Читать книгу Der Bullerbü-Komplex - Lars Mandelkow - Страница 15

Hoffnungs-TÜV

Оглавление

Hoffnungsbilder auf ihre Qualität hin zu überprüfen, damit wir nicht den falschen Bildern hinterherlaufen – darum geht es beim Bullerbü-Komplex.

Wenn man sich bei modernen Familien umhört, ist viel von Druck die Rede. Von Leistungsdruck in der Schule (manchmal sogar schon im Kindergarten), von Überstunden, von dem ständigen Konflikt zwischen Arbeit und Familie. Und alles für einen guten Zweck: »Damit du später mal einen guten Beruf hast« – »Damit wir deine Ausbildung bezahlen können« – »Damit wir später auch noch ein gutes Leben haben« oder einfach »Damit wir uns den nächsten Urlaub leisten können«. Das gegenwärtige Leben scheint im Dienst des zukünftigen zu stehen. Das Dumme ist nur, dass diese Zukunft nie erreicht wird. Wenn sie einmal da ist, ist sie auch wieder nur eine Gegenwart, die dann der nächsten Zukunft zu dienen hat. Es muss nur noch dieses Projekt abgeschlossen, dieses Schuljahr geschafft werden. Dann wird es bestimmt entspannter. Das Leben verkommt in vielen Familien zu einem Slalomlauf, bei dem immer hinter der nächsten Kurve alles gut wird. Heute beherrschen Geld und Leistung das Leben, damit es morgen Ruhe und Frieden gibt.

Denn von einem »guten Leben« haben die meisten Menschen eigentlich ein klares Bild: Es ist einfach und sicher, alles ist im Gleichgewicht. Spiel, Arbeit und Ruhe wechseln einander ab, es gibt genug Kraft für alles. Alle haben ihren Platz, das Essen ist lecker und gesund. Wenn man die Augen schließt und sich dieses Leben vorstellt, erscheinen in vielen Köpfen helle Räume mit klaren Linien und skandinavischem Design. Lachende Kinder in selbst genähten Kleidern bauen sich Bretterbuden im Garten und zum Abendessen gibt es Gemüseauflauf mit Karotten und Zucchini vom eigenen Hochbeet. Wahlweise gehen auch bollerndes Kaminfeuer, Handarbeit und der Duft von Omas Plätzchen aus dem Ofen. Diese Bullerbü-Paradiesbilder würden viele moderne Mütter und Väter der Pauschalflucht in den All-Inclusive-Club am Mittelmeer vorziehen. Denn wenn es von da aus nach Hause geht, wartet ja doch wieder das Hamsterrad.

Wir haben es also mit einem Paradox zu tun: Alle wollen es einfach und schön haben, und dafür nehmen sie einen komplizierten und kräftezehrenden Alltag in Kauf. Denn »einfach und schön«, das gibt es nicht umsonst. Es gibt eine anspruchsvolle, edle Schablone dafür. Erst wenn wir die ausfüllen, wird es »immer lustig in Bullerbü«6. Ein trügerisches Hoffnungsbild. Die Hoffnung trügt, weil sie sich nicht erfüllt. Sie verschiebt sich immer genau so weit in die Zukunft, dass sie fast, aber eben doch nicht ganz erreicht werden kann und wir uns weiter ausstrecken. Wer hier an das Bild vom Esel denkt, dessen Reiter ihm eine Mohrrübe am Band vor dem Maul baumeln lässt, um ihn zum Weitergehen zu bewegen, der liegt nicht ganz falsch.

Damit ist aber noch lange nicht gesagt, dass andere Hoffnungsbilder besser sind. Zum Beispiel solche, wo »Gott« draufsteht. Im Laufe der Geschichte hat es jede Menge Versuche gegeben, Bilder vom »Reich Gottes« zu entwerfen, die dem Leben eine Richtung geben. Nicht immer mit gleichem Erfolg. Das mittelalterliche Vertrösten auf ein Leben nach dem Tod wird heute viel kritisiert – die meisten wollen zumindest zusätzlich an ein Leben vor dem Tod glauben. Auch solche Bilder-Versionen gibt es viele. Schreckliche, wie das brutale Täuferreich zu Münster in den 1530er-Jahren, wo die Idee der Gleichheit vor Gott in einem Albtraum endete. Bewundernswerte, wie die lateinamerikanische Befreiungsbewegung seit 1968, wo gepredigt wird, dass Gott sich den Armen zuwendet, um sie aus der Unterdrückung zu befreien.


Der Bullerbü-Komplex

Подняться наверх