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Kapitel 6

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Kapitel 6

Alles in allem war dieses Raumschiff eine robuste Konstruktion. Seine Erbauer waren weit über ihr Sonnensystem hinaus bekannt für ihre Schiffsbaukunst. In Friedenszeiten hatten sie mit diesem Raumschifftyp Galaxien erkundet, regen Handel mit anderen Planeten getrieben und ihre Wissenschaft und Technik ständig weiterentwickelt. Über Generationen hinweg war es ihnen gelungen, immer schnellere, bessere und sicherere Raumschiffe zu bauen. So war es ihnen auch gelungen, die Schiffe immer zuverlässiger zu machen und gegen die Gefahren des Alls zu schützen. Strahlung konnte ihre Außenhaut ebenso wenig durchdringen wie durch den Raum fliegende Splitter oder Kometenschwärme. Sie prallten einfach ab wie Bälle. Selbst Waffenbeschuss konnte bis zu einem bestimmten Maße abgewehrt werden.

Wogegen es jedoch noch keiner Schutz gab, war eine Bombe, die im Inneren des Schiffes detonierte. Was nützte der beste Panzer außen, wenn die Gefahr aus dem Inneren kam? Niemand wusste, an welcher Stelle die Detonation stattgefunden hatte und weder Oxo, noch Ixin und schon gar nicht Yxynon hatten die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Da Yxynon inzwischen über keine Kontrolle über das Schiff mehr verfügte, war es wahrscheinlich, dass die Bombe in der Nähe der Antriebseinheiten platziert gewesen war.

In zweierlei Hinsicht war das gravierend: Zum einen konnte das Schiff ohne die Antriebseinheiten nicht gesteuert werden, und zum anderen befanden sich diese Einheiten im Heck. Es konnte also sein, dass sie nicht nur ein riesiges Leck im Rumpf hatten, sondern dass ihnen das ganze Heck fehlte. Aber auch damit setzte sich niemand auseinander, nur Yxynon ging es kurz durch den Kopf, als er vergeblich versuchte, das Schiff zu steuern, irgendwie noch den Kurs zu beeinflussen. Doch nur einen Wimpernschlag später dachte er nicht mehr daran. Seine volle Aufmerksamkeit war auf etwas anderes gerichtet: darauf, den Mond anzusteuern und sicher zu landen.

Yxynon gab sich keinen Illusionen hin. Wahrscheinlich lief es auf eine Bruchlandung hinaus. Und damit hätten sie noch Glück. Es war keineswegs unwahrscheinlich, dass das Schiff schon vorher zerbrach und sie es gar nicht bis zur Oberfläche schafften. Aber auch damit befasste er sich nicht. Für ihn war nur wichtig, dass die Kinder in ihren Schlafkammern waren, dass Marcel dort war. In den letzten Tagen war er ihm sehr ans Herz gewachsen. Seine Neugier, seine Schüchternheit, vor allem aber seine Begeisterung für den Raumflug hatten ihm gefallen. Wenn er ihn ansah, sah er sich selbst, wie er als junger Mann gewesen war. Er hätte ihn gern noch besser kennen gelernt. Aber leider würden sich ihre Wege schon bald trennen …

Yxynons Stirn lag in tiefen Falten, Schweiß stand ihm im Gesicht. Dennoch wirkte er hochkonzentriert, er zeigte auch nicht die Spur von Angst. Im Gegenteil, er lächelte sogar, zuerst nur verhalten, aber dann immer deutlicher. Oh nein, er hatte keine Angst vor dem, was jetzt kommen würde. Er war vorbereitet und wusste, wofür er es tat.

Der Sichtschutz war jetzt ganz heruntergefahren. Allein nach den Instrumenten konnte er nicht fliegen, aber auch die waren seit der Explosion ohnehin unbrauchbar. Er steuerte das Schiff gar nicht mehr; es gehorchte jetzt den Gesetzen der Natur, schlingerte hierhin und trudelte dorthin. Zusätzlich schienen sie auch noch Frachtgut durch das Loch im Heck zu verlieren, was sich jede Sekunde anders auf das Gleichgewicht auswirkte.

Jetzt spürte er, wie sie ins Anziehungsfeld des Mondes gerieten. Ein kurzer Ruck lief durch das Schiff, gefolgt sogleich von einem weiteren Reißen und Quietschen des Rumpfs.

Auch Oxo hatte alle Hände voll zu tun. Seine wichtigste Aufgabe war es jetzt, den Schlaf der Kinder zu überwachen. Vor allem musste er sicherstellen, dass der Energiefluss zu den Kammern nicht abriss. Elektrizität war unabdingbar; nur mit ausreichend Energie erhielten die Systeme diesen tiefen Schlaf aufrecht. Wenn der Energiezustrom abriss, gelangten die Kinder nach wenigen Sekunden in die Aufwachphase. Aufwachen durften sie aber erst, wenn das Raumschiff gelandet war – auf die eine oder andere Weise.

Bis jetzt verlief es noch nach seiner Zufriedenheit. Er wusste aber, dass es jede Sekunde anders werden konnte. Schon der nächste Riss in der Außenhaut konnte eine Energieleitung beschädigen. Dann musste er schnell reagieren und die Energie aus einem anderen Teil des Schiffes abziehen. Das Dumme daran war nur: Er wusste nicht, ob es diesen Teil des Schiffes überhaupt noch gab.

Oxo kauerte vor der Steuereinheit und fixierte krampfhaft die Instrumente. Er ließ sich nicht ablenken– weder von den immer öfter auftretenden Geräuschen noch von den Stößen und Schwankungen, die durch den Rumpf liefen.

Auch Yxynon saß angespannt im Pilotensessel und starrte aus dem Fenster. Es war ihm mittlerweile gelungen, das Raumschiff einigermaßen in eine stabile Lage zu bringen. Es schlingerte nicht mehr so. Hin und wieder gab es zwar noch Ausreißer nach links oder rechts, aber im Großen und Ganzen war er zufrieden.

Der Mond war mittlerweile größer geworden; er nahm jetzt schon fast das gesamte Blickfeld des Sichtschirms ein, und Yxynon konnte nun auf seiner Oberfläche nach einer geeigneten Stelle zur Landung suchen. Sie musste möglichst eben sein, ohne Berge oder Täler. Bäume machten nichts, die würden sie einfach niedermähen wie eine Mähmaschine den Rasen, aber Flüsse, hohe Berge oder breite Täler waren Gift für das geplante Manöver.

So saß er also da, stocksteif, mit durchgedrückten Rücken, als hätte er einen Besenstiel im Kreuz, das Gesicht nah an das Fenster gerückt und mit weit geöffneten, suchenden Augen, die ihm fast aus den Höhlen quollen.

Yxynon konnte allerdings keineswegs alle Plätze ansteuern, die viel versprechend aussahen, denn dazu hätte er den Flug des Schiffes steuern können, was aber nach wie vor unmöglich war. Zwar war es ihm durch das Zünden der seitlichen Hilfstriebwerke gelungen, einigermaßen stabil zu bleiben, aber von einer echten Steuerung konnte keine Rede sein.

Sie fielen allerdings nicht wie ein Stein vom Himmel. Die Atmosphäre des Mondes bremste ihren Sturz. Vielmehr rutschten sie mit immer noch enormer Geschwindigkeit durch die Schichten der Atmosphäre, wurden gebremst und sanken immer tiefer. Ihre Hoffnung ruhte in den Atmosphärentriebwerken. Wenn die noch intakt waren, konnte Yxynon das Raumschiff in der tieferen Atmosphäre des Mondes vielleicht noch lenken; dann würde die Notlandung nicht ganz so heikel werden. Sollten sie aber auch defekt sein, dann fielen sie wie ein Stein vom Himmel …

Ein kurzer Schub mit den seitlichen Hilfstriebwerken, um den Abstiegswinkel etwas anzupassen. Sie waren immer noch viel zu schnell. Zum einen war das natürlich gut, denn ihnen lief die Zeit weg; das Raumschiff zerbrach ihnen förmlich unter dem Arsch. Zum anderen war es möglich, dass auch die Atmosphärentriebwerke den Flug nicht mehr korrigieren konnten, wenn sie so schnell in die Atmosphäre eintauchten.

Oxos Finger jagten über die Steuereinheit. Er konnte nicht nur schnell komplexe Zusammenhänge begreifen, sondern verfügte auch über ein weitreichendes Fachwissen auf nahezu jedem Gebiet, sei es nun Weltraumforschung, Geschichte, Medizin oder Technik. Schon ein paar Mal hatte er eine Energieumleitung vornehmen müssen. Bis eben ging das noch: Ein paar Befehlssequenzen hier, ein paar Tastenanschläge da, und ein neuer Energiezufluss war aufgebaut.

Aber jetzt war der Energielevel in allen Kammern abgestürzt, von einem Augenblick auf den anderen. Ein sehr großes Teil des Schiffs musste zerstört worden sein oder herausgerissen. Oxo glaubte zu wissen, welches Teil sie eben verloren hatten: das Heck. Denn dort lag nicht nur der Antrieb, sondern auch eine ganze Reihe an Energiespeichern. Die Heftigkeit, mit der die Energie nachgelassen hatte, sprach für diese beunruhigende Annahme.

Oxo hatte rasend schnell reagieren müssen. Mit einem Energieabsturz in allen Schlafkammern zugleich hatte selbst er nicht gerechnet. Es hatte einige Zeit gedauert, ehe der Energiefluss wieder aufgebaut war; fast wäre es zu spät gewesen. Er wusste, dass das Raumschiff nicht nur im Heck über Energiespeicher verfügte, noch an sechs weiteren Stellen gab es sie. Auf einen davon griff er zu. Aber zunächst funktionierte es nicht. Oxo checkte noch einmal alle Verbindungen– tadellos. Eigentlich müsste er Energie beziehen. Doch es kam nichts an. Er checkte es noch einmal– gleiches Ergebnis. Entweder war der Speicher leer (was er sich nicht vorstellen konnte) oder er war schlicht nicht mehr vorhanden. Aber das wollte er sich lieber nicht vorstellen, denn das bedeutete, dass das Loch im Rumpf weitaus größer war als vermutet. Der Speicher lag mittschiffs auf der linken Seite. Wenn er tatsächlich verschwunden war, dann … Doch diesen Gedanken wollte er nicht zu Ende denken. Mit hastigen Befehlssequenzen in die Tastatur versuchte er, eine neue Verbindung aufzubauen. Diesmal griff er auf einen Speicher im vorderen Teil des Schiffs zu. Hoffentlich bekam er diesmal Energie!

Der Sinkflug wurde langsamer. Die dichter werdende Atmosphäre bremste das Schiff. Dennoch waren sie immer noch viel zu schnell. Bei dieser Geschwindigkeit würden sie auf dem Boden zerschellen wie eine Kaffeetasse, die vom Tisch fällt. Hoffentlich funktionieren die Atmosphärentriebwerke, dachte Yxynon und blickte auf die wenigen Instrumente, die ihren Dienst noch nicht eingestellt hatten. Eins davon zeigte die Außentemperatur der Hülle an: Zweitausend Grad bereits, und sie nahm noch zu. Normalerweise machten hohe Temperaturen beim Eintritt in die Atmosphäre den Raumschiffen keine Probleme, denn sie verfügten über leistungsstarke Schutzschilder. Doch er wusste nicht, ob der Schild überhaupt noch aktiv war. Auch nicht, wie sehr das Schiff beschädigt war. Die riesige Hitze konnte durch das Loch im Rumpf eindringen und das Schiff von innen heraus verbrennen …

Die Temperatur auf der Außenhaut nahm fast sekündlich zu. Jetzt war sie schon bei zweitausendeinhundert Grad.

Yxynon registrierte das Problem, dennoch drehte er sich von dem Instrument weg und blickte in Richtung Höhenmesser: noch achtunddreißig Kilometer.

Sein Blick wanderte über Instrumente, die sich etwas abseits seines Gesichtsfeldes befanden, Anzeigen über die Beschaffenheit der Atmosphäre. Normalerweise erhielt er sie vom Computer, aber der war ja seit der Explosion defekt. Glücklicherweise gab es für alle flugsicherheitskritischen Systeme zwei oder mehr Ausführungen, also mindestens ein System in Reserve. Im Falle eines Systemausfalles konnte auf das zweite oder sogar das dritte zugegriffen werden. Sie funktionierten mit einem unabhängigen Energiesystem.

Yxynon dankte in Gedanken denen, die sich dieses System ausgedacht hatten – und verfluchte sie gleichzeitig, weil sie dennoch nur einen Computer installiert hatten. Aber im selben Moment begriff er, wie unsinnig dieser Einwand war: Das ganze Schiff war im Grunde nichts als ein riesiger Computer. Und diesen Computer abzuschalten war eigentlich nicht möglich …

Er starrte auf die Instrumente und überschlug es im Kopf: Vierunddreißig Kilometer noch, eine verflucht weite Strecke bis zum Boden. Für den Einsatz der Atmosphärentriebwerke war es immer noch zu früh. Die Luft war noch nicht dicht genug; wenn er sie jetzt schon einsetzte, verfeuerte er ihre Energie sinnlos. Sie würden dennoch tiefer stürzen.

So sehr er es auch drehte und wendete: Die Anzeigen waren deutlich. Es war noch zu früh. Er musste warten.

Auch Oxo musste warten. Allerdings war sein Warten wesentlich entspannter. Der Stromfluss war stabil. Sein Ausweichplan hatte funktioniert: Die Speichereinheit im vorderen Teil des Schiffes war noch vorhanden und intakt gewesen. Dennoch starrte er auf die Instrumente und wertete blitzschnell ihre Anzeigen aus. Er wollte bereit sein, falls er wieder einschreiten musste. Der Schweiß auf seiner Haut war mittlerweile verdunstet. Auch sein Atem ging wieder normal. Er wirkte erstaunlich ruhig; selbst als es ein-, zweimal kritisch wurde und er einschreiten musste, blieb er gefasst. Er zeigte keine Anzeichen von Stress. Wäre eines der Kinder bei ihm gewesen, hätte es sich gewiss gewundert. Selbst einem abgebrühten, Todesverachtenden Draufgänger mussten in dieser Situation die Nerven blank liegen. Aber nicht Oxo. Ihm schien das alles nichts auszumachen. Ihm zitterten noch nicht einmal die Finger. Diese Rasse schien wirklich ganz anders mit Angst und Stress umzugehen als Menschen es taten …

… Doch es lag nicht an der Rasse. Nur Oxo allein hatte diese Fähigkeit.

Yxynon dagegen schwitzte ganze Sturzbäche. Insgeheim beneidete er Oxo um seine Gelassenheit – natürlich wusste er davon und auch, warum es so war. Allerdings hätte er nicht mit ihm tauschen wollen. Was war denn das für ein Leben? So frei von allen Regungen? Nein, das wollte er nicht. Auch wenn er ihn jetzt, in diesem Moment, darum beneidete. Denn ein weiterer Blick auf den Höhenmesser ließ seine Angst panikartig ansteigen: nur noch achtundzwanzig Kilometer bis zum Boden. Aber immer noch zu hoch für die Atmosphärentriebwerke.

Etwas anderes bereitete ihm fast noch mehr Sorgen als die Höhe: Immer mehr Feuer brachen aus, teils durch die freiliegenden elektrischen Leitungen, teils als direkte Folge der Explosion. Mehrere kleine Feuer schlossen sich zu größeren zusammen und fraßen gierig um sich. Die Feuer selbst wären nicht das Problem gewesen, das hätte er durch Absaugen des Sauerstoffes beheben können; in wenigen Sekunden wären sie erstickt. Aber das konnte er nicht, denn die entsprechende Steuerung war ausgefallen – vermutlich eine Folge der verdammten Explosion. Wütend schlug er auf die Steuereinheit. Was nützte sie ihm, wenn mehr als die Hälfte des Schiffes tot war?

Er versuchte Oxo zu kontaktieren. Er wusste nicht, ob dieser von den Bränden wusste und wollte ihn davon unterrichten; auch erhoffte er sich, von dessen Steuereinheit aus auf die Sauerstoffversorgung zugreifen zu können. Vielleicht hatten sie ja Glück? Yxynon drückte einige Schalter und schaute erwartungsvoll auf den Bildschirm. Doch es geschah nichts. Er blieb durchsichtig und stumm. Er versuchte es ein weiteres Mal, hämmerte erneut auf die Schalter ein. Doch es änderte sich nichts.

Verdammt! Wenn er keinen Kontakt zu Oxo aufbauen konnte, erschwerte das die Situation noch mehr! Er wusste ja nicht, wie der Status bei ihm war. War das Feuer vielleicht schon bei ihm eingedrungen? Brannte der Raum mit den Schlafkammern längst lichterloh? Waren die Kinder etwa bereits gefangen? Verbrannten sie gar bei lebendigem Leib, während Oxo längst nichts mehr dagegen unternehmen konnte?

Yxynon hämmerte noch einmal auf die Schalter ein, fing sich dann aber wieder. Dass er nicht wusste, wie der aktuelle Status war, änderte nichts an seiner Aufgabe. Er musste immer noch das Raumschiff auf die Notlandung vorbereiten.

Noch fünfundzwanzig Kilometer.

Oxo war ruhig, obwohl um ihn herum das Chaos tobte. Das Schiff drohte auseinander zu brechen; das Reißen und Quietschen von berstendem Metall, das sich in seine Ohren fräste, das Arbeiten und Keuchen der Stützen und Streben, die sich unter den ständigen Bewegungen des Schiffes verwarfen, dies alles verhieß nichts Gutes. An seinem Steuerpult waren neben den Instrumenten zur Schlafphasenüberwachung auch solche, die ihm die Situation im Schiff anzeigten. Und die war alles andere als rosig: Direkt vor der Tür tobte ein Feuer. Schon als sie in den Raum gegangen waren, hatten kleinere Feuer auf dem Gang gelodert, aber daraus war inzwischen ein einziges, großes geworden. Den immer höher kletternden Temperaturanzeigen zufolge schien es seinen Hunger noch lange nicht gestillt zu haben. Sollten sie die Notlandung überleben, würde er sich ernsthaft damit befassen müssen. Aber noch nicht jetzt. Jetzt forderte etwas anderes seine gesamte Aufmerksamkeit: die konstante Energieversorgung der Schlafkammern, in denen die Kinder lagen.

Als der Höhenmesser zwanzig Kilometer anzeigte, war endlich eine ausreichende Dichte in der Atmosphäre erreicht. Er konzentrierte sich auf die Triebwerke, streckte sich auf seinem Sessel, dachte ein letztes Mal an Marcel, hoffte, dass es ihm gut ging – mehr als hoffen konnte er ja nicht, und dann war er wieder bei seiner Aufgabe. Es lag an ihm, das Schiff sicher zu landen. Nur er konnte das. Es war seine Aufgabe, seine Bestimmung.

Yxynons Brustkorb hob und senkte sich langsam. Er hatte Angst vor dem, was ihm bevorstand. Ein tadellos funktionierendes Raumschiff zu landen, war einfach, aber ein navigationsunfähiges, eins, in dem noch ein riesiges Loch klaffte – das war etwas völlig anderes. Als würde er versuchen, eine Holzkiste nur mit dem Flattern seiner Arme und mit verbundenen Augen zu landen. Er würde sein gesamtes Wissen und Können aufbieten müssen. Er war der beste Pilot, er verfügte über die größte Erfahrung. Wenn einer es schaffen konnte, diese Kiste so zu landen, dass die Kinder überlebten, dann war er es.

Hatte ihn das Orakel deshalb ausgesucht? Weil er der beste war?

Aber diese Gedanken verdrängte er schnell wieder aus seinem Kopf. Sein Blick konzentrierte sich vielmehr auf die Mondoberfläche. Jetzt, bei nunmehr nur noch achtzehn Kilometern Höhe, konnte er schon erkennen, in welchen Gegenden eine Landung unmöglich war und wo es vielleicht gehen würde. Für etwas Definitives war es jedoch noch zu hoch.

Auf dem Steuerpult erschienen die Instrumente und Anzeigen für die Atmosphärentriebwerke. Alles schien einsatzbereit zu sein, zumindest keine Störmeldung. Doch er mochte sich auf die Anzeigen nicht verlassen, denn die Schäden am Schiff waren mittlerweile so gravierend, dass auch diese gewiss nicht mehr zuverlässig arbeiteten.

Die Raumflugsicherheitsprotokolle empfahlen, wie er wusste, bei Unsicherheiten oder unbekannten Risiken einen kompletten Check aller Systeme. Doch dafür fehlte ihm die Zeit. Wenn die Systeme einsatzbereit waren, würden sie sich einschalten lassen … und wenn nicht, wenn sie so tot blieben wie ein Stein … tja, dann würde eine ohnehin schon harte Landung wohl noch um einiges härter.

Gut, dachte Yxynon. Mit einem letzten Gebet an das Orakel machte er sich daran, die Triebwerke einzuschalten.

Sechzehn Kilometer trennten sie jetzt noch von der Oberfläche. Die mittlerweile dichte Atmosphäre bremste ihren Sturzflug rapide. Die Temperatur der Hülle des Raumschiffs erreichte Bereiche, bei denen es ihm heiß und kalt wurde: mehr als dreitausend Grad. Er sah immer öfter auf die Anzeigen, und mit jedem Mal wurde seine Miene sorgenvoller: Fünftausend Grad, sechstausend Grad, siebentausend … Achttausend. Das waren schon jetzt fünfhundert Grad mehr, als die Hülle standhielt. Und die Temperatur stieg weiter an. Der Schutzschild schien also wirklich etwas abbekommen zu haben. Aber vielleicht würde er ja nicht mehr ganz so stark ansteigen, wenn die Atmosphärentriebwerke liefen? Yxynon blieb nichts anderes übrig, als das zu hoffen. Mit dieser Hoffnung im Hinterkopf begann er die Startprozedur.

Auch Oxo hatte alle Hände voll zu tun. Der Energiefluss zu den Kammern brach immer öfter ab. Bislang war es ihm immer wieder gelungen, eine neue Quelle aufzutun, aber lange würde das nicht mehr gut gehen. Die Energie war beschränkt und immer mehr Systeme an Bord stellten ihren Dienst ein.

Eben erst hatte er versucht, Yxynon zu erreichen. Erste Flammen züngelten durch die Tür und Wände hindurch. Zuerst hatte es an den Stellen ausgesehen, als schmölzen sie wie das Wachs einer Kerze, Blasen hatten sich gebildet, die schnell größer wurden, und dann wurde die Wand regelrecht flüssig, zuerst nur langsam und zäh, aber schließlich floss sie in immer größer werdenden Tropfen zu Boden. Dann brachen plötzlich die ersten Flammen hindurch.

Oxo hatte Yxynon darüber in Kenntnis setzen wollen, kam aber nicht zu ihm durch. Allerdings verschwendete er keinen Gedanken daran, warum das so war. Er widmete sich einfach wieder seinem Steuerpult und leitete weiter soviel Energie zu den Kammern, wie er finden konnte.

Sie sprangen nicht an. Die verdammten Atmosphärentriebwerke sprangen nicht an. Schon zum dritten Mal hämmert Yxynon jetzt die Befehlssequenzen für das Hochfahren der Triebwerke ein, doch sie reagierten einfach nicht. Er versuchte es noch ein viertes und sogar ein fünftes Mal – immer mit demselben Ergebnis.

Alle Instrumente zeigten Bereitschaft an, alles war okay, doch sie sprangen einfach nicht an. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt: Jetzt hatte er nicht nur ein manövrierunfähiges, halbzerstörtes Schiff, jetzt kam auch noch hinzu, dass sie unkontrolliert abstürzten. Yxynon hatte alle seine Hoffnungen in diese Triebwerke gesetzt.

Jetzt musste er umdenken, denn ohne die Triebwerke hatten sie keine Chance, den Absturz zu überleben. Sie flogen immer noch so schnell, dass das Schiff beim Aufprall zerrissen würde. Selbst die Kinder in den gepanzerten Schlafkammern waren dann nicht hundertprozentig geschützt …

Yxynon versuchte zu überschlagen, wie schnell sie noch sein würden, wenn sie aufschlugen. Das war nicht weiter schwer; er musste nur die Dichte der Atmosphäre nehmen und wie sie bis zum Boden hin zunahm. Das Ergebnis zerstörte sein letztes Fünkchen Hoffnung.

Sie waren zu schnell, viel zu schnell.

Wenn er die Triebwerke nicht zum Laufen bekam, würden sie beim Aufprall platzen wie die Früchte eines Zynomonbaumes. Alles war umsonst gewesen: die langwierige Reise zur Erde, das Aufspüren der Kinder und die gefährliche Rückreise. Am schlimmsten aber war, dass die Hoffnung seines Volkes, seines ganzen Planeten, sterben würde. Mit den Kindern würde alles enden …

Nein! Soweit durfte es nicht kommen! Irgendetwas muss ihm einfallen!

Nur was?

Immer mächtigere Flammen durchbrachen die Wände. Die Tür war schon fast geschmolzen, und auch die Wände wurden langsam zu einer blubbernden Masse. Es war jetzt so warm, dass selbst die Decke im Begriff war zu schmelzen.

Teile von ihr tropften bereits zu Boden. Doch Yxynon wich nicht von der Steuereinheit. Auch dann nicht, als die Flammen sich durch die Wand gefressen hatten und mit voller Wucht in den Raum tobten. Er wusste: Wenn ihn etwas retten konnte, dann die Steuereinheit.

Weniger als fünfzehn Kilometer Höhe jetzt. Die Anzeigen zeigten ihm aber auch, dass fast im gesamten Schiff Feuer tobten. Das bereitete ihm keine Sorgen, auch um die Kinder machte er sich keine Sorgen: Oxo war bei ihnen. Oxo würde eine Lösung finden. Er sorgte sich wegen der Landung. Wenn es ihm nicht gelang, ihren Sturz abzubremsen, würde auch Oxo sie nicht schützen können. Dann war allein er, Yxynon, für das Scheitern der Mission verantwortlich. Dafür, dass sein Volk weiter unter der Unterdrückung leben musste.

Noch zehn Kilometer Höhe, viel Zeit blieb ihm nicht.

Er spielte noch einmal alle Möglichkeiten durch: Das Schiff befand sich mehr oder weniger im freien Fall. Er konnte den Sinkflug nur wenig beeinflussen. In den Weltraum konnten sie nicht zurück, dazu bräuchten sie funktionstüchtige Triebwerke. Und mit dem Wegfall der Atmosphärentriebwerke war auch schon die letzte Möglichkeit ausgeschöpft. Wenn diese verdammte Bombe nur nicht das halbe Heck weggesprengt hätte …

Plötzlich schnellte er hoch und stand kerzengerade da. Wie ein Blitzschlag kam ihm die Erkenntnis. Sie jagte durch sein Hirn und setzte ihn buchstäblich unter Strom. „Aber ja, das könnte klappen!“ Dann begann er laut zu lachen.

Oxo war nicht zum Lachen zumute. Die Feuer wüteten mit immer größerer Wucht. Die Wände waren jetzt verschwunden; nicht einmal ein Gerüst war noch vorhanden. Von seiner Position aus konnte er nun fast das halbe Schiff überblicken, weil Decken, Wände, Korridore und Wohneinheiten einfach geschmolzen waren. Sie waren geschmolzen wie Kerzenwachs unter einer lodernden Flamme. Oxo stellte die Klimaanlage so ein, dass sie die ausgeblasene Luft gegen die Flammen drückte. So verschaffte er sich einige Augenblicke Zeit. Aber nur Augenblicke, schnell vergangene Momente, denn wenn sich die Flammen weiter so rasant ausbreiteten, würden sie auch die Reste der Klimaanlage zerstören. Und würden schließlich auf die Schlafkammern der Kinder übergreifen …

Yxynon lachte noch immer. Endlich hatte er auch wieder Grund dazu. Natürlich wusste er nicht, ob es klappen würde, aber es war allemal besser als untätig herumzusitzen und auf den Tod zu warten. Zum ersten Mal seit langem sah er nicht auf die Instrumente vor ihm. Er fürchtete, sie könnten ihn nervös machen. Wenn sie ihm anzeigten, dass er nur noch acht Kilometer hatte bis zur Oberfläche (wie sich plötzlich alles verändert hatte: Noch vor wenigen Sekunden war er froh gewesen, nicht mehr so hoch zu sein, und jetzt wünschte er sich tatsächlich wieder ein paar Kilometer höher!) wäre eine größere Höhe vorteilhaft. Ja, es war lächerlich einfach. Warum war er nicht schon viel früher darauf gekommen? „Ganz einfach“, sagte er sich selbst, „weil so was noch nie gemacht wurde. Du bist der erste. Du bist der erste, der verrückt und verzweifelt genug ist.“

Noch einmal besann er sich, dachte an das, was vor ihm lag (er zweifelte nicht daran, er glaubte tatsächlich, dass es funktionieren konnte, wenn das Schiff nicht vorher auseinander riss), dann machte er sich mit rasenden Fingern an die Arbeit. Normalerweise kannte er die Steuersysteme des Schiffes sehr genau. Er wusste im Schlaf, wo sich alles befand und wie er dorthin gelangte. Aber diesmal betrat er Neuland. Für das, was er vorhatte, gab es keine Befehlsfolge oder Tastenkombination. Improvisation war das Geheimnis. Dennoch waren seine Finger blitzschnell, als hätte er das schon tausende Male getan. Vor seinen Augen sprangen die Bilder der Systeme des Schiffs umher wie verrückt gewordene Karnickel. Aus jedem einzelnen holte er sich das heraus, was er brauchte, fügte es zusammen mit anderen Systemkomponenten und machte sich gleich wieder ans nächste. Hoffentlich blieb ihm noch genug Zeit!

Seine Idee war relativ simpel, zugleich aber genial. Ihm war folgender Gedanke gekommen; wenn er das Schiff wegen des riesigen Lochs im Heck nicht fliegen konnte, musste er es eben mit einplanen. Gelang es ihm, das Schiff so zu drehen, dass es mit dem Loch voran flog, würde die hereinströmende Luft es abbremsen wie bei einem Fallschirm. Die Luft würde sich im Inneren des Schiffs sammeln, stauen und den Sturz bremsen. Gleichzeitig würde sie die Feuer löschen.

So sah es in seiner Theorie aus – ob es aber auch in der Praxis funktionierte, blieb abzuwarten.

Noch immer war Yxynon mit den Sequenzen beschäftigt. Er wollte so viele Kommandoeinheiten wie möglich in einem Arbeitsschritt speichern und mit der Aktivierung dieses Schrittes das Raumschiff dann zum Drehen bewegen. Dafür musste er allerlei Sequenzen finden und aktivieren: Nicht nur die Steuerung der Atmosphärentriebwerke (obwohl sie nicht einmal funktionierten), auch die Inhalte sämtlicher Flüssigkeitstanks an Bord leitete er so um, dass es zu einer enormen Gewichtsverteilung kommen würde – und damit idealerweise zu einer Drehung des Schiffs. Das erforderte viel Kreativität; schließlich waren das alles Systeme, die für die Flugsicherheit nicht wirklich relevant waren. Er musste immer wieder von vorn anfangen, weil sie tief versteckt im Computersystem waren, der nur noch halb funktionierte.

Dann blickte er doch einmal auf den Höhenmesser. Sechs Kilometer. Verdammt, nur noch so wenig! Warum, in aller Welt, war ihm die Idee nicht schon früher gekommen? In zwanzig, fünfundzwanzig Kilometern Höhe?

Dann plötzlich ruhten seine Hände abrupt. Er hatte, was er brauchte.

Yxynon atmete noch einmal tief ein. Jetzt war es soweit. Jetzt gleich würde sich herausstellen, ob seine Idee funktionierte. Ob er dem Vertrauen, welches das Orakel in ihn gesetzt hatte, gerecht wurde.

Noch eine Sekunde verstrich, dann aktivierte er die mühevoll synthetisierte Sequenz.

Doch es geschah – nichts. Voller Wut schrie Yxynon das Steuerpult an.

Doch dann endlich tat sich etwas. Zuerst nur langsam, sodass es ihm fast entgangen wäre. Ja, das Schiff bewegte sich! Es veränderte seine Lage. Er konnte es deutlich erkennen, wenn er durch das Sichtfenster nach draußen blickte: Die Oberfläche des Mondes kippte nach links weg. Das Sichtfenster drehte sich allmählich dem Himmel zu. Und das konnte nur bedeuten, dass… dass sein Plan aufging. Diesmal war sein Schrei ein Schrei der Begeisterung und der Freude.

Ungeduldig sah Yxynon dem Mond zu, wie er mehr und mehr aus seinem Sichtfeld schwand. Schon sah er mehr Himmel als Boden, und jetzt schob das letzte Stück Mond sich aus seinem Blick. Der Himmel dahinter war strahlend blau, und die Sonne eine riesige grelle Kugel im Zenit. Yxynon lief eine Träne die Wange herunter. Er wusste: Die Chancen, dass er das hier überlebte, er noch einmal die Sonne sehen durfte, waren mehr als schlecht. Das hier war ein Abschied. Er blickte nicht mehr auf die Instrumente, sondern nur in die Sonne. Fast glaubte er, ihre warmen Strahlen noch einmal auf seiner Haut zu spüren.

Allmählich drehte sich das Raumschiff in die von Yxynon beabsichtigte Lage, und nach einigen Augenblicken flog es tatsächlich mit dem Heck voran. Das riesige Loch, wo einmal das Heck mit den Triebwerken gewesen war, füllte sich mit Luft und staute sich im Inneren. Durch die immer noch hohe Fallgeschwindigkeit wurde die einströmende Luft zu einem tosenden Orkan, der die Feuer sofort ausblies wie eine Kerzenflamme.

Yxynon konnte den Sturm hören. Die Luft brauste mit ohrenbetäubender Lautstärke durch das Schiff. Sie grollte und donnerte, dass es ihm in den Ohren schmerzte. Doch er begrüßte diesen Schmerz; zeigte er ihm doch, dass sein Plan funktionierte. Und dass er noch am Leben war.

Allmählich wurde der Fall langsamer. Um das zu wissen, brauchte er nicht auf die Instrumente zu sehen. Sie wurden langsamer, das spürte er deutlich.

Aber er spürte auch noch etwas anderes, und das beunruhigte ihn: Das Schiff begann zu schlingern. Es fing langsam an, zuerst nur mit einem leichten Zittern, mal in die eine, dann in die andere Richtung. Doch es wurde schnell offensichtlich: Das Schiff driftete.

Damit hatte er gerechnet. Schließlich war es nicht für derartige halsbrecherische Flugmanöver konstruiert worden.

Er öffnete eine Frachtluke im Bug, das jetzt freilich als Heck fungierte. So konnte ein Teil der Luft nach hinten entweichen. Vielleicht reichte das ja, dem schlingern entgegenzuwirken?

Mittlerweile wusste er nicht mehr, wie hoch sie noch waren. Dafür hätte er die Instrumente ansehen müssen, aber das wollte er nicht. Er ließ den Blick lieber auf die Sonne gerichtet. Sie strahlte so schön, als wäre alles in bester Ordnung.

Yxynon saß kerzengerade im Pilotensessel, und sein Blick ging nach draußen. Das Schiff schlingerte immer noch etwas, aber nicht mehr so sehr, als er plötzlich mit unglaublicher Kraft in den Sitz gedrückt wurde. Nur einen Augenblick spürte er es; dann begannen die Schmerzen in seinem Körper und er begrüßte die Ohnmacht, die sich über ihn legte.

Das Raumschiff bohrte sich in den Boden. Das Heck, das ja schon nach der Explosion nur noch ein Trümmerfeld gewesen war, löste sich vollends auf. Der Lärm des Aufpralls und seine Wucht wurden freilich von niemandem bemerkt, da alle inzwischen ohne Bewusstsein waren. Yxynon war es gelungen, das Schiff soweit abzubremsen, dass es nicht völlig pulverisiert wurde. Außerdem war es seinen fliegerischen Künsten zuzuschreiben, dass es trotz seiner Manövrierunfähigkeit in einem Gebiet niedergegangen war, das für eine Notlandung gut geeignet war: Sie waren in einer Wüste gelandet, und in dem weichen Untergrund hatten sich die Zerstörungen in Grenzen gehalten.

Wie ein langer, überdimensionaler Dorn ragte das Schiff jetzt aus dem Sand. Die Sonne spiegelte sich auf seiner glatten Oberfläche. Allerdings war sie jetzt bedeckt von tiefen Rissen und Kratzern, und teilweise klafften in ihr sogar tiefe, schwarze Löcher. Die Feuer, die durch den Sturm gelöscht worden waren, brachen wieder aus. Die Glut war noch immer glühend, und da der Wind jetzt nicht mehr tobte, hatten die Flammen leichtes Spiel. Überall aus dem Schiff stieg schwarzer, dichter Qualm.

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