Читать книгу eXtRaVaGant * Mond oder Sonne - Leona Efuna - Страница 16

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[04]

Musikbesessen

Momente, die unerwartet geschehen, nehme ich manchmal nur dumpf, wie durch eine dicke Scheibe wahr und handle immer so ­komisch, dass ich hinterher oft denke, jemand hätte mich fremdge­steuert.

»Curtis, Roth und Mbappé kommen so in einer Stunde vorb-«, kündigt Damian an. »Hör auf, Jules immer ›Mbappé‹ zu nennen, nur weil er schwarz ist!«, unterbricht Marie ihren Sohn.

»Nein, doch nicht deshalb. Die laufen beide so, als wären sie betrunken.«

Und manchmal ist es gut, dass ich mit komischen Situationen komisch umgehe:

»Kann ich vielleicht mitkommen zu diesem Date mit Mr. Manager?«

»Sascha Roth.« Ein Typ mit grauen Augen schnipst seine Zigarette auf den Boden, tritt sie mit dem Schuh aus und reicht mir seine Hand.

Ein weiterer Typ mit blauen Haaren betritt den Garten. Ich muss schlucken, als mir klar wird, dass ich eben diesen Blauton nur zu gut kenne.

»Ist Curtis an seinem Haarspray erstickt, oder warum braucht der so lange?«, fragt Damian den Typen und begrüßt ihn.

»Damian, was laberst du?« Sascha lacht laut auf. »WIR verrecken in der WG wegen dem Scheiß, mit dem er sich die Haare einräuchert. Curtis ist doch schon längst immun gegen das Zeug.«

»Jules Freeman.« Der Fremde mit den blauen Cornrows schüttelt meine Hand und stellt sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, neben mich.

»Ich bin Paige«, meine ich etwas verspätet.

»Weiß ich doch.« Jules grinst ein riesiges Grinsen.

Damian läuft im Garten auf und ab und flucht vor sich hin.

Ein Auto parkt vor dem weiß gestrichenen Gartentor. Curtis steigt aus und begrüßt Sascha und Jules. Er riecht wie gestern unverkennbar nach Zimt.

»Warum schaust du mich so an?«, fragt er Damian.

»Halt die Fresse, du Wichser.«

»Hast du deine Tage oder was?«, witzelt Curtis, dessen Sonnenbrille gefährlich instabil in seinen Haaren sitzt.

Die Haustür geht auf und Marie hält ein blaues Tablett voller Me­lonen­stücke in den Händen. »Esst noch schnell was, Kinder.«

Jules, Sascha und Damian nehmen sich eine Scheibe und ich reiche jedem schmunzelnd eine Serviette, bevor ich Curtis fragend anschaue.

Er zuckt mit den Schultern und meint dann: »Ich hab eine Allergie gegen Melonenkerne.«

Die ganze Fahrt über starre ich aus dem Fenster und beobachte die Hochhäuser Brooklyns. Die Straßen führen uns weg vom Meer.

»Scheiße, mein Kaffee«, murmle ich.

Curtis dreht sich um und lacht. »Wie viele Tassen Kaffee am Tag trinkst du eigentlich?«

Ich zucke mit den Schultern. »Acht.«

Irgendwann beginnt es zu regnen. Die Jungs unterhalten sich auf Deutsch, sodass ich nicht wirklich etwas verstehe. Zwischendurch fallen ein paar Sätze auf Englisch, über die ich so lange nachdenke, bis der nächste gesagt wird.

Man kann die lila Buchstaben, die außen am riesigen Tonstudio angebracht sind und das Wort TSoundz bilden, schon von Weitem sehen.

Die Einrichtung drinnen ist gemütlich, meine Haltung entspannt sich, als ich merke, dass das Gebäude von innen lange nicht so unpersönlich und protzig ist, wie es von außen wirkt.

Das Studio ist atemberaubend. Drinnen sitzen drei Männer mit Kopfhörern, es gibt einen Aufnahmebereich, ein Pult und viele leuchtende Knöpfe.

»Hi, wen habt ihr denn mitgebracht?« Ein nett aussehender Mann mit Glatze, Bart und Brille steht auf und schlägt mit den Jungs ein.

»Schneewittchen – Max, unser Produzent. Max – Paige«, stellt Curtis uns vor.

»Du siehst aber nicht so aus wie die üblichen Bettgeschichten. Und die üblichen Bettgeschichten werden auch nicht ›Schneewittchen‹ genannt. Erzähl mir was über dich, Paige.«

Es ist eine ernst gemeinte Aufforderung, nur leider weiß ich absolut nicht, was ich sagen soll.

»Richtig, sie ist keine Bettgeschichte. Und jetzt quetsch sie nicht weiter aus, sie ist ja schon knallrot«, sagt Damian, während sich die Tür öffnet und plötzlich River Phoenix vor uns steht.

Warum gibt es in New York überall so schöne Menschen?

»Oh«, sagt der Fremde, als er mich sieht, und verlagert verlegen sein Gewicht vom einen auf das andere Bein. »Ich hoffe, ich störe nicht.«

»Nein, nein«, sagt Max. »Paige, das ist Brian Dooley.«

Das River-Phoenix-Double kommt auf mich zu und schüttelt meine Hand.

»Ich bin Paige Courtney.« Er lässt meine Hand los und ich runzle die Stirn.

»Kennen wir uns?«, frage ich ihn.

»Nein«, antwortet Brian und sieht mich trotzdem an, als wäre dem so.

»Ich bin nicht von hier«, sage ich dann, in der Hoffnung, er erkennt mich vielleicht.

»Paige Courtney, sagst du?«

Ich nicke und irgendetwas flackert in seinen Augen, das mir nicht gefällt.

»Nein, nie gehört.«

Dann dreht Brian Dooley sich weg und wendet sich an Max.

Mein Blick huscht zu Curtis, der auf seiner Unterlippe herumkaut und einen Punkt in der Leere fixiert.

Dass er mehr für sich behält als Damian, der alles, was ihm so im Kopf herumschwirrt, auszusprechen scheint, das wusste ich schon. Aber zum ersten Mal nehme ich ihn bewusst als ernsten, nachdenk­lichen Menschen wahr.

Curtis verlässt mit einem Vocalcoach den Raum. Max setzt sich vor das Mischpult und die Tür zum Aufnahmebereich wird geschlossen. Immer wenn Max konzentriert an irgendwelchen Reglern herumhantiert, schneidet Damian Grimassen.

Dann wird eine Melodie eingespielt, die meine Gedanken fliegen lässt. Fast muss ich meine Augen schließen, um mich auf alles konzentrieren zu können, was die Musik in mir auslöst. Stattdessen lasse ich sie geöffnet, schiebe meinen Stuhl näher an das Mischpult und sauge alles in mich auf.

Jules, Damian und Sascha müssen die Melodie wieder und wieder spielen, bis Max zufrieden ist. Es ist offensichtlich, dass sie für diese Kunst brennen und ich kann mir gut vorstellen, wie sie, von zahlreichen kreischenden Fans umringt, auf der Bühne stehen.

Ich habe in meinem Leben bestimmt noch keinen Tag ohne Musik verbracht, entdecke ständig neue Künstler. Und trotzdem muss ich sagen, dass diese Melodie unglaublich ist. Alles in ihr weckt tiefe Emotionen in mir.

Am liebsten würde ich rübergehen und Curtis dabei zusehen, wie er singt. In der Hoffnung, so mitzubekommen, was im Nebenzimmer passiert, schiele ich immer wieder zur Tür.

Ich versinke wieder in den Klängen und werde in einen Strudel aus Gefühlen befördert. Irgendwann stoppt die Musik und ich schrecke hoch. Damian zieht sich den schwarz-weiß karierten E-Gitarren-Gurt über den Kopf und kommt mit einem Grinsen auf mich zu. Verwirrt starren die anderen Damian an.

Dieser jedoch zieht mich vom Stuhl, legt mir kumpelhaft den Arm um die Schultern und führt mich in den Flur, bevor er die Tür zu Raum 1 öffnet.

»Bis später, Paige.« Damian hebt seinen rechten Mundwinkel, dreht sich um und geht. Ich schaue verlegen hinein und knete nervös meine Hände, als ich Curtis in der Mitte des Raumes mit Textblatt, Kopf­hörern und dem fettesten Grinsen der Welt im Gesicht auf einem Stuhl sitzen sehe.

Als er mich bemerkt, setzt er die Kopfhörer ab, steht auf und kommt zu mir. »Hi, Schneewittchen.« Seine hellbraunen Augen funkeln, als sie über mein Gesicht wandern.

»Komm.« Er schnappt sich seine Jacke, rollt die Songblätter zusammen und steckt sie sich in die linke hintere Hosentasche.

»Was?« Ich sehe ihn verständnislos an.

»Wir gehen.« Curtis läuft zur Tür, winkt mich hindurch und schließt ab.

»Hier.« Curtis hält mir seinen Coffee-to-go-Becher hin und grinst. »Wir wollen ja nicht, dass du Entzugserscheinungen bekommst.«

»Kurz vor Ende der Weihnachtsferien kommt unser erstes Album raus«, ist das Erste, was er sagt, als wir draußen sind.

Stolz schwingt in seiner Stimme mit. »Die erste Single aus dem Album wurde vor einer Woche released. Es war wundervoll, Menschen das zeigen zu können, woran man seit Monaten gearbeitet hat. Hoffentlich wird das mit dem Album auch so.«

Wir biegen an einer Kreuzung links ab und Curtis zieht seine Kapuze auf.

»Aufgeregt?«, frage ich und kneife wegen der Sonne meine Augen zusammen, der Schnee unter uns ist Matsch.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie!«, lacht er und fährt sich über das Kinn.

»Wir sind wahrscheinlich die aufgeregteste Band aller Zeiten«, murmelt er.

»Das, was ich vorhin gehört habe, war magisch. Ich fühle den Chorus von Infinity total, künstlerisch gesehen ist das Spitzen­klasse. Wo habt ihr gelernt, so geile Melodien zu schreiben?«

Als ich bemerke, dass ich Curtis mit meinem plötzlichen Rede­schwall ziemlich überfallen habe, beiße ich mir unsicher auf der Unter­lippe herum.

»Das klingt, als würdest du was von Musik verstehen.« Curtis sieht mich forschend an, zieht die zusammengerollten Songblätter aus seiner Hosentasche und hält sie mir hin. »Hier.«

Ich sehe ihm in die Augen und dann wieder auf die Blätter.

Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein.

»Eigentlich hab ich keine Ahnung von Musik«, stottere ich.

»Lügnerin.«

Plötzlich bleibt er stehen und schaut nach rechts. »Oha, ich wollte so was schon immer mal machen!« Er zieht mich mit sich in die enge Kabine des Fotoautomaten. Der Vorhang wird zugeschoben und Curtis wirft ein paar Pennys in den Schlitz.

Auf jedem Bild ziehen wir andere Grimassen und lachen darüber, wie bescheuert wir aussehen. Curtis lässt den Fotostreifen gleich zweimal drucken, und als ich in unsere lustig verzerrten Gesichter sehe, weiß ich, dass ich den Streifen von nun an wie einen Talisman mit mir herumtragen werde.

»eXtRaVaGant tritt heute als Vorband auf einem Konzert auf. Hast du Bock?« Ich überlege kurz, weil ich eigentlich noch nie ohne Robyn auf irgendwelchen Konzerten war, aber dann nicke ich.

Curtis grinst wieder sein ganz spezielles Curtis-Grinsen. Ich werfe einen Blick auf mein Handy. »Es ist schon vier, wann fängt das Konzert an?«

»So um neun«, antwortet Curtis und wir laufen Richtung Bus.

Nachdem wir hinten eingestiegen sind, flucht Curtis, weil sein Handy­akku leer ist.

Ich versuche ihn abzulenken, indem ich ihm Fragen über die Musik stelle.

»Spielst du eigentlich irgendwas?«

»Nee, das ist eher Damians Ding. Wenn ich etwas nicht in fünf Mi­nu­ten zumindest ungefähr begriffen habe, versuche ich es gar nicht erst weiter. So ist das bei Instrumenten ...« Er grinst.

»Ich spiele Klavier«, erwähne ich beiläufig.

Ganz beschissener Schachzug, Paige.

Curtis setzt einen besserwisserischen Blick auf. »Tja, mein Instinkt täuscht mich eben nicht.«

»Hast du mich denn in fünf Minuten ungefähr begriffen?« Thema­wechsel. Bitte.

»Nein, Schneewittchen, du und deine traurigen Augen sind mir ein Rätsel.«

Wahrscheinlich hat mein Gesicht mal wieder die Farbe einer überroten Tomate angenommen, aber ich lächle. Irgendwie macht es mich ziemlich glücklich, hier zu sitzen und mich mit Curtis zu unterhalten.

Es klopft an meine Zimmertür.

»Hey, Kleine.« Damian lehnt am Türrahmen.

»Ist irgendwas?«, frage ich, weil er keine Anstalten macht, sich zu bewegen.

»Darf ich?« Damian nickt mit dem Kopf in mein Zimmer.

»Du solltest etwas wissen … über Curtis«, fängt Damian an, setzt sich breitbeinig auf meinen lila Sessel und ich schließe die Tür.

»Ja?«

»Curtis lebt für die Musik. Die Mädchen, mit denen er was hatte, oder die er einfach nur so kannte, wollten das nie verstehen. Keine Frau könnte für ihn je an erster Stelle stehen. Auch nicht an zweiter. Und ich bin ganz ehrlich zu dir, er ist nichts für dich und du nichts für ihn. Es würde nur unnötigen Herzschmerz geben.«

Damian wirft mir noch einen bedeutungsschweren Blick zu, bevor er aufsteht und mein Zimmer verlässt.

eXtRaVaGant * Mond oder Sonne

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