Читать книгу Küstengold - Kurt Geisler - Страница 11
Drei schwarze Punkte
ОглавлениеManchmal stehen Pressekonferenzen unter keinem guten Stern. Hansens Chef, der Polizeidirektor Magnussen, zog an diesem Montagvormittag eine unglückliche Miene, denn die Veranstaltung war dem Pressesprecher vollends entglitten.
Sein Versuch, die Reporter in der Kieler Polizeidirektion mit vertraulichen Informationen über die Morde in Kiel und Eckernförde auf seine Seite zu ziehen, endete nahezu mit einem Aufruhr. Die Reporter waren aufgebracht und warfen der Kripo Unfähigkeit vor, ihre Bürger im nördlichsten Bundesland ordentlich zu schützen.
Dabei war die Sachlage weitaus schlimmer, denn nach 14 Tagen, in denen die Presse an der Nase herumgeführt worden war, gab es immer noch keine einzige erfolgversprechende Spur.
Hansen konnte sich plastisch die nachfolgende Dienstbesprechung ausmalen, denn Magnussen nahm solche Dinge immer ausgesprochen persönlich. Bei der letzten Besprechung hatte ihm sein Chef vor versammelter Mannschaft theatralisch eine virtuelle Blindenbinde überreicht.
Dabei war sich Kommissar Hansen absolut sicher, keine Spur übersehen zu haben. Oberkommissar Stüber hatte ihn gestern Abend noch angerufen und darauf hingewiesen, dass der Täter zunehmend auf die Führungsetagen von Energieunternehmen zu zielen schien: Erst traf es einen Mitarbeiter, dann einen Werkstattleiter, jetzt einen Abteilungsleiter. Das nächste Opfer könnte ein Vorstandsmitglied oder ein Direktor sein, aber das war nichts für die Presse.
Wieder einmal platzte Hansens Chef der Kragen. Kurzerhand übernahm er die Leitung der ihn unzufrieden stimmenden Versammlung und begann, die Vertreter der Presse anzuschnauzen. »Bei allem Respekt vor Ihrer Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren, meine Damen und Herren. Wir können am nächsten Wochenende nicht ein ganzes Bundesland in Angst und Schrecken versetzen und an jede Ecke einen Polizisten stellen. Oder kann einer von Ihnen voraussagen, wo der Täter nach den Morden in Kiel, Eckernförde und Rendsburg erneut zuschlagen wird?«
Sein verdutzter Chef musste verschiedene spontane Zurufe von den Pressevertretern zur Kenntnis nehmen.
»Neumünster.« – »Ja klar, Neumünster!«
Polizeidirektor Magnussen fragte irritiert nach. »Wie kommen Sie denn ausgerechnet auf Neumünster?«
Der Vertreter des Rendsburger Tagesspiegels antwortete als Erster: »Das ist das N der ehemaligen KERN-Region. Sie wissen, Kiel, Eckernförde, Rendsburg und Neumünster hatten diesen Verbund gebildet, um sich besser bei Investoren zu verkaufen. Neumünster wird der nächste Tatort sein. Garantiert. Hundert zu eins.«
Hansen fluchte innerlich. N war sicherlich Neumünster. Wieso war er nicht selber darauf gekommen?
Die Konferenz geriet zum Tumult. Die Pressevertreter warfen dem Polizeichef Unfähigkeit vor, auch nur allerkleinste Zusammenhänge zu erkennen. Der brach undiplomatisch die Konferenz ab und eilte zornig zum Ausgang.
Hansen hatte Mühe, seine Schadenfreude zu unterdrücken, als sich Magnussen näherte. Beim Vorbeigehen zischte er unfreundlich: »Kommen Sie gleich in mein Büro. Unverzüglich!« Dann war sein Chef im Treppenhaus entschwunden.
Das Handy des Kommissars vibrierte. Er flüchtete in die Herrentoilette und nahm das Gespräch an. Es war Stuhr, der sich nach dem Stand der Dinge erkundigte.
Hansen versicherte ihm, dass der gesamte Polizeiapparat mit Hochdruck dabei war, den Aufenthaltsort der jungen Rumänin zu ermitteln. Dann berichtete er Stuhr von den Vermutungen auf der Pressekonferenz über den nächsten Tatort Neumünster.
Der Kommissar nahm das Gerät vom Ohr, weil Stuhr aus Verärgerung fluchte.
»So ein Mist. Warum bin ich nicht darauf gekommen? Man hätte die Anfangsbuchstaben der drei Städte nur einmal in der Reihenfolge der Taten nebeneinander schreiben müssen, dann hätte jedes Kind blind den vierten Buchstaben dahinter geschrieben. Zudem war der vierte Buchstabe auf dem Ortsschild am letzten Tatort eingekreist.«
Hansen musste zustimmen. »Genauso ist es. Was meinst du, wie mein Chef mich nachher falten wird?«
Das Brummen von Stuhr deutete Hansen als Mitleidsbezeugung. Dann erfolgte die Nachfrage. »Hansen, hast du dir schon einmal überlegt, warum der Täter seinen nächsten Tatort preisgegeben hat? Er scheint das alles sehr bewusst zu machen. Natürlich kann man nicht hinter jeden Laternenpfahl in Neumünster einen Polizisten stellen, aber die Ausfallstraßen könnte man schon abriegeln. Der Täter säße dann in der Falle.«
Das leuchtete Hansen ein. Dass der Täter Neumünsteraner war, mochte Hansen nicht glauben. Der Mörder musste sich sehr sicher sein, denn er spielte mit der Polizei Katz und Maus. Er würde das alles noch einmal in Ruhe überdenken müssen. Aber erst nach dem Gespräch bei seinem Chef.
»Stuhr, hast du schon in der Staatskanzlei Erkundigungen wegen der Nordstrom AG einziehen können? Wir müssen schnell an Informationen gelangen.«
Stuhr grummelte etwas Unverständliches in den Hörer. Zweimal fiel der Name Jenny.
»Jenny Muschelfang? Treibt die sich auch in Sankt Peter herum? Mein Gott, könnt ihr denn nicht die Finger voneinander lassen?«
Stuhr beendete unerwartet das Gespräch.
Kommissar Hansen kehrte in den menschenleeren Saal zurück, der jetzt ungeschminkt den herben Charme der Fünfzigerjahre verströmte. Das Interieur von Zweckbauten aus dieser Bauperiode kann ein tiefes Gefühl von Langeweile erzeugen. Die kam aber nicht auf bei ihm, weil die forsche Stimme seines Herrn aus dem Treppenhaus gellte.
»Wachtmeister Hansen!«
Der Kommissar zuckte zusammen. Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen. Aber vorwerfen lassen wollte er sich von Magnussen nichts, schließlich hatte auch er keine Spur gefunden. Und wer sagte denn, dass die Vermutung Neumünster stimmte? Nein, es gab überhaupt keinen Grund, mit gesenktem Kopf das Büro des Chefs zu betreten.
Er holte tief Luft und betrat das Vorzimmer, aber bevor er Fräulein Schönerstedt einen Gruß entbieten konnte, wurde er von einer herauseilenden Person weggedrängelt.
»Dieser Vollidiot!«, fluchte Hansen.
Fräulein Schönerstedt fragte interessiert nach. »Meinen Sie den Ratsherrn Meyer? Der war nur kurz beim Chef im Büro.«
Hansen lächelte ihr kurz zu. »Nein. Wenn sie es genau wissen möchten, ich meine den Obervollidioten dort drin.«
Das Fräulein Schönerstedt senkte betreten den Kopf.
Entschlossen betrat Kommissar Hansen das Chefbüro von Magnussen.