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MEIN PERSÖNLICHER BLICKWINKEL:
THEOLOGIE UND PSYCHOLOGIE

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Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, wer sich hinter diesem Buch verbirgt. Denn schließlich macht es einen Unterschied, ob ein Autor Atheist, Tierrechtler, Nationalsozialist oder Demokrat ist. Aus welcher Ecke also kommt dieses Buch, welche Gedanken liegen ihm zugrunde?4

Ich habe evangelische Theologie studiert, weil ich Pastor werden wollte, habe Psychologie studiert, weil ich mich für Seelsorge interessiert habe, und war letztendlich froh über dieses zweite Studium, als ich mich aus einem gut gegarten Eintopf von Gründen dazu entschieden habe, doch nicht Pastor zu werden. Gelandet bin ich als Psychologe dennoch oft in der Nähe von Kirche und Diakonie, wo Sinn- und Glaubensfragen in Therapie und Supervision noch offensichtlicher eine Rolle spielen, als sie es überall sonst auch tun: Ich habe einen ambulanten Hospizdienst organisiert, eine christliche Beratungsstelle für Ehe-, Lebens- und Familienfragen mitbegründet, habe viele Einzelne und Paare beraten und begleitet, Kommunikationskurse für Paare geleitet, war Supervisor in diakonischen Einrichtungen und habe Ärztinnen und Ärzte in Palliative Care ausgebildet. Bei allem ging es immer wieder um existenzielle Fragen, um lebensbedrohliche Erkrankungen und Sinnkrisen, aber auch um den ganz normalen Wahnsinn des Familien- und Berufslebens.

Ich glaube, dass beides zusammenhängt: Die Art und Weise, wie wir den ganz normalen Wahnsinn bewältigen oder auch herstellen, und diese tiefer liegenden Fragen nach dem Sinn des Lebens, über die wir oft gar nicht so bewusst nachdenken. Insofern ist dieses Buch auch eine Art Zwischenergebnis, eine Sammlung von (vorläufigen) Erkenntnisse, die aus der Begegnung mit vielen unterschiedlichen Menschen stammen.5 Nicht zuletzt stammen die Gedanken auch aus meinem eigenen bewegten Berufsleben und dem anhaltenden Versuch, ein guter Ehepartner und Vater von vier Kindern zu sein – mit wechselndem Erfolg. Vielleicht stellen Sie sich genau wie ich Fragen wie: Was ist eigentlich meine Verantwortung als Vater (oder Mutter)? Wie geht überhaupt Ehe? Wie sieht eine gute Balance zwischen Familie und Arbeit aus – oder gibt es daneben gar noch etwas anderes? Ist das gut genug, was ich hier versuche?

Viele Situationen spreche ich in dem Buch auch nicht an, entweder weil ich weder Wissen noch Erfahrung in diesen Bereichen habe oder weil sie alles viel komplizierter machen würden: Ich spreche nicht von der Situation von Familien, die mit Armut oder gesellschaftlicher Ausgrenzung zu kämpfen haben, ich spreche nicht von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften (obwohl vieles, was mit Liebe, Partnerschaft und Familie zu tun hat, hier genauso gilt) und auch extreme Belastungen wie Gewalt oder Sucht kommen nicht zur Sprache. Der Fokus des Buches liegt auf dem, was ich als Familienvater und Therapeut als normal erlebe – und das mag für manche natürlich auch deutlich von der eigenen, ganz persönlichen Normalität abweichen.

Wenn man nun wie ich Psychologie und Theologie studiert hat, kommt es zu einer hochinteressanten Spannung: Die Theologie kreist als Wissenschaft um den christlichen Glauben. Seine Geschichte, seine schriftlichen und philosophischen Grundlagen, seine praktische Umsetzung und Bedeutung werden von allen Seiten beleuchtet. Die Scheinwerfer der Theologie leuchten auf eine unsichtbare Wahrheit. Aber wenn das gut geht, entsteht durch dieses viele Leuchten wie auf der Leinwand in einem Schattentheater die Botschaft von einer Hoffnung, die unser Leben bis über den Tod hinaustragen kann. Diese Geschichte hat einen tiefen Wahrheitsanspruch.

Die Psychologie, die Wissenschaft vom Verhalten und Erleben, kümmert sich dagegen um viel irdischere Wahrheiten: um Gefühle und Beziehungen, um Gedanken und Verhaltensreaktionen der Menschen in ihren Lebenswelten. Die biologischen Grundlagen von Erleben und Verhalten, und hier vor allem das Gehirn, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Auch die Psychologie hat Hoffnung im Angebot, allerdings in viel begrenzterer Form: Hoffnung auf ein leichter gelingendes Leben im Hier und Jetzt. Es geht nicht um große Wahrheiten und eigentlich auch nicht um die Seele, obwohl »Psychologie« wörtlich übersetzt »Seelenlehre« bedeutet. Aber nach gut 150 Jahren psychologischer Forschung sind sich eigentlich alle einig: Die eine Wahrheit gibt es nicht. Und zur Existenz einer Seele schweigt die Psychologie. Sie konzentriert sich auf unsere ganz persönlichen Wahrheiten: In einem fantastisch bunten Prozess von Erwartungen, Bedürfnissen und gerichteter Aufmerksamkeit, geprägt von unserer Kultur und unseren ganz persönlichen Erfahrungen nehmen wir den beständigen Strom der Sinneseindrücke auf und bauen daraus diejenige Wahrheit, die gerade am meisten Sinn ergibt.

Wie lässt sich aber auf dieser Grundlage über den christlichen Glauben und seinen Wahrheitsgehalt und -anspruch nachdenken? Was wird aus der tiefen Glaubenshoffnung, was bleibt von Glaube, Hoffnung und Liebe (1. Korinther 13,13) in der Sprache der Psychologie? Psychologie und Theologie stehen in einer Spannung, aus der sich Energie gewinnen lässt. Hier lohnt es sich, aus beiden Richtungen, der theologischen und der psychologischen, einen Blick auf die Hoffnung und die daraus entstehenden Hoffnungsbilder zu werfen – denn auch bei der Sehnsucht nach Bullerbü geht es letztlich genau darum: Bullerbü – das ist das Konzentrat einer Hoffnung, ein Ideal- und Hoffnungsbild für das Familienleben. Wir werden jedoch schnell merken: Auch wenn wir Hoffnung brauchen, sie für uns lebensnotwendig ist, so ist doch nicht jedes Hoffnungsbild gleich gut für uns.

Der Bullerbü-Komplex

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