Читать книгу Blackwood - Lena Knodt - Страница 8

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Kapitel 2

Einige Sekunden lang starrte Lively die Frau ertappt an. Verdammt, sie war so kurz davor. Sie spürte es einfach. »Wieso nicht? Es würde niemandem auffallen.«

»Sie sind nicht für eure Augen bestimmt.«

Lively schnaubte und richtete sich auf. In ihr brodelte es und die Nonne sollte sich lieber in Acht nehmen. Sie wollte diese Akten, sie waren der verdammte Grund, wieso sie hierhergekommen war. Also würde sie sie bekommen. »Schwester Josepha, ich bitte Sie. Es ist fünf Jahre her, dass wir dieses Heim verlassen haben. Wir werden verkraften, was Sie über uns vermerkt haben.«

Der Blick in Josephas verengten Augen traf ihren. Er war so kalt und berechnend, dass sie selbst kurz erschauderte. Wie hatte sie sich nur einbilden können, diese Frau zu täuschen? Sie kannte sie besser als die meisten anderen.

»Ich weiß, dass es die Informationen über eure Herkunft sind, auf die du aus bist.«

Ein Anflug von Triumph wallte in ihr auf. Sie schlug mit einer Hand flach auf den Tisch. »Ich wusste es! Es gibt doch welche.« Tee schwappte über den Rand ihres Bechers und spitzte auf ihre Hand. Sie zog sie zurück und ignorierte den Schmerz. »Sie haben uns immer gesagt, dass über unsere Eltern nichts bekannt war.«

Josepha schnaubte. »Das sagen wir jedem.«

Lively spürte, wie Hitze ihren Hals hinaufkroch. Sie zog die Hand auf dem Tisch zitternd in eine Faust. Wenn diese Frau ihr nicht bald …

»Lively«, sagte Jack beruhigend. Ihr Blick zuckte kurz zu ihm, aber sie beachtete ihn nicht weiter.

»Wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, wo wir herkommen.«

»Vielleicht habt ihr das.« Josepha ließ sich von Livelys Wut nicht aus der Ruhe bringen. »Doch es gibt Bestimmungen, an die ich mich halten muss.«

Das reichte! Lively sprang auf und krachend landete der Stuhl hinter ihr auf dem Boden. »Nach allem, was sie Ihnen angetan haben, halten Sie eher zu diesen Bürokraten als zu uns? Sie haben uns aufgezogen! Sie kennen uns besser als die meisten. Und das ist Ihnen nichts wert?«

Josepha schnaubte. »Ich bin nicht eure Mutter. Aber was viel wichtiger ist: Ich weiß, dass euch die Erkenntnis nicht glücklich machen wird. Ihr habt es über zwei Jahrzehnte ohne eure Eltern geschafft. Wenn ihr jetzt in eurer Vergangenheit grabt, kann das Dinge hervorbringen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Manches bleibt lieber im Verborgenen.«

»Aber es ist unsere Entscheidung!«, rief Lively aufgebracht. Es gelang ihr nicht mehr, die Verzweiflung aus ihrer Stimme fernzuhalten.

»Ja.« Jack streckte seine Hand aus und umfasste ihre. Nun wandte sie ihm doch den Blick zu. »Es ist unsere Entscheidung. Nicht deine allein.«

Fassungslos starrte Lively ihn an. Sie war so nah, so verdammt nah und jetzt war es Jack, der sich ihr in den Weg stellte? Ihr eigener Bruder? Dabei hatte sie die Akte doch nicht nur für sich, sondern für sie beide haben wollen. Forschend glitt ihr Blick über sein Gesicht. War er denn gar nicht neugierig? Sie spürte, dass seine Finger zitterten. Er hatte Angst. Trotzdem hätte er sich nicht so gegen sie stellen müssen.

Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte Jacks Griff ab. Dann schaute sie wieder zu Josepha. Vielleicht war noch nicht alles verloren. »Wollen Sie ihnen nicht eins auswischen? Der Kirche meine ich. Wie viele Jahre haben Sie für sie gearbeitet und nun treten sie Sie mit Füßen. Wenn eine Akte fehlt, werden sie das kaum merken. Aber es wäre eine stille Rebellion.« Sie wartete nicht, bis Josepha antwortete, sondern überquerte den Schritt, der sie trennte und umfasste die Hand der alten Nonne.

»Schwester Josepha«, sprach sie so eindringlich, dass sie sich nicht sicher war, ob es albern wirkte. »Wir sind erwachsen. Wir haben das Recht, selbst zu entscheiden, was mit unseren Leben geschieht. Sie sind nicht mehr die Kinderheimmutter, die ihre schützende Hand über uns halten muss. Wir sind frei. Und bevor Sie ins Exil geschickt werden, kann es Ihre letzte Tat sein, uns ein komplett freies Leben zu ermöglichen.« Lively lächelte und versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen, während sie ihren Kopf weiter nach Argumenten durchsuchte, die die Nonne überzeugen konnten. »Wie heißt es noch gleich in der Bibel?«, fragte sie. »Man soll Vater und Mutter ehren. Wie sollen wir das tun, wenn wir noch nicht einmal wissen, wer sie sind - oder wer sie waren?«

Josepha lachte trocken auf. »Wie ehrenhaft, Lively. Dabei hatte ich nie den Eindruck, du hättest der heiligen Mutter Kirche viel Aufmerksamkeit geschenkt. Schön, dass sich das in den letzten Jahren geändert hat.« Sie streifte Livelys Hände ab und erhob sich, um ihre Tassen einzusammeln. »Also gut«, sagte sie plötzlich. »Ihr bekommt die Akte.«

»Was?«, fragten Jack und Lively wie aus einem Mund. Sie konnte sich den Anflug eines Grinsens nicht verkneifen, auch wenn sie sah, dass sich in Jacks Gesicht das Gegenteil von ihrer Begeisterung spiegelte. Oder gerade deswegen.

»Unter einer Bedingung«, ergänzte die Nonne schnell.

Lively stöhnte auf, verdrehte die Augen und ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. Das wäre ja auch zu einfach gewesen. »Was sollen wir tun? Unsere erstgeborenen Kinder der Kirche opfern?«

»Sarkasmus steht dir immer noch nicht«, entgegnete Josepha trocken. »Nichts dergleichen. Aber dein Bruder hat recht. Es geht nicht nur dich etwas an, mein Kind, sondern auch ihn. Ihr werdet die Akte bekommen, wenn ihr beide zustimmt. Vor heute Abend natürlich, denn da wird sie wie all die anderen abgeholt. Danach habe ich mit diesem Kinderheim abgeschlossen.«

Lively schaute von Schwester Josepha zu ihrem Bruder, der mit überschlagenem Bein am Tisch saß und nachdenklich an die gegenüberliegende Wand starrte. Er sah blass aus.

»Ich will es nicht wissen«, sagte er leise. Seine Stimme zitterte.

»Aber wieso nicht?«, fragte Lively. »Jacky, es geht um unsere Vergangenheit. Es geht darum, wer wir sind.« Es machte sie verrückt, dass die Chance auf die Antwort auf all ihre Fragen direkt vor ihrer Nase baumelte, der Dickkopf ihres Bruders jedoch dafür sorgte, dass sie unerreichbar für sie wurde.

»Ich weiß, wer wir sind«, entgegnete Jack mit eben der Ruhe, die sie jedes Mal schier wahnsinnig werden ließ. »Wir sind Jack und Lively Harpins. Und auch wenn nur irgendeine Behörde uns diesen Namen zugeteilt hat, kann ich damit doch mehr verbinden als mit dem Namen unserer Eltern, wenn wir ihn denn herausfinden würden. Es gibt einen Grund, wieso wir nicht bei ihnen aufgewachsen sind. Einen Grund, wieso wir hier in diesen trostlosen Wänden unsere Kindheit verbracht haben und nicht in einem behüteten Zuhause. Und egal, wie er aussieht - ich glaube, es ist mir lieber, ihn nicht zu wissen. So kann ich mir jedenfalls einbilden, dass sie dazu gezwungen waren, uns wegzugeben. Dass andere Umstände der Auslöser dafür gewesen waren und nicht ...« Er schluckte.

Seine Fassade bröckelte und Lively sah, dass ihn dieses Gespräch mehr bewegte, als er es zugeben wollte. Sanft drückte sie seine Hand. Sie kannte Jack. Er war vorsichtig, er hasste Veränderungen, aber sie wusste, dass er tief in seinem Innern genauso neugierig war wie sie. Aber wenn er der Meinung war, sie beide zu beschützen, konnte er das leicht untergraben. »Aber ich will es wissen«, sagte sie leise. »Verbau mir nicht die Chance auf meine Vergangenheit. Ich werde die Akte lesen und dir nichts davon verraten, wenn du es nicht willst.«

Jack seufzte vernehmlich und führ sich mit der Hand durch das Gesicht. Lively erkannte Ringe aus Falten um seine Augen. Wieso sah er so müde aus? »Wir beide wissen, dass du das kaum für dich behalten können wirst.«

»Ich bin kein Kind mehr, Jack«, entgegnete Lively. »Wenn ich dir sage, dass ich dir nichts verrate, dann kannst du dich darauf verlassen. Und du kannst deine Meinung jederzeit ändern.«

»Genau das macht mir ja Angst.« Er schüttelte vehement den Kopf. »Meinetwegen. Nimm die Akte, wenn es dich glücklich macht. Grabe so viel in der Vergangenheit, wie du willst und buddel alle Leichen aus, die dir zwischen die Finger kommen. Aber lass mich aus dem Spiel.« Er verengte die Augen. »Keine Andeutungen.«

»Keine Andeutungen«, echote Lively.

»Kein verräterisches Lächeln.«

»Kein verräterisches Lächeln.« Lively lächelte und verdrehte die Augen. »Manchmal denke ich, ich bin in deinen Augen immer noch das kleine Mädchen, das dir im Heim Streiche gespielt hat.«

»So ist es auch«, entgegnete Jack. Er erhob sich und musterte sie auf eine merkwürdige Art und Weise. Dann nickte er in Schwester Josephas Richtung. »Gebt ihr die Akte.«

Er drehte sich um, griff beim Hinausgehen nach Mantel und Hut und flüchtete in den Regen.

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