Читать книгу Das Tal der Elefanten - Lauren St John - Страница 9

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Auf der Rückfahrt sprach niemand ein Wort. Lurk schniefte wehleidig vor sich hin, die anderen waren einfach nur geschockt. Und glücklich, noch am Leben zu sein.

Auch Martine wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnten, doch sie beschäftigte sich nicht weiter damit. Sie musste an die Augen des Elefanten denken. Seit sie in Sawubona war, hatte sie mehrere Begegnungen mit ausgewachsenen Elefanten gehabt. Vor allem aber war sie einem jungen Elefantenwaisen, der Shaka hieß, nahe gekommen. Und stets war sie vom weisen und freundlichen Blick dieser braunen Augen beeindruckt. Bei dem Elefanten aber, der Lurk angegriffen hatte, war das ganz anders gewesen. Aus den Augen der Elefantenkuh hatte abgrundtiefer Hass geblitzt. Sie schien nur einen Gedanken gehabt zu haben: den Fahrer zu zertrampeln und in der Luft zu zerreißen – genau so, wie sie es schließlich mit seiner Jacke getan hatte.

Als sie sich dem Haus näherten, riss sich Lurk zusammen, und als Sampson den Landrover schließlich vor dem Eingang zum Reservat zum Stehen brachte und Lurk die Schlüssel übergab, war er bereits wieder der Griesgram von vorher. Wortlos kletterte er auf den Fahrersitz und strafte Tendai mit einem giftigen Blick. Es war offensichtlich, dass er den Wildhüter für seine Pein verantwortlich machte.

Tendai wartete, bis der Landrover davongefahren war. Dann sagte er: «Ich glaube, wir können jetzt alle eine Tasse Tee vertragen.»

Zehn Minuten später saßen sie um den Küchentisch, tranken dampfend heißen Rooibos-Tee, aßen Melktert, einen mit Zimt bestrichenen Puddingkuchen, und fühlten sich sehr viel besser.

«Ich kann’s nicht verstehen», sagte Tendai. «Ich habe diese Elefantenkuh fast jeden Tag gesehen, seit sie vor drei Jahren zu uns gekommen ist. Und sie gehört zu den scheuesten und ängstlichsten Tieren des Reservats. Elefanten sind Herdentiere. Sie bewegen sich gerne innerhalb ihrer Familie, aber Angel – ich nenne sie so, weil sie unter unseren Dickhäutern stets die sanfteste war – ist immer allein und läuft schnell einmal davon. Sie hat Angst vor Menschen. Aber heute hat sie sich wie ein wild gewordener Elefantenbulle verhalten. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn Lurk seine Jacke nicht zu Boden geworfen hätte.»

«Das war Angel?», sagte Martine überrascht. Im allgemeinen Chaos hatte sie sich gar nicht überlegt, um welchen Elefanten es sich eigentlich gehandelt hatte.

In Sawubona lebten dreizehn Elefanten. Einige stammten aus einem sambischen Wildreservat mit Platzproblemen, andere waren Waisen von Tieren, die zur Bestandsregulierung aus Zuchtherden ausgesondert worden waren, und wiederum andere waren von Martines Großeltern zugekauft worden, um im Reservat ein Gleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Tieren herzustellen. Martine kannte die Geschichten der einzelnen Elefanten nicht und sie konnte sie – mit Ausnahme von zwei Tieren – auch nicht voneinander unterscheiden: Shaka, das Elefantenbaby, dem sie monatelang aus einem Eimer Milch gefüttert hatte, und Angel. Angel war kein normaler afrikanischer Elefant, sondern eine Vertreterin der Wüstenelefanten, die in Namibia, einem Nachbarland Südafrikas, heimisch waren.

Angel war für Martine so wichtig, weil sie von Stammesleuten gehört hatte, dass es diese Elefantenkuh gewesen war, die die weiße Giraffe gerettet hatte, nachdem deren Eltern nur Stunden nach ihrer Geburt getötet worden waren. Irgendwie musste Angel Jemmy die Flucht ermöglicht und ihn im Geheimen Tal in Sicherheit gebracht haben. Sie hatte ein paar Tage zuvor ein Elefantenkalb verloren und war deshalb dem betrübten und verstörten Giraffen-baby nicht nur besonders zugetan, sondern auch in der Lage, es zu säugen. Martine bedauerte es manchmal, dass ihr dieser Anblick versagt geblieben war. Auf jeden Fall blieben sich die beiden Tiere gegenseitig verbunden, und für Jemmy war Angel so etwas wie eine adoptierte Mutter.

Bei ihren Ausritten mit Jemmy war Martine dann und wann Angel nahe gekommen. Und wie Tendai hatte auch sie die Elefantenkuh als extrem scheu kennengelernt. Sie war immer allein. Entweder war sie aus der Herde ausgestoßen worden oder sie mied die anderen Tiere. Jemmy war ihr einziger Freund gewesen, doch als dieser ausgewachsen war, distanzierte sie sich auch von ihm – vielleicht um von ihrer gemeinsamen Geschichte abzulenken. Und nun war dieses scheinbar engelhafte Wesen grundlos auf sie losgegangen.

«Deshalb sage ich immer, dass man mit Wildtieren nie ein Risiko eingehen darf», sagte Tendai. «Sie sind unberechenbar wie der Wind. Man muss immer auf der Hut sein.»

«Tiere sind rätselhaft», sagte Sampson zustimmend. «Ich hätte auf das Leben meiner neun Kinder geschworen, dass dieser Büffel drauf und dran war, an einer Viruserkrankung einzugehen. Ich war überzeugt, dass er gleich sein Leben aushauchen würde, als ich euch heute Morgen angefunkt habe. Und dann ist er plötzlich auf- und davongesprungen wie ein junger Bulle!»

Lachend sagte Tendai: «Deine Augen sind nicht mehr, was sie einmal waren, Alter. Du hast wohl zu viel Zeit allein im Busch verbracht, und jetzt geht die Fantasie mit dir durch.»

Er schob den Stuhl zurück und setzte seinen Hut mit dem Zebrafellband auf. «Ich muss los. Vielleicht haben die Männer von Mr. James ja meinen Jeep geflickt.» Und mit einem schelmischen Seitenblick auf Sampson fügte er hinzu: «Schließlich gibt es hier auch Leute, die arbeiten müssen.»

«Und du nennst das, was du tust, Arbeit?», gab Sampson zurück. «Du bist doch tagaus, tagein auf Safari.» Dann gingen die beiden lachend und scherzend aus dem Haus.

Als sie weg waren, blickte Ben Martine durchdringend an und fragte sie: «Was genau ist da abgegangen mit dem Büffel im Reservat? Wie hast du ihn geheilt, einfach so?»

Mit einem nicht minder scharfen Blick gab sie zurück: «Das war die Medizin von Grace. Das hatte nichts mit mir zu tun. Diese Muti bewirkt Wunder.»

Ben ließ es dabei bewenden, denn er wusste, dass es mitunter besser ist, gewisse Dinge nicht auszusprechen.

«Ich weiß ja nicht, was du empfunden hast, aber ich hatte Todesangst, als der Elefant lostrampelte», sagte Martine, offensichtlich dankbar dafür, dass Ben nicht nachhakte. «Aber warum ging Angel so auf uns los?»

«Vielleicht hat sie etwas gesehen oder gerochen, das sie wütend gemacht hat.»

«Kann sein. Tendai hat mir gesagt, dass Elefanten nie vergessen. Studien haben bewiesen, dass Elefanten die Angehörigen verschiedener Stämme an ihrer Kleidung oder an ihrem Geruch erkennen können. Aber was hat sie denn gesehen oder gerochen?»

«Oder wen?», sagte Ben.

Martine sah ihn überrascht an. «Was meinst du damit?»

«Vielleicht war sie auf irgendeinen von uns wütend.»

«Aber warum? Wir waren immer nur gut zu ihr.» Während sie diese Worte aussprach, musste Martine an den Hass in Angels Augen denken, als sie auf Lurks Jacke herumtrampelte.

Laut röhrend sprang der Motor von Tendais Jeep an. Martine sprang auf und rannte zur Haustür. «Hey Tendai!», rief sie. «Woher stammt eigentlich Angel? Ich weiß, dass sie ein Wüstenelefant ist. Aber wie ist sie in Sawubona gelandet?»

Er blickte sie verdutzt an, während er den ersten Gang einlegte. «Ich dachte immer, du weißt das», sagte er. «Angel war ein Geschenk von Reuben James an deinen Großvater.»


Das Tal der Elefanten

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