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Drei Stunden später kam Gwyn Thomas aus Storm Crossing zurück – mit guten und schlechten Nachrichten.

«Die guten Nachrichten zuerst, bitte», sagte Martine, als sie ihrer Großmutter zusammen mit Ben in das Arbeitszimmer folgte. Sie machte ihrem Freund ein Zeichen, sich auf den freien Stuhl zu setzen, während sie sich auf einen Archivschrank hockte.

Gwyn Thomas hob ein offizielles Dokument in die Höhe. «Was immer es auch bringen mag, aber dies ist eine gerichtliche Verfügung, die Mr. James und seine Helfershelfer daran hindern wird, auch nur einen einzigen Mauerstein zu legen, bis zum Tag, an dem wir Sawubona offiziell verlassen müssen: Heiligabend. Nun aber zu den schlechten Nachrichten: Wir können sie nicht daran hindern, in der Zwischenzeit das Wildreservat zu betreten, so oft sie dies wünschen. Und sie dürfen so viele Architekten, Planer und Wildtierexperten wie nötig mitbringen, um die Übernahme des Reservats vorzubereiten.»

«Das ist eine unverschämte Frechheit», sagte Martine, die sich normalerweise nicht so drastisch ausdrückte, doch jetzt schien es ihr angebracht. «Wir können es nicht zulassen, dass dieser Fiesling hier seinen blöden Zoo plant und Leute nach Sawubona bringt, die unsere Tiere befummeln, während wir noch hier leben. Wenn er Jemmy auch nur mit einem Finger berührt, könnte ich mich zu einer Gewalttat hinreißen lassen. Ein kleiner Anschlag auf die Reifen seiner Blechkiste wäre noch das Harmloseste.»

«Martine!», rief Gwyn Thomas entrüstet. «Ich verbiete dir, wie eine Halbstarke zu reden. Es spielt keine Rolle, wie aufgebracht du bist. Ich verstehe ja, dass der Gedanke, Jemmy zu verlieren, dich in Rage bringt, aber das ist noch lange kein Grund, in diese Sprache zu verfallen.»

Sie stand auf und ging zum Fenster hinüber. «Was meinst du, wie ich mich fühle? Sawubona war mehr als die Hälfte meines Lebens lang meine Heimat, und hier hat auch deine Mutter gelebt, bevor du hierher gekommen bist. Sawubona war der Traum deines Großvaters, schon bevor ich ihn kennenlernte, und später wurde das Reservat unsere gemeinsame Vision. Und nun muss ich mit dem Gedanken fertig werden, dass der Mann, den ich geliebt habe, mich vielleicht hintergangen und diesen Traum an Mr. James überschrieben hat.»

Dann drehte sie sich um. «Aber weißt du, ich will es einfach nicht glauben. Dein Großvater war vielleicht nicht vollkommen, aber er war ein ehrenwerter Mann. Falls er Sawubona mit seiner Unterschrift tatsächlich an Mr. James abgetreten hat, so geschah es bestimmt mit den besten Absichten – vielleicht um mich zu schützen, damit ich nicht von unserer problematischen Finanzlage erfahren muss. Entweder das, oder jemand hat ihn unter falschem Vorwand dazu gedrängt, sein Testament abzuändern.

Doch das ist jetzt alles bedeutungslos. Ganz egal wie edel seine Absichten gewesen sein mögen, ich werde wegen seines Verhaltens mein Heim und mein Auskommen verlieren. Und das tut weh. Sehr weh sogar. Wenn kein Wunder geschieht, Martine, werden du und ich und die Katzen in zwei Wochen unsere Koffer packen und in eine Mietwohnung ziehen müssen.»

Martine versuchte, sich ihre Großmutter, die nichts so sehr liebte wie die Natur, in einer engen Stadtwohnung, weit weg von der Wildnis von Sawubona vorzustellen. Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie so egoistisch gewesen war. Der Gedanke, ihr Heim und fast alles, was sie gerne mochte, zwei Mal innerhalb eines Jahres verlieren zu müssen, hatte ihr so wehgetan, dass es ihr gar nicht in den Sinn gekommen war, wie viel schmerzhafter dasselbe Ereignis für ihre Großmutter sein musste.

«Wir dürfen nicht einfach kapitulieren», sagte sie. «Es muss einen Ausweg geben. Ein Richter muss doch verstehen, dass es vielen Tiere im Reservat ähnlich geht wie Jemmy. Sie sind Waisen oder haben ein schreckliches Leben hinter sich, sie brauchen unseren Schutz und unsere Liebe.»

Martines Großmutter verzog das Gesicht. «Wenn es um Grundeigentum geht, denken Richter leider meistens nur in Schwarz und Weiß. Ich hatte gehofft, dass sich die Unterschrift meines Mannes auf dem Testament als Fälschung herausstellen würde, aber der Handschriftenexperte meines Anwalts bestätigte ihre Echtheit.»

Es klopfte an der Tür. Es war Tendai. Mit einem traurigen Lächeln bat ihn Gwyn Thomas herein. Dann sagte sie: «Wir scheinen tatsächlich nichts tun zu können.»

Martine blickte zu Ben hinüber. Er machte das Gesicht, das er immer machte, wenn sie in einer kritischen Situation waren. Sie sah ihm an, dass er fieberhaft nach einer Lösung suchte.

Schließlich sagte er: «Und wenn es noch ein drittes Testament gibt, eines das neuer ist als das von Mr. James? Eines, das Sie als Erbin von Sawubona bezeichnet? Würde dann nicht alles anders aussehen?»

Nickend sagte Gwyn Thomas: «Sicher. Aber wenn es ein neueres Testament gäbe, hätte Henry mir davon erzählt, oder ich hätte es gefunden, als ich seine Unterlagen durchsuchte, nachdem er … gestorben war.»

Ein betretenes Schweigen erfüllte den Raum. Niemand wollte das Offensichtliche aussprechen. Doch allen war klar: Wenn Henry ihr nicht gesagt hatte, dass er Mr. James als Erben eingesetzt hatte, dann hatte er ihr vielleicht auch noch andere Dinge verschwiegen.

Martine dachte an den Großvater, dem sie nie begegnet war. Er hatte sterben müssen, weil er versucht hatte, die Eltern der weißen Giraffe vor Wilderern zu schützen. Zurück blieb ihre gebrochene Großmutter, die ihren zweiundvierzig Jahre jungen Ehemann verloren hatte. Martine sagte nochmals: «Wir dürfen nicht einfach kapitulieren. Wir müssen kämpfen.»

«Ich bin einverstanden mit dir», sagte ihre Großmutter. «Aber ich kann mir momentan nicht so richtig vorstellen, wie wir kämpfen sollen.»

«Wollen Sie, dass ich das Personal über das Schicksal von Sawubona informiere?», fragte der Wildhüter.

«Danke, Tendai. Ich würde es nicht übers Herz bringen. Deshalb wäre ich dir sehr dankbar, wenn du es übernehmen könntest.»

«Hat Mr. Thomas in den Wochen vor seinem Tod irgendetwas Ungewöhnliches gesagt?», fragte Ben. «Wirkte er manchmal besorgt oder aufgeregt?»

«Nein, ganz im Gegenteil», sagte Gwyn Thomas. «Er wirkte glücklicher als je zuvor. Er war begeistert über die Zukunft des Wildreservats und hatte jede Menge Projekte. Wenige Wochen vor seinem Tod reiste er sogar unerwartet zu einem Treffen nach England.»

Sie schlug mit der Handfläche auf den Tisch. «Ja klar, das ist es. Irgendetwas muss auf dieser Reise passiert sein. Ich weiß, dass er deine Eltern besuchen wollte, Martine. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht an den geschäftlichen Zweck seiner Reise erinnern.»

«Wann genau ist er nach England gefahren?», fragte Martine. «Wie lautet das Datum des Testaments, das Mr. James dir vorgelegt hat? Vielleicht fällt es ja in den Zeitraum dieser Reise.»

«Ich weiß nur, dass er verreist ist, als hier Winter war, aber wann genau, das müsste ich in seinem alten Pass nachsehen. Der muss doch irgendwo hier sein.»

Sie öffnete die unterste Schublade rechts in ihrem Schreibtisch und holte eine Aktenmappe hervor. Da sie den Pass nicht fand, legte sie die Mappe wieder in die Schublade zurück. Beim Versuch, sie wieder zu schließen, schien die Schublade zu blockieren. Als sie es auch mit roher Kraft nicht schaffte, riss sie sie verärgert wieder auf und griff mit der Hand tief hinein. «Irgendetwas ist hier hinten eingeklemmt», sagte sie.

Schließlich zog sie ein Bündel mit zerknittertem und zerrissenem Papier und einen steifen blauen Umschlag mit ausgefransten Ecken hervor. Vorne auf dem Umschlag stand in dicker blauer Schrift: Gwyn.

Martine war drauf und dran, ihre Großmutter zu fragen, ob sie den Brief für sich alleine lesen wolle. Doch da hatte Gwyn den Umschlag schon mit dem Brieföffner aufgerissen und die darin steckende Notiz herausgeholt und gelesen. Sie reichte sie an Martine weiter.

Liebling

Ich hoffe, es wird nie so weit kommen, dass du diesen Schlüssel brauchst. Falls du ihn je brauchen wirst, bedeutet dies, dass ich nicht weit von der Wahrheit entfernt war. Du hast mich immer als mutigen Mann gesehen. Heute fühle ich mich alles andere als mutig. Ich hoffe, du findest in deinem Herz eine Stelle, die mir vergeben kann.

In ewiger Liebe

Dein Henry

Ein paar endlos lange Minuten sagte niemand ein Wort. Niemand wusste, was er sagen sollte. Es war, als habe Henry Thomas aus dem Grab gesprochen. Schließlich fasste sich Martine ein Herz und fragte: «Was ist das für ein Schlüssel?»

Gwyn Thomas zog ihn aus dem Umschlag und studierte die Visitenkarte, die mit einer Schnur am Schlüssel hing. «Sieht so aus wie ein Schlüssel zum Schließfach einer Bank in England.»

Sie ließ sich auf den Stuhl fallen und sagte seufzend «Was bedeutet das alles? Was muss ich ihm vergeben?»

«Vielleicht haben Sie recht», warf Ben ein. «Vielleicht ist auf Mr. Thomas’s Reise nach England etwas vorgefallen.»

«Vielleicht. Aber dieses Geheimnis, wenn es wirklich ein Geheimnis gibt, hat er mit ins Grab genommen.»

«Nicht unbedingt», gab Martine zu bedenken. «Wenn du nach England fährst, findest du die Antwort vielleicht in diesem Schließfach. Du könntest der Sache nachgehen und herausfinden, was mein Großvater in England damals unternommen und wen er getroffen hatte.»

Völlig entsetzt sagte Gwyn Thomas: «Ich kann doch nicht um die halbe Welt reisen und dich allein zu Hause lassen, schon gar nicht, wenn es hier mittlerweile von Fremden nur so wimmelt. Und ich lasse Tendai ganz bestimmt nicht hier die Suppe auslöffeln, die ich ihm eingebrockt habe. Wer weiß, welche üblen Machenschaften Mr. James in petto hat.»

«Martine wird nicht allein sein», entgegnete Ben. «Ich bin ja hier und kann sie beschützen.»

Trotz ihrer Sorgen schaffte es Gwyn Thomas, sich ein Lächeln abzuringen. «Und wer soll dich beschützen, mein lieber Ben Khumalo?»

«Wir können doch Grace anrufen und sie fragen, ob sie eine Woche oder zwei bei uns wohnen kann», warf Martine ein. «So sind Ben und ich nicht allein, und Tendai hat eine Erwachsene, die ihm zur Seite stehen kann. Ein Blick von Grace, und Reuben James sucht das Weite.»

«Grace ist in Kwazulu-Natal zu Besuch bei Verwandten», gab Gwyn Thomas zu bedenken.

«Ja, aber in zwei Tagen kommt sie zurück», sagte Tendai. «So lange kann Tobias, unser neuer Wachmann, nachts auf das Haus aufpassen.»

«Ich verstehe nicht, warum wir überhaupt darüber diskutieren», protestierte Gwyn Thomas. «Das Ganze ist doch ein aussichtsloses Unterfangen! Was soll ich Tausende von Kilometern fliegen und ausgerechnet jetzt, da wir es uns nicht leisten können, ein halbes Vermögen ausgeben, nur um zu entdecken, dass es nichts zu entdecken gibt, außer dass mein Mann die Notiz zu einem Zeitpunkt geschrieben hat, als er sich schuldig fühlte, weil er von Mr. James Geld geborgt hatte.»

«Dann weißt du wenigstens, woran du bist», entgegnete Martine. «Du weißt, dass es nichts zu finden gab und du alles Menschenmögliche unternommen hast, um Sawubona zu retten.»

Doch noch während sie sprach, beschlich sie neben der schon vorhandenen Wut und Ohnmacht ein beklemmendes Angstgefühl. «Vielleicht ist es doch keine so gute Idee», sagte sie kleinlaut. «Es ist zu weit weg, und du wirst uns fehlen.»

«Nein, ich glaube, du hattest schon recht, Martine», sagte Gwyn Thomas. «Ich muss nach England, sonst werde ich mir mein ganzes Leben lang Vorwürfe machen, es versäumt zu haben. Wenn das Schicksal von Sawubona auf dem Spiel steht, muss ich fahren.»


Das Tal der Elefanten

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