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Kapitel 6

Gottverdammt, diese eingebildete, herablassende Kuh!« Wütend trat Lively gegen einen Stein und katapultierte ihn einige Meter durch die Luft, bevor er auf dem Boden auftraf und schließlich zum Liegen kam. Wut brannte in ihrer Brust wie ein Schmiedefeuer.

»Ich fand sie weder eingebildet noch herablassend«, entgegnete ihr Bruder »Sie hatte Angst.«

»Sie hat dauerhaft um den heißen Brei herumgeredet. Wir sind kein Stück schlauer als vorher. Reine Zeitverschwendung.«

»Wir wissen jetzt, wer Edith Blackwood war.«

Sie schnaubte. Jack hatte zwar Recht, aber sie brauchte ein Ventil für ihre schlechte Laune. Und dafür eignete sich der Gedanke an diese Aileen recht gut.

Seite an Seite steuerten sie auf die kleine Kirche zu – Kapelle könnte man sie wohl eher nennen – die am Rand des Dorfes aufragte.

Das Gemäuer hatte schon bessere Tage gesehen – und die lagen mindestens zweihundert Jahre zurück. Putz bröckelte von allen Seiten, das Portal war mehr morsch als intakt und der Glockenturm war durch den Lauf der Zeit so schief geworden, dass man jeden Moment, den man vor ihr verbrachte, das Risiko eingehen musste, von tonnenschwerem Gusseisen erschlagen zu werden. Neben der Kapelle grenzte ein kleiner Eisenzaun den Friedhof ein. Er war so niedrig, dass man getrost mit etwas Anlauf über ihn springen konnte. Trotzdem nahmen sie das offenstehende Tor.

Auch wenn der Friedhof aus kaum mehr als vier Reihen von Gräbern bestand, legte sich sofort ein beklemmendes Gefühl auf Livelys Schultern, das nur diese Art von Orten auslösen konnte. Es war kein partout schlechtes Gefühl. Eher wie ein dunkler Mantel der Stille. Einengend, aber auch beruhigend. Schwer und trotzdem erleichternd. Obwohl es taghell war, hatte sie das Gefühl, Finsternis würde sie umgeben.

»Edith Blackwood«, sagte Jack leise und ging die Reihe entlang, den Blick auf die Inschriften geheftet.

Lively schlug die andere Richtung ein, setzte einen Fuß vor den anderen und folgte der Linie der Gräber. Murmelnd bewegten sich ihre Lippen, als sie die Namen vorlas. Die Daten. Sie zwang sich dazu, die Geburtsjahre nicht von den Sterbejahren abzuziehen, denn aus Erfahrung wusste sie, dass das einem nur die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen führte.

Am Ende der Reihe hab es ein Grab ohne Namen. »Timothy« stand darauf geschrieben, in dicken Buchstaben. Darauf nur ein Jahr, vermutlich das Jahr seines Todes. Es war das Geburtsjahr von ihr und ihrem Bruder. Ein kalter Schauer lief Lively den Rücken hinab, doch sie schalte sich gleich innerlich dazu, die Nerven zu bewahren. Ein Jahr war lang und das hier sagte gar nichts aus.

»Ich habe es gefunden!« Jacks Ruf hallte zu ihr herüber und sie wandte sich von dem viel zu nackten Grabstein ab. Mit schnellen Schritten schlängelte sie sich durch die Gräber auf ihren Bruder zu, der in der Mitte des Friedhofs stand und auf sie wartete. Er hatte den Hut abgenommen und drehte ihn in seinen Händen. Schweigend nickte er zu dem Grabstein vor seinen Füßen.

»Edith Blackwood«, murmelte er. »Gestorben vor zehn Jahren.«

»Sie wurde sechzig Jahre alt«, vervollständige Lively. Sie hockte sich hin und musterte die Ruhestätte genauer. Es war irgendein Naturstein. Die Buchstaben waren nicht ganz sauber hineingemeißelt. Das Wiesenstück vor dem Stein war von flachen Kieselsteinen eingerahmt und ein vertrockneter Blumenstrauß lag darauf.

»Sie scheint nicht sonderlich viele Verehrer in diesem Dorf zu haben.« Jack hockte sich neben sie und stupste den Blumenstrauß an.

Wortlos erhob sich Lively und umrundete den Stein. Was sie dort sah, ließ sie erstarren. »Ganz im Gegenteil, befürchte ich«, murmelte sie. Auf der Rückseite prangten Worte, die in den Stein geritzt und mit rotbrauner Farbe noch einmal hervorgehoben worden waren. Unsauber, als hätten die Täter unter Zeitdruck arbeiten müssen.

»Teufelspack«, las Jack vor, als er sich neben Lively gesellt hatte. »Ganz schön harte Worte auf heiligem Boden.«

»Was auch immer unser Vater getan hat, es scheint auf sie abgefärbt zu haben. Vielleicht haben sie auch zusammengearbeitet.«

»Das glaube ich nicht«, warf Jack ein. »Jedenfalls nicht aktiv. Aileen hasst unseren Vater, aber von Edith hat sie mit Respekt gesprochen.«

Lively nickte. Sie war froh, dass ihr Bruder mitgekommen war. Er war schon immer der Klügere von ihnen gewesen.

Jack sah sie von der Seite her an und sie spürte seinen warmen Blick auf ihrer Wange. »Aber wahrscheinlich hat Aileen recht«, fuhr er fort. »Wir sollten in diesem Dorf nicht damit hausieren gehen, von wem wir abstammen.«

Lively lachte schnaubend. »Zum Glück haben wir ja noch einen anderen Nachnamen.« Aber eigentlich war ihr nicht nach Humor zu Mute. Die Anspannung in ihr wuchs nur weiter, je mehr halbgare Informationen sie bekam. Es war fast beängstigend, wie sehr sie dieser Drang immer mehr einnahm und sie so reizbar machte, dass sie Aileen eben am liebsten ins Gesicht gesprungen wäre. Aber Jack wollte sie davon nichts sagen, er machte sich ohnehin genug Sorgen.

Sie schaute zum Himmel, der von dunkelgrauen Wolken verhangen war, als würde auch an ihnen der Kohlestaub kleben. Es war kalt und sie brauchte dringend ein Dach über dem Kopf und etwas im Magen.

Zwei Straßen weiter gab es eine kleine Wirtschaft mit dem einprägsamen Namen »Zum hungrigen Raben«. In Ermangelung einer anderen Idee blieben sie vor der Tür mit dem wetterschiefen Schild stehen und traten ein.

Der Schankraum war winzig, nur drei Tische drängten sich unter drei kleine Fenster. Hinter einer hölzernen Theke stand ein bärtiger Mann und polierte Gläser.

»Wer seid ihr?«, fuhr er sie an.

»Zwei Reisende, die hoffen, hier eine warme Suppe zu bekommen. Oder ist das keine Wirtschaft?«

Der Mann musterte sie einige Sekunden lang, dann schnaubte er wieder. »Setzt euch.«

Jack steuerte auf den Tisch neben der Tür zu.

»Nicht da«, ranzte der Wirt. »Da hinten.« Mit dem Polierlappen deutete er auf den Tisch in der hintersten Ecke. Jack warf Lively einen vielsagenden Blick zu, verdrehte leicht die Augen und ging dann auf den Tisch zu, um sich an ihm niederzulassen.

Lively schälte sich aus ihrem Mantel, hing ihn über die Lehne und nahm ihrem Bruder gegenüber Platz. »Wie liebevoll.«

Ein Lächeln umspielte Jacks Lippen. »Dörfler eben.« Sein Blick zuckte in Richtung Theke, um sich zu vergewissern, dass der Wirt sie nicht belauschte.

Doch dieser hatte ihnen betont den Rücken zugedreht und polierte weiter seine Gläser. Lively wusste nicht, ob er ihren Wunsch nach Suppe ignorierte oder im hinteren Raum jemand in der Küche stand, der sie gehört hatte.

Sie legte die Hände flach auf den Tisch und atmete langsam aus. »Wir müssen überlegen, wie wir jetzt weiter vorgehen. Wir wissen nicht viel mehr als vorher.«

Jack fuhr sich durch das Gesicht, über die Nase und das unrasierte Kinn. »Vielleicht sollten wir einfach auf Aileen hören.« Seine Stimme klang unsicher. Halbherzig, als wäre er von seinen eigenen Worten selbst nicht überzeugt.

»Was meinst du?«

»Vielleicht sollten wir es einfach auf sich beruhen lassen und gehen.«

Lively schnaubte. »Ist das dein Ernst?«

Ihr Bruder hob die Schulter. »Ich weiß es nicht. Aber ich habe keine Lust, mich in Dinge zu verstricken, die ich später bereuen werde.«

Ein Lächeln hob Livelys Mundwinkel und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie unähnlich sie sich waren. Denn sie hatte verdammt große Lust, sich in Dinge zu verstricken, selbst wenn sie sie später bereuen würde. Zum Glück wusste sie genau, welche Knöpfe sie bei ihrem Bruder drücken musste, um ihn zu überzeugen. »Wenn wir jetzt gehen, wird uns die Neugierde irgendwann umbringen. Wir sind hier in der Stadt, in der unser Vater gelebt hat und wahrscheinlich auch unsere Mutter. Hier sind sie gewandelt, hier haben sie gewohnt. Vielleicht haben sie auch mal an diesem Tisch gesessen und sich über den unsäglich unfreundlichen Wirt beschwert.« Sie lächelte. »Jacky, jeder Mensch will wissen, wo seine Wurzeln sind. Auch du.«

Die Miene ihres Bruders verdüsterte sich. Doch als er nach ihrer Hand griff, wusste sie, dass sie ihn hatte. »Wir brauchen das nicht, Liv. Wir haben doch uns.«

»Bitte Jack, tu es für mich. Lass uns hierbleiben. Nur zwei Tage.«

Jack stieß langsam die Luft aus. »Zwei Tage. Aber wenn wir dann nichts gefunden haben, reisen wir ab.«

»Natürlich.« Lively lächelte. Sie fühlte sich nur kurz schlecht bei dieser Lüge.

»Und was hast du nun vor? Unsere einzige Spur führte uns gegen die Mauern von Aileens Schweigen. Ediths Grab hat uns gezeigt, wie verhasst die Blackwoods hier sind und wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemand im Dorf uns Auskunft geben wird.«

Lively lächelte. »Es wird jemanden geben, der darüber redet. Menschen sind nicht nur sensationsgierig, sondern auch heiß darauf, über andere zu tratschen.« Sie fuhr mit den Fingern die grobe Maserung des Tisches nach und warf einen Blick über die Schulter. »Wir müssen nur die richtige Person finden. Eine Person, die einmal angelockt redet wie ein Wasserfall.«

Jack straffte die Schultern und trommelte dann mit den Fingerkuppen auf dem Tisch. »Und wo finden wir diese Person?« Er schaute zur Theke. »Ob der Wirt uns wirklich ignoriert? Vielleicht solltest du meinen Geldbeutel auf den Tisch legen.«

In diesem Moment wurde die Tür mit einem Knall aufgestoßen und kalter Wind wehte hinein. Sie hörten Lachen und eine laute und aufdringliche Stimme. Der Wirt richtete sich auf und tatsächlich zeigte sich etwas auf seinem Gesicht, das entfernt an ein Lächeln erinnern könnte.

Drei Männer betraten den Raum und legten ihre Mäntel ab. Laut scherzend nickten sie sich zu und nahmen dann an dem Tisch platz, den Jack eben angesteuert hatte.

»Drei Krüge Bier«, orderte der kleinste von ihnen und der Wirt nahm sogleich eifrig Gläser vom Regal.

»Scheinbar ist ihr Geld mehr wert als unseres«, sagte Jack spitz, doch Lively reagierte nicht auf ihn. Neugierig musterte sie die Neuankömmlinge.

Der linke Mann war klein und drahtig, hatte strohblondes Haar und ein wettergegerbtes Gesicht. Der Mittlere sah ihm so ähnlich, dass sie Brüder sein mussten. Nur der rechte stach hervor. Er war größer als die beiden und hatte feine Züge, die fast jugendlich wirkten. Seine Haare waren schwarz und standen ihm in alle Richtungen vom Kopf ab. Als er lachte, überzog sich sein ganzes Gesicht mit Falten. Sein markanter Kiefer wirkte im Zusammenspiel mit seinen klaren Augen durchaus attraktiv, doch das war es nicht, was Lively interessierte. Es war eher eine Ahnung, ein sanftes Ziehen in ihrer Brust, das ihr sagte, dass sie diesem Menschen ihre Aufmerksamkeit schenken sollte.

Wieder legte er den Kopf in den Nacken und lachte. Er hatte ein einnehmendes Lachen, das jeden Winkel der Wirtschaft erfüllte. Ein Lachen, das sagte: »Hier bin ich«. Ein Lachen, das gehört werden wollte.

Der Wirt kam mit drei gefüllten Bierkrügen an. Er knallte sie auf den Tisch, sodass der Schaum zu beiden Seiten spritzte.

Lively wandte den Blick ab, bevor ihr Starren auffiel.

Jack hatte scheinbar nicht mitbekommen, wie abgelenkt sie gewesen war. Er starrte nur verträumt zur Theke.

Nun kam der Wirt mit zwei gefüllten Tellern aus einer Kammer hinter dem Schankbereich hervor und steuerte tatsächlich auf sie zu. Wortlos schob er sie auf den Tisch, sodass ein Drittel von Livelys Suppe auf dem Holz der Tischplatte landete.

»Danke«, sagte Jack, aber sie schwieg. Solch unhöflichen Menschen waren ihrer Meinung nach freundliche Worte nicht wert. Und es war schon etwas außergewöhnliches, wenn sie Menschen als unhöflich bezeichnete, denn ihre Messlatte lag wirklich nicht hoch.

Ihr Bruder machte sich gleich über das warme Essen her, aber sie würdigte es keines Blickes. Möglichst unauffällig beugte sie sich nach hinten, schob den Stuhl ein paar Zentimeter und versuchte zwanghaft, die Worte der drei Männer zu verstehen. Doch es lagen einige Meter zwischen ihnen und das Klappern von Jacks Löffel brachte sie immer wieder aus dem Konzept. Genervt warf sie ihm einen Blick zu, schluckte die giftigen Worte aber herunter.

»Sie ist meine Schwester, Chase. Sprich nicht so über sie.« Das war die Stimme des Mannes mit den schwarzen Haaren. Lively erkannte sie sofort, denn sie war ähnlich eindringlich wie sein Lachen. Unauffällig rückte sie ein weiteres Stück nach hinten, bis sie mit der Lehne gegen einen Stuhl des Nachbartisches stieß.

»Hab dich nicht so. Willst du nicht auch, dass sie langsam einen Mann fürs Leben findet?«

»Sicher, aber nicht dich.«

Lively konnte die Stimmen der beiden anderen nicht unterscheiden, was es ihr schwer machte, dem Gespräch zu folgen.

»Nur weil ihr in eurem Schlösschen wohnt, macht euch das nicht zu Adligen, Adrian. Deine Familie ist nicht besser als meine.« Das musste einer der Blonden sein. Obwohl seine Stimme am Anfang scherzhaft geklungen hatte, war sie jetzt ehrlich verärgert.

Adrian. War das sein Name? Und was meinte der andere mit Schlösschen? Sicher nichts in diesem Dorf. Eine Ahnung machte sich in ihr breit und sie zwang sich, genauer hinzuhören.

»Mag sein, trotzdem ist meine Schwester zu gut für dich. Abgesehen davon, dass sie sowieso noch nie Interesse an dir gezeigt hat und es nie tun wird.«

»Das denkst du vielleicht. Wenn du wüsstest, was sie mir in deiner Abwesenheit für lüsterne Blicke ...« Es folgte ein Schmerzensschrei und lautes Fluchen. Hoffentlich hatte er ihn gut getroffen.

Nun schaltete sich auch der dritte wieder ein und Lively schaffte es nicht mehr, das Stimmengewirr auseinanderzuhalten.

»Liv?«

Sie zuckte zusammen und schaute zu Jack, der mit seiner Hand vor ihren Augen herum wedelte.

»Was?«, fragte sie barsch.

»Bist du noch bei mir? Du hast dein Essen nicht angerührt.«

Wortlos beugte sich Lively über den Teller und schaufelte die Suppe in sich hinein. Sie schmeckte nach kaum mehr als Wasser, nur die winzigen Klöße verbreiteten etwas Aroma. Die drei Männer hinter ihr scherzten weiter und sie filterte die Informationen, die sie gerade bekommen hatte: Irgendwo in der Nähe dieses Dorfes musste es eine Art Anwesen geben, in dem Adrian und seine Schwester wohnten.

Lively hatte keine Ahnung, ob und in welcher Weise ihr das noch nützlich sein würde, aber sie gab die Hoffnung nicht auf. Dieses Dorf war nicht sehr groß, es gab nicht annähernd so viele Einwohner wie in der Stadt, in der sie lebten – es konnte also eigentlich jeder in diese Geschichte verstrickt sein, über die sich Aileen so vehement zu reden weigerte. Außerdem war da immer noch dieses merkwürdige Ziehen in ihr.

Sie hörte hinter sich Stühlerücken und warf einen schnellen Blick über die Schulter. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung, als sie sah, dass sich tatsächlich Adrian erhob, seinen Begleitern zunickte und sich auf den Weg zur Tür machte, wahrscheinlich, um sich zu erleichtern.

»Ich bin gleich wieder da«, zischte sie Jack zu. Ihr Bruder hob eine Augenbraue, fragte jedoch nicht nach. Sie würde ihm später alles erklären.

Lively wartete noch ein paar Sekunden, damit es nicht allzu auffällig war, und ging dann zur Tür und nach draußen.

Kalter Wind schlug ihr entgegen und sie verfluchte sich dafür, den Mantel drinnen gelassen zu haben. Suchend sah sie sich um und erkannte Adrian, der gerade um eine Ecke verschwand.

Sie atmete die klirrende Luft tief ein und lief ihm nach. Es lag Schnee in der Luft. Vor der Ecke bremste sie ab, umrundete sie dann und stieß fast mit Adrian zusammen, der mit verschränkten Armen auf sie wartete.

Langsam hob er eine Augenbraue, bis sie unter seinen unordentlichen Haaren verschwand. »Verfolgst du mich?« Sein Kiefer bewegte sich hin und her.

»Ja«, antwortete Lively. Es gab Situationen, in denen auch Lügen nichts mehr half.

Schweigen. Adrians Augen glitten forschend an ihr hinab und augenscheinlich versuchte er, sich daran zu erinnern, woher er sie kennen konnte. Als er einige Sekunden länger auf ihrer Oberweite verharrte, fragte er sich vermutlich, ob sie schon eine Liebschaft miteinander gehabt hatten.

»Du kennst mich nicht.«

Adrian verzog keine Miene. Er sah ihr in die Augen und sein Blick war so intensiv, dass ihr ein Schauer den Rücken hinablief. »Und was willst du dann von mir?« Er nickte nach hinten. »Eigentlich hatte ich hier draußen etwas anderes vor als zu plaudern.«

»Ich will nicht plaudern«, sagte Lively, ohne auf seine erste Frage einzugehen. »Ich wollte dich fragen, wer du bist. Und was das für ein Schlösschen ist, von dem deine Kumpanen geredet haben.«

Adrian sah sie sichtlich irritiert an. Zu recht, wenn man bedachte, wie wenig feinfühlig sie gerade vorgeprescht war. »Bist du irgendeine Verrückte?«, fragte er.

»Wie man es nimmt.« Lively legte den Kopf schief, lächelte und kam einen weiteren Schritt auf ihn zu. »Also?«

Die Maske der Irritation in seinem Gesicht löste sich auf und er lachte laut auf. Ein Schauer lief über Livelys Rücken und kurz war sie stolz, dass sie es war, der dieses Lachen galt. Ihre Mundwinkel hoben sich, jedoch kaum so, dass er es sehen konnte. Vielleicht musste sie das Spiel etwas anpassen, wenn sie noch zu einem Ergebnis kommen wollte. Sie brauchte nur ein nachvollziehbares Anliegen.

»Wir sind im Auftrag eines großen Verlagshauses unterwegs und sammeln Sagen und Legenden aus Nordengland.«

»Meine Familie ist zugezogen. Wir interessieren uns nicht für Geschichten, die die Dorfbewohner erzählen.«

»Aber bei einem Bier wird natürlich nicht geplaudert?«

Adrians Mundwinkel verzogen sich ärgerlich. »Wer bist du überhaupt?«

Lively setzte das breite Lächeln auf, dessen Wirkung sie sich durchaus bewusst war. »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verärgern. Ich bin nur verdammt neugierig und hatte das Gefühl, du kennst dich hier aus.«

Die Züge ihres Gegenübers glätteten sich wieder.

»Ich habe einen Teil eures Gesprächs am Tisch aufgeschnappt. Dein Freund hat dich aufgezogen, in einem Schloss zu wohnen. Was meinte er damit? In diesem Dorf habe ich bisher nichts gesehen, was auch nur ein bisschen edel aussieht.« Sie verengte die Augen und suchte seinen Blick. Adrian wirkte irritiert über den plötzlichen Themenwechsel, war aber scheinbar dankbar dafür.

»Ich wohne auf Whitefir-Mansion. Das ist ein Herrenhaus im Wald. Und das Einzige hier im Umkreis.« Er lachte leise und rückte seinen smaragdgrünen Hemdkragen zurecht. »Dieses Dorf macht wirklich nicht viel her. Was verschlägt euch ausgerechnet hierhin?«

Lively lächelte breit, doch weniger wegen seinen Worten als wegen der Informationen, die sie bekommen hatte. Ihre Ahnung hatte sich bestätigt. Whitefir-Mansion – auch das hatte in der Akte gestanden. Sie sah ihn noch einen langen Moment an. »Der Wald«, antwortete sie schlicht. »Man erzählt sich einiges über den Wald.« Sie neigte den Kopf ein wenig. »Ich will dich nicht länger aufhalten. Danke für die Erklärung.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und kehrte in die Wirtschaft zurück.

Blackwood

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