Читать книгу eXtRaVaGant * Mond oder Sonne - Leona Efuna - Страница 14

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[02]

New York

Mom gibt mir knapp vierundzwanzig Stunden Zeit, mich zu verabschieden, mehr von meiner Umgebung als von den Menschen. Sie gibt mir auch Dads Adresse.

Dad heißt Julien, trägt den gleichen Nachnamen wie ich, und neben seinem Musikschullehrerberuf spielt er Klavier und Gitarre in einer Hardrockband. Von ihm habe ich wohl die Musikliebe geerbt. Wenigstens eine Sache, die wir gemeinsam haben.

Auf Google Maps scheinen mir das himmelblaue Haus und sein winziger Garten mit dem weißen Zäunchen im Stadtteil Gerritsen Beach im Süden von Brooklyn und der nahe gelegene Marine Park bekannt.

Wie etwas aus meinen Träumen.

Oder eine ferne, alte Erinnerung.

Nachdem Boston meine allererste richtige Heimat wurde, soll ich jetzt also nach New York City ziehen.

Eine Stadt, die vier Autostunden entfernt liegt.

Bei dem ersten Versuch, meine Sachen zu packen, ende ich mit einem meiner Lieblingsbücher in einer Zimmerecke. Als ich das realisiere, klappe ich das Buch zu.

Alles, was ich mache, ist nur ein Ablenkungsmanöver, programmiert von meinem Kopf, der um einiges klüger ist als mein Herz.

Ich bin froh, dass gerade Weihnachtsferien sind, sonst hätte sich die Nachricht von Robyns Unfall wie ein Waldbrand verbreitet und nicht so unscheinbar wie eine vor sich hin flackernde Kerze.

Ich stehe vor dem Haus, in dem ich meine ganze bisherige Teenagerzeit verbracht habe. Mom hievt nacheinander meine drei Koffer ins Auto und schlägt die Kofferraumtür dann schwungvoll zu. Sie ist immer noch um einiges stärker als ich. Sie meint, das komme vom Ballett. Ich sehe mit zusammengekniffenen Augen ein letztes Mal zurück und versuche, alles genau so, wie es jetzt ist, in Erinnerung zu behalten.

Old Lady Jenkins, die unter uns wohnt, öffnet die Haustür, und Fox, ihr Bulldogenmännchen, läuft ihr gehetzt hinterher, als sie auf den Gehweg tritt. Wie immer schaut ihr ausgeleiertes, altrosa Nachthemd unter ihrem Mantel hervor und ihr Gesichtsausdruck ist grimmig. Als sie uns entdeckt, wendet sie ihren Blick ab und tut so, als hätte sie uns nicht gesehen.

»Du hast alles?« Ich nicke und öffne dann die Autotür.

Ich lockere die Schnürsenkel meiner Schuhe, streife sie mir von den Füßen und kuschle mich in den Sitz.

»Paige, wir sind bald da.«

Schlaftrunken schlage ich die Augen auf, bringe meine zerzausten, quer im Gesicht verteilten Haare in Ordnung und schiebe meinen Haarreif zurecht. Unzählige Wolkenkratzer rauschen an uns vorbei. Manhattan. Vor uns liegt die Brooklyn Bridge.

Eine halbe Stunde später schlüpfe ich wieder in meine Schuhe und steige aus dem Auto, ohne sie zu binden.

Dads Haus und der Garten haben sich gut gehalten, sie sehen sogar aus, als wurde ihnen erst kürzlich wieder neues Leben eingehaucht. Sicher hat Dad einen Gärtner engagiert, ich denke nicht, dass er selbst die Blumen so schön pflanzen kann.

Ich schnappe mir einen der Koffer und klingle. Auf dem Klingel­schild steht jetzt außer ›Courtney‹ noch ›Winter‹.

Ach du Scheiße.

Dad hat es wahr gemacht und irgendeinen Studenten bei sich einziehen lassen.

Er steht in der Tür, lächelt, und nimmt mir eilig einen Koffer ab.

»Hi«, meine ich nur, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll.

Ich laufe durch den Flur.

Im Hintergrund höre ich Mom und Dad gereizt diskutieren.

Dann komme ich im Wohnzimmer an und erschrecke.

Dort sitzt ein skurril aussehender Typ, der anscheinend die Play­station wieder zum Laufen gebracht hat. Irritiert durch mein erschrockenes Fiepen dreht er sich zu mir um, steht hektisch auf und kommt auf mich zu.

Das kann doch nicht Dads Ernst sein.

»Hey Kleine, ich bin Damian. Und du siehst aus, als hättest du das dringende Bedürfnis, mir deine schmutzigsten Geheimnisse zu verraten.« Der Junge mit den langen Haaren und dem sehr ausgeprägten deutschen Akzent hält mir seine Hand hin. Ich schüttle sie, skeptisch, was das hier werden soll.

»Hey, ich bin Paige«, sage ich mit brüchiger Stimme und es ist mir unangenehm, dass er nichts darauf antwortet.

Damian, der eine Baggy und ein Shirt trägt, das ihm einige Num­mern zu groß ist, geht einen Schritt nach hinten und schaut mich abwartend an.

»Ähm.«

Wehe, du sagst es so, dass es idiotisch klingt.

»Tut mir leid, aber bist du nicht zu jung, um zu studieren?«

Damian sieht mich einen Moment lang an, bis er in schallendes Gelächter ausbricht.

Und ich komme mir wirklich vor wie eine Idiotin.

»Äh, ja.«

Super, Paige, jetzt denkt er, du wärst vollkommen bescheuert.

Als ich merke, wie mir die Hitze ins Gesicht schießt, drehe ich mich zur Treppe und versuche, meinen Koffer nach oben zu schleppen. Erfolglos. Damian geht pfeifend die Treppe neben mir nach oben.

»Möchtest du mir helfen?«, frage ich ihn, als er sich zu mir umdreht und amüsiert meine Koffer mustert, sich dann an mich wendet und gespielt nachdenklich über seine Lippen leckt.

»Was kriege ich dafür?«

»Hör auf, meine Tochter anzubaggern, Damian«, ertönt Dads Stimme von weit weg. Damian rollt mit den Augen, lässt es sich aber nicht nehmen, mir noch einmal ein Grinsen zu schenken, bevor er zwei Koffer nimmt.

»Nimm lieber erst mal einen, ich hab ziemlich gestopft.« Ich beiße auf meiner Unterlippe herum, um nicht zu schmunzeln.

»Ich geh pumpen, Kleine. Deine Köfferchen trag ich mit links.« Damian nimmt selbstsicher meine beiden Koffer und hebt sie hoch.

»Trägst du bitte noch mein drittes, leichtes Köfferchen?«, frage ich ihn lachend, als er kurz vor dem Ende der Treppe eine Pause macht.

Mein Zimmer sieht schlimmer aus, als ich es in Erinnerung habe: Gruselige Puppen sitzen auf den Regalen und die Wände sind voll mit Ponypostern. Der Schreibtisch ist zum Glück aufgeräumt, sodass ich meine alten »Kunstwerke« nicht betrachten muss. Überhaupt ist das ganze Zimmer sehr ordentlich und es sind keine Spinnenweben oder Staubkörner zu erkennen. Ich ziehe meine lila Chucks aus und stelle sie in die unterste Schublade des leeren Kleiderschranks.

Es ist schon so lange her, seit du das letzte Mal hier warst.

Mom kommt ins Zimmer. Sie sieht leicht gereizt aus, lächelt mich aber dennoch so an, wie sie es immer tut.

»Komm her, Kleines.« Mom breitet ihre Arme aus. Ihr Körper steckt in einem dunklen Blusenkleid und zum Genickbrechen hohen High Heels.

Ich umarme sie und murmle: »Mom, ohne deine Schuhe sind wir gleich groß.«

Ihr Porzellangesicht ringt sich ein leichtes Schmunzeln ab.

»Wir telefonieren.« Mom mochte dramatische Abschiede noch nie, weshalb sie sich für gewöhnlich nur auf ein paar wenige Worte beschränkt.

Ich setze ein unsicheres Lächeln auf, als ich realisiere, dass sie mich jetzt wirklich hier lassen wird. Alleine mit einem skurrilen Typen und dem Vater, den ich in Boston nie so richtig hatte.

Sie geht nach unten, ich folge ihr, da ich mich in diesem Haus wie ein ausgesetzter Welpe fühle. Unten an der Tür steht Dad, die beiden würdigen sich keines Blickes.

Ich seufze noch einmal laut, um vielleicht wenigstens ein paar Schuld­gefühle in ihr hervorzurufen, doch sie tätschelt nur einmal geistes­abwesend meine Schulter.

Als Mom im Auto sitzt, drehe ich mich zu Dad und frage neugierig: »Wer ist das?« Dad lacht, ich bin mir nicht sicher, ob er das tut, weil er die Frage amüsant findet, oder ob er mich allgemein nicht ernst nimmt.

»Damian ist der Sohn von meiner Freundin Marie.«

Dad schließt die Tür und wir gehen hinein.

»Dann erzähl, was hast du die ganze Zeit über ohne mich angestellt? Irgendwelche Jungs, über die ich Bescheid wissen sollte?«, überfällt Dad mich direkt.

Nur ungern erinnere ich mich an meine Erfahrungen mit Jungs. In der Neunten hat mich mal ein Typ verarscht. Er hieß Domenico Martini und wie Robyn sind ihm die guten Noten scheinbar mühelos zugeflogen. Das hat mich damals irgendwie ziemlich fasziniert. Domenico war im Handballteam unserer Schule, hatte eine große Klappe und sah mit seinen haselnussbraunen Haaren und Augen, den rosa Wangen und den leichten Sommersprossen ziemlich gut aus.

Dieses typische Klischee eben.

Ich dachte, er sei in mich verknallt, es war für ihn aber nur eine Art Test, um herauszufinden, mit wie vielen Mädchen er gleichzeitig rummachen konnte, ohne dass sie voneinander wussten.

Damian kommt uns im Flur entgegen und streift sich eine schwarze Bomberjacke über, während er einen Autoschlüssel in die Hosentasche seiner Baggy schiebt. »Kühlschrank ist leer. Ich hol mir was auf Coney Island, kommst du mit?«, fragt Damian mich und zieht sich seine Sneakers an. Ich nicke, während ich mir überlege, ob der Strand immer noch so aussieht, wie ich ihn in Erinnerung habe, und greife nach meiner Jacke.

Wir steigen ins Auto und je länger wir schweigen, desto unwohler fühle ich mich. »Falls du jetzt denkst, dass Julien so viel über dich geredet hat, dass ich mehr über dich weiß, als du über mich: Ja, hat er.« Damian lacht.

Und obwohl ich etwas Angst habe, dass Dad ihm irgendwelche peinlichen Geschichten über mich erzählt hat, zucken meine Mund­winkel, weil ich seinen deutschen Akzent mag.

Wir steigen aus und laufen den Broadwalk entlang bis zu einem Strandrestaurant. Damian winkt mich ins Innere. Während ich meinen Blick über die vielen dunklen Holztische schweifen lasse, bemerke ich das riesige Fenster mit Blick auf den Strand und das Meer. Die Sonne geht gerade unter und es sieht atemberaubend schön aus.

Ich laufe neben Damian durch die Tischreihen. Neben dem letzten Tisch, an dem ein junger Mann mit schwarzen Haaren sitzt, bleibt er stehen.

Als er uns bemerkt, sieht er hoch und steht im nächsten Moment breit grinsend auf.

Der Geruch von Zimt weht mir entgegen.

»Das ist Curtis.« Damian deutet auf den Typen und setzt sich gegenüber von Curtis auf die Bank.

»Ich bin Paige«, murmle ich kaum hörbar, als ich checke, dass Damian ihm nicht sagen wird, wer ich bin. Curtis reicht mir seine Hand, die silbernen Ringe an seinen Fingern fühlen sich kalt an. Vielleicht sagt er nichts, weil er weiß, dass Damian mich mit seiner Begrüßung schon genug verstört hat.

»Ich weiß«, sagt Curtis und sieht mich durch seine hellbraunen Augen an.

»Was?« Das Wort verlässt meinen Mund, bevor ich nur eine Se­kunde darüber nachdenken konnte.

»Wer du bist.«

Für einen Moment hört die Welt auf, sich zu drehen, und Curtis sieht mir so intensiv in die Augen, als würde er mehr in ihnen sehen als das Braun und das Gold und das Schwarz. Ein Mann tritt an unseren Tisch und Curtis dreht sein Gesicht von mir weg.

Kann ein Herz so stark klopfen, dass es aus der Brust springt?

Ich schätze, der Mann mit der Schürze vor unserem Tisch möchte wissen, was wir bestellen, da Curtis’ Mund sich öffnet und seine Lippen sich bewegen.

Ich verstehe nicht, was er sagt.

Aber das ist auch nicht wichtig, weil ich ihn einfach nur anschauen möchte.

Irgendwann liegen drei Augenpaare auf mir und ich räuspere mich: »Ich nehme einmal Pommes mit Ketchup, bitte.«

Ich warte auf die Stimme in meinem Kopf, aber sie bleibt aus. Der Mann mit der Schürze notiert sich unsere Essenswünsche und verlässt den Tisch.

Während Curtis und Damian sich halblaut auf Deutsch unterhalten, kaue ich jede einzelne Fritte, als wäre sie ein Stück Gummi, nur um nicht so teilnahmslos auszusehen.

Ich halte für einen Moment inne. Wo bleibt das zuckersüß-fiese: Ich weiß, dass du es hasst, vor anderen Menschen zu essen, meiner inneren Stimme, die sich sonst alles andere als ruhig verhält, wenn es um Essen oder irgendwelche jungen Männer geht, die mich ein bisschen zu intensiv ansehen?

Nicht, dass das oft passieren würde.

Aber da ist kein samtweiches Flüstern oder Einhauchen böser Gedanken. Nur eine friedliche Ruhe, die mich an längst vergangene Sommer in Brooklyn erinnert.

Aus dem Radio tönt Nirvana. Ich versuche krampfhaft, nicht an Robyn zu denken.

Damians Handy klingelt. Er bedeutet mir aufzustehen, damit er durch kann.

»Du zahlst«, sagt Damian zu Curtis, während er durch den Gang nach draußen verschwindet. Ich starre noch für ein paar Sekunden auf die geschlossene Tür, bis ich begriffen habe, dass er mich alleine mit Curtis zurückgelassen hat. Nervosität breitet sich von meinem Bauch bis in die Fingerspitzen aus.

Curtis kramt ein paar Scheine aus seiner Jeanstasche und legt sie auf den Tisch, bevor er aufsteht und in einer fließenden Bewegung seinen Mantel anzieht. Ich bin nicht gut darin, die Größe anderer Menschen zu schätzen, aber Curtis ist einen Kopf größer als ich, also sicher fast zwei Meter groß.

Als ich mit wackeligen Beinen aufstehe, merke ich, dass mein Unter­bewusstsein sich noch immer ungewohnt schweigsam verhält. Meine innere Stimme hört normalerweise auf, meine Aktionen stumm zu beobachten, wenn ich beginne, klar introvertiert zu handeln. Für eine lange Zeit keine Worte mit anderen Menschen zu wechseln, sieht sie als Aufforderung, mich zuzutexten. In mir ist es nie still. Entweder höre ich sie oder die Menschen.

Ich laufe neben Curtis aus dem Restaurant. Er kramt in seiner Jacken­tasche nach Zigaretten und zündet sich eine an. Ich beobachte ihn stumm und wir laufen wie selbstverständlich nebeneinander nach unten zum Strand. Unser Atem hinterlässt Wolken in der eiskalten Winterluft um uns herum.

»Warst du schon mal auf Coney Island, Paige?«, fragt er mich und zieht an seiner Zigarette. Wenn Menschen beginnen, Fragen zu stellen, ist es meistens nicht, weil sie möchten, dass ich etwas sage, sondern weil sie bemerken, dass es in einer Konversation nicht darum geht, möglichst viel Zeit damit zu verbringen, Monologe zu führen, während das Gegenüber nur nickt und schweigt.

Aber bei Curtis ist mir das egal.

Er sieht aus wie jemand, der eigentlich viel zu erzählen hat, es aber nie wirklich macht.

Erinnerungen flackern vor meinem inneren Auge auf, mein Herz klopft ungesund schnell, als ich meinen Mund öffne, um zu antworten: »Als ich zehn war, hat mein Dad hier den ganzen Sommer über jeden Tag mit mir schwimmen geübt.«

Curtis deutet ein Lächeln an und atmet den Rauch aus. Eine schwar­ze Haarsträhne löst sich aus seiner Sonnenbrille und fällt ihm in die Stirn.

»Du bist also Juliens Tochter.« Wieder sagt er es mehr so, als würde er seine Gedanken aussprechen, und nicht so, als würde er eine Antwort von mir verlangen, also nicke ich nur unmerklich und mustere ihn verstohlen von der Seite.

»Du redest nicht so gerne, kann das sein?« Curtis’ Mundwinkel zucken, als er seinen Kopf in meine Richtung dreht und mich anschaut. Das Hellbraun seiner Augen wirkt wie flüssiges Gold.

Ich räuspere mich, öffne meinen Mund und schließe ihn wieder, nur um danach nervös auf meiner Unterlippe herumzukauen. »Meistens ist es in meinem Kopf laut genug.«

In diesem Moment höre ich das Meer rauschen und die Seevögel schreien, aber in mir ist es still. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so alleine in meinen Gedanken umherwandern konnte, ohne darauf bedacht sein zu müssen, beobachtet zu werden. Dieses neue Gefühl ist wie viel zu schnelles Autofahren auf freien Landstraßen.

Wir laufen weiter, ich sauge die kühle Luft in meine Lungen und starre auf die unzähligen Wellen, die sich meterhoch aufbäumen, in sich zusammenfallen und langsam an Land treiben.

»Glaubst du an Schutzengel?«

Ich wende meinen Blick ab und schaue Curtis an, bevor ich zu einer Antwort ansetze. »Ich hab auf jeden Fall einen, sonst wäre ich schon längst tot.«

»Vielleicht bin ich ja dein Schutzengel.« Curtis bleibt direkt vor mir stehen. Die einsetzende Dämmerung lässt mich nur Umrisse von ihm erkennen. Mein Atem stockt.

»Bist du dir sicher, dass du das sein willst?«, frage ich ihn halb scherzhaft und er grinst. »Schneewittchen, Schneewittchen. Da mache ich dir ein exklusives Angebot als dein leibeigener Schutzengel und du ziehst es ins Lächerliche.«


Brooklyn, New York

02. Januar

Robyn,

Du wirst es hier lieben.

Mir schießen Tränen in die Augen, als ich meinen Fehler bemerke.

Sie würde es hier lieben.

Als ich fünf war und das erste Mal eine Zeit lang bei Dad gelebt habe, hat er mir bei sich ein eigenes Zimmer eingerichtet. Damals war ich ein totaler Neonlila-, Puppen- und Barbie-Fan. Und Dad war ein totaler Fan davon, mir Wünsche zu erfüllen.

Demnach gleicht mein Zimmer bei ihm einem Alp­traum.

Kannst du dich noch an Domenico Martini damals in der Neunten erinnern? Dad hat mich vorhin nach "Jungs" gefragt, da musste ich an ihn denken. Du hast mir damals von Anfang an gesagt, dass er nur mit mir spielt, weil du ja einen Sinn für Zwischenmenschliches hast. Und genau deshalb frage ich mich, wie es sein kann, dass bei Steven nicht alle deine Alarmglocken geschrillt haben.

Natürlich wusstest du genauso gut wie jeder andere, dass Steven oft viel zu viel trank und irgendwelches Zeug konsumierte und deshalb einen Typen bis ins Koma geprügelt hat. Aber das ist es nicht, was mir jetzt die Luft abschnürt, wenn ich an ihn denke. Es steckt mehr dahinter, auch wenn ich das nicht in Worte fassen kann.

Wie du vielleicht vermutet hast, wusste ich, dass du mit Domenico recht hattest, wie mit eigentlich allem. Aber ich wollte es mir nicht eingestehen, weil die Freude darüber, dass sich ein Junge auch mal für mich und nicht wie immer nur für dich interessierte, einfach zu unfassbar groß war, als dass ich vernünftig hätte handeln können.

Oder Domenico in dem Fall wenigstens so tat, als würde er es.

Robyn, ich habe mir vorgenommen, dir von jemandem zu erzählen, um mir dadurch vielleicht etwas klarer über ihn zu werden. Aber je länger ich auf die Tasten und die schwarzen Buchstaben auf dem weißen Blatt starre, um meine Gedanken zu formulieren, desto mehr entgleiten sie mir.

Manchmal bin ich Chaos, Robyn.

Und jetzt sitze ich wieder hier, an der Schreib­maschine von Babushka, mit der ich dir schon früher unzählige Briefe geschrieben habe, in Dads Haus in der Nähe vom Gerritsen Beach.

Es ist mitten in der Nacht und ich schreibe dir.

Goodbye

Paige

PS: Die Empfangsdame im Krankenhaus ist schon richtig am Kotzen, weil ich, seit du dort bist, jeden Tag anrufe und frage, wie es dir geht.

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