währenddessen die Gelegenheit, die Hand des Mannes zu nehmen, zu küssen und einen Scherz zu machen, von dem ich weiß, dass er ihn mag. Bei Joachim wusste ich genau, wie sein Gesicht aussehen würde, wenn er über den kleinen Spaß lacht, wie er danach mit dem Mittelfinger seine Nase entlangfahren würde, als wolle er seine Brille zurechtrücken, wo er doch schon seit Jahren Kontaktlinsen trug – das war schön, ja, aber auch berechenbar, und nach dem zweihundertsten Mal in seiner Vorhersehbarkeit unerträglich.«

»Das lag aber auch am Mann selbst. Joachim, dieser Homo Faber, der Ingenieur! Kein Flugzeugmuseum, das er noch nicht besucht hatte, jemand, der aufging in seiner Arbeit bei Airbus, der sich auskannte in allem, was mit Strom funktioniert. Der hat doch sogar deine alte Stereoanlage wieder zum Laufen gebracht!«

»Ja, er war ein leidenschaftlicher Mann, wenn es um Maschinen ging, um Strom, da haben seine Augen auch noch nach Jahren geglüht. Wie konnte er diese Leidenschaft behalten, und die Leidenschaft für mich vergessen, wo war der Unterschied?« Jennifer holte tief Luft. »Andreas ist jetzt schon ganz anders. Einfühlsamer, sensibler, als Joachim es je war.«

»Und als Francesco«, warf Rosie ein.

O ja, Francesco. Mit ihm hatte sie vor Joachim vier Jahre ihres Lebens verbracht, vier Jahre, um die es ihr leidtat. Durfte man so denken, verschwendete Zeit? Eigentlich hatte Francesco gar niemanden gewollt. Hatte sie sich ihm aufgedrängt? Immer um seine Liebe gebuhlt, ihm Geschenke gemacht und gehofft, dass er sie wahrnahm … Beinahe erniedrigt hatte sie sich, für einen Mann, der selbst mit sich unzufrieden war, nichts gebacken bekommen hatte und sich nie wirklich auf sie eingelassen hatte.

»Ach, Kleine, Francesco, Joachim – das ist Geschichte. Genieß doch einfach jetzt die Zeit mit Andreas! Ich bin ja gespannt, wann ich ihn mal kennenlerne, deinen Traumprinzen!«

Rosie nahm Jennifer in den Arm, und diese war einmal mehr froh, dass sie ihre Freundin hatte.

Seit Rosie geschieden war und nicht mehr direkt gegenüber wohnte, sahen sie sich komischerweise noch öfter. Vielleicht, weil sie sich jetzt richtig miteinander verabreden mussten. Lieber traf sie ihre Freundin allerdings im Sommer, denn nach einem Besuch bei Rosie stank Jennifer so nach Rauch wie in ihrer Jugend nach einem Discobesuch. Was irgendwie ja auch schön war – so konnte sie sich wieder jung fühlen.

Jennifer schnupperte an ihrem Pullover. Sie sollte etwas anderes anziehen, wenn sie gleich Andreas traf.

Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte

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