Читать книгу Frühkindlicher Trilinguismus - Laia Arnaus Gil - Страница 6

1.1 Begriffsdefinition und Fragestellungen

Оглавление

In der Mehrsprachigkeitsforschung unterscheidet man zwischen dem TrilinguismusTrilinguismus und dem DrittspracherwerbDrittspracherwerb. Der Trilinguismus (3L1) bezeichnet den frühkindlichensimultan und natürlichen Erwerb von drei Muttersprachen, so wie er bei jedem Kleinkind erfolgt. Der DrittspracherwerbDrittspracherwerb bezeichnet den sukzessivensukzessiv Erwerb einer zweiten Zweit- bzw. Fremdsprache, also einer Sprache, die nach dem Erwerb der Muttersprache (L1) und nach dem Beginn des Erwerbs einer ersten Zweit- oder Fremdsprache (L2) gelernt wird. Der Erwerb einer zweiten Sprache kann nach dem Mutterspracherwerb auf natürliche Weise erfolgen. Dann spricht man von einer Zweitsprache (L2). Die zweite Sprache kann aber auch nach dem Mutterspracherwerb über formalen Unterricht in der Schule erworben werden. In diesem Fall spricht man von einer Fremdsprache (wieder abgekürzt als L2). So zum Beispiel bei einem monolingual deutschen Kind, das in der Grundschule EnglischunterrichtEnglisch erhält. Auf der weiterführenden Schule wird der EnglischunterrichtEnglisch intensiviert. Ab der siebten Klasse kommt dann die Fremdsprache Französisch hinzu. Diese zweite Fremdsprache wird als Drittsprache (L3) bezeichnet. Diese besondere Bezeichnung setzt voraus, dass es einen Unterschied zwischen dem L1-, L2- und L3-Erwerb gibt. Beim L2-Erwerb steht in der Tat allein die Muttersprache als Stütze zur Verfügung, wenn Kompetenzlücken in der L2 kompensiert werden müssen. Beim L3-Erwerb ist nun die Frage, ob sich der Lerner1 auf die Muttersprache oder auf die L2 stützt. Die unspezifische, nicht die Einzelsprache unterscheidende Bezeichnung 3L1 setzt voraus, dass alle drei Sprachen gleichwertig sind. Doch auch im Fall des simultanensimultan Erwerbs von drei Sprachen wäre denkbar, dass nicht alle Sprachen im Erwerbsprozess gleichwertig sind. Diese Perspektive soll das vorliegende Studienbuch beleuchten.

Bis heute konzentriert sich die Mehrsprachigkeitsforschung auf das simultansimultan bilinguale Kind (Hoffman 1999:16). MontanariMontanari, Simona (2013:63) nennt als Grund die aufwändige Methode, um den Spracherwerb in drei Sprachen dokumentieren zu können. Oft wird behauptet, dass der gleichzeitige Erwerb von drei Sprachen ein Mehraufwand sei, da der frühkindliche TrilinguismusTrilinguismus in der Regel als eine Erweiterung des Bilinguismus angesehen wird (vgl. die kritischen Anmerkungen zu dieser These in HoffmannHoffmann, Charlotte 2000). Diese Vorgehensweise ist vermutlich gerechtfertigt, wenn der Wortschatz betrachtet wird. Für die grammatische Entwicklung wird oft davon ausgegangen, dass es keine qualitativen Unterschiede zwischen bilingualen und trilingualen Kindern gibt (vgl. beispielsweise die Verwendung des Begriffs „multilingual“ anstelle von „bilingual“ für Personen, die zwei Sprachen gebrauchen, welche suggeriert, dass die Anzahl der Sprachen bei der Mehrsprachigkeit unbedeutend ist; vgl. JeßnerJeßner, Ulrike 1997). Jedoch berichtet HoffmannHoffmann, Charlotte (2001) in ihrem Überblicksartikel auch von Unterschieden, welche in eine Definition des Trilinguismus einfließen sollten (vgl. auch QuayQuay, Suzanne 2011a). Die Unterschiede sind sowohl quantitativer als auch qualitativer Natur, so dass die Erforschung der trilingualen Sprachkompetenz ein eigenes Forschungsgebiet darstellen sollte (HoffmannHoffmann, Charlotte 2001:1). So wird behauptet, dass trilinguale Kinder im Gegensatz zu bilingualen nicht balanciertbalanciert sein können und dass es dementsprechend immer eine dominante Sprachedominante Sprache mit zwei schwächeren Sprachenschwache Sprache gibt. Ferner kommt der Qualität des InputsInput (der Sprache, die das Kind in der Umgebung hört) in jeder Sprache sowie sprachinternen Eigenschaften eine entscheidende Rolle dabei zu, wie gut die jeweilige Sprache beherrscht wird, unabhängig von Inputgröße und Inputfrequenzen (MontanariMontanari, Simona 2013:63). QuayQuay, Suzanne (2011a:3) folgert deshalb, dass „trilingual children need to be considered as speakers in their own right“. Unterschiede zwischen monolingualen und bilingualen Kindern haben im Bereich des Bilinguismus dazu geführt, diesen als eigenständiges Forschungsgebiet zu etablieren (vgl. GrosjeanGrosjean, François 1985, 1992, 2001 2010): Ein bilinguales Kind ist eben nicht gleichzusetzen mit zwei monolingualen Kindern. HoffmannHoffmann, Charlotte definiert die trilinguale Kompetenz folgendermaßen:

Trilingual language competence can thus be said to contain the linguistic aspects, i.e. vocabulary and grammar, from the three language systems, and the pragmatic component, consisting of sociolinguistic, discourse and strategic competences pertaining to the languages involved, as well as competences which enable the speaker to function in bilingual or trilingual contexts. (Hoffmann 2008:88)

Die große Forschungsfrage, die sich für den Bereich des frühkindlichensimultan Erwerbs von drei (oder mehr) Sprachen stellt, ist also die, ob es Unterschiede zum simultanensimultan bilingualen Spracherwerb bzw. zum monolingualen Erwerb gibt. Bevor wir die kaum ausreichende Literatur zum frühkindlichen TrilinguismusTrilinguismus zu dieser Frage vorstellen, wollen wir uns den Modellen widmen, die für den sukzessivensukzessiv Erwerb von drei Sprachen diskutiert werden, da der sukzessivesukzessiv Erwerb einer dritten Sprache besser untersucht ist und sich hier Forscher mit der Frage befasst haben, welche der Sprachen, A oder B, die Sprache C beeinflusst. Spracheneinfluss wird als entscheidender Faktor im DrittspracherwerbDrittspracherwerb vorausgesetzt. Für den frühkindlichensimultan Erwerb von mehreren Sprachen wird dagegen bis heute kontrovers diskutiert, ob der Spracheneinfluss stattfindet.

TrilinguismusTrilinguismus: Der Erwerb von drei Muttersprachen. Im Idealfall erfolgt der Erwerb gleichzeitigsimultan.

DrittspracherwerbDrittspracherwerb: Der Erwerb einer dritten Sprache im Anschluss an den Erwerb einer Muttersprache und einer Zweit- bzw. Fremdsprache. Der Erwerb erfolgt sukzessivsukzessiv.

Eine der ersten Arbeiten, in der die Frage nach einem Unterschied zwischen dem Zweitspracherwerb und dem DrittspracherwerbDrittspracherwerb gestellt wird, ist die Studie von KleinKlein, Elaine (1995). Die Verfasserin geht von der Hypothese über das lexikalischelexikalisch Lernen (ClahsenClahsen, Harald 1992) aus. Das bedeutet, dass der Syntaxerwerb (das Setzen von Parametern, vgl. GabrielGabriel, Christoph, MüllerMüller, Natascha & FischerFischer, Susan 2018:16ff.) mit dem Erwerb von lexikalischenlexikalisch Einheiten verbunden ist. Hiernach löst der Erwerb von lexikalischenlexikalisch Einheiten den von syntaktischensyntaktisch Eigenschaften aus. Dies wird auch als triggering bezeichnet. Die zentrale Forschungsfrage lautet, ob sich sogenannte unilinguale (UL, Personen, die eine L2 erwerben) oder multilinguale Personen (ML, Personen, die zwei Zweitsprachen hintereinander erwerben, also eine L2 und eine L3) mit Wissen aus ihren Sprachen behelfen und wenn dies der Fall ist, aus welcher sie dies tun.

KleinKlein, Elaine (1995:429,431) untersucht die folgenden Strukturen mit Hilfe von Grammatikalitätsurteilen und der Korrektur von ungrammatischen Sätzen. Im Beispiel (1) darf die Präposition for von ihrem Komplement what getrennt werden; sie verbleibt oder strandet in der für das Objekt (vgl. GabrielGabriel, Christoph et al. 2018:91) üblichen Position. In der RattenfängerkonstruktionRattenfängerkonstruktion (2) nimmt das Fragewort whom die Präposition mit an den Satzanfang, wo im EnglischenEnglisch normalerweise Fragewörter stehen. Das Beispiel (3) ist ungrammatisch, gekennzeichnet durch den Asterisk; hier ist die Präposition nicht phonetisch realisiert oder phonetisch leer.

1. What are the boys waiting for? (engl. preposition stranding)
2. For whom are the girls waiting? (engl. pied-piping of entire PP)
3. *Who are the girls waiting? (engl. null-preposition)

Zusätzlich wurde das Wissen über subkategorisierte Präpositionen getestet (KleinKlein, Elaine 1995: 432). Solche Präpositionen werden von einer anderen Kategorie, im Beispiel (4) und (5) vom Verb, ausgewählt und sind entsprechend nicht frei wählbar (GabrielGabriel, Christoph et al. 2018:91):

4. *The math students worried the difficult test last week
5. The math students worried about the difficult test last week

In vorherigen Forschungsarbeiten zeigt KleinKlein, Elaine (1995:433), dass die Null-PräpositionNull-Präposition eine robuste Phase im L2-Erwerbsprozess von Pied-pipingPied-piping und PräpositionsstrandenPräpositionsstranden im EnglischenEnglisch darstellt, das Beispiel (3) also von Lernern fälschlicherweise als grammatisch angesehen wird. Für die Studie mit 17 Unilingualen und 15 Multilingualen stellt KleinKlein, Elaine (1995) nun zwei Hypothesen auf, die beide verifiziert werden: (1) ML lernen Subkategorisierungsinformationen (GabrielGabriel, Christoph et al. 2018:71ff.) und das PräpositionsstrandenPräpositionsstranden mit größerem Erfolg als UL des EnglischenEnglisch. (2) UL und ML bewerten Konstruktionen mit einer phonetisch leeren Präposition wie im Beispiel (3) als grammatisch. Alle zuvor gelernten Sprachen der Probanden weisen die Voranstellung von Fragewörtern in Informationsfragen auf und verbieten das PräpositionsstrandenPräpositionsstranden.

Eine Kontrollgruppe von 15 englischsprachigen Monolingualen zeigte die für das englische Zielsystem gewünschten Resultate: Null-PräpositionenNull-Präposition sind im EnglischenEnglisch ungrammatisch und wurden von der Kontrollgruppe auch als solche identifiziert. Interessant ist, dass auch das Pied-pipingPied-piping nicht als grammatisch akzeptiert wurde, obwohl es sich um Muttersprachler des Englischen handelt. Mit Blick auf die ML wird in Abbildung (1.1) deutlich, dass sie beim Wissen über Subkategorisierung und beim PräpositionsstrandenPräpositionsstranden besser abschneiden als die UL. Die ML lassen auch Konstruktionen mit Null-PräpositionenNull-Präposition zu, aber in einem geringeren Maß als die Gruppe der UL. Beide vorgenannten Hypothesen sind also bestätigt. KleinKlein, Elaine (1995) schließt aus dem Vergleich auf einen lexikalischenlexikalisch und syntaktischensyntaktisch Vorteil der ML gegenüber den UL. Als generelles Ergebnis darf somit festgehalten werden, dass „enhancement of lexical acquisition is related to, and perhaps leads to, enhancement in syntactic operations“ (KleinKlein, Elaine 1995:449). Die ML erwerben das lexikalischelexikalisch Wissen schneller als die UL und zeigen damit verbunden auch bessere Resultate bei der Beurteilung der syntaktischensyntaktisch Phänomene (KleinKlein, Elaine 1995:451).

Abb. 1.1:

Grammatikalitätsurteile von einsprachig englischen Lernern und mehrsprachigen Lernern des EnglischenEnglisch in Anlehnung an KleinKlein, Elaine (1995:438)

Für die Korrektur ungrammatischer Konstruktionen mit phonetisch leerer Präposition stellt KleinKlein, Elaine fest, dass die Lerner die fehlende Präposition am Satzende (korrigierend) hinzufügen, d.h. „[…] when faced with an interrogative construction with an omitted preposition, they correct it by inserting the required preposition at the end, rather than at the beginning“ (KleinKlein, Elaine 1995:439).

Die Arbeit von ClyneClyne, Michael (1997:114) zum Erwerb des EnglischenEnglisch als Drittsprache im Kontext der Migration nach Australien von 30 Erwachsenen aus mehrsprachigen Familien (mit den Sprachen NiederländischNiederländisch-Deutsch, ItalienischItalienisch-Spanisch, UngarischUngarisch-Deutsch) räumt der DistanzDistanz der Sprachen zueinander beim Erwerb von drei Sprachen eine wichtige Rolle ein: „What trilinguals do then depends largely on their perception of the distance between their languages.“ Auf das Konzept der DistanzDistanz werden wir weiter unten eingehen. Außerdem nennt Clyne als Einflussgrößen den Sprachgebrauch und die Rolle, die die jeweiligen Sprachen für die Trikulturalität spielen. Für die aus insgesamt 15 Personen bestehende Gruppe der trilingualen Sprecher mit Italienisch, Spanisch und Englisch stellt ClyneClyne, Michael zwei Typen von mehrsprachigen Kompetenzen vor, jeweils in Abhängigkeit von den genannten Einflussfaktoren, welche zu unterschiedlichem Spracheneinfluss führen. Typ 1 nennt er den trililingualen Typ mit zwei Standardvarietäten (Englisch und Spanisch) und einer Substandardvarietät (Italienisch), welche unter dem Standard Spanisch subsummiert wird. Die Erwerbsumstände dieser Sprechergruppe zeichnen sich dadurch aus, dass acht Personen mit Spanisch und Italienisch bilingual waren, mit Spanisch als ihrer dominanten Sprache, als sie Englisch als L3 in Australien erwarben. Fünf Personen hatten Italienisch als L1 und Spanisch (L2) vor dem EnglischenEnglisch erworben. Ein Informant hatte nur eine passive Kompetenz im Italienischen. Ein anderer Informant erwarb die Sprachen in der Reihenfolge Englisch vor Italienisch vor Spanisch. Typ 2 nennt Clyne den trilingualen Typ, der doppelt bilingual ist, mit Englisch und Spanisch auf der einen Seite und Englisch und Italienisch auf der anderen Seite. Das Englische ist für beide romanischen Sprachen die Bezugssprache, da es von den Probanden besonders oft gebraucht wird und in einer Vielzahl an DomänenDomänen der Sprachdominanz und Funktionen zur Anwendung kommt (ClyneClyne, Michael 1997:113). Alle Probanden waren erwachsen, als mit ihnen 30-minütige Interviews durchgeführt wurden, um das Datenkorpus zu erstellen. Die jüngsten Probanden waren zwischen 20 und 24 Jahre alt. ClyneClyne, Michael (1997:101) ist sich der Schwierigkeit bewusst, im Bereich des TrilinguismusTrilinguismus die Variablen Alter, Geschlecht und Erwerbsreihenfolge zu kontrollieren „due to limited opportunities to find suitable informants in Melbourne“.

Alle befragten Informanten gaben zu, dass sie „one language as a support to help them with another“ (ClyneClyne, Michael 1997:103) gebrauchen. Die Einflüsse fasst ClyneClyne, Michael über Konversionsregeln in Form von Kompromissformen (vgl. Beispiel 6), das Code-SwitchingCode-Switching zwischen drei Sprachen (vgl. 7 und 8, für eine Begriffsdefinition siehe Kapitel 5.1.1.1), welches seltener als das zwischen zwei Sprachen aufgetreten ist, und die sogenannte interlinguale Identifizierung (vgl. 9). Die interlinguale Identifizierung führt dazu, dass, wenn zwei Sprachen ein Merkmal teilen, dieses auf die dritte Sprache übertragen wird, auch dann, wenn die beiden Sprachen nicht als typologischTypologie zusammengehörig wahrgenommen werden bzw. auch keine typologischeTypologie NäheNähe existiert (im Fall von z.B. Spanisch (romanisch) und Englisch (germanisch)). Die Form affetava im Beispiel (9) konkurriert mit afectar im Spanischen und affect im EnglischenEnglisch, wo die Wurzel die Bedeutung „betreffen“ hat; im Italienischen heißt affettare „in Scheiben schneiden“. Die Markierungen der Sprachen (kursiv = ItalienischItalienisch, Kapitälchen = Englisch) aus den Beispielen stimmen nicht mit dem Original überein.

6. Span. reunione, aus Ital. riunione und Spanisch reunión (S. 105)
7. no porque quiero disprezzare a mi language italian … (S. 109)
8. io ha (sic) abitata en Sydney from Argentina hemos ida tutti a in Sydney otto año AGO (S. 110)
9. ecco diceva che no che c'affetava un pò al la scuola il bambino allora piu per questo (S. 111)

HoffmannHoffmann, Charlotte (2001:10) betont das wichtigste Ergebnis von ClynesClyne, Michael Studie, nämlich dass Trilinguale auf unterschiedliche Weise trilingual sind,

adding that some trilinguals were more like bilinguals who have two distinct standard languages plus a nonstandard variety regarded as part of one of them in some ways (the Spanish – Italian -English speakers, immigrants from Latin America). Other trilinguals were more like double bilinguals, with two pairs of languages where each pair has a special relationship with English rather than with the other languages. (Clyne 1997:113)

Daraus folgt, dass die Erwerbsumstände bekannt sein sollten, bevor die Ergebnisse hinsichtlich einer linguistischen Theorienbildung bewertet werden.

Seit Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts werden im Bereich des DrittspracherwerbsDrittspracherwerb drei große Hypothesen diskutiert, die sich dahingehend voneinander unterscheiden, welches quantitative bzw. qualitative Gewicht der L1 bzw. der L2 beim Erwerb der L3 zukommt. In dem Überblicksartikel von FalkFalk, Ylva & BardelBardel, Camilla (2010) wird vor der Vorstellung der drei großen Hypothesen auf die Arbeit von WilliamsWilliams, Sarah & HammarbergHammarberg, Bjorn (1998) eingegangen, in der auf der Basis von gemischtsprachlichen Äußerungen erstmalig gezeigt wird, dass die L1 und die L2 unterschiedliche Funktionen übernehmen, wenn eigentlich die L3 gesprochen werden soll. Gemischtsprachliche Äußerungen sind solche, die Sprachmaterial aus mehreren Sprachen enthalten, im Beispiel von WilliamsWilliams, Sarah & HammarbergHammarberg, Bjorn (1998) Deutsch (L1), Englisch (L2) und SchwedischSchwedisch (L3). Die L2 übernimmt die Rolle des supplier, das heißt, sie liefert lexikalisches Material und auch syntaktischesyntaktisch Strukturen, wenn der Lerner die L3 spricht. Übertragen auf die Sprachkombination Deutsch (L1), Englisch (L2) und Französisch (L3) würde dies bedeuten, dass der Lerner die englische Wortstellung verwendet, wenn er/sie Französisch spricht und auch englisches Sprachmaterial in seine französischen Äußerungen mischt, also z.B. les observations disent contre the hypotheses. Im Beispielsatz wurde fälschlicherweise das französische Verb contredire als ein Verb bestehend aus einer Partikel und einem frei vorkommenden Verb analysiert, wobei die Partikel, wie bei englischen Verben z.B. bei to look up in I look up the telephone number und I look the telephone number up, vom Verbstamm getrennt wird. Dies ist sehr typisch für germanische Sprachen, aber nicht für das Französische. Im Französischen muss es deshalb heißen: les observations contredisent les hypothèses. Zusätzlich wurde in der hypothetischen Lerneräußerung ein englischer definiter Artikel und ein englisches Pluralnomen verwendet (vgl. MüllerMüller, Natascha, Arnaus GilArnaus Gil, Laia,Arnaus Gil, Laia EichlerEichler, Nadine, GevelerGeveler, Jasmin, HagerHager, Malin, JansenJansen, Veronika, PatutoPatuto, Marisa, RepettoRepetto, Valentina & SchmeißerSchmeißer, Anika 2015). Im Gegensatz zur L2 kommt laut WilliamsWilliams, Sarah & HammarbergHammarberg, Bjorn (1998) der L1 eine Rolle zu, die als instrumental bezeichnet wird. Sie dient dazu, die Kommunikation zu erleichtern, indem der Lerner metasprachliche Kommentare, Nachfragen etc. in der L1 formuliert, also z.B. les observations disent contre the hypotheses, richtig?.

Mittlerweile gelten die einflussnehmenden Faktoren beim DrittspracherwerbDrittspracherwerb als gut erforscht. Der erste von FalkFalk, Ylva & BardelBardel, Camilla (2010:193f.) vorgestellte Faktor, der eine Präferenz für die L1 oder die L2 beim Rückgriff auf Wissen im Drittspracherwerb bestimmt, basiert auf der Typologie.Typologie Typologie ist hier als Oberbegriff gemeint und bezeichnet entweder eine linguistisch definierte Typologie, eine vom Sprachbenutzer empfundene Psychotypologie bzw. Sprachdistanz (psychotypology laut KellermanKellerman, Eric 1983) oder der Ausdruck steht einfach für Ähnlichkeit, im EnglischenEnglisch mit proximity, also NäheNähe beschrieben (Muñoz-LicerasMuñoz-Liceras, Juana & de la Fuentede la Fuente, Anahi 2015). Ist die L1 Deutsch, die L2 Spanisch und die L3 Französisch, so würde das Typological Primacy ModelTypological Primacy Modell (TPM) vorhersagen (RothmanRothman, Jason 2015), dass die typologischTypologie nahe Sprache diejenige ist, auf die im Drittspracherwerb zurückgegriffen wird. Im konkreten Fall wäre das das Spanische, das zu den romanischen Sprachen zählt, im Unterschied zu der germanischen Sprache Deutsch. Die weite Fassung des Begriffs Typologie macht eine klare Definition erforderlich.

Der zweite Faktor, der beim DrittspracherwerbDrittspracherwerb eine Rolle spielt, ist der L2-StatusPrestige. Hiermit ist der Unterschied gemeint, dass eine L2, wenn sie als Fremdsprache erworben wird, oft unter Zugriff auf formalen Unterricht und dementsprechend unter Zugriff auf explizites metalinguistisches Wissen gelernt wird (z.B. „im Französischen stehen Farbadjektive postnominalpostnominal“). Doch auch andere kognitive Unterschiede spielen eine Rolle. So ist die L2 diejenige Sprache (im Vergleich zur L1), mit deren Erwerb zu einem fortgeschrittenen Alter begonnen wurde. Sie ist oft auch diejenige Sprache, die der Lerner im Vergleich zu seiner L1 weniger gut beherrscht. Kurzum sind die Erwerbsumstände beim L2-Erwerb oft dergestalt, dass die Fremdsprache trainiert wird. Das L2 Status Factor ModellL2 Status Factor Modell von BardelBardel, Camilla & FalkFalk, Ylva (2007) besagt nun, dass der Lerner im Drittspracherwerb auf Wissen aus der L2 zurückgreifen wird, unabhängig davon, wie nah diese Sprache der L3 kommt, da diese unter gleichen Umständen erworben wurde wie die L3. Innerhalb dieses Modells stammt das Wissen, auf das der Lerner beim Drittspracherwerb zurückgreift, auschließlich aus der L2.

Der dritte Faktor, der den Zugriff auf Sprachwissen beim DrittspracherwerbDrittspracherwerb bestimmt, ist der Sprachbeherrschungsgrad. Ein hoher Beherrschungsgrad der L2 wird hiernach den Drittspracherwerb beeinflussen, d.h. die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Lerner beim L3-Erwerb auf seine L2 zugreift. Auch besteht laut FalkFalk, Ylva & BardelBardel, Camilla (2010) ein Zusammenhang zwischen dem Beherrschungsgrad der L3 und der Wahrscheinlichkeit, dass sich der Lerner auf seine anderen Sprachen stützt. Ein niedriger Beherrschungsgrad in der L3 geht mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einher, dass eine der anderen Sprachen des Lerners eine Rolle spielt. Ferner wird vermutet, dass bei einem niedrigen Beherrschungsgrad der L3 eher die weniger gut beherrschte L2 aktiviert wird als die muttersprachlich beherrschte L1. Wird die L3 auf einem hohen Niveau beherrscht, so steigt die Wahrscheinlichkeit des Zugriffs auf eine sehr gut beherrschte L2 bzw. auf die L1.

Die genannten Unterscheidungen haben in drei große Hypothesen des Drittspracherwerbs gemündet, die wir im Folgenden vorstellen werden.

Frühkindlicher Trilinguismus

Подняться наверх