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Kapitel 5

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Gegenwart

Meryl Garner, Leos Mutter, die so country war, wie es nur ging, trieb Grant in den Wahnsinn. Sie gluckte an Leos Krankenhausbett herum, deckte ihn zu, schob seine Kissen hin und her und redete mit ihrem breiten Südstaatenakzent auf ihn ein. Grant konnte sich nur schwer davon abhalten, ihr nicht zu sagen, dass sie aus Leos Zimmer verschwinden sollte, weil sie Leo aufregte. Verdammt, sie machte sogar ihn unruhig.

»Mom«, sagte Leo, nahm ihre Hand und sah sie mit seinen großen grauen Augen an, die Grant immer weiche Knie machten.

Sie brachten offenbar auch Meryl zum Schmelzen, denn sie strich Leo über die Haare und sagte: »Ja, Baby?« Ihr sandbraunes Haar hatte einen Kurzhaarschnitt, der für ihre Generation typisch war, und sie trug ein Vandy-Sweatshirt über einer sauberen Jeans.

»Könntest du mich und Grant allein lassen? Ich brauche einen Moment mit ihm.«

Meryl sah Grant abschätzig an. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Leo zu, strich ihm die Haare zurück und küsste ihn auf die Stirn. »Klar, Schatz. Ich werde gleich nebenan sein und nach Hannah sehen.«

»Und rufst du an, um dich für mich nach Lucky zu erkundigen?«, fragte Leo. »Sag ihr, dass alles in Ordnung ist, okay? Ich bin sicher, dass Dad alles unter Kontrolle hat, aber sie ist wahrscheinlich nervös.«

»Bist du sicher, dass du nicht noch einmal mit ihr reden willst? Es ist noch Zeit.«

Leo schüttelte den Kopf. »Ich habe heute Morgen alles gesagt, was ich ihr sagen musste. Wenn ich noch mehr sage, bekommt sie nur Angst. Ruf einfach an und frag sie, was sie zum Frühstück gegessen hat, irgendwas Normales, okay?«

Meryl seufzte, nahm Leos Hand und drückte sie an ihr Herz. »Baby, du bist einfach so gut. Weißt du das?«

Leo lächelte ein wenig verlegen. Er lachte leise vor sich hin. »Das weiß ich nicht so recht. Sieh auch mal nach Hannah, Mom. Sie braucht die aufmunternden Worte im Moment wahrscheinlich mehr als ich.«

Grant hatte sich mit Leos Krankenblatt beschäftigt, aber er steckte es wieder in den Halter neben der Tür, sobald Meryl weg war.

»Ja, es war eine gute Idee, sie sichergehen zu lassen, dass die Niere nicht wieder abgehauen ist«, sagte Grant, als sich die Tür geschlossen hatte. »Da kann man nicht vorsichtig genug sein. Wir hätten Sheriff Memaw bitten sollen, sie zu bewachen.«

»Grant«, schimpfte Leo. »Komm schon, Hannah tut mir einen riesigen Gefallen.«

»Ja, ja, das habe ich schon mal gehört.« Grant winkte ab. »Sie ist eine wahre Menschenfreundin.«

»Grant«, sagte Leo wieder.

Er setzte sich neben Leo aufs Bett und hielt seine Hände fest. »Wie geht es dir?«

»Ich bin bereit. Auch ein bisschen nervös, aber vor allem bin ich bereit, mich wieder wie neugeboren zu fühlen.«

»Gut«, sagte Grant. »Denk genau so weiter.«

»Was ist mit dir? Wie geht's dir?«

»Ich muss mich OP-fertig machen«, machte Grant die Ankündigung, die er schon seit Tagen vor sich hergeschoben hatte. Er rechnete damit, dass Leo die Idee nicht gefallen würde, aber er war bereit, ihn notfalls zu überzeugen.

»Wie bitte?«, sagte Leo. »Hast du gerade gesagt, dass du dich OP-fertig machen musst? Wofür? Meine Operation?«

»Ja«, sagte Grant ruhig. »Ich werde den Eingriff beobachten.«

»Grant, du musst nicht…«

»Leo«, unterbrach Grant und lehnte sich dicht an ihn heran, seine Stimme war tief und innig. »Wenn jemand, den du liebst, etwas braucht, würdest du alles tun, um es zu erreichen, nicht wahr? Ich weiß das wie kaum ein anderer.«

Leo sagte: »Ja, aber du weißt auch, dass ich…«

»Das ist es, was ich brauche, Leo. Das ist es, was ich tun muss – nicht für dich, sondern für mich. Denn…« Grant holte tief Luft, schloss die Augen, um sich zu beruhigen, und sah Leo wieder an. »Ich glaube nicht, dass ich es ertrage, außerhalb dieses Raumes zu sein und zu wissen, was hinter den Türen vor sich geht, dass…« Grant widerstand dem Drang, Muresan erneut zu verunglimpfen. »Dass ein Chirurg dich aufschneidet. Da muss ich dabei sein. Du musst mich lassen. Sonst habe ich das Gefühl, aus meiner Haut zu fahren.«

Leo starrte ihn an, den Mund leicht geöffnet und die Augen groß.

Grant packte seine Hände fester und flüsterte: »Erlaubst du mir das, Leo?«

»Ich weiß es nicht. Liegt das nicht zum Teil in der Hand von Dr. Muresan?« Er stockte, dann sagte er: »Aber du weißt doch, wie das ist. Die ganzen Eingeweide und das Blut können nicht schön sein. Ich weiß nicht, ob ich will, dass du mich so siehst.«

»Das will ich. Ich will das sehen, Leo.« Grant beugte sich noch weiter vor, seine Stimme war fast ein Flüstern. »Es gibt nichts an dir, was ich nicht sehen möchte. Wenn Muresan dein Inneres sehen kann, dann will ich es auch sehen. Warum sollte er mit deinem Körper intimer sein als ich?«

Leo schüttelte den Kopf und lachte leise. »Du bist ein sehr kranker Mann.«

Grant streichelte Leos Gesicht.

Leo drehte sein Gesicht in Grants Handfläche und sah Grant lange aus den Augenwinkeln an, bevor er sagte: »Wenn du Muresan dazu bringen kannst zuzustimmen, dann ist das für mich in Ordnung.«

»Muresan? Bitte«, spottete Grant. »Was soll er schon sagen? Nein?«

***

»Äh, nein«, sagte Dennis, als Grant versuchte, Muresan und seinem Team in den chirurgischen Waschraum zu folgen. »Was glaubst du eigentlich, was du hier tust, Grant?«

»Ich mache mich OP-fertig.« Grant zog seinen Arm aus Dennis' Griff.

»Einen Teufel wirst du tun, mein Freund.« Dennis versperrte Grant den Weg. »Das ist absolut indiskutabel, und wenn dir etwas an Leo liegt, dann lässt du seinen Chirurgen seine Arbeit machen.«

Ein Blitz durchzuckte Grants Körper und er sagte leise: »Du verstehst das nicht. Sie schneiden ihn auf. Er ist so verletzlich, mit seinem Herzen und… Hör zu, Dennis, du würdest dasselbe wollen, wenn es Alec wäre, oder? Und Leo erwartet von mir, dass ich für ihn da bin.«

Dennis sah ihn widerlich mitfühlend an und Grant ballte die Hände zu Fäusten. Dennis guckte sich um, stellte fest, dass einige Pfleger gespannt zusahen, und zog Grant dann mit einem Ruck näher an sich, bevor er flüsterte: »Du wirst für ihn da sein. Nur nicht da drin, okay? Was würdest du erreichen, wenn du Muresan durchlöcherst und ihn so nervös machst, dass er Leos Leben in Gefahr bringt? Du wirst ihn dazu bringen, die ganze Sache zu vermasseln.«

»Das ist nicht…«

»Also, du wirst da oben sein«, sagte Dennis und zeigte auf die Treppe, die in einen Beobachtungsraum führte. »Und ich werde auch dort sein.« Dennis legte seine Hand auf Grants Schulter und drückte sie beruhigend. »Nur du und ich, Kumpel.«

Grants Hände waren immer noch zu Fäusten geballt. Es fühlte sich an, als müsste er durch Watte atmen. »Ich habe es ihm versprochen.«

»Komm schon«, sagte Dennis und führte Grant zur Treppe, die zum Beobachtungsraum führte. »Konzentrier dich, Grant. Diskutier nicht. Leo wird von dir erwarten, dass du dich auf seine Operation konzentrierst und nicht die Zeit damit verbringst, dich mit mir zu kabbeln.«

Grants Finger waren völlig gefühllos und sein Herz pochte so heftig, dass er es in seinem Hals spüren konnte. Das seltsame Kribbeln an seinem Haaransatz entpuppte sich als Schweiß, als er mit der Hand darüberwischte. So hatte er sich noch nie gefühlt. Er hatte schon viele Operationen mitangesehen, 218 davon selbst durchgeführt, aber ihm war dabei noch nie so übel gewesen. Gott, was war nur mit ihm passiert? Er drückte seine Stirn an das Beobachtungsglas und atmete tief durch.

»So ist's gut, Kumpel«, sagte Dennis. »Tief durchatmen. So ist's gut.«

»Hör jetzt auf zu reden«, sagte Grant.

Dennis seufzte. »Soll ich Alec anrufen?«

»Weshalb? Ist er Chirurg? Kann er mir versprechen, dass alles wieder gut wird? Nein. Ich sage nur etwas, das ihn zum Weinen bringt.«

Dennis seufzte und setzte sich auf einen Metallklappstuhl, der direkt vor dem Fenster des Beobachtungsraums stand. »Sie werden Leo jeden Moment herbringen.«

»Er wird sich fragen, wo ich bin«, sagte Grant.

»Muresan wird es ihm sagen. Ich habe das Gefühl, dass Leo bestens verstehen wird, warum die Entscheidung getroffen wurde, Grant. Und ich bin mir auch sicher, dass er weiß, dass du lieber dort unten bei ihm wärst.«

»Du stellst eine Menge Vermutungen an für jemanden, der einen Scheiß über die Situation weiß.«

»Bist du immer so ein Arsch, wenn du Angst hast?«, fragte Dennis.

»Ich bin immer ein Arsch«, sagte Grant. »Weißt du noch?«

»Vielleicht hast du ja auch immer Angst«, sagte Dennis. »Das würde wahrscheinlich vieles erklären.«

»Behalte deine Psychoanalyse für dich«, murmelte Grant und beobachtete, wie Leos Trage in den Raum gerollt wurde.

Er sah, wie Muresan sich zu Leo beugte und etwas zu ihm sagte, woraufhin Leo seinen Kopf in Richtung des Beobachtungsraums drehte. Grant konnte ein kleines Lächeln ausmachen. Dann legten sie die Sauerstoffmaske über Leos Gesicht. Grant zählte in seinem Kopf von zehn abwärts und als er bei sieben angekommen war, sah er das Nicken der Krankenschwester.

»Er schläft«, murmelte Grant.

»Entspann dich«, sagte Dennis. »Alles wird gut.«

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