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Die neuen Postillione Erzählpassagen am Gotthard
ОглавлениеAlexander Honold
Seit spätestens Mitte des 18. Jahrhunderts stellt die von den Hauptkämmen der Alpen gebildete, geografisch weitgehend in west-östlicher Richtung verlaufende Gebirgsbarriere nicht mehr nur eine landschaftstopografische Herausforderung dar.1 Sie markiert auch und vor allem eine produktive Grenzlinie des kulturellen Imaginären, die Mitteleuropa von den Sehnsuchtsorten Italiens in einer so elementaren Weise trennt, wie die Kälte von der Wärme geschieden ist, die Nacht von der taghellen Sonne, das falsche Leben vom richtigen. Der Gotthard erhält so eine Schwellenfunktion.
Gerade die grossen Alpenpässe können als nochmals verdichtete und gesteigerte Form dieses Spannungsverhältnisses aus Verharrungskraft und Dynamik betrachtet werden, sind sie doch Schwellenorte par excellence. Die Gotthard-Region scheint mehr als andere solcher Passierstellen aus Sicht der Reisenden zu einer gewissen Eigenwilligkeit und Querständigkeit zu tendieren; die auf dieser Strecke liegenden Talschaften sind keineswegs geschaffen oder bereit, ganz und gar in dem Zweck ihrer raschen Durchquerung und Überwindung aufzugehen.