Читать книгу Blackwood - Lena Knodt - Страница 6

Оглавление

Prolog

Nebelschwaden ruhten auf dem Wald wie eine weißgraue Decke. Verklebt in den Spitzen der Bäume, vor dem Morgen nicht zu weichen bereit.

Ezra schaute aus dem schmalen Turmfenster hinab auf das trostlose Bild, das sich ihm bot. Seine zitternden Finger kratzten über das Fensterbrett und er zog sie in eine Faust, in der Hoffnung, sie ruhig zu stellen.

Auch er selbst fühlte sich trostlos. Rastlos zwar, merkwürdig aufgeregt, aber trostlos. Schon den ganzen Tag hatte er das Gefühl gehabt, sein Herz schlüge schneller als sonst. Das Gefühl, als hätte ihn jemand gepackt und aus dem Rahmen gerissen, in den er eigentlich gehörte.

Ezra drehte sich um, humpelte, ignorierte den stechenden Schmerz in seinem Bein, in dem vor wenigen Stunden noch bis zum Anschlag ein Messer gesteckt hatte. Der Verband war bereits von rotem Blut durchtränkt und mit jedem weiteren Tropfen floss auch ein bisschen Wärme aus seinem Körper. Ein Stück Wille, ein Stück der Barriere, die er so hartnäckig aufrechterhielt. Die er aufrechterhalten musste, um jeden Preis.

Nicht mehr lange.

Nur noch ein paar Minuten.

Schmerz zog sich in seiner Bauchhöhle zusammen, ätzte in sein Fleisch. Die Gefühle, die er die letzten Wochen, ja Monate hatte verdrängen müssen, suchten sich nun einen Weg nach draußen. Angst und Schuld. Trauer und Panik. Doch schnell schob er sie an den Rand seines Bewusstseins, bevor sie seinen Geist schwächten. Jeder kleinste Riss in seiner Selbstbeherrschung konnte tödlich sein.

Er drehte sich um und schritt in die Mitte des Raumes bis an den Teppich, auf dem ihr kalter Leichnam lag.

Reine Schönheit. Die Konturen, ihre weiche Haut. Perfektion, nur zerstört von ihrem starren Blick, den panisch aufgerissenen Augen. Von dem Blut in ihrem Haar. Und von der zerfetzten Kehle.

»Und so geht es zu Ende, Röschen«, flüsterte Ezra. Jedes Wort kratze in seinem Hals. Die Erinnerung drohte, ihn jeden Moment zu überwältigen. Aber er war standhaft. Und er hatte sich daran gewöhnt.

Ein Blick auf seine Taschenuhr verriet ihm, dass es kurz vor Mitternacht war. Schnell warf er seinen Mantel über und wollte nach dem Zylinder greifen, bevor er verharrte. Es war ihm, als spürte er ihren Blick im Nacken. Brennend, vorwurfsvoll. Er wusste nicht, was ihn dazu verleitete, aber am Ende stieg er ohne Kopfbedeckung hinab und verließ das Haus.

Der Garten war im grausigen Licht des Mondes nichts als ein Meer aus Schatten. Bedächtig ging er weiter. Seine Schritte das einzige Geräusch in der stillen Nacht.

Er sah seinen Freund schon von weitem. Er stand auf dem gepflasterten Platz vor dem Brunnen und hatte ihm den Rücken zugewandt. Als Ezra einige Meter von ihm entfernt stehen blieb, drehte er sich um. Auf seinen Lippen ein Lächeln, das seiner sonstigen Erscheinung nicht entsprechen wollte. Sein Mantel war leicht geöffnet und ein weißes, zerknittertes Hemd schaute daraus hervor. Er war unrasiert, seine Tränensäcke angeschwollen. Eine Hand hatte er halb hinter dem Rücken versteckt und ... Ezra erstarrte.

»Du bist gekommen«, sagte sein Freund. Langsam hob er die Hand und richtete den Lauf der Pistole zitternd auf das Gesicht seines Gegenübers. »Wo ist sie?«

»Was soll das?«, fragte Ezra. Die Mündung der Pistole übte eine seltsame Faszination auf ihn aus. Er musste sich zwingen, seinem Freund ins Gesicht zu sehen und nicht auf das verheißungsvolle schwarze Rohr der Waffe.

»Du weißt, dass es besser so ist.«

Ezra sah, dass die Stirn seines Freundes nass von Schweiß war.

Wut stieg in ihm auf, Wut über diese Dummheit. Sein Freund wusste genau, dass eine Kugel ihn nicht besiegen konnte.

Unter seinen Fingerkuppen begann es zu kribbeln. Langsam breitete es sich aus, über die einzelnen Glieder bis in die Handflächen. Er wollte es unterdrücken, aber gleich darauf gab er auf. Nicht heute. Heute hatte er keine Kraft dafür.

Ein unangenehm drückendes Gefühl breitete sich in Ezras Kopf aus, doch er hielt seine Miene unbewegt. Es durfte nur nicht die Maske durchbrechen, die er nach außen hin aufrechterhielt.

Dann Ruhe.

Verharren.

Ein Moment der Verheißung, der Hoffnung. Ein Moment des letzten Atemzugs.

Dann explodierte es in seinem Kopf.

In Wellen aus Hitze breitete es sich weiter aus, sammelte sich in seinem Nacken und kletterte in quälender Langsamkeit seine Wirbelsäule hinab.

Ezras Finger verkrampften sich, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Und doch stand er aufrecht. Die Frage war nur, wie lang.

»Blackwood«, raunte sein Freund. »Was tust du da?«

Doch er war nicht mehr Blackwood. Nicht mehr Ezra. Und er besaß nicht mehr die Macht über seinen eigenen Körper.

Er wurde zurückgedrängt, als sich die brennende Masse durch seine Glieder schob, sich durch seine Blutbahnen wand, bis sie zu zerplatzen drohten. Es blieb kaum mehr als ein Funke seines Bewusstseins. Und selbst um diesen Funken musste er kämpfen wie ein wildes Tier.

Er sank auf die Knie und seine Finger bohrten sich zwischen die Bodenpflaster, sein ganzer Körper verkrampfte sich. Er hustete, Blut spritzte über den Stein.

Dann ein Schuss.

Mit Wucht schleuderte er ihn zurück, doch Ezra spürte keinen Schmerz. Nur Angst und Panik. Die Barriere um sein Herz zerbrach. Erst zeigten sich nur Risse, doch sie breiteten sich in rasender Geschwindigkeit aus, bis der Wall in sich zusammenstürzte.

Nun schlugen all die Empfindungen über ihm zusammen. Es gab keinen Grund mehr, sie zurückzuhalten. Er sah wieder ihr Gesicht, blass. Ihre Lippen, grau. Die Augen aufgerissen. Augen aus Glas.

Ein zweiter Schuss.

Verdammt.

Es war anders als sonst. Es fiel ihm schwerer, den Funken zu erhalten, der ihn ausmachte. Der ihn immer wieder zurückgeführt hatte.

Es war stärker.

Dieses Mal würde es ihn zerreißen.

Blackwood

Подняться наверх