Читать книгу Küstengold - Kurt Geisler - Страница 7

Geschäfte anderer Art

Оглавление

Die Stimmung auf der Sonnenterrasse der Sansibar Arche Noah wurde im Laufe des Nachmittags immer ausgelassener. Stuhr nippte weiter genüsslich an seinem Weizenbier, während er den immer bunter werdenden Ausführungen von Schneider lauschte.

»Frauen einmal ganz beiseite, die sind nicht alles im Leben. Wissen Sie, mir ging es nicht immer gut. Früher habe ich mich von morgens bis abends mit einem kleinen Bauunternehmen abgeplagt, aber mein Bankkonto raste dennoch immer weiter in den Keller.«

Schneider spürte Stuhrs Interesse und holte weiträumig aus. »Wissen Sie, ich habe mich immer bemüht, ehrliche Arbeit abzuliefern. Ich hatte mich seinerzeit auf den Verkauf von Holzvillen spezialisiert, für gehobene Ansprüche natürlich. Selbst den Ökotrip habe ich aufgenommen und amerikanische Holzständerbaukonzepte übernommen. Irgendwann konnte ich mich vor Bestellungen kaum noch retten.«

Das freute Stuhr. »Na, da wird sich Ihr Konto ja schnell erholt haben.«

Verständnislos musterte ihn Schneider. »Erholt? Wie kommen Sie denn darauf? Es hätte mich fast in den Ruin getrieben. Sie glauben ja nicht, was ich mit der Klientel erlebt habe, die diese Häuser kaufen.«

Stuhr rätselte. »Vermutlich nicht ganz unvermögende Mitmenschen.«

»Vermögend schon, aber denken Sie nicht, dass das Geld bei denen locker sitzt. Nein, anstatt mir den verdienten Lohn zu überweisen, beauftragen sie Bausachverständige und Rechtsanwälte, um Abzüge vom Kaufpreis zu erwirken. Dann kann man sich nur noch überlegen, ob man gleich auf seinen Gewinn verzichtet oder frisches Geld auf juristische Zweikämpfe setzt.«

»Hatten Sie denn keine ehrlichen Zahler?«

Schneider schüttelte den Kopf. »Anfangs nicht. Ein einziges Mal habe ich den gesamten Preis bar auf die Hand gezahlt bekommen, allerdings auch zwei Säcke voll mit kleinen Scheinen und Münzgeld. Der Kunde musste seinen persönlichen Geldspeicher geleert haben. Ich habe erst später mitbekommen, dass der Käufer Vorsitzender der Nordfriesischen Weihnachtstombola war.«

Stuhr konnte das nicht glauben. »Sie denken, er hat Spenden veruntreut?«

»Was würden Sie denn denken? So geht es nicht weiter, habe ich mir jedenfalls daraufhin gesagt. Wenn alle bescheißen, dann musst du auch bescheißen.«

»Bescheißen?«, wiederholte Stuhr ungläubig.

»Ja, bescheißen. Zuerst natürlich den Staat, das geht am einfachsten. Was blieb mir übrig, als billige Arbeitskräfte aus dem Osten einzustellen? Ohne Steuerkarte natürlich. Während der Woche haben die Polen geknüppelt wie die Irren, damit sie am Wochenende möglichst früh nach Hause konnten.«

»Polnische Leiharbeiter?«

»Ja. Von denen habe ich viel gelernt. Am meisten von Pawel, meinem Vorarbeiter. Der stammte aus Schlesien und war ein Schlitzohr. Er hat mich auf die richtige Spur gebracht. ›Szef, du musst nicht selbst arbeiten. Arbeit liebt die Dummen, sagt ein altes Sprichwort.‹ Pawel hatte recht. Erst später habe ich herausbekommen, dass er von meinen Arbeitern Vermittlungsgebühren abgepresst hat.«

Ungläubig verfolgte Stuhr Schneiders Geschichte. Genüsslich sog der an seiner Zigarette, bevor er mit zwei Fingern Nachschub orderte, ohne sich umzudrehen. »Sie trinken doch einen Blutsturz mit mir?«

»Einen Blutsturz?« Stuhr verstand nicht.

»Ja, das rötliche Gesöff. Prosecco mit Martini Rosso. Reinigt die Blutbahnen.« Ohne sich um Stuhrs Antwort zu kümmern, erzählte er weiter.

»Ich habe Pawel zunächst nicht verstanden, denn ich war gewohnt, immer selbst mit reinzuhauen. Aber dieser Pawel hat mir als Chef die Augen geöffnet. ›Szef, du musst immer behalten die Übersicht. Ein General muss alles übersehen, er darf selbst nicht kämpfen. Dumme leben von der Arbeit. Der Kluge lebt von den Dummen.‹ Ich ließ also die Jungs werkeln und kümmerte mich ausschließlich um meine Geldgeschäfte. Ein weiser Entschluss, denn seitdem lebe ich im Überfluss.«

Stuhr sah ihn zweifelnd an, denn so ganz erschloss sich ihm der Schlüssel zum Reichtum noch nicht.

Schneider bekam seinen Blutsturz wie gehabt über sein Haupt gereicht. Anschließend legte Verena eine halbe Hafenrundfahrt auf der Terrasse ein, um Stuhr seinen Cocktail fachgerecht von der rechten Seite zu reichen. Beim Niederknien geriet der Blick auf ihre schönen Beine außer Sichtweite, dafür schob sich das ausladende Angebot ihrer Brüste in den Vordergrund, welche nicht einmal von einem Büstenhalter gepusht wurden.

Schneider nahm keine Notiz davon, er dozierte weiter über seine Geschäftspraktiken.

»Nun, ich will nicht allzu viel aus dem Nähkästlein plaudern, aber mit der Mehrwertsteuer geht immer etwas. 19 Prozent sind kein Pappenstiel, und Pawel hat mir zusätzlich Nachhilfe in Punkto Kalkulation gegeben. Immer einfach die eigenen Kosten verdoppeln zur Preisfindung, und dann einen kleinen Rabatt einräumen.«

Stuhr schüttelte ungläubig den Kopf. »Das klingt sehr simpel. Wie ist dieser Pawel denn darauf gekommen?«

Schneider nahm einen tiefen Lungenzug. »Pawel hat seine Lehren aus dem Sozialismus gezogen und immer Gegenleistungen für seine Rabatte eingefordert. Das System funktioniert genauso im Kapitalismus.«

Stuhr konnte kaum glauben, dass Schneider damit durchgekommen war. »Und Ihre Kunden haben anstandslos bezahlt?«

Schneider lachte mit bleckendem Gebiss. »Nein, natürlich nicht. Aber nun konnte ich meinen Kunden locker entgegenkommen. Teuer, aber kulant. Das hat mir beste Empfehlungen und viele Folgeaufträge beschert. Meine anspruchsvollsten Kunden waren zufriedengestellt, weil sie mir etwas abfeilschen konnten. Diese Volksgruppen sind nun einmal so. Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte. Die haben die Kohle.«

Dem wollte Stuhr nicht widersprechen. »Dann laufen Ihre Geschäfte ja prächtig.«

Schneider lächelte entspannt. »Nein, da habe ich lediglich meine erste Million mit gemacht. Aber es war mühsam. Ich habe Pawel kurzerhand die Zimmerei geschenkt und bin mit meinem Kapital in interessantere Wirtschaftszweige eingestiegen. Ab und zu treffen Pawel und ich uns noch, dann trinken wir ein Fläschchen Wodka und erzählen uns die skurrilsten Geschichten.«

Wieder schüttelte Stuhr ungläubig den Kopf.

Schneider rückte jetzt ganz nahe. »Aber passen Sie auf. Wenn Sie Pawel begegnen und bei ihm eine Holzvilla bestellen, dann stammt im besten Fall lediglich das Holz des gefälschten Prägestempels aus ökologischen Beständen, denn das Baumaterial für die Holzhütten kommt aus den Wäldern der Umgebung von Tschernobyl.«

Stuhr verzog ungläubig das Gesicht. War das nicht Betrug? »Und welche Geschäfte betreiben Sie jetzt, wenn ich fragen darf?«

»Dürfen Sie, dürfen Sie. Ich habe mich voll und ganz dem Handel in der Energiebranche verschrieben. Die Politiker zwingen uns ja förmlich dazu, unsere Millionen im Energiebereich zu verdienen. Es geht nur noch um Papiere und Beratungsleistungen. Keine unliebsamen Mitarbeiter, keine quengeligen Kunden, keine Regressansprüche mehr. Nur noch schnelle Geschäfte ohne Vorleistungen. Ihren Namen habe ich leider immer noch nicht verstanden.«

Nur der Nachname würde nichts von ihm verraten. Er reichte Schneider die Hand. »Stuhr. Aus Kiel. Moin.«

Schneider sprang völlig unerwartet hoch und vollführte fingerhebend drei tänzelnde Drehungen, bevor er sich wieder setzte. »Ihr Norddeutschen seid schon ein Kapitel für sich. Nur nicht jemand anderem zu nahe kommen. Dabei kann ich Ihnen ein völlig neues Lebensgefühl erschließen.«

Stuhr schüttelte uninteressiert den Kopf, weil es sich anhörte, als ob ihm Schneider Waldparzellen auf dem Mond verscherbeln wollte.

Sein Sitznachbar stöhnte auf. »Meine Geschäfte sind konkreter als Sie denken, Herr Stuhr. Schauen Sie sich nur einmal das riesige Naturschutzgebiet vor St. Peter-Ording an, auf dem lediglich einige Pfahlbauten stehen. Das ist genau die richtige Stelle, um einen unterirdischen Speicher für Kohlendioxid einzurichten. Die wohlhabenden Touristen können auf den Pfahlbauten weiter feiern, und nicht einmal die barfüßigen Strandgänger werden sich gestört fühlen. Hier oben kann alles so bleiben, wie es ist, während unten eine neue Geldquelle unerlässlich sprudeln kann.«

Skeptisch fragte Stuhr nach. »Ist das Ihr Ernst? Das ist doch vermutlich alles Naturschutzgebiet hier oder nicht?«

»Richtig, das gehört alles zum Schleswig-Holsteinischen Nationalpark Wattenmeer. Und genau deswegen wird sich jedes Sandkorn, in das Sie hier investieren, über kurz oder lang in einen Klumpen Gold verwandeln. Sie müssen einfach nur daran glauben.«

Das fiel Stuhr schwer. »Glauben?«

Schneider überging die Nachfrage. »Mein Konzept ist, Chancen doppelt und dreifach zu nutzen. Nehmen Sie die Nordseeküste als Beispiel: unter dem Wattenmeer ein Kohlendioxidlager anlegen und obendrauf einen Offshore-Windpark setzen. Dafür werden Genehmigungen benötigt. Man muss also beste Kontakte zu allen Beteiligten haben. Genau das ist mein Job. Jede Genehmigung eine Million Euro Gewinn.«

»Doppelt, ich verstehe. Aber dreifach?«

Das erläuterte Schneider souverän: »Tourismusförderung. Ich berate Investoren und besorge Fördergelder. Bei meinen Kontakten kein Problem, verstehen Sie?«

Stuhr entschied sich, ein neutrales Gesicht aufzusetzen. »Nö.«

Schneider zog die Kumpelkarte. »Mensch, Stuhr. Verstehen Sie mich nicht falsch. Aus jedem Klumpen Gold werden zwei.«

Stuhr liebte Milchmädchenrechnungen nicht. »Oder drei. Und in den Spiegel gehalten sind es dann sechs.«

Schneider musste nun auch lachen. »Hab schon verstanden. Das ist nicht Ihre Welt. Lassen Sie uns noch einen Kleinen nehmen. Prost.«

Stuhr prostete zurück, während er bemerkte, dass Verena bereits mit neuen Drinks im Anmarsch war. Bei Absenken auf den Tisch wirkten die rot schillernden Blutstürze harmlos.

Jetzt rückte Schneider heran. »Ich setze mich zu Ihnen an den Tisch, da kann man sich besser unterhalten. Zu schade, dass es die Bundeswehr hier nicht mehr gibt. Das war eine regelrechte Goldquelle. Nach Übungen auf dem Sand oder Flugzeugabstürzen im Watt hat die Bundeswehrverwaltung immer gut Geld abgedrückt, um keinen schlechten Ruf zu hinterlassen. Ein Geschäftsfeld, das ich leider aufgeben musste. Trotzdem: pures Küstengold, die ganze Ecke hier. Glauben Sie mir.«

Stuhr wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Schneider war ein abgebrühter Hund, ein richtiger Profitgeier. Aber das sollte Stuhr nicht weiter kratzen, denn er war nach St. Peter-Ording gekommen, um sich zu erholen. Mit Freuden registrierte er die gepflegten Hände von Verena, die neue Getränke servierte. Stuhr blieb nicht verborgen, dass anschließend diese Fingernägel den Rücken von Schneider herunterkratzten.

Der reagierte unwirsch. »Bitte lass das, Verena. Kleine Mädchen sollten die großen Jungs nicht bei ihren Geschäften stören. Wir sind hier nicht im Streichelzoo.«

Die Bedienung wich jedoch nicht von Schneider und begann mit beiden Händen, seinen Nacken intensiv zu massieren. Gequält lächelnd ließ Schneider die Prozedur über sich ergehen. Unangenehm konnte es nicht sein.

Augenzwinkernd klärte die Kellnerin Stuhr auf. »Heutzutage muss man Kundenpflege betreiben. Es gibt nicht mehr genug zahlungskräftige Laufkundschaft wie früher. Die Zeiten ändern sich.«

Als Schneider kurzzeitig genussvoll die Augen schloss, ging sie zum Generalangriff über. »Noch ein wenig Ganzkörperentspannung hinterher, der Herr Oberschneider?«

Aber Schneider schüttelte ihre Hände von seiner Schulter und öffnete wieder die Augen. »Morgen vielleicht. Heute habe ich noch geschäftlich zu tun, meine kleine Honigschnute.«

Verena bemerkte, dass sie zurzeit nicht mehr hilfreich sein konnte. »Dann erst einmal Wohlsein den Herren. Tja, wer nicht will, der hat schon.«

Schnippisch drehte sie sich um und verließ die beiden, um die zahlreich aufgelaufenen Bestellwünsche von den Nachbartischen entgegenzunehmen.

Erleichtert prostete Schneider Stuhr zu. »Verena ist schon eine klasse Frau, Stuhr. Aber einfangen lasse ich mich nicht.«

Zum Trinken kam Schneider jedoch nicht, denn sein Handy klingelte. Offenbar war es der Pilot, der Bericht erstattete. Besonders aufzuregen schien Schneider dieser nicht. Er beendete das Gespräch, indem er den Piloten anwies, eine andere Maschine zu besorgen. Dann wendete er sich wieder Stuhr zu.

»Jetzt aber. Prost.«

Schneider kippte den Drink herunter und sog anschließend mit einem tiefen Zug eine gewaltige Menge Nikotin in sich hinein. Dieser Mann schien in allen Dingen maßlos zu sein.

Stuhr tat es ihm nach, aber gewöhnen konnte er sich nicht an das Zeug. Zudem stieg es ihm mächtig in den Kopf.

Schneider beugte sich wieder vor. »Meine Maschine muss geborgen und dann von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung begutachtet werden. Das kann Wochen dauern. Der Pilot soll deshalb eine andere Maschine auftreiben. Das wird am Wochenende nicht ganz so schnell gehen. Für mich heißt es, dass ich hier für ein paar Tage feststecke. Gibt es einen besseren Ort dafür?«

Verena enterte mit neuen Drinks wieder den Platz und stellte die alten Gläser beiseite. »Darf ich ein Foto mit meinem Handy von den beiden Herren schießen?«

Stuhr begann, die Gläser beiseite zu schieben, aber Verena stellte sie seelenruhig zurück. »Stehenlassen, das Rot bringt doch erst richtig Farbe für die beiden Herren auf das Foto.«

Schneider ermunterte Stuhr, gemeinsam mit ihm ein Wort in den Mund zu nehmen, das ein Lächeln auf das Foto zaubern sollte: »Ameisenscheiße.« Stuhr tat es ihm nach, aber als das Klicken des Handys zu vernehmen war, war er nicht sicher, ob es im richtigen Moment aufgenommen wurde. Man würde sehen.

Die Stimmung auf der Arche Noah wurde immer ausgelassener. Ja, in St. Peter-Ording abzufeiern, das war schon etwas ganz Besonderes. An jedem Wochenende steppte im Sommer hier der Bär, und dieses Mal würde Schneider in Feierlaune sicherlich noch einen oben draufsetzen.

Je tiefer sie anschließend in das Gespräch versanken und je ausgelassener die Feierlaune wurde, umso mehr wurde Stuhr klar, dass dieser schillernde Schneider ihn so schnell nicht mehr loslassen würde. Immer wieder zuckten Fotoblitze über die Sonnenterrasse bis in die späte Nacht. Irgendwie haben Typen wie Schneider ja auch etwas Besonderes an sich.

Stuhr blickte verstohlen zur Bedienung. Sie sah wirklich klasse aus. Jetzt bemerkte auch Verena seinen interessierten Blick und hielt mit ihren stechenden blauen Augen dagegen, während ihr Lächeln immer diabolischer wurde.

Bei Gott, in welche Mördergrube war er nur hineingeraten? Nein. Stuhr maßregelte sich. Er hatte im letzten Jahr schon genug Mist gebaut und ein unmittelbarer Nachfolger von Schneider bei dieser Verena wollte er nicht werden.

Gesichert war nur, dass Stuhr heute nicht mehr nüchtern vom Sand kommen würde.

Küstengold

Подняться наверх