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IV

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„Was meinst du, wie viele werden kommen?“ fragt Alfons Ritter, seine Kollegin Mia Olfen, während beide Papiere auf die bereit gestellten Stühle im großen Besprechungsraum legen.

„Meinst du, wir haben genug Kopien?“

Mia Olfen zuckt die Schultern.

„Ich weiß nicht. Steffi M. und Martina kommen jedenfalls nicht und Gönül und Simone sowieso nicht. Die Männer wollen das nicht. Steffi muss heute beim Kind bleiben, der Mann hat Nachtschicht und ich glaube, Martina kapiert noch nicht was uns demnächst bevorsteht.“

Das kennt man ja, manche werden erst wach, wenn das Haus lichterloh in Flammen steht und es bereits am eigenen Hemd züngelt.

„Wo Kati nur bleibt?“

Sie hatte sich bereit erklärt, bei den Vorbereitungen zu helfen. Da kommt sie angerannt.

„Tut mit Leid, dass ich so spät bin“, sagt sie lachend und nach Luft ringend. „Musste erst meinen Jungen zur U-Bahn bringen und bei dem Wetter bin ich vorsichtig gefahren. Es hat doch tatsächlich wieder angefangen zu schneien.“

Der Winter will in diesem Jahr kein Ende nehmen.

„Ich hol schon mal die Getränke.“

„Sind noch im Abstellraum, denk auch an die Gläser. Und draußen müssen Aschenbecher aufgestellt werden“, ruft Ritter ihr hinterher.

Noch eine viertel Stunde, dann würden hoffentlich viele der Belegschaftsmitglieder zur Versammlung kommen. Alfons Ritter hastet noch zur Toilette. Ein Blick in den Spiegel. Sitzen Frisur und Krawatte? Jetzt noch ins Büro eilen und die Unterlagen einstecken, die er auf seinem Schreibtisch bereit gelegt hatte. Ein Blick in die Notizen geworfen, hoffentlich denkt er an alles, und kann wenigstens einen großen Teil der Fragen der Kollegen zufriedenstellend beantworten. So eine Scheiß-Situation. Hätte nicht endlich mal Ruhe einkehren und alle ganz normal ihrer Arbeit nachgehen können?

Im Hintergrund hört er, wie Frauen mit ihren hohen Hacken durch den Flur klappern.

„Hallo Alfons.“

„Hallo, schön, dass du heute auch dabei bist.“

„Na, hör mal geht doch um unsere Existenz.“

„Stimmt. Ich muss rein. Bis später dann.“

Alfons betritt durch einen Seiteneingang den Besprechungsraum und atmet erleichtert aus als er sieht, dass inzwischen ziemlich viele der Kolleginnen und Kollegen eingetroffen sind. Er stellt sich so auf das kleine Podest, dass alle ihn gut sehen können. Ganz schnell verstummen die Gespräche und die Blicke sind auf ihn gerichtet.

„Guten Abend Kolleginnen und Kollegen. Ich muss euch nicht erst erklären, warum der Betriebsrat euch heute gebeten hat, zusätzliche Zeit für die Firma zu opfern, statt mit euren Lieben zu Hause gemütlich vorm Fernseher zu sitzen. Die Infos habt ihr alle bekommen und sicher aufmerksam gelesen.“

Geraune und Gemurmel in den Reihen, die vor allem mit Frauen aus allen Abteilungen besetzt sind. Auch von den Frauen, die in den Büros arbeiten, und die sich sonst selten mit den Verkäuferinnen zusammentun, sind viele dabei.

Alfons Ritter hatte seinen Kolleginnen und Kollegen bereits in einem Rundschreiben mitgeteilt, dass der Vorstand vor drei Tagen endlich, nachdem wochenlang ein Gerücht das nächste abgelöst und die Belegschaft verunsichert und erbost hatte, dem Betriebsrat gegenüber zugegeben, dass die wirtschaftliche Situation des Kaufhauses kritisch sei. Der Vorstand wolle aber alles daransetzen die Lage zu klären und keiner der Angestellten müsse Sorgen haben, seinen Arbeitsplatz zu verlieren.

Die Schließung des Hauses hatte der Geschäftsführer nicht explizit angesprochen, sie war aber in dem Gespräch gelegentlich durchgeklungen. Alfons Ritter hatte sehr mit sich gerungen, ob er das den Kollegen weiter geben sollte und sich schließlich dagegen entschieden. Er wollte Panik vermeiden. Der Geschäftsführer hatte ihm, mit einem versteckten Angebot, ihm Vorteile zu verschaffen, unmissverständlich klar gemacht, dass er Alfons Ritter dafür zu sorgen habe, dass die Gerüchteküche aufhöre zu brodeln. Schließlich sei dies ja auch in seinem Ritters Interesse und des Hauses selbst, hatte Schmieding hinzugefügt. Ritter ist erfahren genug, um auf solche Rattenfängersprüche nichts zu geben.

„Kolleginnen und Kollegen, bevor wir anfangen. Wir haben heute noch einen Gast, wie ihr inzwischen bemerkt haben dürftet. Frau Christina Stratmann von der Ost-West-Abendpost wird über unsere Probleme in ihrer Zeitung schreiben.“

Christina steht kurz auf, nickt und lächelt von ihrem Platz am äußeren Rande in der letzten Reihe den versammelten Kaufhausangestellten zu.

„Dann berichten Sie aber auch genau wie es überhaupt dazu kommen konnte“, ruft eine ältere Frau, deutlich aufgebracht in die Runde.

„Keine Sorge, das klären wir noch Helga“, erwidert Ritter.

Er fährt fort, dass Schmieding ihm vor etwa einer Stunde gesagt hatte, dass die Bank nicht, wie bisher üblich, den Kredit verlängert hat.

„Wofür brauchen wir einen Kredit? Der Laden läuft doch hervorragend. Trotz Wirtschaftskrise“, ruft eine Frau aus der Porzellanabteilung in den Saal.

Zustimmendes „Genau“ und „eben“ aus den Reihen.

„Wir haben immer schon regelmäßig Kredite aufgenommen für die Gehaltszahlungen und Lieferanten-Rechnungen. Und sie wurden ebenso regelmäßig pünktlich zurückgezahlt“, Ritter muss lauter sprechen, um den Geräuschpegel zu übertönen.

Das sei heute durchaus so üblich und habe bisher nie Schwierigkeiten bereitet. Durch die Wirtschaftskrise und die Probleme, die die Banken selber hätten, seien die Banken vorsichtiger geworden. Ritter versucht, durch Sachlichkeit und eine ruhige Stimme die Wogen zu glätten.

„Das ham wa gerne“, meint Abteilungsleiter Schmitt von Sportzubehör. „Erst setzen die Banken die Karre in den Dreck und jetzt solln wir darunter leiden, nee, nee, nich mit mir.“

„Und was willste dagegen tun?“, fragt seine Nebensitzerin.

„Ja, nix, kannste tun. Die machen doch sowieso was sie wolln, glaubste vielleicht, die interessiert, ob bei uns die Arbeitsplätze deshalb flöten gehen?“ ruft eine Frau, die weiter vorne sitzt, über die Schulter zurück.

„Kollegen darf ich noch mal um Ruhe bitten.“

Alfons Ritter versucht, sich Gehör zu verschaffen bei den aufgebrachten Kollegen. Kati Welldorf pfeift einmal kräftig auf den Fingern. Völlig perplex schrecken die Köpfe der Angestellten hoch.

„Lasst uns doch erst mal dem Alfons zuhören was er weiter dazu zu sagen hat. Noch sind nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.“

„Kati hat recht“, sagt Alfons Ritter in die plötzliche Ruhe. „Ich habe heute mit unserem Gewerkschaftssekretär an seinem Urlaubsort gesprochen. Er bedauert übrigens, dass er heute nicht hier sein kann. Also, Friedhelm Niemitz meint, wir sollten ein Gespräch mit dem Senat suchen. Schließlich hat der Senat damals einige Millionen Zuschüsse gezahlt, weil 1000 zusätzliche Arbeitsplätze versprochen wurden. Die sind bis heute nicht komplett.“

„Weiß man doch, die lügen doch sowieso alle, siehste ja. Die hatten doch nie vor, 1000 Leute einzustellen. Aber das Geld kassieren, dass könnense. Und sich selbst dicke Gehälter zahlen.“

„Also bitte, Kollegen, Ruhe jetzt. Hört doch erst mal unsere Vorschläge an. Als erstes werden wir mit der zuständigen Senatorin sprechen. Die sollen mal Druck machen auf die Firma. Die können nämlich, wenn die Auflagen nicht erfüllt werden, ihren Zuschuss zurückfordern“.

In der kommenden Woche wolle man mithilfe des Gewerkschaftssekretärs einen Termin vereinbaren. Dem Management wolle man den Vorschlag unterbreiten, eine Staatsbürgschaft zu beantragen.

„Wir werden schon eine Lösung finden. Wir müssen aber zusammenhalten“, meint Ritter.

In diesen Tagen

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