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Sie kann sich nicht entscheiden. In diesem Punkt muss Christina ihm Recht geben. Einmal mehr hatte Thomas gestern Abend davon gesprochen, eine gemeinsame Wohnung zu nehmen. Und einmal mehr war sie ihm eine eindeutige Antwort schuldig geblieben. Er war aufgestanden und ohne einen Abschiedsgruß gegangen. Seine Reaktion hatte sie traurig gestimmt und wütend auf sich selbst. Aber da ist dieses diffuse Gefühl von Panik.

Mitten in ihre trüben Gedanken hinein klingelt das Telefon.

„Guten Mooorgen! Liebe Christina, hast du gerade Zeit?“

So freundlich, da steckt doch was dahinter.

„Ich habe einen tollen Auftrag für dich. Es ist genau Dein Thema.“

„Die Redaktion am frühen Morgen! Wer auch sonst? Dann rück mal raus damit.“

„Wir müssen etwas bringen über das Weber-Kaufhaus, du weißt schon, es gibt Gerüchte über Zahlungsschwierigkeiten und Entlassungen. Ich habe einen Termin für dich ausgemacht. Für elf Uhr? Ist das in Ordnung?“

„Ja, ja. Mach ich.“

So richtig Lust auf diese Arbeit hat sie heute nicht, den Tag mit Hektik zu beginnen, ist nicht ihr Ding. Das Wetter lädt auch nicht dazu ein, aus dem Haus zu gehen. Andererseits ist sie froh, wenn sie außer der Reihe Aufträge bekommt. Und auf dem Konto zählt ohnehin jedes noch so kleine Honorar. Für die schreibende Zunft sind sie mickrig genug. Da muss sie sich schon mächtig sputen, um über die Runden zu kommen. Und wer weiß, manchmal entpuppt sich ein Auftrag, der zunächst völlig langweilig scheint, als absolut lohnend.

Sie spült noch ihre Teetasse ab, im Bad zieht sie die Lippen nach, geht mit der Bürste über ihr Haar. Auf dem Weg zum Schreibtisch im Wohnzimmer stolpert sie in der Eile über die Teppichkante, „Scheißding, das kommt demnächst weg“, kann gerade noch das Gleichgewicht halten. Sie überprüft den Akku im Fotoapparat, packt ihre Tasche und macht sich auf den Weg zur U-Bahn.

Bereits eine halbe Stunde später steht sie vor der Schaufensterfront des Kaufhauses Weber. „Heute Autogrammstunde mit Mark Medlock“, ist quer über ein überlebensgroßes Foto des Künstlers im Fenster geklebt. Darunter etwas kleiner: „Jede gekaufte CD wird signiert“.

Das Kaufhaus ist bekannt für seine publikumswirksamen Aktionen, die Käuferscharen magisch anziehen. Sie erinnert sich, dass es im vergangenen Monat eine Modenschau in der Abteilung für Damenoberbekleidung war, moderiert von einer aus der abendlichen TV-Regionalsendung bekannten Ansagerin. Mal ist es eine Kochshow in der Feinkostabteilung mit einem, der inzwischen so berühmten, Fernsehköche und mal eine Spielaktion in der Spielwarenabteilung, bei der es vom Fahrrad bis zu Buntstiften allerlei zu gewinnen gibt.

Die Veranstaltungen sind inzwischen so gefragt, dass sie in den Umsonstblättern des Bezirks beworben werden. Christina hatte vor einigen Wochen selbst an einer Autorenlesung in ihrer Lieblingsbuchhandlung teilgenommen. Sie ist überzeugt, dass diese Veranstaltungen nicht zuletzt auch deshalb so attraktiv sind, weil sie keinen Eintritt kosten. Und die Rechnung der Veranstalter scheint aufzugehen. Anschließend sind die Verkaufsstände immer von drängelnden Menschenmassen umlagert.

An der Kasse zwei in der Elektronikabteilung schlängelt sich Christina an einer schier endlosen Schlange von Käufern vorbei. Eine Verkäuferin verpackt fast ohne hinzusehen eine CD mit dem Konterfei des Künstlers und fragt ihre Kollegin, die neben ihr an der Kasse bedient: „Kommst du heute Abend zur Betriebsversammlung?“

„Nee, ich kann nicht, mein Mann hat Nachtschicht. Ich muss bei dem Kleinen bleiben. Außerdem was soll ich da noch? Die gehen ja sowieso nicht auf unsere Wünsche ein. Macht eins-fünfzig. Morgen komme ich übrigens später, muss zum Jobcenter.“

„Entschuldigung,“ fragt Christina die Verkäuferin, die die CDs verpackt, „sagen Sie mir bitte wie ich in das Büro des Geschäftsführers komme?“

„Eine Etage höher praktisch genau hier über uns.“

„Danke.“

Christina weicht einer schwer bepackten Kundin so eben noch aus. Neben ihr zieht eine junge Frau ein quengelndes Kind hinter sich her. Ein Mann, so um die fünfzig, steht gelangweilt schauend neben dem Ständer mit Winterjacken.

„Guck mal, wie findest du die?“ fragt ihn eine blond gefärbte Kurzhaarige und dreht sich hin und her vor dem Standspiegel.

„Is gut.“

Christina muss grinsen. Klingt ja nicht sehr begeistert. Die Rolltreppe hinauf. Christina folgt einem Hinweisschild mit der Aufschrift Verwaltung.

Hinter der Tür ein schmaler Flur, weiß gestrichen, schmucklos, fensterlos mit weiteren Türen rechts und links, welche ist die richtige? Ah hier - Geschäftsführung Herr Schmieding in der Zeile darunter Frau Feldkamp. Nach kurzem Klopfen ein leises: „Ja bitte herein.“ Eine Frau vielleicht Mitte dreißig, dunkles Haar mit blonder Tolle, dunkelblaues Kostüm, weiße Bluse, nach neuester Mode lackierte Fingernägel.

„Guten Morgen, mein Name ist Christina Stratmann ich komme von der Ost-West Abendpost, meine Redaktion hat einen Termin ausgemacht mit Herrn Schmieding.“

„Einen Moment, ich sage Bescheid.“

Frau Feldkamp, sie wirkt überraschend klein als sie aufgestanden ist, klopft an eine Tür zu ihrer Linken.

„Herr Schmieding, die Presse.“

Sie lächelt über ihre Schulter zurück und winkt Christina, näher zu treten. Ein großer, kräftiger Mann, ordentlich gescheiteltes blondes, leicht schütteres Haar, Christina schätzt ihn auf Ende dreißig, hellgrauer Maßanzug, erhebt sich hinter seinem riesigen modernen Schreibtisch und kommt auf sie zu. Kurzes Begrüßungsritual und gegenseitige Vorstellung.

„Bitte nehmen Sie doch Platz Frau Stratmann“, Schmieding führt Christina zu einer eleganten Sitzgruppe aus edlem mausgrauen Leder. Ein modernes, offensichtlich originales Gemälde hängt an der Wand hinter ihr, das hatte Christina gerade noch wahrgenommen bevor sie sich setzte. Der Blick aus dem Fenster zu ihrer rechten Seite führt auf eine begrünte Dachterrasse. Vermutlich war die Verkäuferin, die nicht zur Betriebsversammlung kommen kann, weil niemand sonst auf ihr Kind aufpasst, noch nie hier oben, um vom stundenlangen Stehen die müden Beine auf der Terrasse auszuruhen.

„Tja, Frau Stratmann, ihre Redaktion hatte angedeutet, dass Sie über die derzeitig schwierige Lage in unserem Hause berichten wollen.“

„Ja richtig, es geistern Gerüchte durch die Stadt, dass ihr Haus Zahlungsschwierigkeiten hat und eventuell Personal entlassen muss. Unsere Leser würden eine Schließung sehr bedauern, das wissen wir. Unsere Pflicht ist es nun, die Leser über den Stand der Dinge zu informieren.“

„Und genau da liegt unser Problem. Wir haben, wie üblich, einen weiteren Kredit bei der Bank beantragt. Heute nun haben wir erfahren, dass die Bank, nicht wie bisher gewohnt, die Zusage erteilt hat, sondern die Angelegenheit erst prüfen will. Mit Zahlungsschwierigkeiten hat das nichts zu tun, das kann ich Ihnen versichern. Aber es ist für uns eine ganz neue Situation, die uns einige Kopfschmerzen bereitet. Deshalb hat der Vorstand vorhin beschlossen, dass wir vorerst nichts an die Presse weiter geben sollen. Es tut mir Leid, dass sie den Weg nun umsonst gemacht haben. Aber ich habe den Sachstand auch eben erst erfahren.“

So ein Mist, wie soll sie daraus einen Artikel zimmern?

„Das ist mehr als schade. Offenheit wäre doch in dieser Situation für alle besser. Es könnte in der Bevölkerung leicht der Verdacht entstehen, dass hier etwas verheimlicht werden soll.“

„So dürfen sie das nicht sehen Frau Stratmann. Wir wollen keine Informationen herausgeben, die sich dann später als revisionsbedürftig herausstellen. Das müssen sie doch verstehen. Sobald wir mehr wissen, werden Sie informiert. Das kann ich Ihnen zusagen.“

Ich kann das sehen wie ich das will und verstehen muss ich gar nichts. Gerade noch rechtzeitig schluckt sie ihre Gedanken zurück. Schmieding erhebt sich.

„Auf Wiedersehen Frau Stratmann, hoffentlich unter besseren Vorzeichen.“

Sie ergreift die dargebotene, für einen Mann ungewöhnlich kleine Hand. Hatte sie nicht mal gelernt, dass immer die Frau zuerst die Hand reicht? Schließlich ist Schmieding nicht ihr Vorgesetzter. Aufgeblasener Typ. Der kann auch nur in leeren Floskeln reden. Sie hasst Redewendungen, die Herrschaftsverlangen bestätigen. Ach, was soll's.

„Auf Wiedersehen.“

Vorhin war sie schon an der Tür des Betriebsratsvorsitzenden vorbei gelaufen. Das ist die nächste Station. 'Alfons Ritter' steht am Türschild. Alfons Ritter, so um die 40 Jahre alt, schlank, kurz geschnittenes dunkles Haar mit ersten grauen Strähnen. In seinem gut sitzenden dunkelblauen Anzug und dezenter, blaurot gestreifter Krawatte, wirkt er auf sie eher wie ein aufstrebender Bankangestellter, denn als kämpferischer Betriebsrat.

Er begrüßt sie freundlich, ist aber kurz angebunden. Für die Betriebsversammlung am Abend sei viel vorzubereiten und vorher sei noch ein längeres Gespräch mit dem Geschäftsführer geplant, erklärt er.

„Kommen Sie doch heute Abend dazu, dann haben Sie die Gelegenheit, mit unseren Angestellten selbst zu sprechen. Und vielleicht können wir uns anschließend bei einem Glas Wein zusammensetzen und die Fakten besprechen.“

Die Gelegenheit lässt sich Christina nicht entgehen.

In diesen Tagen

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