Читать книгу In diesen Tagen - Lena Simon - Страница 10

VII

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Da liegt immer noch der Brief vom Jobcenter im Körbchen für Unerledigtes. Den hat sie doch tatsächlich völlig vergessen. Ungeduldig reißt Christina ihn auf. Ja, wie sie sich gedacht hat, es ist der Bewilligungsbescheid. Sie schaut auf die bewilligte Summe. Wie bitte? Das ist wieder weniger als sie ausgerechnet hat, ganze 49 Euro weniger. Es ist doch immer dasselbe Elend. Jetzt kann sie sich einmal mehr auf die Suche nach dem Fehler machen. Dann die Zeit opfern und stundenlang beim Jobcenter anstehen bis sie dran kommt. Als hätte sie sonst nichts zu tun. Von Hartz IV leben zu müssen ist nicht nur entwürdigend, es ist auch ein Fulltimejob, geht ihr durch den Kopf. Außerdem fehlt das Geld erst mal für den nächsten Monat. Nur jetzt nicht in den Ärger hinein steigern. Der Artikel ist wichtiger. Der muss mittags in der Redaktion sein. Eigentlich hatte sie nachmittags einkaufen wollen, aber das wird wohl nichts. Was würde sie darum geben, nicht auf das Geld vom Jobcenter angewiesen zu sein.

Sie muss die Aufstockung nicht für jeden Monat beantragen. Je nach Auftragslage verdient sie mal genug, mal auch soviel, dass sie wichtige Anschaffungen machen kann, aber manchmal auch viel zu wenig. Und genau da liegt ihrer Meinung nach das Problem. Die jungen Angestellten beim Jobcenter, einige von ihnen selbst nur auf Zeit eingestellt, mit der Option anschließend wieder arbeitslos zu sein, kriegen es einfach nicht hin, Anträge, die etwas aus der Norm fallen, richtig zu bearbeiten. Oft fehle auch die Zeit für die gebotene Sorgfalt, weil viel zu viele Vorgänge auf eine Sachbearbeiter fielen, hatte ihr eine sehr nette Sachbearbeiterin mal erzählt und sich selbst ein bisschen über die unbefriedigende Situation in ihrer Dienststelle beklagt.

So manches Mal hatte Christina überlegt, ihren Beruf ganz aufzugeben. Aber sollte sie wieder in irgendeinem Callcenter arbeiten, nur um endlich vom Jobcenter los zu kommen? Das hatte sie mehrmals probiert und einen Tinitus davon getragen. Sie hatte den Job ohnehin nicht ausgehalten. Anderen Leuten Sachen aufzudrängen, die die ganz bestimmt nicht brauchten, war nicht das was sie gut konnte. Sie hatte sich immer nur durch einen solchen Job geschleppt und nicht wesentlich mehr verdient als jetzt. Christina entschließt sich, sich einen guten Tee aufzubrühen und sich an ihren Text zu machen. Vorher noch eine Runde autogenes Training um den Kopf wieder frei zu kriegen von den quälenden Gedanken an das Jobcenter und ihre finanziellen Probleme.

Den PC stellt sie schon mal an. Der braucht auch immer länger um warm zu laufen. Längst wäre ein neuer Computer fällig. Ihrer ist bereits ein technischer Methusalem, da muss sie Thomas Recht geben. Ein Laptop wäre richtig toll, aber das Geld dafür hat sie noch nicht zusammen. Die Auftragslage ist derzeit einfach besch...eiden. Hinzu kommt, dass die Zeilen- und Pauschalhonorare so gering sind, dass man Tag und Nacht arbeiten müsste, um davon gut leben zu können, wenn man denn genug Aufträge bekäme. Die Gewerkschaft setzt sich auch nicht so richtig ein. Weg mit den deprimierenden Gedanken. Wenn das mal so einfach wäre. 'Rechtes Bein ist schwer.... Linker Arm ist schwer, linker Arm ist schwer wie Blei...Ob sie das leidige Thema Honorare für Freie beim nächsten Gewerkschaftstreffen nicht doch noch mal ansprechen sollte? Ruhig, ganz ruhig konzentrieren auf das autogene Training'.

Sie hat sich einen richtig guten Darjeeling gegönnt, der jetzt in ihrer Lieblingstasse dampft und köstlich duftet in der von Hand getöpferten Tasse, die sie sich vor zwei Jahren aus Usedom mitgebracht hatte. 'Na dann los'! Christina sichtet ihre Notizen von der Betriebsversammlung im Kaufhaus Weber. Da war die Rede davon gewesen, dass die Probleme begonnen hatten, als der Konzern die Kaufhausgebäude verkauft hatte, um sie anschließend zurück zu mieten. Für nicht minder schlüssig hielt sie die Aussage, dass die Gläubigerbanken sich weigerten die Kredite nicht, wie bisher üblich, zu erneuern. Die Geschäftsleitung hatte dem Betriebsrat auf den Weg gegeben, dass die Angestellten in diesem Jahr freiwillig auf das Weihnachtsgeld und das Urlaubsgeld verzichten könnten ebenso auf die Tariferhöhungen, die bereits im vergangenen Jahr vereinbart waren. Der Vorschlag war heftig diskutiert worden mit dem Ansinnen, dass sich dann auch das Management auf eigenen Verzicht einlassen müsste. Die Stimmung ging aber wohl mehr in die Richtung sich lieber auf Kürzungen einzulassen, wenn damit die Schließung abgewendet werden könnte, als die Arbeit zu verlieren. Sie muss Ritter anrufen und die genaue Anzahl der gefährdeten Arbeitsplätze erfragen.

„Ritter.“

„Guten Morgen Herr Ritter, hier spricht Christina Stratmann.“

„Ach, guten Morgen Frau Stratmann, was kann ich Gutes für Sie tun?“

Bei einer Insolvenz wären es an diesem Standort 591 Arbeitsplätze, die verloren gingen, einschließlich der Verwaltung und Geschäftsführung, sagt Alfons Ritter. Allerdings hoffe er zuversichtlich, dass es dazu nicht komme. Zweckoptimismus? Oder glaubt er wirklich daran?

„Waren nicht ursprünglich mehr Arbeitsplätze versprochen worden? So lange ist das doch noch gar nicht her als es hieß, das Unternehmen bringe 1000 Arbeitsplätze in die Stadt.“

Ja, das stimme schon, die Zusagen waren Bedingung für die Förderung von 1,5 Millionen Euro.

„Bis jetzt sind aber erst diese 591 Stellen eingerichtet. Die meisten Mitarbeiter wurden aus alten Häusern übernommen.“

„Zu den selben Arbeitsbedingungen?“

„Wo denken Sie hin, natürlich zu schlechteren Bedingungen und niedrigeren Löhnen“, Ritter redet sich in Fahrt.

Auch von den versprochenen Qualifizierungen sei inzwischen nicht mehr die Rede. Vor einigen Wochen erst hatte er den Geschäftsführer wieder auf Qualifizierungsmaßnahmen angesprochen, vor allem für die Frauen, die längere Zeit wegen der Kindererziehung pausiert hatten und für diejenigen, die längere Zeit arbeitslos gewesen waren. Es hatte geheißen, dass die finanzielle Lage angespannt sei und man erst abwarten wolle, wie sich die Situation entwickle. Ja, sie habe Recht, auch das Management habe ein Interesse daran, dass es nicht zur Schließung des Hauses komme, denn sonst bestünde Gefahr, dass die Förderung zurückgezahlt werden müsse. Für die nächste Woche habe ihn die Geschäftsführung zu einem Gespräch über die neueste Entwicklung eingeladen. Übermorgen werde nämlich noch einmal mit den Banken verhandelt. Er hoffe, seinen Kollegen danach über eine positive Entwicklung berichten zu können.

„Ich kann Sie ja anrufen, wenn es etwas Neues gibt.“

In diesen Tagen

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