Читать книгу Wenn zwei sich streiten, freut sich Brigitte - Käthe Lachmann - Страница 7
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»Herzlichen Glückwunsch, meine Libelle! You did it!« Fred erhob sein Glas mit Brombeerwein, dem einzigen alkoholischen Getränk, das Brigitte im Haus hatte, und das auch nur, weil ihr einmal eine Klientin eine Flasche davon mitgebracht hatte.
Sie saßen in ihrer gemütlichen Wohnküche auf dem mit rotem Samt bezogenen Sofa und versuchten zu feiern.
»Irgendwie schmeckt der komisch. Müsste Brombeerwein nicht süß sein? Von wann ist denn das Gesöff?« Fred verzog angeekelt das Gesicht.
»Hmm, mal überlegen … Das war die Frau mit den Magenproblemen, bei der ich dann herausgefunden habe, dass sie mit ihrem neuen Chef nicht zurechtkommt und außerdem einen total unausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt hatte … 2006! Elvira Meisner!«
Boah, was für ein Gedächtnis, freute sich Brigitte. Sie sah sie direkt vor sich, die Chefsekretärin mit dem flotten Kurzhaarschnitt und dem seltsamen Lidstrich. Sie hatte ihn tatsächlich am oberen Rand der Oberlidfalte platziert, vermutlich anstelle von Lidschatten. Vielleicht war das ja der Grund, weshalb ihr Chef sie nicht mochte. Blöd, dass Brigitte da erst jetzt draufkam, sieben Jahre zu spät. Na ja, immerhin erinnerte sie sich überhaupt. Wahrscheinlich war das gerade diesem seltsamen Make-up zu verdanken.
»Sieben Jahre?! Bist du verrückt?« Fred spuckte den Brombeerwein in die Spüle und schüttelte den Kopf. »Ich fahre kurz zum Supermarkt und hole eine Flasche Prosecco. Schließlich sollten wir uns nicht vergiften, selbst wenn dagegen bestimmt auch ein Kraut gewachsen ist. Bin gleich wieder da, Libelle!«
»Nenn mich nicht immer so. Ich mag das nicht.«
»Aber Brigitte magst du auch nicht! Und überhaupt: Namen sind Schall und Rauch. Aber ehrlich, deine Mutter ist schon komisch, dass sie dich nach ihrer Lieblingsfrauenzeitschrift genannt hat.«
»Ja. Finde ich auch«, seufzte Brigitte.
»Zum Glück hast du keinen Bruder. Der hieße jetzt wahrscheinlich nach der Lieblingszeitschrift von deinem Vater.«
»›Auto, Motor und Sport‹ ist kein zugelassener Jungenname in Deutschland, glaube ich.« Diesen Dialog hatte es schon gefühlte hundertmal zwischen ihnen gegeben. »Aber warum immer Libelle? Libellen sind mir unsympathisch. Hübsch anzuschauen, aber irgendwie unnahbar und gefährlich.«
»Aber, meine Libelle, du bist eben so schillernd, schön und geheimnisvoll, das ist es, was ich mit dir verbinde! Wir sind eben ›The Beauty and the Beast‹! Bis gleich!«
Ihr Freund drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwand. Es war ja echt süß, dass er jetzt extra wegen des Schaumweines losradelte, weil es ihm wichtig war, mit ihr die bestandene Prüfung zu feiern. Er fand es toll, dass Brigitte diese Ausbildung gemacht hatte. So wie er fast alles, was sie tat, toll fand. Es war schön, bewundert zu werden, klar, aber Brigitte hätte Fred auch gern bewundert. Für irgendwas. Das aber fiel ihr immer schwerer. Wenn er aus dem Büro seiner Firma kam, die Düsen herstellte und wo er als Controller arbeitete, machte er sich eine Flasche Bier auf und den Fernseher an. Er musste ja nicht gleich die Welt retten, konnte aber doch wenigstens mal Zeitung lesen oder ab und zu mit ihr spazieren gehen. Oder ein Buch in die Hand nehmen. Brigittes Ansprüche waren ja weiß Gott gesunken. Oder hatte es mit ihr zu tun, dass er etwas langweilig geworden war?
Das war früher noch anders gewesen. Brigitte erinnerte sich an viele Konzerte, die sie zusammen besucht hatten, oft war es sogar er gewesen, der Brigitte überredet hatte, mit ihm ins Theater zu gehen oder etwas Neues aus dem Hamburger Kulturleben auszuprobieren. Sie waren auf unzähligen Lesungen, Konzerten und Kunstevents gewesen, und Brigitte musste kichern, als sie an eine Vernissage dachte, auf der sich Hildor Wollmann, ein vielversprechender neuer Stern am Kunsthimmel, splitterfasernackt mit Kunstblut übergossen und Freds neue weiße Turnschuhe bei der Gelegenheit gleich mit eingefärbt hatte. Fred war nicht verärgert gewesen, sondern hatte sofort versucht, die Schuhe meistbietend im Internet loszuwerden. Diese Idee war leider nicht von Erfolg gekrönt: Brigitte hatte mitsteigern müssen, weil das Höchstgebot bei zwei Euro geblieben war. Die Schuhe hingen nun an der Wand in Freds Flur. Ja, er war sehr vielseitig interessiert gewesen, ihr Freund, und das hatte sie immer toll gefunden. Warum nur war davon nichts mehr übrig?, fragte sie sich, während sie den schlechten Brombeerwein wegschüttete und die Gläser ausspülte.
Wann war der Punkt gekommen, an dem er sich für nichts mehr interessierte? Außer für Fußball vielleicht. Der Klassiker. Arbeit, Fernsehen, Bier und Fußball. Und ein bisschen schwimmen mit ihr.
Wo war der Mann, in den sie sich vor vierzehn Jahren verliebt hatte? Der Mann, der Italienisch lernte und jonglierte, Ukulele spielte und schon als Student ein Opern-Abo hatte? Wo war er? Sekt kaufen.
»Wir verändern uns alle«, sagte sie nachdenklich vor sich hin. Immerhin sah er noch sehr gut aus mit seinen dunklen, kinnlangen Locken und den lieben braunen Augen, um die sich im Laufe der Zeit attraktive Lachfältchen gebildet hatten. Er besaß dank des Schwimmens eine gute Figur und wirkte jünger, als er tatsächlich war. Das Jungenhafte unterstrichen seine Jeans, die hochgekrempelten Hemdsärmel und seine Turnschuhe. Ein wirklich hübscher, sportlicher Mann. Auch war es natürlich süß, dass es ihm wichtig war, mit ihr anzustoßen. Das wenigstens war geblieben. Und das war doch auch eine ganze Menge.
*
Sie hörte den Schlüssel im Schloss, und gleich darauf stand er mit einer Flasche neben ihr und küsste sie auf die Wange.
»So, Libellchen, einen schönen, trockenen Prosecco hab ich uns mitgebracht. Und eine Neuigkeit.« Er öffnete die Flasche und schenkte ein.
»Eine Neuigkeit?«
»Any news is good news. Ich werde versetzt. Nach Frankfurt.«
Da hatte sie wohl zu früh das Glas erhoben. »Nach Frankfurt?«, fragte sie, während sie den Arm wieder sinken ließ.
»Ja. Ich wechsle endlich in die Konzernzentrale! Eine neue Herausforderung! Man wächst an seinen Aufgaben! Und das heißt natürlich, ich verdiene auch mehr. Dann kann ich mir endlich ein neues Auto kaufen. Und einen riesigen Fernseher. Money makes the world go round!«
»Und meine Borneoreise? Meine Orang-Utans? Und die anderen Affen?«, fragte sie leise, denn wenn es um Geld ging, dachte sie immer zuerst an ihren Reisetraum. Schließlich war sie uneigennützig. Wenn es ihr gutging, hatte er ja auch etwas davon.
»Libellchen, das hatten wir doch schon oft genug! Ich setz mich nicht in ein Flugzeug. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Das müsstest du dann alleine machen, und das fände ich auch blöd. Lass uns lieber mal richtig lange nach Sylt, wenn ich mehr verdiene. Vielleicht vier Wochen oder so, was hältst du davon?«
»Aber Frankfurt … Das sind vier Stunden mit der Bahn! Das ist total weit! Wie soll das gehen?«
»Wir haben dann eben erst einmal eine Fernbeziehung.« Er sprach das Wort richtig bedeutungsvoll aus, Brigitte meinte sogar, etwas wie Ehrfurcht in seiner Stimme zu hören. Wie um ihren Eindruck zu bestätigen, fügte er fast ein bisschen aufgeregt hinzu: »Ich hatte noch nie eine Fernbeziehung. Aber es gibt für alles ein erstes Mal!«
Brigitte war von seinen ständigen Floskeln genervt, sagte aber nichts dazu. Stattdessen fragte sie: »Was ist denn daran toll? Wenn man sich kaum sieht, alles bloß am Telefon besprechen kann und nur am Wochenende zusammen ist?«
Gut, viele ihrer Freundinnen hatten inzwischen auch Fernbeziehungen. Aber deren Männer wohnten wenigstens bei ihnen.
Sie ärgerte sich. Fred schien das schon beschlossen zu haben. Warum besprachen sie das denn eigentlich nicht vorher? Wieso machte ihr Freund das einfach so mit sich aus, ohne sie zu fragen? Schließlich waren sie ein Paar. Nicht verheiratet – davon hielten beide nichts –, aber ein Paar. Das zwar in getrennten Wohnungen lebte, aber schon viele Jahre zusammen war. Meist bei ihr. Was vielleicht mit daran lag, dass sie auch mal tagsüber Zeit zum Einkaufen hatte und sein Kühlschrank chronisch leer war. Nur bei Alkohol war es andersrum.
»Libellchen, lass uns das doch einfach mal ausprobieren. No risk, no fun. Wenn es uns irgendwann zu blöd wird, kommst du eben nach. Wir suchen uns dann gemeinsam eine schöne Wohnung in Frankfurt.«
»Also, erstens möchte ich nicht nach Frankfurt und zweitens ist es bestimmt nicht leicht, dort was zu finden. Für einen nicht und für zwei erst recht nicht. Und überhaupt geht mir das alles ein bisschen schnell. Wie stellst du dir das vor? Wieso reden wir erst jetzt darüber, wo das für dich schon beschlossene Sache zu sein scheint? Ab wann willst du da denn arbeiten?«
»Na ja, ab Herbst. Also, im September kann ich anfangen.«
»September? Aber das ist doch schon in zwei Monaten! Ich muss mich setzen.« Komisch, dass sie nicht früher darauf gekommen war – sie hatte wirklich die ganze Zeit gestanden. In jedem Film ließen sich die Darsteller fassungslos auf ein Sitzmöbel gleiten, wenn ihnen der Partner etwas so Wichtiges eröffnete.
»Weißt du, wir sehen uns doch sowieso meist nur am Wochenende richtig. Und jetzt, wo du diese Zusatzausbildung gemacht hast, meintest du, du würdest sogar öfter auch am Wochenende arbeiten müssen …«
»Was ist denn das für eine Argumentation? Das hieße ja, dass wir uns dann gar nicht mehr sehen, oder wie?« Brigitte hatte noch keinen Schluck getrunken. Das holte sie jetzt nach und leerte ihr Glas in einem Zug.
»Faszinierend. Hast du deinen Schluckreflex ausgeschaltet? Deep Throat? Lernt man das in der Ausbildung?« Fred schien sie nicht ernst zu nehmen. Er schenkte ihr noch mal ein.
Sie überlegte. Hatte es nicht auch etwas Gutes? Vielleicht war das sogar ganz wohltuend für ihre Beziehung, wenn sie etwas Abstand voneinander bekamen. Räumlichen Abstand, der sie wieder neugierig aufeinander machen würde. Dafür brauchte sie keine Paartherapie-Ausbildung, das hatte Brigitte schon vor Jahren in ihren Frauenzeitschriften gelesen. Und: »Liebe braucht Nähe, Sex braucht Distanz« – vielleicht würden Fred und sie dann auch wieder öfter Sex haben. Richtigen, genussvollen Sex, nicht nur einmal die Woche Triebabfuhr zwischen »Sportschau« und Abendbrot. Was sie aber beunruhigte, war:
Machte ihm das denn gar nichts aus, wenn sie sich kaum noch sehen würden?
Das fragte sie ihren Freund dann auch und bemerkte, dass ihre Stimme etwas brüchig klang.
»Libellchen, ach, liebstes Libellchen, natürlich macht mir das was aus! Aber es bedeutet für mich nicht nur mehr Geld, sondern ist auch eine Chance, mal wieder etwas Neues auszuprobieren, und uns tut das vielleicht auch ganz gut … Wir sind ja schon wie ein altes Ehepaar, und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …«
»Und wer geht dann mit mir einmal die Woche schwimmen?«
Immerhin hatten sie ihren wöchentlichen Schwimmbadbesuch als festen gemeinsamen Termin. Einen Kilometer rissen sie zusammen ab, jeden Mittwoch, noch bevor er ins Büro ging, außer, es kam etwas Schwerwiegendes dazwischen.
In Zukunft würde sie also auch mittwochmorgens Klienten annehmen können. Das war gar nicht so schlecht. Nein, sie würde den gemeinsamen Sport nicht vermissen, redete sie sich ein. Vermutlich würde es sogar ganz schön sein, etwas mehr Zeit für sich zu haben. Wenn das mit der Paartherapie erst mal richtig gut liefe.
»Eigentlich kommt mir das ganz gelegen«, sagte sie denn auch etwas trotzig. »Ich werde froh sein, wenn ich mir das mit dem Schwimmen selbst einteilen kann. Wenn ich bei der ganzen Arbeit überhaupt noch dazu komme …«
»Woher nimmst du eigentlich deine Klienten?« Fred leerte sein Glas. »Ich meine, die kennen dich doch nur als Naturheilpraktikerin und nicht als Paartherapeutin.«
Brigitte seufzte. »Sag mal, hörst du mir denn nie zu? Natürlich habe ich das meinen Klienten erzählt. Und Annoncen geschaltet. Und Sibylle will mir Leute schicken, für die sie keine Kapazitäten mehr frei hat. Das erste Paar hat sie schon vermittelt. Und eines hat sogar von sich aus angerufen!« Sie strahlte ihn triumphierend an.
»Boah, das geht ja schon gut los. Ab durch die Mitte, sag ich da nur!«
»Ja, sie kommen über Herrn Semmering. Weißt du, mein Gräser-Allergiker. Er ist ein Nachbar von dem Mann.«
Fred nickte abwesend, während er die Sportseite der Zeitung aufschlug. »Ha! Kaufen die den Reimers jetzt doch! Unverschämt, wie reich die Bayern sind. Na ja, the winner takes it all …«
Für ihren Freund schien das Thema schon erledigt zu sein, und als sie begann, weiter über seinen Umzug nachzudenken, merkte sie immer deutlicher, dass ihr der Gedanke, bald Strohwitwe zu sein, nicht nur Kummer bereitete.