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Das Ende des Abendlands
ОглавлениеEs war Montagmorgen, und wieder hatte Stuhr einen schmerzenden Schädel. Dieses Mal wusste er wenigstens, woher. In einer kleinen Kaschemme hatte er gestern Abend seinen Kummer mit Bier betäubt.
Nach dem Artikel in der Sonntagspostille mochte er sich auf den Straßen im Badeort nicht mehr sehen lassen. Er hatte sich fest vorgenommen, zukünftig die Sachen anders anzugehen. Schließlich stand am kommenden Wochenende sein Umzug bevor, und er hatte noch nichts geregelt.
Der Himmel über Sankt Peter hielt sich bedeckt, und so hatte er nach dem Frühstück Gelegenheit, die anstehenden Dinge aus seinem Hotelzimmer zu regeln. Er holte sich eine Dose Cola aus dem Eisschrank und setzte sich an den kleinen Couchtisch.
Zunächst galt es, Kommissar Hansens Drängen nachzugeben und diesen Meyer-Riemenscheidt ans Telefon zu bekommen. Stuhr nestelte sein Handy aus der Hosentasche und rief die Vermittlung der Landesregierung an, die ihn durchstellte.
»Wirtschaftsministerium. Mein Name ist Meyer-Riemenscheidt«, meldete sich eine dienstbeflissene Stimme am Telefon. Dabei wusste Stuhr noch aus früherer Zeit, dass sich in Meyer-Riemenscheidts verräuchertem Büro die Aktenberge bis zur Decke türmten. Nach eingehender Prüfung, hieß es dann Monate später in seinen ablehnenden Antwortschreiben. Als wenn Zigarilloqualm Akten prüfen könnte.
Stuhr gab sich freundlich. »Moin, Herr Kollege. Helge Stuhr hier, wissen Sie noch? Ehemals Staatskanzlei, jetzt außer Dienst. Haben Sie vielleicht einen Moment Zeit für mich?«
Erfreut meldete sich die Stimme eine halbe Oktave höher wieder: »He, Stuhr, Sie Glückspilz. Vorzeitige Pension, Haupttreffer. Sie haben es geschafft, stimmt doch, oder? Was kann ich für Sie tun? Dienstlich kann es ja kaum sein.«
Es war ungewöhnlich, dass Meyer-Riemenscheidt sich für seine Pensionierung interessierte. Der musste mindestens noch 25 Jahre bis zur Pension vor sich haben. Stuhr wechselte das Thema.
»Richtig, Herr Kollege. Es ist dienstprivat, sozusagen. Wie damals, als mein früherer Mitarbeiter Dreesen mehrfach hilfreich für Sie tätig sein konnte. Sie erinnern sich?«
Das kurze Brummen genügte Stuhr als Zustimmung. »Ich stecke an einer Frage fest, die mich beschäftigt. Kollege Dreesen meinte, Sie könnten mir helfen.«
Meyer-Riemenscheidt zeigte sich zutraulich: »Warum sollte ich Ihnen denn nicht helfen können? Worum geht es?«
Stuhr fiel mit der Tür ins Haus: »Um die Nordstrom AG in Rendsburg, verehrter Kollege. Laufen bei Ihnen irgendwelche Anträge wegen Übernahme?«
»Nordstrom, Nordstrom, Nordstrom. Da muss ich einmal nachdenken. Irgendetwas war da. Jetzt weiß ich es. Warten Sie, es muss auf dem rechten Stapel liegen. Augenblick, bitte dranbleiben.«
Stuhr ging zum Kühlschrank und schnappte sich eine zweite Coladose. Die hatte er fast ausgetrunken, bevor sich Meyer-Riemenscheidt wieder meldete. »Lieber Kollege, ich habe den Vorgang gefunden. Er lag auf der Heizung, da packe ich immer die Sachen hin, die wirklich heikel sind. Aber hier ist die Akte. Es ist ein Antrag der Fairstrom GmbH aus Hannover auf Übernahme der Rendsburger Nordstrom AG. Er stammt noch aus dem letzten Jahr. Ich soll für den Staatssekretär einen Verfahrensvorschlag erarbeiten, aber das dauert seine Zeit.«
Das verwunderte Stuhr bei der Lethargie von Meyer-Riemenscheidt nicht.
Aber der schien sich keinerlei Schuld bewusst zu sein, denn er plapperte munter drauflos. »Jetzt fällt mir der gesamte Vorgang wieder ein. Sehr komplex. Viele kommunale Stadtwerke bilden Verbünde, um sich besser gegen die großen multinationalen Energiekonzerne behaupten zu können. Gleichzeitig drängen die russischen Energieerzeuger auf den europäischen Markt und beteiligen sich an Stadtwerken oder Verbünden. Das allerdings muss vorher bei uns angezeigt und genehmigt werden. Wenn wir Bedenken haben, dann setzen wir uns auf dem kurzen Dienstweg mit den Inhabern der Stadtwerke zusammen. Das sind in Schleswig-Holstein zum Glück noch oft die Städte selbst.«
Stuhr versuchte, den Entscheidungsstand aus Meyer-Riemenscheidt herauszukitzeln. »Und was werden Sie letztendlich empfehlen?«
Lange Zeit war nichts außer schwerem Atmen am anderen Ende der Leitung zu hören, bis ein heftiges Aufstöhnen die Stille beendete. »Wenn ich das nur wüsste. Das macht es ja so schwer, Stuhr. Ich bin schließlich kein Detektiv. Nach Aktenlage spricht nichts gegen die Übernahme der Nordstrom AG durch die Fairstrom GmbH. Aber der Hauptgesellschafter dieser Firma ist die UniProm aus Nowgorod, und das ist immerhin der zweitgrößte russische Gasproduzent. Wenn die erst einmal die Mehrheit bei der Nordstrom AG haben, dann ist der gesamte Kreis Rendsburg-Eckernförde von den Blähungen eines russischen Oligopolisten abhängig. Damit wird das Ende des Abendlandes eingeläutet, zumindest für Rendsburg.«
Das hielt Stuhr für übertrieben, denn deutsche Firmen unterhielten schließlich auch Tochterfirmen auf der ganzen Welt und strebten nach Beteiligungen an den russischen Gasproduzenten.
Meyer-Riemenscheidt machte aus seinem Herz aber keine Mördergrube. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn ein Erdgas förderndes Unternehmen vom Bohrloch in Sibirien über die Pipelines hin bis zum Gasherd in Kleinkummerfeld die Wertschöpfungskette komplett beherrscht. Bei solchen komplexen Zusammenhängen muss man intensive Nachforschungen anstellen und lange überlegen, bevor man eine ablehnende Begründung schreibt. Das geht nicht so von heute auf morgen wie früher bei Ihnen in der Staatskanzlei.«
Stuhr bedankte sich trotz des kleinen Seitenhiebes artig und wünschte Meyer-Riemenscheidt viel Kraft für eine richtige Entscheidung. Er beendete das Gespräch.
Sein Blick glitt auf den hellblauen Frauenroman. Sollte er nicht nachher beginnen, ihn zu lesen?
Zunächst rief er jedoch nochmals den Kommissar an, um von dem aufschlussreichen Gespräch mit seinem Kollegen im Wirtschaftsministerium zu berichten. Hansen klang ausgeglichener als vorhin und berichtete seinerseits über das Verhör von Sörensens Frau und deren Mutter.
»Eigentlich keine ungewöhnliche Geschichte, Stuhr. Am Anfang ihrer Ehe durchlitten die Sörensens schwere Zeiten mit den kleinen Kindern und wenig Geld. Dann folgte sein schneller Aufstieg zum Abteilungsleiter in der Firma, und sie konnten ein kleines Häuschen bauen. Die Autos wurden neuer und größer, aber der Mann musste immer öfter länger arbeiten. Sie schöpfte keinen Verdacht, denn die ganzen Jahre war Sörensen für Frau und Kinder dagewesen, bis er plötzlich auf dieses junge rumänische Flittchen abgeflogen war. So gab sie es jedenfalls zu Protokoll.«
»Hältst du ihre Aussagen für glaubhaft?«
»Glaubhaft? Mensch Stuhr, bei solchen Affären versucht jede Seite, die Wahrheit für sich zu beanspruchen. Die Nachfrage bei Sörensens Verwandten verlief ähnlich. Seine Schwiegermutter machte allerdings keinen Hehl daraus, dass sie Sörensen gehasst hatte, weil er einen Keil in die gute Beziehung zu ihrer Tochter getrieben hatte. Sie hatte beide oft sonntags zum Kaffee eingeladen, mitgekommen war er nur selten. Um die Ehe der beiden zu retten, hatte sie sogar einen Wünschelrutengänger bestellt, der unter dem Ehebett ihrer Tochter die Ursache aller Probleme feststellte: eine unterirdische Wasserader. Selbst das Erdungsgerät, das sie heimlich gegen die negativen Ströme der Wasserader unter dem Ehebett aufstellen ließ, hatte die Schwiegermutter bezahlt. Ihre Tochter hatte sogar ihren Rat befolgt, jegliche Intimitäten mit Sörensen so lange einzustellen, bis die Wirkung des Erdungsgerätes einsetzte, auch wenn es länger dauern würde. Was soll man schon dazu sagen?«
Stuhr konnte das nicht fassen. »Und seine Kollegen?«
»Die befanden, dass Sörensen ein prima Kollege war, und berichteten, dass er vor seinem gewaltsamen Tod seit einigen Wochen endlich wieder lachen konnte.«
Stuhr versuchte, für sich ein Fazit zu ziehen. »Normales Geschäft also und keine neuen Hinweise, auch nicht auf die Rumänin.«
»Richtig, Stuhr. Wir stehen mit leeren Händen da.«
Stuhr nicht, denn er griff sich jetzt den Roman und schlug die erste Seite auf. ›Abschied von der Vergangenheit.« Das klang interessant. Er musste Hansen abschütteln.
»Ich muss leider auflegen, Hansen. Habe hier dringend etwas aufzuarbeiten. Tschüß. Wir hören voneinander.«
Trotz der Proteste von Kommissar Hansen beendete Stuhr das Gespräch und begann interessiert zu lesen.