Читать книгу eXtRaVaGant * Mond oder Sonne - Leona Efuna - Страница 20

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[08]

Blaubeertörtchen

»Okay, es war ein Fehler dich dort hinzubringen. Tu mir einen Gefallen und mach dir nicht allzu viele Gedanken über das, was du in diesem Apartment gesehen hast. Du musst mir versprechen, es zu vergessen«, meint Alec, als wir vor Dads himmelblauem Haus stehen.

Ich nicke stumm, mein Körper zittert. Der Schlafmangel macht sich langsam bemerkbar. Alec klopft mir auf die Schulter, aber diese tröstliche Geste hat nur zur Folge, dass mein Körper sich noch schwerer anfühlt.

Alec dreht sich um und läuft zum weiß gestrichenen Gartenzaun. Ich sehe ihm nach, bis er um die nächste Hausecke verschwunden ist, hinter der sein Auto steht.

Nachdem ich die Haustür aufgeschlossen habe, streife ich mir meine Schuhe von den Füßen. Als ich an der Küche vorbeikomme, nimmt mich sofort der Geruch von Maries Blaubeertörtchen ein, die sie gestern gebacken hat.

Ich bleibe stehen und kämpfe.

Eine keifende Stimme aus meinem Unterbewusstsein drängt mich zum Kühlschrank. Mein ganzer Körper zittert, als ich zaghaft nach einem der Blaubeertörtchen greife.

Langsam entferne ich das rosafarbene Papier mit den weißen Punkten, starre auf den Fettfleck am Boden und drehe das Törtchen in meiner Hand so lange herum, als würden davon die Kalorien weniger werden. Ich breche ein kleines Stück ab und begutachte den blaubraunen Haufen in meiner Hand, bevor ich ihn in meinen Mund schiebe und bestimmt eine Minute lang darauf herumkaue.

Nachdem ich runtergeschluckt habe, breche ich noch ein Stück ab. Und dann noch eins.

Als ich nach zehn Minuten alle drei Blaubeertörtchen gegessen habe, öffne ich den Kühlschrank ein weiteres Mal.

Schokoladenpudding.

Nach kurzem Zögern stopfe ich die wackelige Masse mit den vielen Kalorien mit bloßen Händen in meinen Mund.

Käse. Eine halbe Packung.

Spaghetti, Chips und Cola.

Mein Magen rebelliert gegen das viele Essen, aber ich fühle mich wie betäubt. Als ich die Gummibärchentüte öffne, gibt mein Handy einen Ton von sich.

n5 verpasste Anrufe von Mom

Ich schrecke aus meiner Starre auf. Hastig tippe ich auf den Anruf­button. Leitung belegt. Shit. Ich verdrehe die Augen, auf dem Weg in mein Zimmer begegnen mir Sascha und Jules.

»Morgen, Kleine.« Sascha salutiert, ich strecke ihm die Zunge raus und die beiden gehen lachend an mir vorbei.

Damian hat echt nur komische Freunde.

Gib es doch zu, du magst diese merkwürdigen Typen, Paige.

Gerade als ich in mein Zimmer gehen will, hält mich eine Stimme zurück.

»Bist du eigentlich morgen auch auf der Release- und Geburtstagsparty von Damian?« Ich muss erst einmal die Gedanken in meinem Kopf ordnen.

»Äh, klar.« Ich lächle unsicher.

In meinem Inneren bricht Chaos aus.

»Marie und Julien wissen Bescheid, aber bitte kein Wort zu dem Idioten.«

Alles was in Robyns kitschigen Büchern stand, konnte innerhalb von kurzer Zeit zur Realität werden.

Zu meiner Realität.

Meine Finger kribbeln, als ich mich ein paar Minuten später an die Schreibmaschine setze.


Brooklyn, New York

05. Januar

Robyn,

ich spürte den Druck von kaltem Metall an meiner Stirn. Das Fenster schlug laut auf und zu und der einsetzende Sturm, der draußen tobte, ließ die ganze Kulisse extrem angsteinflößend wirken.

Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich so laut geschrien, Robyn.

Die Bilder der Vergangenheit zogen wie ein Film an mir vorbei.

In diesem Moment habe ich wirklich bereut, jemals einen Schritt in den fremden dunklen Gang getan und Alecs Code in das Zahlenfeld eingegeben zu haben.

Mein Blick wanderte von einer schwarzen Schusswaffe zu einer kleinen Hand mit türkis lackierten Fingernägeln, welche die Waffe hielt, die auf meine Stirn gerichtet war. Die Hand gehörte zu einem kleinen Mädchen mit zusammengekniffenen, hellgrünen Augen und honigblonden Haaren. Sie stand auf einem hölzernen Stuhl und trug ein weißes, knielanges Nachthemd.

"Bitte nimm das Ding aus meinem Gesicht."

Ich hatte das Gefühl, die kleinen Finger an der Schusswaffe würden gleich abdrücken.

"Das ist kein Ding, das ist eine halbautomatische Desert Eagle 5oAE. Und wer bist du?"

"Paige."

Das kleine blonde Mädchen zog genervt ihre Augenbrauen zusammen.

"Paige und weiter?"

"Paige Alyaska Courtney."

"Und wie alt bist du?"

"Sechzehn."

Diese abstruse Szene fühlte sich mit jeder Sekunde mehr wie ein Polizeiverhör an.

"Und warum bist du hier?"

Sie war noch immer entschlossen, alle möglichen Informationen aus mir herauszubekommen.

"Ich weiß es ehrlich gesagt nicht."

"Du weißt es nicht?"

Sie ließ die Pistole sinken. Ich nickte langsam, um meine Freude darüber zu verbergen, und deutete auf die Waffe in ihrer Hand.

"Woher hast du die?"

"Mrs. Eagle ist ein Geschenk von meinem Dad."

"Deine Pistole hat einen Namen?"

"Klar, alle meine Waffen haben Namen."

"Wer bist du?"

"Leslie Yenene Ivanovna Pavlova, ich bin sieben Jahre alt."

Es schien, als sei für sie längst vergessen, dass sie mir vor gar nicht allzu langer Zeit ihre Knarre an die Stirn gepresst und Polizeiverhör gespielt hat.

Leslie setzte sich auf ein großes Bett, über dem sich ein offenes Fenster befand, strich sich den honigblonden Pony aus den Augen und ich sah mich im Raum um.

"Warum bist du ganz alleine hier?", fragte ich in die Stille und Leslie begann, ihre Beine baumeln zu lassen und dabei die Fersen gegen das Bettgestell zu schlagen.

Bum bum bum.

"Ich bin kein gewöhnliches Kind, weißt du."

Ich nickte, das hatte ich auch schon vermutet. Leslie stand wieder auf und lief zu einem Regal, auf dem einige Bücher lagen. Sie zog eines heraus und winkte mich zum Bett.

Ich war ziemlich erstaunt, dass ein so kleines Mädchen die alte, schöne, aber gleichzeitig auch todtraurige Ausgabe der Kleinen Meerjungfrau der Version von Disney vorzog.

Sie drückte mir das Buch in die Hand und gab, während ich ihr daraus vorlas, alle drei Sekunden einen Kommentar zur Geschichte ab.

Irgendwann klappte ich das Buch zu und wir sahen uns für ein paar Sekunden stumm an.

"Ich werde bald nach Chicago ziehen. Also sag mir,

wie du die Welt dort draußen siehst", forderte sie mich auf. Ich erzählte ihr von den leuchtenden Buchstaben in TheWayStation, den vier Jungs, die gerade dabei waren, der Welt einen neuen Sinn zu geben, und von dir, meiner besten Freundin, mit deinen blauen Haaren und deinen überwältigenden Gedanken, die ich stundenlang in mich aufsaugen könnte. Und davon, dass ich dir Briefe schrieb, um für dich die Welt anzuhalten.

Ich musste lächeln, als ich zu Leslie sah und merkte, dass sie mir aufmerksam zuhörte.

Irgendwann hörte ich ein Geräusch hinter der Tür.

Und, Scheiße, Robyn, ich vergaß zu atmen.

"Schönes Mädchen?"

Und da stand er im Halbdunkel, die Hände in den Hosentaschen, und starrte mich an.

Alec Montgomery, der Typ aus TheWayStation, der mich dort hingebracht hat, würde mich wohl für immer und ewig "schönes Mädchen" nennen.

Goodbye

Paige

Ich stehe auf und wische mir mit dem Handrücken die Tränen aus meinem Gesicht, als ich daran denke, wie Leslie mich angesehen hat, als Alec mir sagte, dass wir gehen würden. Mein Blick huscht zu meiner Armbanduhr.

Es ist fast dreiundzwanzig Minuten her, seit Alec hinter der Hausecke verschwunden ist. Genau zwanzig Minuten sind vergangen, seit ich den Kühlschrank aufgemacht habe.

Jetzt sind es einundzwanzig Minuten.

Ich lege eine Hand auf meinen Bauch, spüre die Wölbung unter meinen Fingerkuppen und laufe mit sehr langsamen Schritten in den Flur.

Zweiundzwanzig Minuten.

Im Bad schließe ich die Tür hinter mir ab. Meine Augen im Spiegel sehen noch etwas glasig vom Weinen aus, und während ich mir die Hände mit Seife wasche, starre ich auf die kleinen Schaumbläschen, die sich im Waschbecken bilden.

Vierundzwanzig Minuten.

Ich knie mich vor die Toilette, drücke mir mit der linken Hand direkt unter dem Magen auf den Bauch und stecke mir den rechten Zeigefinger so weit es nur geht in den Mund. Ich röchle und würge, starre in die Kloschüssel und kotze, bis nichts mehr kommt. Es riecht nach Erbrochenem.

Ich spüle runter, öffne das Fenster, stelle mich vor den Spiegel, seife meine Hände ein, drehe den Wasserhahn auf und wasche meine Hände und dann mein Gesicht.

Siebenundzwanzig Minuten.

Du hast es wieder getan.

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