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Drehbuch, Gestaltungsfreiheit – und wieder Macht

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Nun gibt es in der katholischen Kirche sehr unterschiedliche Zugänge zu den eigenen liturgischen Büchern. Eine „liberale“ Richtung möchte sich nicht auf diese Bücher verpflichten lassen, jedenfalls nicht in jedem Detail. Neue theologische Erkenntnisse sollen demnach auch in der Liturgie zeitnah umgesetzt werden dürfen, selbst wenn das liturgische Buch dafür keinen Raum gibt und mit einer Neuherausgabe des Buches vorerst nicht zu rechnen ist. Dasselbe gilt für die Berücksichtigung tagesaktueller Ereignisse des Weltgeschehens, besonderer emotionaler Situationen der Anwesenden und so weiter. Sprachliche Formulierungen in den liturgischen Büchern, die sich als missverständlich erwiesen haben, solle man austauschen. Überhaupt müsse der sprachliche Stil jeweils an die versammelten Personen angepasst werden. Symbole, die nicht verstanden werden, sollten durch andere ersetzt werden. Einzelne Aufgaben sollen anders auf die Personen aufgeteilt werden. Spontaneität und Individualität sollen insgesamt mehr Raum erhalten.

Dem steht eine „konservative“ Richtung gegenüber, die darauf pocht, dass die Regeln der liturgischen Bücher eingehalten werden sollen. Dieser Richtung geht es nicht um Spontaneität und Emotionalität, sondern um Stabilität und Objektivität. Inhalte, Ausdrucksformen, Symbole, Gesänge der Liturgie entfalten sich demnach umso mehr, je einheitlicher sie täglich, wöchentlich oder jährlich wiederholt werden. Wiederholung und Wiedererkennbarkeit bewirken demnach Vertiefung und Intensivierung. Der besondere Wert der Liturgie liegt gerade darin, dass sie unabhängig von persönlichen Stimmungslagen ist, wie sie ist. Mehr noch: Das Selbstverständnis der Menschen soll durch die Liturgie geprägt werden und nicht umgekehrt.

Die von mir in Anführungszeichen gesetzten Bezeichnungen „liberal“ und „konservativ“ deuten es schon an: Viele empfinden den „liberalen“ Zugang als denjenigen, der dem Drang des Menschen nach Individualität und Freiheit besser entspricht. Formalistische Strenge und rituelle Detailvorschriften wollen nicht recht zum Menschen der Gegenwart, aber auch nicht zum Christentum passen (siehe z.B. Mk 2,23–27).

Das „konservative“ Modell dagegen erweckt den Eindruck, als wolle es nur um des Gehorsams willen an etwas festhalten, das längst überholt ist („Vorschrift ist Vorschrift“). Dieser Zugang wirkt rückwärtsgewandt und autoritätshörig.

Dabei sollte man allerdings zwei Dinge bedenken: Der Verzicht auf ein für alle verbindliches Drehbuch führt unweigerlich dazu, dass unbemerkt ein neues, sozusagen geheimes Drehbuch entsteht. Während das liturgische Buch öffentlich zugänglich ist und diskutiert werden kann (erst recht in Zeiten von Internet und Datenbanken), bleibt das Drehbuch einer „Liturgie ohne Drehbuch“ verborgen und unausgesprochen. Ein solches „drehbuchloses Drehbuch“ entsteht durch eine Führungspersönlichkeit, die über die Ordnung der Liturgie bestimmt, oder durch eine Gruppe, die ihren eigenen Stil und ihre eigenen Gewohnheiten gemeinsam entwickelt. Dazu gehören unausgesprochene – vielleicht sogar unbewusste – Regeln, Erwartungen und Tabus, die von „Nichteingeweihten“ genau wie ein echtes liturgisches Buch gelernt und übernommen werden müssen. Diese Regeln sind aber im Unterschied zum liturgischen Buch nicht öffentlich dokumentiert, sie bilden eine Art Geheimwissen. Es geht also gerade beim „liberalen“ Zugang zur liturgischen Ordnung in hohem Maß um Macht: Macht derer, die bei der Liturgiegestaltung Einfluss haben, über jene, die keinen Einfluss haben und die nicht einmal mehr anhand eines liturgischen Buches die Art und Weise der Amtsausübung kritisch begleiten können.

Wenn man hingegen das liturgische Buch als verbindlich ansieht, dann gibt es den Feiernden ihre Rollen, Texte und Symbole recht eindeutig vor. Das wird nicht allen persönlich gefallen, aber alle sind in derselben Weise gebunden. Da alle von vornherein wissen, worauf sie sich einlassen, wird Macht auf ein Minimum reduziert. Genau genommen tritt die Rolle an die Stelle der Macht. Nur ein einziges Mal wird noch wirklich Macht ausgeübt, nämlich bei der Erstellung des liturgischen Buchs. Man kann durchaus fragen, ob es sinnvoll ist, dass diese Macht in der katholischen Kirche ganz allein beim Papst und in bestimmten Grenzen bei den Bischöfen liegt – ich selber sehe das durchaus kritisch –, aber: Sobald das liturgische Buch erstellt ist, bindet es alle in derselben Weise, auch den Papst und die Bischöfe. Das liturgische Buch ermöglicht, rituelle Erfahrungen durch Wiederholung zu vertiefen. Und alle, die das liturgische Buch verwenden, sind schon allein dadurch, dass sie das Buch nicht selber hervorgebracht haben, auf etwas Umfassenderes verwiesen: eine kirchliche Gemeinschaft, die verschiedene Orte und Zeiten umfasst.

Das „Drehbuch-Prinzip“ ist also auf den ersten Blick durchaus konservativ, aber auf der anderen Seite bändigt es Macht und Übergriffigkeit. Das Drehbuch-Prinzip kann sich übrigens auch auf das Zweite Vatikanische Konzil berufen. Das Konzil ist zwar der liberalen Richtung entgegengekommen, indem es liturgische Anpassungs- und Variationsmöglichkeiten vorgesehen hat, die unterschiedlichen gesellschaftlichen, sprachlichen, kulturellen und intellektuellen Zugängen durch unterschiedliche Menschen entsprechen sollen, aber diese Variationsmöglichkeiten sollten ihrerseits in den liturgischen Büchern genau festgeschrieben werden. Alles, was darüber hinaus geht, ist unzulässig (vgl. Sacrosanctum Concilium 22).

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