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Ein kleiner Direktor

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Der Direktor der Neumünsteraner Stadtwerke war auf den ersten Blick ein feiner Mann. Seine weißgrauen, gepflegten vollen Haare passten gut zu seinem braungebrannten Gesicht. Auf so etwas standen die jungen Dinger, wie er selbstgefällig befand. Er war 60 Jahre alt, im besten Alter also. Nun gut, seine 1,56 Meter Körpergröße störten ihn manchmal, aber mit seiner Macht als Vorgesetzter konnte er selbst die jungen langen Kerle in seinem Verwaltungsapparat aushebeln. Sprüche wagten die ihm gegenüber nicht.

Gern stand Direktor Bergfeld auf der obersten Treppenstufe und schrie nach irgendeinem Mitarbeiter, den er auf der Stelle sehen wollte. Der Flurfunk sorgte dann dafür, dass derjenige kurze Zeit später tatsächlich vor ihm stand. Sie wollten schließlich alle etwas bei ihm werden.

Gut, er wusste, dass man ihn deswegen nicht gerade liebte. Aber dafür bekam er sein Gehalt nicht. Er musste den Laden auf Trab halten. Immerhin wollten fast 80.000 Menschen in der Stadt mit Wasser und Energie versorgt werden. 35 andere Gemeinden wurden zusätzlich außerhalb des Stadtgebiets mit Strom beliefert, viele davon auch mit Gas und Wasser. Aus den ehemaligen Neumünsteraner Baltischen Licht- und Wasserwerken des 19. Jahrhunderts war ein moderner Dienstleistungsbetrieb entstanden, der von ihm optimal straff geführt wurde. Alles Wichtige ging über seinen Schreibtisch.

Er regierte mit eiserner Hand. Allein schon, damit niemand Einblick in die Freiräume gewinnen konnte, die seinen Posten ein wenig erträglicher machten. Denn es wurde für seine Stadtwerke als regionales Energieversorgungsunternehmen immer schwieriger, die Selbstständigkeit zu bewahren. Vielen benachbarten Stadtwerken drohte die Übernahme durch einen der international agierenden Energieriesen, und selbst bei ihm in Neumünster war unlängst die Hansestream mit 24,9 Prozent Beteiligung eingestiegen. Noch hatte er das Sagen, aber mit einer Aktie mehr von denen hätte er eine echte Laus im Pelz.

So spendete er immer wieder großzügig für die unter chronischer Geldnot leidende Stadt Neumünster, damit diese nicht das Interesse an ihrer Mehrheitsbeteiligung verlor.

Mit seiner ersten Frau stand Arnold Bergfeld wegen der strittigen Abfindung nach der Scheidung immer noch vor Gericht. Geld wollte sie von ihm. Richtig viel. Dabei hätte sie arbeiten gehen können. So wie er. Das hatte sie aber schon die ganze Ehe über nicht getan. Er würde es ihr noch zeigen.

Seine jetzige Frau Katja war erheblich jünger und ein wenig größer als er. Er zeigte sich gern mit ihr, und um seinen kleinen Sohn kümmerte sie sich rührend. Allerdings war sie nach der Geburt ein wenig aus den Fugen geraten. Er bedauerte das, denn jetzt wurde jeder Sexualakt ein Vabanquespiel. Er hatte ein wenig die Lust an ihr verloren.

Mit Anja dagegen, dieser kleinen schlanken Brünetten aus der Personalverwaltung, hatte er diese Probleme nicht, wenn er sie in ihrer kleinen Wohnung im Staatsforst besuchte. Sie war ledig geblieben und immer für ihn da, wenn er es wollte. Gut, sie war schon älter, knapp über 40, aber sie hatte immer noch eine ordentliche Figur. Anja hatte nie Kinder gehabt, deswegen konnte sie ihm auch die weitaus bessere Biometrie bieten.

Der Staatsforst von Neumünster hieß Iloo und lag außerhalb des Stadtgebietes. Die Neumünsteraner Stadtwerke besaßen das Recht, dort ein kleines Umspannwerk zu betreiben, aber auch die Pflicht, die Waldwege zu beleuchten. An einem Bach wurde sogar eine alte Wassermühle betrieben. Das Rad wurde zwar noch vom Wasser gedreht, aber Energie produzierte sie schon lange nicht mehr. Es war ein romantischer Ort, den er gern für andere Zwecke ausgenutzt hätte. Aber er hatte auf seinen guten Ruf zu achten.

Er stellte seinen Dienstwagen nahe der Wassermühle ab und betrachtete ihn ärgerlich. Ein richtiger Chef fährt einen dicken schwarzen Mercedes und keinen blauen Audi A4, befand er. Kopfschüttelnd machte er sich zu Fuß auf den kurzen Weg zu Anja.

Sie würde sich über seinen Besuch freuen. Sie hatte sonst doch nichts. Es gab zwar Gerüchte, die er auf der letzten Betriebsfeier aufgeschnappt hatte, dass sie angeblich unglücklich verliebt sein sollte in Fries, den Leiter vom Werkschutz. Der soll sie angeblich unlängst nach einer kurzen Affäre verlassen haben, um seine Familie zu retten. Bergfeld gab nicht viel auf das Gerücht. Gewäsch! So etwas wie ihn würde Anja sowieso nie wieder bekommen.

Er stand jetzt vor dem Haus und schaute sich um, aber es war niemand zu sehen. Er klingelte an ihrer Haustür. Zweimal kurz, einmal lang. Das verabredete Zeichen. Der Summer brummte. Eilig hastete er die Stufen hoch, denn er hatte Druck.

Sie trat ihm in der Wohnungstür völlig aufgelöst entgegen. »Schön, dass du endlich da bist. Arnie, du bist in Gefahr! Nimm mich in die Arme!« Sie warf sich an ihn.

Bergfeld ärgerte sich darüber. Manchmal war sie eben eine hysterische Ziege. Sie hatte bestimmt durch die Gerüchteküche der Hauptverwaltung von den Sicherheitsmaßnahmen gehört, die von der Polizei seit gestern eingeführt wurden, weil angeblich am Wochenende ein Anschlag auf die Stadtwerke erfolgen könnte. So ein Quatsch. Zudem war ein Direktor bisher noch nicht das Ziel eines Anschlags in der von der Presse marktschreierisch veröffentlichten Mordserie der letzten Wochen gewesen, sondern die niederen Chargen.

Außerdem wollte er am Wochenende wegfahren. Geschäfte machen. Er würde im Sauerland Verhandlungen führen. Eine Beteiligungsgesellschaft wollte ihm ein lukratives Angebot unterbreiten. Freitagmittag würde er wegfahren und erst am Montagmorgen zurück sein. Natürlich würde alles bezahlt werden, auch die Spesen. In seiner Firma würde er es erst im Nachhinein als Dienstreise deklarieren, damit er doppelt abkassieren konnte. Frauen kosten Geld.

Das musste Anja aber nicht wissen. Er freute sich immer, wenn sie ihn Arnie nannte. Ja, dieser Vergleich mit Arnold Schwarzenegger machte ihn stolz. So entschloss er sich, sie dennoch in die Arme zu nehmen und die Sache herunterzuspielen.

»Ach, Anja, wenn ich vor jedem Gerücht Angst hätte, dann säße ich sicherlich nicht auf meinem Chefsessel.«

Sie umschlang ihn leidenschaftlich. »Bleib bei mir, Arnie. Ich melde mich krank, und wir verschanzen uns, bis die Bedrohung vorüber ist. Bei mir bist du in Sicherheit.«

Sie konnte ihn auf eine Art ansehen, der er nur wenig entgegenzusetzen hatte. Er zog sie fest an sich und kniff ihr anschließend in die Pobacken. Er fühlte, wie ihre Muskeln zuckten.

»Nicht jetzt, Arnie«, wehrte sie seine Kniffe ab. »Nimm mich erst einmal richtig in den Arm.«

Bergfeld wehrte ab. »Ach, Dummerchen. Seit wann bist du so ängstlich? Am Wochenende muss ich große Geschäfte abschließen. Da kann ich mich nicht ängstlich in einem Mauseloch verstecken.«

Anja schien eine andere Antwort erhofft zu haben, denn sie begann, an seiner Brust zu schluchzen. Bergfeld fand das ein wenig übertrieben. Er bemerkte, dass ihre Wimperntusche sein Hemd schwarz einfärbte und drückte sie zurück. »Nun sieh doch, das Hemd ist versaut.«

Jetzt heulte Anja richtig los. Bergfeld war sich nicht sicher, ob er diese Stimmung noch umbiegen konnte. Wenn er bei ihr nicht zum Stich kommen konnte, warum sollte er sich das Gejammer überhaupt antun?

Er entschloss sich zum geordneten Rückzug, denn mit Anja würde heute nichts mehr laufen. »Engel­chen, ich wollte sowieso nur einmal hereingucken und sehen, wie es dir geht. Wird alles gut, glaube mir. Ich muss noch einmal zurück ins Büro.«

Anja reagierte nicht. Also nahm er sie wieder in den Arm und drückte sie. »Ich muss jetzt wirklich los. Ich schicke dir noch eine SMS. Einverstanden, Engelchen?«

Er wollte sich lösen, aber sie hielt ihn weiter fest umklammert. Mit aller Macht wollte sie ihn bei sich behalten. Bergfeld schüttelte energisch den Kopf und löste sich sanft, aber bestimmt aus ihrem Griff. Wortlos drehte er sich um und ging.

Vor der Haustür ärgerte er sich über Anja. Frauen können schon seltsame Wesen sein, befand er. Warum verderben sie sich selbst die schönsten Momente? Na ja, er würde sie zunächst einmal kurzhalten müssen. Frauen brauchten das, sonst bekamen sie Oberwasser. Wer seine Frau schont, der schont sie für andere. Das sagte sein Schwiegervater schon immer.

Er beschloss, nach Hause zu fahren. Nach einem Vierteljahr könnte sich seine Frau einmal wieder liebevoll zeigen. Wenn nur der Bengel schon im Bett wäre. Um das sicherzustellen, würde er Katja am besten gleich aus dem Auto anrufen. Dann wären sie nachher allein, und er käme endlich zum Stich.

Er drehte sich nicht mehr um, als er in den Wagen stieg.

Küstengold

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