Читать книгу Blackwood - Lena Knodt - Страница 14

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Kapitel 8

Am Rande des Dorfes führte ein breiter und von Pferdekutschen-rädern zerfurchter Weg genau in den Wald hinein. Zu beiden Seiten ragten die Tannen wie düstere Torwächter auf. Obwohl die Sonne noch hoch am Himmel stand, war es kalt zwischen den Bäumen. Schwere, nadelbeladene Äste verschränkten sich über ihren Köpfen zu einer dichten Decke aus Dunkelheit.

Sie gingen in vollkommenem Schweigen nebeneinander her. Die Aufregung kroch Lively in alle Knochen, ließ ihr Herz schneller schlagen und ihren Puls flattern. Sie war begierig darauf, mehr zu erfahren, begierig auf jede kleinste Information. Auch wenn sie mit den Geschichten aus Jacks Büchern immer wenig hatte anfangen können, kam sie sich wie einer seiner Kommissare vor.

Verdammt, es fühlte sich so wahnsinnig gut an, etwas zu tun zu haben. Nicht mehr den ganzen Tag zu Hause zu sitzen und die brave Hausfrau zu spielen, die sie niemals hatte sein wollen. Endlich füllte sie ihr Leben mit einem Sinn, mit einem prickelnden, aufregenden Sinn.

»Wie weit ist es noch?«, fragte Jack nach einigen Minuten. Wie ein Kleinkind. Sie konnte seine schlechte Laune nahezu riechen und unterdrückte ein Augenrollen. »Keine Ahnung.«

Sie hörte ihn Luft holen und zu einer Antwort ansetzen, aber dann vernahm sie ein anderes Geräusch. Ein Rattern, das zügig näherkam. Schnell sprang sie zur Seite, packte Jack am Ärmel und zog ihn zwischen die erste Tannenreihe. Sie stolperte über irgendetwas am Boden und krallte sich in dem Stoff von Jacks Mantel.

»Vorsicht«, zischte er und zog sie wieder hoch.

Lively fand festen Stand und zerrte ihrem Bruder einige Schritte weiter.

Die Geräusche wurden lauter und entpuppten sich als das stetige, stumpfe Trappeln von Pferdehufen auf festgetretener Erde. Mit ansehnlicher Geschwindigkeit preschte eine schwarze Pferdekutsche an ihnen vorbei. Lively konnte einen blonden Mann auf dem Kutschbock erkennen, dann war sie wieder aus Sichtweite. Sie fuhr weiter in Richtung Dorf.

»Wofür war das jetzt?« Jack stapfte wieder in Richtung der Straße und wischte sich Tannennadeln und Dreck vom Mantel.

»Sie sollen nicht wissen, dass wir kommen.« Lively folgte ihm und warf einen weiteren forschenden Blick die Straße hinauf und hinunter. Das Hufgetrappel wurde immer leiser. Als es verklungen war, atmete sie aus.

»Was ist dann dein Plan? Wir laufen einfach zu diesem Haus, klopfen an und fragen: ´Guten Tag der Herr, könnte es sein, dass vor zweiundzwanzig Jahres einer ihrer Bediensteten Zwillinge geboren hat? Nämlich uns?´«

»Wenn es so war, wird sich irgendjemand daran erinnern können«, erwiderte Lively trocken, aber in Wahrheit hatte sie selbst noch keine Ahnung, was sie tun würden, wenn sie dort waren. Aber ihr Gefühl sagte ihr einfach, dass es die richtige Entscheidung war. Sie musste ihm vertrauen – und Jack ihr.

Lively folgte ihm in einigem Abstand. Sie zwirbelte eine ihrer Haarsträhnen um einen Finger und strich sie dann hinter das Ohr. Sie mochte den Geruch dieses Waldes. Leicht herb, erdig, aber frisch. Als sie den Blick über die Bäume zu ihrer Seite schweifen ließ, fiel ihr auf, wie merkwürdig leise es hier war. Sollte man nicht zumindest Vögel singen oder Kleintiere im Unterholz rascheln hören? Das einzige, das sie hier vernahm, waren ihre eigenen Schritte auf der dick von Tannennadeln bedeckten Erde.

Nach einigen weiteren Minuten machte die Straße plötzlich einen scharfen Knick nach rechts. Noch bevor sie an diesem angekommen waren, beschleunigte sich Livelys Herzschlag. Sie hatte da so ein Gefühl. Das Gefühl, dass sie endlich am Ziel angelangt waren.

Als sie um die Ecke bogen, bot sich ihnen ein überwältigender Anblick: Whitefir-Mansion erhob sich auf einer kleinen Anhöhe und blickte herrschaftlich auf den Wald hinab. Den Weg hinauf zierten kurze, dicke Tannen, deren Nadeln wie von einem seltsamen weißen Film überzogen schienen. Auf halben Weg nach oben befand sich ein eisernes Tor.

Das Haus selbst war ganz in schwarzem Stein gehalten, überzogen mit weißen, leicht verschnörkelten Mustern um die Fenster herum. Es war riesig, mindestens so groß wie ihr altes Kinderheim. An der ein oder anderen Ecke sah man ihm sein wohl beträchtliches Alter an, doch ansonsten wirkte es gepflegt. Durch die Tannen hindurch konnte man eine ordentliche Gartenanlage erkennen, die sich um das ganze Haus zu ziehen schien. Lively stockte der Atem. Sie konnte nicht genug von diesem Anblick kriegen. Sie merkte, dass sie wie automatisch stehengeblieben waren. Auch Jacks Blick wirkte nicht minder bewundernd.

»Wahnsinn«, hauchte er. »Wie viele Menschen mögen hier wohnen?«

»Wahrscheinlich nur eine einzige Familie mit ihren Bediensteten.« Es war recht unwahrscheinlich, dass Adrian hier mit seiner Schwester allein wohnte – sicher war nicht er der Herr dieses Hauses, sondern sein Vater oder gar sein Großvater. Aber Lively wollte keine unbegründeten Vermutungen aufstellen. Sie würden es früh genug erfahren.

Fast liebevoll strich ihr Blick noch einmal über die Fassade, dann riss sie sich los. »Wir sollten es herausfinden.«

Sie lief los und geradewegs auf das Eingangstor zu. Einige Sekunden später hörte sie Jacks Schritte hinter ihr, die sie verfolgten.

Der Weg die Anhöhe hinauf war nicht sonderlich breit und bis auf die Rillen der Pferdekutschen festgetreten.

Das Tor war offen und wurde nicht bewacht. Hier, tief im Wald und weiter weg von der nächsten Siedlung, war das kaum nötig. Die wilden Tiere hielt der knapp zwei Meter hohe Zaun ab.

Am Tor angekommen spähte Lively durch die engen Gitterstäbe. Vor dem Haus gab es einen großen runden Platz aus Kies, in dessen Mitte ein kleiner Brunnen stand. Es war weit und breit niemand zu sehen, trotzdem machten ihr die großen Fenster Sorgen. Der spärliche Einfall der Sonne hinderte sie daran, hineinzusehen, doch für die andere Richtung musste das nicht gelten.

»Bleib dicht bei mir«, zischte sie Jack zu. Das Tor quietschte kaum, war also scheinbar noch vor Kurzem geölt wurden. Sie schob es nur so weit auf, dass sie sich beide hindurchzwängen konnten, dann sah sie sich um.

»Hier rüber.« Sie schlug den Weg scharf nach links ein und lief hinter den Tannen weiter. Sie standen nicht sehr dicht, boten aber trotzdem immerhin etwas Sichtschutz. Jack folgte ihr in einigem Abstand.

Hinter dem letzten Baum blieben sie stehen. Von hier aus konnten sie am Haus vorbei die weitläufige Anlage betrachten. Akkurat geschnittene Büsche reihten sich aneinander, nur durchbrochen von einigen Bänken, die zum Verweilen einluden. Wer auch immer hier wohnte, hatte definitiv Geschmack und viel, viel Geld.

Sie ließ den Blick über den Garten schweifen und konnte niemanden entdecken. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen und schlich auf die Seite des Herrenhauses zu. Sie trat nah an die Wand, sodass sie von den Fenstern aus nicht zu sehen sein konnten. An der Ecke verharrten sie wieder. Lively beruhigte ihren klopfenden Herzschlag und beugte sich vor. Immer noch niemand. Inzwischen kam es ihr fast unheimlich vor, wie ausgestorben es hier wirkte.

»Jack«, zischte sie. »Siehst du die Tür?« Ein paar Schritte vor ihnen führte eine Treppe steil nach unten und endete nach rechts in einer kleinen hölzernen Tür. Sie stand einen Spalt breit offen.

»Nicht so voreilig.« Jack trat an sie heran und legte ihr beruhigend eine Hand zwischen die Schulterblätter. Es hatte genau die gegensätzliche Wirkung.

»Wieso?«, fragte sie gereizt.

»Eine Tür wird nicht ohne Grund offenstehen. Sicherlich ist jemand dahinter oder hat sie zu einem bestimmten Zweck offen gelassen. Außerdem kannst du nicht einfach hier einbrechen. Das ist viel zu gefährlich.«

Sie schluckte. Natürlich hatte er recht. Wenn sie jemand erwischte, der ihnen nicht wohlgesinnt war, konnte alles passieren. Vor allem ihr als Frau würden viele keine Gnade entgegenbringen. Aber sie konnte einfach nicht anders. Das Ziehen in ihren Bauch wurde so stark, dass sie nicht widerstehen konnte. Wie ein unstillbarer Durst, ein maßloses Verlangen.

Also ignorierte sie den Einwand ihres Bruders, warf einen Blick über die Schulter und rannte los. Hinter sich hörte sie ihn entnervt aufstöhnen, aber er folgte ihr trotzdem.

An der Treppe angekommen, rannte sie die ausgetretenen Stufen hinunter, riss die Tür auf und stolperte ins Dunkle. Dann wies sie sich selbst zur Vorsicht. Jack schloss hinter ihr langsam die Tür.

Verdammt, es war wirklich dunkel. So dunkel, dass Lively erst einige Sekunden bewegungslos stehenblieb, bis sich ihre Augen so weit an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, dass sie den Schemen des fensterlosen Ganges erahnen konnte.

Lively tastete sich vor und langte wie automatisch nach dem Griff der ersten Tür, der ihr zwischen die Finger kam. Verschlossen. Frustriert rüttelte sie daran und ließ ihn dann los.

»Was nun? Willst du ...« Ein ohrenbetäubendes Brüllen erschütterte den ganzen Gang und übertönte Jacks letzte Worte. Lively zuckte zusammen und wich von der Tür zurück, die sie zuvor hatte öffnen wollen. Es war ein grausames Geräusch, langgezogen und heulend, doch gleichzeitig so tief, dass der Boden unter ihren Füßen vibrierte. Es erzitterte in jedem ihrer Knochen. Sie starrte nur die Tür an, unfähig zu atmen, unfähig, sich zu bewegen.

Jack reagierte geistesgegenwärtiger als sie. Grob packte er sie am Arm und zerrte sie zu einem breiten Besenschrank einige Meter weiter. Er riss die Tür auf, schubste sie hinein und folgte ihr dann nach.

Das Brüllen ließ nach und hinterließ nichts als beängstigende Stille, in die ihr lautes Keuchen scharf hineinstach. Sie spürte Panik in sich aufsteigen. Aber sie musste sich wieder beruhigen.

»Leise!«, zischte Jack. Lively spürte, wie sich ein Arm um ihre Schulter schlang und sich seine Hand sanft, aber bestimmend auf ihren Mund und ihre Nase legte.

Schritte.

Schwere Schritte von dick bestiefelten Füßen. Sie kamen näher. Schnell, aber nicht gehetzt.

Sie liefen an ihnen vorbei und in Richtung der Tür, aus der dieses bestialische Brüllen geklungen war. Dort verharrten sie für einige Sekunden.

»Na, aufgeregt?« Die Stimme klang beinahe sanft.

Livelys Herz pochte immer noch schnell, aber Jacks Handfläche dämpfte die Geräusche ihres Atems. Der Mann im Gang schien nicht im Traum daran zu denken, dass jemand hier eingedrungen sein könnte. Genau das war wohl ihre Rettung.

Hitze stieg ihr den Hals hinauf. Es war so verdammt eng in diesem Schrank. Ihr Rücken war hart gegen Jacks Brust gepresst. Mit der freien Hand streichelte er beruhigend über ihre Schulter.

Sie hörten das Schaben einer Tür. Dann fiel sie ins Schloss.

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