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Von Primaballerinas und Partnervermittlungen
Оглавление"Habe ich eigentlich irgendwo Popel hängen? Oder steht Loserin auf meine Stirn geschrieben und ich hab’s noch nicht gemerkt?" Demonstrativ lege ich den Kopf auf den Tisch.
Nadya tätschelt mir mitfühlend den Arm.
"Ach Süße, vergiss ihn doch endlich. Du bist sowieso viel zu gut für den."
Ich hebe den Kopf und blicke sie finster an. So ein Klischee. Du bist zu gut für ihn. Er weiß gar nicht, was er verpasst… Floskeln!
"Das ist nicht wirklich hilfreich", grummle ich.
Nadya seufzt und steht auf, um die leeren Schachteln vom Chinaimbiss in den Müll zu werfen.
"Wie lange bist du jetzt in ihn verknallt?", fragt sie resigniert und ich höre aus ihrer Stimme heraus, dass ich sie jegliche Geduld koste. Fast tut sie mir leid. So oft muss sie dafür herhalten, wenn ich mich über René ausheulen will.
"Weiß nicht", murmle ich und denke kurz nach. Vor über zwei Jahren habe ich mein Studium abgeschlossen und auf der Graduierungsfeier habe ich mich zum ersten Mal mit ihm unterhalten. Da muss es in etwa losgegangen sein. Nur dass er meine Gefühle in all der Zeit nicht erwidert hat. Nein, er betrachtet mich nach wie vor nur als Freundin. Er erzählt mir von seinen Verabredungen, von den Frauen mit denen er ins Bett geht. Nicht einmal darauf ist er bei mir gekommen. Dass er mit mir schlafen könnte. Nein, im Grunde behandelt er mich wie einen seiner Kumpel.
"Du musst das endlich abhaken, Greta!"
"Das sagt sich so leicht", schmolle ich und stehe ebenfalls auf. Ich wasche mir die Hände an dem immer schmutzigen Waschbecken im Pausenraum und nehme zwei Blatt von der Küchenrolle, anstatt das bakterienverseuchte Handtuch zu benutzen.
"Ja, verdammt. Aber der Kerl will nichts von dir und dein Leben ist auch kein Liebesfilm, bei dem plötzlich alles anders wird. Er wird nicht irgendwann die Augen öffnen und sehen, was er an dir hat. Der Kerl ist ein Arsch, Greta. Schieß ihn endlich ab und lerne andere kennen! Und wenn du dich in einem dieser Flirtforen anmelden musst."
Ich schnaube und überspiele damit, wie sehr sie den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
"Ist das dein Ernst? So ein Forum für die ganz verzweifelten Fälle?"
"Du bist ein ganz verzweifelter Fall", sagt Nadya und grinst mitleidig. Ich ziehe einen Schmollmund und stehe auf.
"Und du bist blöd."
Sie lacht und umarmt mich.
"Das hast du schon das ein oder andere Mal erwähnt."
Ich lächle gequält.
"Komm schon, wir müssen wieder ran", sagt sie und ich folge ihr aus dem Pausenraum.
Die meisten Menschen denken, dass Maskenbildner den ganzen Tag Künstler vor ihren Auftritten schminken. Das stimmt jedoch nur bedingt. Zwar gehört auch das zu unserem Aufgabengebiet, doch die meiste Zeit verbringen Nadya und ich in einer kleinen Kammer, ganz am Ende eines Kellerganges, noch hinter den Schneidereien und der Schusterei. Dort sitzen wir beinahe jeden Tag und stellen Perücken her. Und weil wir dort fast immer alleine sind, haben wir viel Zeit zum Reden.
Während wir in den vergangenen zwei Jahren Haar um Haar an Netze auf Styroporköpfen knüpften, redeten wir über alles und jeden. Mittlerweile kennen wir einander in- und auswendig und vertrauen uns gegenseitig unsere tiefsten Geheimnisse an. Aber wir tauschen uns auch über den neuesten Klatsch und Tratsch aus dem Ensemble aus.
Heute Morgen haben wir zum Beispiel über den neuen Schauspieler geredet, den unser Intendant gerade erst für das Staatstheater gewonnen und gestern durch die Werkstätten geführt hat. Nadya zufolge ist er ein echter Hingucker. Ich habe jedoch nicht weiter darauf geachtet und erinnerte meine Freundin daran, dass sie verheiratet ist. Darauf verdrehte sie die Augen und kommentierte, dass sie ja wohl wenigstens gucken dürfe und dieser Elijah ziemlich attraktiv sei.
Ich wollte da nicht weiter drauf eingehen, denn ich war mit den Gedanken bei René. Den Rest des Vormittages sprachen wir dann auch über ihn, bis wir in die Mittagspause gingen.
Eigentlich mag ich meine Arbeit, doch an Tagen wie heute, an denen es mir schlecht geht, ich deprimiert bin und am liebsten alle Welt anfauchen würde, wäre ich mit Begeisterung dabei, mich einfach in meinem Bett zu verkriechen und erst wieder daraus hervorkommen, wenn mein Traumprinz vor der Tür steht. Aber Nadya hat vermutlich recht. Mein Leben ist kein Liebesfilm und der perfekte Kerl wird nicht an meiner Haustür klingeln.
Wahrscheinlich liegt meine verquere Vorstellung daran, dass ich mir als Teenager eine Liebesschnulze nach der anderen reinzog und glaubte, dass das Leben genau so laufen müsse. Und jetzt bin ich 27, arbeite für einen mittelprächtigen Lohn (einem recht guten Lohn im Vergleich zu dem der meisten Schauspieler) im Staatstheater in Kassel und hatte in meinem ganzen, verdammten Leben erst einen einzigen Freund.
Vielleicht bin ich auch einfach hässlich. Oder da klebt doch ein dicker (für mich unsichtbarer) Popel unter meiner Nase, der die Männerwelt davon abhält, sich mir auf weniger als einen Meter zu nähern.
Ausgerechnet heute Nachmittag sind wir nicht in unserer Kammer, sondern mit einigen anderen in der Maske und schminken und frisieren die Balletttänzer und ‑tänzerinnen für die Abendaufführung. Ausgerechnet heute, wo ich lieber dasitzen und Haar um Haar an die neue Perücke knüpfen würde, die ich gestern angefangen habe. Ich stehe also hinter einer Primaballerina, bürste ihr Haar mit kräftigen Strichen und ignoriere ihre arroganten Blicke im Spiegel.
Es gibt zwei Arten von Künstlern. Jene, die sich wie dieses blonde Klappergestell aufführen, uns als minderwertig ansehen und nie ein freundliches Wort für uns übrig haben, die ihre Nase in die Luft gereckt tragen und die mich dummerweise einschüchtern. Oder jene, wie die Frau, die vor Nadya sitzt und sich freundlich mit ihr unterhält.
"Gibt es denn irgendetwas, das man sich unbedingt ansehen sollte, wenn man schon mal in Kassel ist?", fragt sie gerade und schließt ihre Augen, damit Nadya den Lidstrich auftragen kann.
"Naja, der Herkules ist sicher immer einen Besuch wert", sagt Nadya. "Aber was mögen Sie denn gerne? Besonders groß ist Kassel ja nicht."
"Was ist der Herkules?", fragt die Ballerina interessiert.
"Das ist praktisch unser Wahrzeichen. Eine Statue im Bergpark. Allerdings wäre es dort oben im Sommer wesentlich schöner", sagt Nadya. Und so unterhalten sich die beiden immer weiter, während meine Primaballerina und ich uns anschweigen. Hin und wieder spüre ich ihren Blick im Spiegel, ihre Arroganz und Oberflächlichkeit und denke im Stillen, dass Menschen wie sie wohl nur auf der Bühne wirklich glücklich sind.
Als wir endlich fertig sind und die Tänzerinnen die Maske verlassen, um sich für die Aufführung warm zu machen, muss ich kurz die Augen schließen und tief durchatmen. Das ist einfach nicht mein Tag.
"Geh nach Hause, Liebes!", sagt Nadya da. Ich hebe den Kopf und blicke meine beste Freundin und Kollegin an. Sie hat mit einem einzigen Blick meinen gesamten Gemütszustand erfasst und bietet mir nun die Möglichkeit zu fliehen. Wie dankbar ich ihr bin, kann ich kaum in Worte fassen.
"Bist du sicher?", frage ich, weil ich sie eigentlich nicht mit dem Unrat allein lassen will.
"Klar, ich räume hier auf und gehe dann auch. Pauline und Hanna werden während der Vorstellung für Korrekturen und Änderungen zuständig sein."
"Ein Glück", sage ich und Nadya lächelt mich aufmunternd an. Dann drückt sie mich fest und flüstert mir noch einmal "Vergiss ihn!" ins Ohr.
Es ist nicht so, dass ich noch nie versucht hätte René zu vergessen. Doch er macht es mir nicht gerade leicht. Während ich in Richtung Friedrichsplatz laufe, vibriert mein Handy in der Hosentasche und als ich darauf blicke, sehe ich seinen Namen auf dem Display. Ich nehme den Anruf an, unterdrücke ein Seufzen, das mit einem freudigen, kleinen Salto meines Magens einhergeht, und halte mir das Smartphone ans Ohr.
"Hey", sage ich und versuche fröhlich zu klingen. Das versuche ich immer, wenn ich mit ihm spreche, denn niemand mag Trauerklöße.
"Gretaaaa", antwortet er und lacht.
"Was gibt‘s?", frage ich betont heiter und stelle mich innerlich darauf ein, von ihm enttäuscht zu werden. Denn so läuft es immer.
"Ähm, also ich könnte da deine Hilfe bei etwas gebrauchen."
"Das da wäre?"
"Es könnte vielleicht sein, dass mich so eine fiese Stalkerin nicht in Ruhe lassen will. Du weißt schon, Ellie, diese Blonde, von der ich dir gestern erzählt habe."
Ich verdrehe die Augen, überquere den Friedrichsplatz und bleibe an der Tramhaltestelle stehen. Ich muss an gestern denken, als wir nachmittags zusammen in der Stadt waren um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Nachdem unsere Geldbeutel beträchtlich leerer waren und an unseren Armen viele Tüten baumelten, setzten wir uns mit zwei Kaffees im Starbucks an einen der hinteren Tische. Dabei breitete er wieder einmal vor mir aus, welche Tussis er in letzter Zeit aufgerissen hatte.
"Und wie kann ich dir da helfen?", frage ich nun.
"Naja, ich dachte, wenn ich ihr erzähle, du seist meine Freundin, lässt sie mich vielleicht endlich in Ruhe."
Ich kann nichts dagegen tun, dass ich mich geschmeichelt fühle. Es ist absurd, aber dieser schlichte, dumme Vorschlag seinerseits lässt mein Herz schneller schlagen und die Hoffnung in meinem Innern pulsieren.
"Wenn du meinst, das bringt was, tu dir keinen Zwang an", sage ich und gebe mir alle Mühe, lässig zu klingen.
"Danke, Greta, du bist ein Schatz", sagt er und schon wimmelt er mich wieder ab.
Kaum, dass ich das Handy wieder in die Hosentasche habe gleiten lassen, höre ich Nadyas Stimme in meinem Ohr:
"Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank? Nennst du das etwa abhaken?"
Verdammt, sie hat sowas von recht.
Ich bin so dumm wie ein Brot.
Die Bahn ist um diese Uhrzeit immer vollgestopft bis unter’s Dach. Ich steige ein und bin gezwungen mit einem älteren Herrn auf Tuchfühlung zu gehen. Dabei frage ich mich, warum es nicht einmal laufen kann, wie im Film und sich dieser ältere Herr in einen jungen, dynamischen, erfolgreichen, gutaussehenden und vielleicht sogar reichen Mann verwandelt, der rein zufällig auch noch Single ist und großes Interesse an der Frau hegt, die wohl oder übel genötigt ist, ihm auf die Pelle zu rücken. Stattdessen bin ich froh, als ich aus der Bahn aussteigen und den kurzen Fußweg zu meiner Wohnung hinter mich bringen kann.
Die Tram 1 fährt fast bis vor meine Haustür. Ich muss bloß aus der Bahn aussteigen, ein paar Minuten laufen und kann schon meinen Schlüssel rauskramen. Besser geht es kaum.
Ich gehe die zwei Treppen hinauf in den ersten Stock, schlüpfe aus meinen Schuhen, die ich immer im Flur stehen lasse und schließe meine Wohnung auf. Beim Eintreten schiebe ich meine beiden Katzen zur Seite, die sich immer ganz besonders freuen, mich wiederzusehen wenn ich am Abend heimkomme. Allerdings werde ich das Gefühl nicht los, dass es ihnen dabei hauptsächlich darum geht, dass ich die nächste Nassfutterdose öffne. Sie maunzen jedoch begeistert und so gebe ich mich der Illusion hin, dass wenigstens sie zu Hause freudig auf mich warten, wenn da schon kein Freund ist.
Eine eigene Wohnung zu haben ist zwar wundervoll, doch ich komme aus einer großen Familie aus Gudensberg, einer Kleinstadt in der Nähe von Kassel. Früher herrschte bei uns eigentlich immer Remmidemmi. Deshalb musste ich mich ziemlich umstellen und habe mir schließlich zwei Mitbewohner aus dem Tierheim geholt, um nicht ganz so alleine zu sein.
Mein erster Weg führt in die Wohnküche, in der ich meine Tasche abstelle und mit wenigen Handgriffen eine frische Dose Katzenfutter auf einen Teller gebe. Maunzend streichen die zwei Fellknäule dabei um meine Knöchel, bis ich ihnen ihre Abendration hinstelle. Einen Moment beobachte ich die beiden dabei, wie sie die ersten Happen herunterschlingen und denke an René und seinen Anruf. Ich bin wirklich dumm. Wieso nur lasse ich mich von ihm so benutzen? Er muss doch nur mit dem Finger schnipsen und ich komme angelaufen. Und jetzt geht doch tatsächlich mein Traum in Erfüllung: Wir sind ein Paar. Haha. Dass ich nicht lache. Ironie off.
Ich schließe die Augen, lehne mich an die Arbeitsplatte und spüre dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust aufkommen, das mir nur allzu vertraut ist. Wieso nur schaffe ich es nicht, ihn zu vergessen? Warum kann ich keinen Haken an diese Sache machen, wie Nadya gesagt hat?
Frustriert presse ich die Lippen zusammen, atme tief durch und nehme dann meinen Laptop. Damit setze ich mich auf die Couch, fahre ihn hoch und öffne den Internetbrowser.
Wahrscheinlich hat Nadya recht. Ich bin einer dieser verzweifelten Fälle, die in solchen Internetforen an der richtigen Adresse sind. Und gab es nicht schon einige Menschen in meinem Umfeld, die es darüber geschafft haben, den Partner fürs Leben zu finden? Ja, eine Freundin meiner Mutter zum Beispiel. Und auch eine ehemalige Klassenkameradin. Soweit ich informiert bin, lebt die nun in Berlin, hat letztes Jahr geheiratet und ist nun schwanger mit ihrem ersten Kind.
Meine Finger schweben über der Tastatur und ich frage mich, wie man nach so etwas sucht. Was soll ich eingeben?
Die große Liebe finden, tippen meine Finger. Wahrscheinlich viel zu kitschig, aber das kriegt ja keiner mit. Mir wird eine Reihe von Ergebnissen angezeigt, unter anderem Partnervermittlungen, die man aus der Werbung kennt, die aber oft Geld kosten. Das sehe ich nicht ein. Ich scrolle weiter, finde Foren und einen Haufen Informations- und Ratgeberseiten. Schließlich wähle ich einfach eine Plattform aus, die damit wirbt, dass ein lockerer Austausch rund um das Thema Liebe, Beziehungen und Partnerschaft stattfinden soll. Vielleicht nicht ganz das, was ich suche, doch wer weiß, vielleicht treffe ich Mister Right ja genau dort?
Ich melde mich an, erstelle mir ein Profil und scheitere schließlich daran, ein Bild auszuwählen. So gebe ich auf, schelte mich einen Dummkopf, weil ich wirklich geglaubt habe, dass das vielleicht eine gute Idee wäre und fahre den Laptop wieder herunter.
Vielleicht gehöre ich einfach zu den Menschen, die dazu verdammt sind, ihr Lebtag allein zu fristen.
Rosige Aussichten.