Читать книгу Die Chroniken der Wandler - Laura Schmolke - Страница 15
Medas Prophezeiung
ОглавлениеJa, die Nacht ist endlos und ich weiß, dass es kein Erwachen geben wird. Dass sie nicht aufwachen wollen. Aber ich weiß, dass sich hinter unserer Sonne ein ganzes Universum öffnet.
Die Schüler folgten Ituma, die über den dunklen Schlosshof eilte und erst vor einer schwarzen, in der Dunkelheit kaum auszumachenden Tür stehen blieb. Nur die silbernen Zeichen, die in die Tür eingeritzt waren, leuchteten geheimnisvoll.
„Hinter dieser Tür befindet sich die Bibliothek“, erklärte Ituma leise. „Sie ist das größte Heiligtum unserer Schule, denn darin sind uralte Schriften und Zeichnungen gesammelt.“
Ihre grünen Augen leuchteten in der Dunkelheit.
Plötzlich wurde die Tür aufgezogen und eine kleine, alte Frau stand auf der Schwelle, die Ituma und die Schüler unverhohlen musterte. Dann sah sie zu den Sternen hinauf und ihr Blick verschleierte sich.
„Die Nacht ist zu klar!“ Ihre Stimme klang rau und brüchig. „Etwas Schreckliches wird geschehen! Schon bald wird die Verräterin sich zu erkennen geben!“
„Meda! Es gibt keine Verräterin!“, unterbrach Ituma die Alte. Sie klang sanft und doch bestimmt. „Du siehst Gefahren, wo keine sind!“
„Verzeih mir, Ituma.“ Meda neigte den Kopf und trat dann zur Seite, um Ituma und den Schülern den Weg frei zu machen.
Felicitas beeilte sich, Ituma zu folgen und an der Alten vorbeizukommen. Aus irgendeinem Grund war Meda ihr nicht geheuer. Ihr abwesender Blick und die geheimnisvollen Worte hatten eine seltsame Angst in ihr hervorgerufen.
„Krieg und Friede“, murmelte Ailina plötzlich und riss Felicitas dadurch aus ihren Gedanken. „Leben und Tod.“
Erst jetzt bemerkte Felicitas, dass sie durch einen langen Gang gingen, der nur spärlich von Fackeln beleuchtet wurde. Auch hier waren die Wände und die Decke mit den geheimnisvollen Symbolen beschrieben. „Hörst du sie auch?“, fragte Ailina leise. „Die Stimmen?“
„Was denn für Stimmen?“ Felicitas runzelte die Stirn.
„Sei still, dann hörst du sie.“
„Also ich höre nichts“, schaltete sich Jessy ein, verstummte dann jedoch, als Ailina einen Finger an die Lippen legte.
Wieder war es still. Nur ihre Schritte machten unnatürlich laute Geräusche auf dem feuchten Boden. Und da war noch etwas anderes. Erst jetzt hörte Felicitas es: ein leises Murmeln, Worte, die miteinander verschmolzen und klagten – über vergangene Zeiten.
„Sie erzählen Geschichten“, flüsterte Ailina. „Du hörst sie, Felicitas, nicht wahr?“
Felicitas nickte nur. Auf einmal war es ihr, als streife sie ein kalter Windzug, und sie erschauderte.
„Was sagen sie?“, fragte Felicitas leise. „Ich kann sie nicht verstehen.“
„Sie reden von einer anderen Welt. Und von einem schrecklichen Krieg“, hauchte Ailina. Dann verstummte sie plötzlich.
„Was sagen sie sonst noch?“, hakte Felicitas nach.
„Ich weiß es nicht. Mehr verstehe ich nicht.“
Felicitas sah ihre neue Freundin prüfend an. Da war etwas in Ailinas Augen, eine unterschwellige Angst, die sie zu verbergen suchte. Auf einmal war Felicitas sich sicher, dass Ailina ihr etwas verheimlichte. Doch sie hatte keine Zeit mehr, weiter nachzufragen, da der Gang in eine große Halle mündete.
Der riesige Raum war vollgestellt mit Regalen, in denen sich ledergebundene Bücher und antike Schriftrollen stapelten. An den Wänden brannten mehrere Kaminfeuer und die Fackeln warfen tanzende Schatten.
„Wow!“, hauchte Felicitas. Ihr Blick schweifte über die unzähligen Regale. Wie viel Wissen hier wohl gesammelt war?
„Ihr habt jetzt Zeit, die Bibliothek alleine zu erkunden“, verkündete Ituma. „Ihr dürft auch Bücher ausleihen, müsst sie jedoch innerhalb von drei Tagen wieder zurückgeben.“ Dann nickte sie den Schülern zu und steuerte auf Meda zu, die ihnen gefolgt war. Während sich die beiden Frauen in ein Gespräch vertieften, ging Felicitas zögernd auf eines der Regale zu.
Unwillkürlich lächelte sie, als ihr der Geruch nach Leder und feuchtem Pergament in die Nase stieg. Mit den Fingerspitzen fuhr sie über die Buchrücken und fragte sich, wie alt die Bücher wohl waren. So tauchte sie immer weiter in die Bibliothek ein. Die Stimmen der anderen Schüler blieben hinter ihr zurück und schon bald hörte sie nur noch ihre eigenen Schritte, die unangenehm laut in der Stille widerhallten.
Sie blieb stehen und sah sich um. Überall Regale, Bücher und Schriftrollen. Vorsichtig zog Felicitas eines der ledergebundenen Bücher aus dem Regal. Es war schwer und verstaubt. Felicitas wischte mit der Hand darüber, um den Titel entziffern zu können.
Drachen und andere fantastische Wesen stand dort in verschlungener Schrift. Vorsichtig schlug Felicitas das alte Buch auf und sah sich Augen in Auge mit einem blauen Drachen. Obwohl er nur gezeichnet war, glänzten seine Schuppen in allen nur erdenklichen Blautönen und dünne Äderchen durchzogen seine Flügel.
Felicitas starrte wie hypnotisiert auf das Bild. Der Drache fauchte und zeigte dabei seine langen, spitzen Zähne, und doch wirkte er gar nicht gefährlich. Eher traurig und verloren. Seine dunklen, grünen Augen blickten Felicitas fast vorwurfsvoll an.
„Wie konntest du das zulassen?“, schien der Drache sie zu fragen. Felicitas wusste nicht, wie lange sie die Zeichnung betrachtet hatte. Sie war so wunderschön, so ... so magisch. Ob Drachen wohl wirklich so ausgesehen hatten? Sie erinnerte sich an Etu, den Drachen aus ihrem Traum. Er war golden gewesen und hatte gelbe Augen gehabt.
„Dieses Buch ist uralt“, ertönte plötzlich eine tiefe, raue Stimme hinter Felicitas. Das Mädchen fuhr herum und erblickte Meda, die nur wenige Schritte von ihr entfernt stand. Wieso hatte sie die Alte nicht kommen gehört?
„Heute sind Drachen auf der Erde nur noch Märchengestalten, Fantasiewesen. Aber damals waren sie die Wirklichkeit.“
„Sie wurden gejagt“, erinnerte Felicitas sich, „und vereinten sich, um mit ihrer Magie eine neue Welt zu erschaffen.“ Wie logisch das Ganze doch auf einmal klang.
Meda nickte. Hinkend trat sie näher an Felicitas heran und sah sie eindringlich an. Das Mädchen senkte den Blick.
„Bald schon wird unsere jetzige Wirklichkeit nur noch Legende sein. Eine neue Ära wird beginnen. Bald schon. Eine Ära des Friedens. Oder des Krieges. Des Lebens. Oder des Todes. Nun liegt es allein in Onidas Hand.“ Medas Stimme zitterte.
„Wer ist Onida?“, fragte Felicitas leise.
Meda antwortete nicht. Ihr Blick war starr auf Felicitas gerichtet, doch sie schien das Mädchen nicht wirklich zu sehen. „Es gibt kein Licht ohne Schatten und keinen Tag ohne die Nacht. Wie die Sonne, so hat auch Onida zwei Seiten. Keine vermag es, die andere zu besiegen. Und nur vereint können sie Großes vollbringen.“
„Was ... was meinen Sie damit?“ Felicitas' Stimme klang heiser. Ihre Hände zitterten. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass Medas Worte wichtig waren. Sehr wichtig sogar. Dass die Alte etwas wusste, von dem noch nicht einmal Enapay eine Ahnung hatte.
„Das musst du alleine herausfinden.“ Meda lächelte. „Weiche nicht von deinem Weg ab und aus dir wird eine große Wandlerin, Felicitas Wilara.“
Dann drehte sie sich um und hinkte mit schlurfenden Schritten von Felicitas weg. Verwirrt sah diese ihr nach, unfähig, sich zu bewegen. Die rätselhaften Worte spukten noch immer in ihrem Kopf herum, doch es wollte ihr nicht gelingen, ihren Sinn zu begreifen.
„Warte!“ Endlich gelang es Felicitas, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie eilte hinter Meda her, doch als sie um eine Ecke trat, war der Gang dahinter leer. Von Meda war keine Spur zu entdecken. Es schien fast, als wäre sie vom Erdboden verschluckt worden.
„Wer ist Onida?“, fragte Felicitas noch einmal. Niemand antwortete ihr.
„Ich verstehe wirklich nicht, was ihr alle habt. Ich meine ... es sind doch nur Bücher!“ Jessy klang aufgebracht.
„Bücher erzählen uns Geschichten. Von längst vergangenen Zeiten. Aus ihnen kann man lernen“, erklärte Ailina gerade geduldig, als Felicitas zu ihnen stieß. „Wo warst du so lange?“, fragte Ailina, ohne von dem Buch, das sie gerade in den Händen hielt, aufzublicken.
Felicitas zuckte mit den Schultern. „Irgendwo weiter hinten.“
Sie überlegte, ob sie Ailina und Jessy von Meda und der rätselhaften Prophezeiung erzählen sollte, ließ es dann jedoch bleiben. Schließlich hatte sie keine Ahnung, was Medas Worte bedeuten sollten.
„Sollten wir nicht mal zu den anderen gehen?“, fragte sie stattdessen.
„Ja! Gehen wir!“ Jessy wollte sich freundschaftlich bei ihr unterhaken, erinnerte sich dann jedoch an ihre Gabe und ließ es bleiben.
Ailina seufzte leise, stellte das Buch zurück ins Regal und folgte Felicitas und Jessy. Es dauerte eine Weile, bis sie Ituma entdeckten. Die Lehrerin stand nicht weit von der Tür entfernt an die Wand gelehnt und starrte ausdruckslos vor sich hin. „Ituma?“, fragte Jessy vorsichtig.
Ituma zuckte zusammen und setzte sofort ein gekünsteltes Lächeln auf. „Ja?“
„Wir ...“ Jessy blickte Ailina Hilfe suchend an.
„Eigentlich wollten wir nur wissen, wie lange wir noch hierbleiben“, erklärte Felicitas.
„Ihr könnt so lange hierbleiben, wie ihr wollt. Die anderen sind teilweise schon gegangen. Die restliche Nacht dürft ihr so verbringen, wie ihr wollt. Achtet aber darauf, dass ihr pünktlich zum Essen im großen Saal seid.“
„Ja, natürlich!“ Jessy drehte sich um und steuerte auf die Tür zu. Als sie merkte, dass weder Ailina noch Felicitas ihr folgten, blieb sie stehen. „Kommt ihr?“
„Geht schon mal vor“, bat Felicitas, „Ich komme nach.“
Ailina warf noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Regale, dann folgte sie Jessy. Auf einmal waren Felicitas und Ituma alleine. „Ich ... wollte noch etwas fragen ...“, setzte Felicitas zögernd an.
„Was gibt es?“ Ituma zog die Augenbrauen hoch.
Felicitas holte einmal tief Luft. „Wer ist Meda?“
Ituma schien von der Frage überrascht zu sein, denn sie antwortete nicht sofort. „Enapays Schwester“, sagte sie schließlich. „Sie ist schon seit Jahren die Hüterin der Bibliothek.“
Felicitas blickte Ituma erwartungsvoll an, doch die Lehrerin sagte nichts mehr.
„Meda ... sie hat irgendetwas gesagt von Licht und Schatten und Tag und Nacht ...“, setzte sie dann an, doch Ituma unterbrach sie.
„Meda redet viel. Sie erzählt von vergangenen Kämpfen und von Verrätern, die sich angeblich in diese Schule eingeschleust haben sollen. Wenn du mich fragst, hat sie eindeutig zu viel gelesen.“
„Sie glauben ihr also nicht?“
„Nein. Und das solltest du auch nicht tun.“
Felicitas nickte langsam. Wahrscheinlich hatte Ituma recht.
„Danke.“
Als Felicitas auf die Tür zusteuerte, spürte sie Itumas Blick, der sich in ihren Rücken bohrte. Obwohl sie versuchte, Medas rätselhafte Worte aus ihrem Kopf zu verbannen, wollte es ihr nicht gelingen.
Eine neue Ära wird beginnen. Bald schon. Eine Ära des Friedens. Oder des Krieges. Des Lebens. Oder des Todes. Nun liegt es allein in Onidas Hand.
Wer war Onida? Der Name kam ihr seltsam bekannt vor, als hätte sie ihn schon einmal gehört. Sie konnte sich nur nicht mehr daran erinnern, wann und wo das gewesen war.
So in Gedanken versunken eilte Felicitas durch den langen Gang, bis sie schließlich hinaus in den Hof trat. Es war noch immer dunkel. Nur der blasse Mond und die Sterne spendeten ein wenig Licht.
Licht und Schatten. Tag und Nacht. Die Worte hallten in ihrem Kopf wider, laut und klar. Felicitas presste sich die kühle Handfläche gegen die Stirn. Was war nur los mit ihr?
***
„Lass das Mädchen in Ruhe.“ Itumas Stimme klang kalt und schneidend. „Warum verkriechst du dich nicht einfach wieder hinter deinen Büchern und behältst deine Weisheiten für dich?“ Meda sah sie lange an. Der Blick ihrer hellen, blauen Augen lag auf Ituma, bis die Lehrerin schließlich den Blick senkte.
„Sie hat das Recht, ihren eigenen Weg zu wählen“, sagte Ituma leise.
„Natürlich hat sie das“, bestätigte Meda ruhig.
„Warum tust du ihr das dann an? Warum tust du uns allen das an, Meda?“
Meda antwortete nicht. Sie starrte nur mit leerem Blick in das Feuer, das in dem kleinen Kamin vergnügt vor sich hin prasselte.
„Was ist geschehen?“, fragte Ituma leise. „Warum weigerst du dich zu kämpfen? Warum versteckst du dich hier und wartest feige auf bessere Zeiten?“
Meda ging nicht auf Itumas Beleidigung ein, sie lachte nur heiser. „Was geschehen ist? Mein Leben ist in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus! Ich musste meinen Weg wählen und ich habe mich entschieden. Und alles hinter mir zurückgelassen. Das Leben ist eine Lüge, Ituma. Eine trügerische Hoffnung, die am Ende doch nur Leid und Schmerz bringt. Aber wem erzähle ich das?“ Meda musterte sie eindringlich. „Niemand weiß das besser als du, nicht wahr?“ Die Alte trat einige Schritte auf Ituma zu, die sie regungslos anstarrte. „Du weißt, wie es ist, zwischen den Fronten zu stehen, hin- und hergerissen zu sein zwischen Liebe und Vernunft.“
„Sei still“, fauchte Ituma, „das geht dich nichts an!“
Meda schien sie nicht zu hören. „Sogar Muraco verschließt die Augen vor dem Offensichtlichen“, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu Ituma. „Er spielt seine Rolle gut – zu gut, wenn es ihm so lange gelungen ist, uns alle zu täuschen.“
„Von wem sprichst du?“
Meda zuckte zusammen, als merkte sie erst jetzt, dass Ituma immer noch da war. „Von wem?“, wiederholte sie leise. „Ja, von wem spreche ich?“ Dann schwieg sie. Den Blick starr geradeaus auf die Wand gerichtet, ohne wirklich etwas zu sehen.
Nach einer Weile drehte Ituma sich um und verließ die Bibliothek. Die Absätze ihrer Schuhe klackerten laut auf dem steinernen Boden.
Klack. Klack. Klack.
Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und Meda war wieder allein. Wie so oft.
***
Als Felicitas ihr Zimmer betrat, saß Ailina am Schreibtisch und zeichnete. Ihre langen, blonden Haare fielen wie ein Vorhang seitlich über ihr Gesicht und ihre Hand huschte routiniert über das Papier. Neben ihr lag ihr Handy und spielte leise Musik. Felicitas glaubte, das Lied irgendwoher zu kennen, erinnerte sich jedoch nicht mehr, wo sie es schon einmal gehört hatte.
Einige Sekunden lang stand sie unentschlossen in der Mitte des Raumes, dann gab sie sich einen Ruck und zog die Tür hinter sich zu.
Ailina sah auf. Ihr Blick wirkte leer, als befände sie sich in einer Art Trance.
„Hallo, Felicitas.“ Ihre Stimme klang dünn.
„Hi.“ Felicitas räusperte sich. „Was ... zeichnest du?“ Sie trat hinter ihre Freundin, doch Ailina legte ihren Arm so über die Skizze, dass Felicitas nichts erkennen konnte.
„Bilder“, sagte sie langsam, „die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich muss sie irgendwo festhalten, sonst ...“, sie lächelte unsicher, „werde ich verrückt, glaube ich.“
„Tut mir leid, ich ... wollte dich nicht stören.“
„Nein, das ist schon okay.“
Ailina schob ihre Zeichnungen zusammen und legte sie unter ihren Zeichenblock. „Wo ist Jessy?“, wollte Felicitas wissen.
„Keine Ahnung.“ Für einen kurzen Augenblick herrschte unangenehmes Schweigen. Die kahle Glühbirne an der Decke tauchte das Zimmer in ein viel zu grelles, kaltes Licht und wieder wurde Felicitas bewusst, wie fremd das hier doch alles war.
Plötzlich verspürte sie den unwiderstehlichen Drang, irgendjemanden anzuschreien, ihn verantwortlich zu machen für all das, was sie durchmachen musste. Am liebsten Enapay. Wieso hatte er sie einfach weggebracht? Ohne ihr wirklich klarzumachen, dass sie ihre Familie so lange nicht wiedersehen würde?
„Es geht uns allen so“, sagte Ailina auf einmal sanft.
Überrascht sah Felicitas sie an. „Kann man als Wandler auch Gedanken lesen?“ Ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt.
„Nein. Und man muss auch kein Wandler sein, um zu merken, wie du dich gerade fühlst.“ In Ailinas Blick war so viel Mitleid, so viel Verständnis. „Du vermisst sie. Deine Freunde, deine Familie. Besonders deine Schwester.“ Sie zögerte kurz, bevor sie fortfuhr. „Es geht uns allen so. Hast du Christiane gesehen? Die Kleine mit den kurzen, braunen Haaren? Sie ist erst dreizehn.“ Ailina starrte an Felicitas vorbei aus dem Fenster.
Felicitas wartete darauf, dass ihre Freundin noch mehr sagte, doch Ailina schwieg.
„Wieso bist du hier?“, fragte sie schließlich vorsichtig. „Hast du mit deinen Gaben auch jemanden verletzt?“
Ailina schüttelte den Kopf. „Nein“, meinte sie knapp.
Felicitas überlegte, ob sie weiter nachfragen sollte, ließ es dann aber bleiben.
„Meinst du, wir dürfen wieder nach Hause, wenn wir unsere Fähigkeiten im Griff haben?“, wollte sie stattdessen wissen. Ihre Stimme zitterte.
Ailina antwortete nicht sofort. „Nein“, sagte sie schließlich leise, „nein, das glaube ich nicht.“