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Von Juwelen und Rotkäppchens Großmutter

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Mein Wecker klingelt und anstatt ihn auszuschalten, vergrabe ich das Gesicht an Henrys Brust. Er gibt einen Laut von sich. Halb lachend, halb genervt. Dann schaltet er meinen Wecker aus.

"Wir müssen aufstehen", raunt er dann leise an meinem Ohr. Ich schüttle nur den Kopf, bin noch vollkommen benebelt.

"Eigentlich haben wir keine Zeit, noch liegen zu bleiben."

"Ich weiß", brumme ich, doch anstatt mich weiter dazu zu drängen, aufzustehen, streicht er mit den Fingerspitzen über meinen Rücken, streift meinen Hüftknochen und bereitet mir eine Gänsehaut.

"Ich kann aber nicht mehr", murmle ich aufgrund seiner eindeutigen Intention, obwohl ich spüre, dass ich schon wieder feucht werde. Das ganze Wochenende haben wir praktisch nichts anderes getan, als zu vögeln. Noch nie zuvor habe ich so große Lust empfunden, wie Henry sie mir in den vergangenen zwei Tagen bereitet hat.

"Ein letztes Mal, bevor ich zurück muss..." Er fährt mit dem Finger über meine feuchte Mitte und ich stöhne auf. Mehr braucht er nicht als Zustimmung.

"Aber wir müssen uns beeilen", sagt er, als wäre das auf meinem Mist gewachsen und nicht auf seinem. Kurz frage ich mich, was meine Nachbarn in den letzten zwei Tagen wohl dachten, denn ich habe mich selbst damit überrascht, welche Laute ich beim Sex von mir gebe. Ich kann mich nicht erinnern, dass das früher bei mir der Fall war.

Vielleicht wäre es mir peinlich gewesen, hätte Henry mich nicht darin bestärkt, eben diese Töne auszustoßen.

Während er mich fingert, ich noch halb am Schlafen bin, aber trotzdem stöhne, denke ich, dass es mir einigermaßen gut gelungen ist, mich nicht in Henry zu verlieben. Er ist attraktiv, keine Frage. Er weiß, was er tut, aber er ist immer eine Spur zu arrogant, selbstgefällig und glaubt offenbar, dass niemand ihm etwas abschlagen könne. Wie zum Beispiel die Teilnahme an seiner Studie. Aber obwohl er mir von all den Vorteilen erzählt hat, habe ich nicht in seine Studie eingewilligt. Nicht das Geld, das mir laut Vertrag zustehen würde, nicht die anderen materiellen Zugeständnissen (von Kleidung, über Friseurbesuche, Kosmetikbehandlungen und dem Besuch von Nailstudios bis hin zu Sextoys) und auch nicht die immateriellen Versprechungen (ihm zufolge hauptsächlich die Aufwertung meines Selbstvertrauens und natürlich sexuelle Befriedigung), haben mich dazu gebracht, 'Ja' zu sagen.

"Greta?"

"Mh", bringe ich stöhnend hervor, denn seine Finger sind tief in mir, und er bewegt sie dort, so wie ich es unendlich geil finde.

"Du lässt einen entscheidenden Punkt in deiner Betrachtung außer Acht", sagt er. Ist das sein Ernst? Dieses Gespräch haben wir gestern Abend vor dem Einschlafen geführt und jetzt ist es wie ein Echo auf meine Gedanken.

"Was denn?", keuche ich.

"Wie gut du bist. Wie gern du Sex hast", sagt Henry. "Du liebst es. Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass du keinen Freund und somit auch keinen Sex und mit deinem geringen Selbstbewusstsein auch keine One-Night-Stands haben wirst."

Ich umfasse sein Handgelenk, damit er seine Finger lässt, wo sie sind, drehe mich, stütze mich neben seinem Kopf ab.

"Kannst du nicht endlich die Klappe halten?", fluche ich. "Fick mich einfach!"

Von wegen geringes Selbstvertrauen...

"Stimm einfach zu!", sagt er und bewegt seine Finger wieder. Ich stöhne auf, taste nach der Kondomverpackung und hole mit vor Erregung zitternden Händen eines heraus.

"Klappe jetzt!", befehle ich, werfe das Plastik auf den Boden und streife ihm das Latex über. Dann zieht er seine Finger aus mir heraus und ich nehme seinen Schwanz in mir auf. So tief wie es mir möglich ist.

Ich stütze mich neben seinem Kopf ab, lasse ihn die Arbeit machen, während er meinen Hintern umfasst und mit tiefen Stößen, die beinahe wehtun, dem Höhepunkt entgegensteuert.

Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden, dass es mir wohl nicht möglich ist, zu kommen, während wir Sex haben. Jedes Mal spüre ich es herannahen, doch es bricht nie hervor, wenn er nicht explizit dafür sorgt.

Als er kommt, stößt er so tief zu, dass ich einen kleinen Schmerzensschrei ausstoße, doch er entschuldigt sich nicht. Er genießt das Gefühl nach dem Orgasmus. Die tiefe Zufriedenheit.

Mein Unterleib zieht immer noch leicht, als wir endlich aufstehen, nacheinander im Bad verschwinden und uns fertigmachen. Ich muss zur Arbeit nachdem ich Henry zum Zug begleitet habe. Es kommt mir so vor, als wäre ich wochenlang nicht dort gewesen, dabei ist es erst zwei Tage her. Aber dieses Wochenende hat eine Dekade lang gedauert und ist doch wie im Flug vergangen.

"Du wirst mir fehlen", sagt Henry, als wir am Gleis stehen und darauf warten, dass sein ICE eintrifft.

"Ich als Person oder ich als Sexobjekt", frage ich leise, so dass niemand sonst meine Worte hören kann.

Er grinst.

"Beides. Ich erwäge ernsthaft dich nicht in meine Studie aufzunehmen, sondern dich einfach als persönliches Toy zu behalten. Aber das wäre wohl vergeudetes Potential und würde dir nicht gerecht werden."

Ich schnaube.

"Also bin ich nichts weiter als eine Hure?"

Henry verdreht die Augen.

"Du weißt, dass ich das so nicht sehe. Aber stell dir nur mal vor, was für eine bessere Liebhaberin aus dir werden wird. Du wirst mehr als begehrt sein."

"Woher willst du das so genau wissen?"

"Keine meiner Probandinnen habe ich zufällig ausgewählt. Aber mit manchen bin ich zufriedener als mit anderen. Du hingegen wärst praktisch das Juwel in der Sammlung. Allein die Form und Größe deiner Brüste ist perfekt und dann noch in Kombination zu deinem hübschen Gesicht, deiner heißen Figur..."

"Du versuchst mir gerade Honig ums Maul zu schmieren, oder?"

Henry seufzt. Dann umfasst er mein Gesicht mit seinen großen Händen und küsst mich intensiv.

"Hör auf, an dir zu zweifeln. Sonst wirst du meiner Studie nie zustimmen."

"Das werde ich sowieso nicht. Das habe ich dir schon gesagt."

Henry sieht sich um, vermutlich um sich zu vergewissern, dass niemand in Hörweite steht. Dann kommt er nah an mein Ohr, so dass sein Atem meine Haut kitzelt.

"Denk an Sex, gut ausgewählte Männer, die dich begehren. Die deine Schönheit bewundern..."

Mit quietschenden Bremsen fährt der ICE ein.

"...dich überall berühren, weil dein Körper so jung und sexy ist. Sie bereiten auch dir die größtmögliche Lust, denn du bist nicht irgendeine Prostituierte, die sie am Straßenrand aufgesammelt haben. Du bist professionell, du bist nicht billig und du bist ein Traum von einer Frau. Das sehen sie und deshalb ist ihnen viel daran gelegen, dass auch du auf deine Kosten kommst."

Die Vorstellung lässt mich schon wieder feucht werden. Henry jedoch gibt mir nur noch einen Kuss auf die Wange. Dann schultert er seine Tasche und geht auf die geöffneten Zugtüren zu.

Ich sehe mich wie im Film hinter ihm herrennen, ihn aufhalten und ihm sagen, dass ich zustimme. Dass ich es tun will. Aber meine Füße sind wie angewurzelt. Ich kann mich nicht bewegen. Vielleicht aus Zweifel? Angst?

"Verdammt", murmle ich leise. Vermutlich werde ich bis zum Ende der Studie so empfinden. Aber ich muss es doch versuchen, oder? Sonst werde ich mich mein Leben lang fragen, wie es wohl gewesen wäre.

Aber ich sehe einfach nur zu, wie Henry in den Zug steigt. Ich beobachte, wie er abfährt, langsam an Geschwindigkeit zunimmt. Aber es ist ja nicht so, dass das meine einzige Möglichkeit ist, ihm zu sagen, dass ich es tue. Also nehme ich mein Handy hervor.


Du hast gewonnen...


Sekunden später schickt er mir mehrere glückliche Emoticons.


Ich wusste es! :)


Er wusste es vielleicht. Ich hingegen habe geglaubt, mit Bauchschmerzen kämpfen zu müssen, nachdem ich zugestimmt habe. Stattdessen ist mir danach zu singen und zu tanzen. Grinsend verlasse ich das Bahnhofsgebäude. Ich kann einfach nicht anders.


Es gibt Dinge, die sich in deinem Leben verändern. Weitreichende Entscheidungen, die du triffst und die so gravierend sind, dass du glaubst, jeder müsse es sehen. Wie eine neue Brille oder eine andere Haarfarbe. Man muss es doch erkennen. An der Ausstrahlung, dem neuen Ausdruck in deinen Augen... irgendetwas.

Und dabei bemerken andere überhaupt nichts. Niemand sieht, dass sich gerade etwas komplett verändert hat in deinem Leben. Dass du dich aus einem Loch befreit hast. Einem Tal aus Schüchternheit, Zurückhaltung und dem Anschein von Sittlichkeit.

Denn genau so fühlt es sich an. Ich gehe durch die Kantine, folge Nadya zur Essensausgabe und frage mich, warum niemand mir mehr Beachtung schenkt, als sonst, warum ich nicht von innen heraus leuchte. So müsste es nämlich sein. Ich gehe mit aufrechterem Gang, fühle mich, als könne ich Berge versetzen und als wäre ich mutiger denn je. Aber nicht einmal meine beste Freundin hat gefragt, ob etwas anders ist. Sie wollte nur wissen, wie die Familienfeier war.

"Hey."

Ich zucke heftig zusammen. Elijah ist an meiner Seite aufgetaucht und hat das Tablett direkt neben meines geknallt.

"Gott, spinnst du?", fahre ich ihn an. Er grinst entschuldigend.

"Sorry", sagt er nur und wendet sich dann an den Kantinenmenschen, der mir gerade meinen Teller mit Gulaschsuppe reicht. "Einmal das Gleiche."

Ich schiebe mein Tablett weiter zur Kasse, bezahle und folge Nadya zu einem der quadratischen Tische in der Ecke. Elijah setzt sich kurz darauf ungefragt zu uns. Was ist nur los mit diesem Typen?

"Und? Wie war euer Wochenende?", fragt er und ich verschlucke mich fast an dem Löffel Suppe, der mir ohnehin die Kehle verbrennt. Ist das sein fucking Ernst? Zwingt er mich jetzt dazu, vor seinen wissenden Ohren meine beste Freundin anzulügen? Aber es ist ja nicht so, dass ich das nicht schon heute Morgen und letzte Woche getan hätte...

Nadya allerdings scheint nichts gegen seine Gesellschaft zu haben. Stattdessen blickt sie von mir zu ihm, was wohl etwas bedeuten soll, das ich mal wieder nicht schnalle (immerhin habe ich diesmal erkannt, dass ihr Blick etwas ausdrücken soll, was sie nicht ausspricht... also... das glaube ich zumindest).

"Mein Wochenende war gut", sagt sie. "Ich habe mir Samstag nach der Arbeit mit Tobias noch einen Film im Kino angesehen."

"Tobias ist ihr Mann", erkläre ich Elijah und hoffe dadurch vielleicht drum herum zu kommen, seine Frage ebenfalls zu beantworten.

"Sowas Ähnliches hatte ich mir gedacht, ja. Zumindest, dass Tobias nicht ihr Hund ist oder ihr Meerschweinchen oder so."

Ich denke schon, dass ich fein raus bin, wiege mich in Sicherheit, als er mir die gleiche Frage noch einmal stellt.

"Und wie war dein Wochenende?"

Ich habe das Bedürfnis, ihn anzuknurren, ihm zuzuzischen, dass er mit diesen Andeutungen aufhören soll, doch Elijah scheint diese Provokationen zu genießen, denn der Schalk funkelt in seinen Augen.

"Schön", antworte ich. Mehr nicht.

"Wirklich? Du wirkst eher, als wäre dein Wochenende ziemlich beschissen gewesen."

Ich habe das Bedürfnis die Augen zu schließen, genervt zu seufzen und ihn dann anzumeckern, doch ich unterdrücke all das und sammle mich kurz für meine Antwort. Wie zum Henker kommt er darauf?

"Nein, gar nicht. Ich hatte ein super schönes Wochenende", sage ich und wirke, trotz aller Bemühungen, herausfordernd.

Nadya scheint plötzlich irritiert, als hätte sie etwas von der Spannung zwischen mir und Elijah wahrgenommen. Oh verdammt, bitte nicht. Ich will keine Fragen beantworten müssen und noch mehr zum Lügen gezwungen sein, als ohnehin schon.

Aber sie sagt nichts. Jedenfalls noch nicht. Wir unterhalten uns über ganz normale Sachen. Und Elijah wickelt Nadya regelrecht um den kleinen Finger. Er ist witzig, nett, charmant und meine beste Freundin wirft mir immer wieder Blicke zu, die ich nicht deuten kann. Ich sollte wohl einen Kurs besuchen, der mir dabei hilft, Nadyas unausgesprochene Andeutungen zu entschlüsseln.

Schließlich stehen wir auf, bringen die Tabletts zurück und gehen zum Ausgang. Im Flur hält Elijah mich plötzlich zurück, während Nadya alleine weitergeht, die mir gerade von dem Kinofilm erzählt hat.

"Greta", sagt Elijah leise und beinahe eindringlich.

"Was denn?", zische ich.

"Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so anders."

Wirklich? Ausgerechnet ihm ist es aufgefallen? Ihm der mich kaum kennt?

"Ja, alles bestens", gebe ich zurück und setze ein Lächeln auf.

"Aber du wirkst, als hätte man dir sämtliche Lebensenergie ausgesaugt."

Ich muss aussehen, als würde mir das Gesicht herunterfallen. Als hätte ich eine Maske getragen, die jetzt von mir abfällt.

"So ein Blödsinn", fahre ich ihn an. "Was willst du eigentlich von mir?"

"Dein Freund sein", gibt er unbeirrt zurück. Ich schnaube, reiße mich los und gehe weiter. Nadya guckt schon erstaunt um die Ecke und zieht eine Augenbraue nach oben.

"Alles in Ordnung?", fragt sie. Ich packe sie am Arm und ziehe sie weiter.

"Alles Bestens", blaffe ich auch sie an. Verdammt, was ist nur los mit mir? Und ich dachte, ich würde nach meiner Entscheidung eine komplett andere Ausstrahlung vermitteln.

Du wirkst, als hätte man dir sämtliche Lebensenergie ausgesaugt.

Pah! Das ist doch Blödsinn. Ich fühle mich praktisch wie neu geboren. Er hat kein Recht so etwas zu mir zu sagen. Aber ehrlich gesagt... kein Wunder, dass er das dachte. Schließlich habe ich erst mit seinem ungefragten Aufdrängen Panik bekommen, er könnte mich bei Nadya verpetzen.

"Sag mal, läuft da was?", fragt meine beste Freundin, als wir schließlich zurück in unserer Kammer sind und uns an unsere Perücken setzen, um weiter zu arbeiten.

"Was?" Ich bin irritiert. Wovon spricht sie bitte?

"Na, Elijah und du. Ihr geht so vertraut miteinander um. Habe ich da was nicht mitgekriegt?"

"Ähm...", mache ich und will erst verneinen, aber da kommt mir ein plötzlicher Gedanke. Was wenn ich Nadya wirklich glauben lasse, dass da etwas läuft? Dass ich auf ihn stehe. Damit könnte ich ihr erklären, warum ich René allmählich abhake und weshalb ich mich vielleicht so verändere. Denn ich merke jetzt schon, dass ich anders werde. Aber das wären noch mehr Lügen...

"Wusste ich's doch. Er ist aber auch heiß", sagt Nadya und grinst.

"Ja, total", gebe ich zu. In diesem Punkt kann ich wenigstens ehrlich sein. Elijah ist ohne Zweifel attraktiv mit seinem breiten, muskulösen Körper, den rötlich-braunen Haaren, die er zu einem man-bun zusammenfasst und dem dichten Vollbart. Und nicht zu verachten sind natürlich seine Augen. Stahlblau und bohrend.

"Was hat er zu dir gesagt, eben?"

"Ach, er hat nur rumgealbert."

"Er steht bestimmt auf dich. Hat er schon irgendwelche Andeutungen gemacht, die du mir verschwiegen hast?", fragt sie missbilligend.

"Ähm...", stammle ich. "Nein, eigentlich nicht."

Nadya schiebt schmollend die Unterlippe vor.

"Schade. Ich dachte, du könntest mir jetzt eine spannende Story liefern, die mich von dem hier ablenkt." Sie deutet auf die graue Haarmähne vor sich, die sie für Rotkäppchens Großmutter zu einer Perücke verarbeitet.

"Tut mir leid, leider nicht", gebe ich entschuldigend zurück.

Dummerweise fängt Nadya nun an, mit mir sämtliche Vorzüge Elijahs zu erörtern, was mich beinahe glauben lässt, dass sie auf ihn steht und nicht angeblich ich.


Die Studie

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