Читать книгу Herz oder Hirn - Lillith Korn - Страница 11
SARAH
ОглавлениеZum wiederholten Male spielte sie ihre Begegnung durch. Sie stieg einfach nicht dahinter – aus welchem Grund waren die Verseuchten vor ihm weggerannt? Wie hatte er das geschafft? Mit einer besonderen Waffe, die den Untoten Angst gemacht hatte? Nein, das hätte sie gesehen …
Irgendetwas stimmte an der Sache nicht, doch was es war, wollte sich ihr einfach nicht erschließen. Unzufrieden kaute sie auf ihrer Unterlippe und klappte den Laptop auf.
Sie würde sich ins Untergrundnetzwerk der Zombiejäger, kurz ZHU für ZombieHunterUnderground, einklinken. Aber vorher musste dringend Wärme in ihr Zimmer. Diese Station hier in San Francisco – ein einfaches Haus – war ziemlich abgewrackt. Es hatte nichts Besseres mehr zur Verfügung gestanden, aber immerhin hatten sie ein Dach über dem Kopf. Sie lebten zu sechst darin und besaßen jeder ein Zimmer, zusätzlich nutzten sie eine Küche und zwei Bäder zusammen. Sollte es hart auf hart kommen, gab es einen Panicroom im Keller, der seit einigen Jahren in allen Behausungen Vorschrift war.
Das war alles schön und gut, wenn man davon absah, dass dieses Haus dringend eine Renovierung nötig hatte. Überall blätterte Tapete von den Wänden und der Schimmel im Bad ließ sich nur mit Mühe in Schach halten.
Das Wohnzimmer hingegen hatten sie beinahe gemütlich eingerichtet. Dort hing auch eine große Karte von San Francisco, in die sie regelmäßig Pinnwandnadeln hineinsteckten, wenn sie Zombies entdeckt hatten. Möglicherweise würde sich so ein Nest auftun oder es könnten sich andere wichtige Dinge herauskristallisieren.
Da das Thermostat der Heizung seit Längerem nicht mehr richtig funktionierte, schaltete sie den elektrischen Heizlüfter ein. Der Hausbesitzer hatte offenbar kein Interesse an Reparaturen.
Die Wärme direkt auf sich gerichtet, setzte sie sich zurück an den Schreibtisch und öffnete den Channel ›SanFranHunters‹. Irgendjemand musste doch etwas wissen.
Daniel hatte ihr den Chat eingerichtet und ihr den Nicknamen ›Sarah_Mädchenaxt‹ verpasst. Total witzig. Nicht.
Sarah_Mädchenaxt: jemand da?
DermitdemZombietanzt: jo
Cassandra_X: Deswegen sage ich ja, das würde überhaupt nichts bringen ^^
Luna1999: hä? Ich verstehe deine Argumentation nicht. Hi, Sarah
Sarah_Mädchenaxt: hi. hat jemand von euch schon mal erlebt, dass die verseuchten vor jemandem flüchten?
Cassandra_X: ^^ schön wär’s
DermitdemZombietanzt: nicht wirklich, aber andere interessante sachen gehört die eine nähere betrachtung wert sein könnten
Sarah_Mädchenaxt: aha? und was genau?
Cassandra_X: Luna, noch da?
Luna1999: ja.
Luna1999: @Sarah Sorry, keine Ahnung
Cassandra_X: Schön. Wo waren wir eben stehen geblieben?
Luna1999: Ob sie sterben können
Cassandra_X: Stimmt, du süßes Küken ^^ Aber ich sage immer noch ja
Luna1999: Hallo? Los Angeles war ein Schlachtfeld nach dem letzten Ausbruch vor 2 Monaten. Da gab’s kaum Überlebende, nachdem die Stadt so überrannt wurde
Cassandra_X: Ich weiß. Echt übel, die Regierung behauptet ja, alles sei unter Kontrolle. Schwachsinn, wenn du mich fragst. Aber es sei ja nicht nötig, dass Jäger extra anreisen … na ja, wenn sie meinen. Jedenfalls spricht das zwar für deine These, also das Massaker da, aber ich glaub trotzdem, dass man sie töten können muss
Luna1999: Und wie willste das anstellen?
Sarah_Mädchenaxt: hallo @DermitdemZombietanzt?
Cassandra_X: Weiß nicht, aber kann mir einfach nicht vorstellen, dass es da keinen Weg gibt
Luna1999: Ein Bekannter aus L.A. meinte, er hat einem Schädel mal satte drei Stunden nen Klotauchgang beschert. Also der hat noch gelebt. Wenn die nach drei Stunden nicht ersticken, glaub ich nicht, dass wir ne Chance haben, ein Wunder-Mord-Mittel zu finden
Sarah stöhnte auf. Wollte dieser Zombietanztyp heute noch mal antworten? Und überhaupt – wer hatte diese Welpen im Chat allein gelassen? Trotzdem interessant; über den Ausbruch in Los Angeles hatte sie ja bereits ebenfalls Gerüchte gehört. Eine richtig üble Sache.
Cassandra_X: Joa, stimmt schon, aber denk mal nach. Wenn du die in Scheibchen schneidest, können sie doch gar nicht mehr leben. Das ist sonst unlogisch ^^ Zumindest wenn wir mit ›Leben‹ dasselbe meinen, also nicht nur funktionsfähige Zellhaufen
DermitdemZombietanzt: sorry, sarah. war fix kaffee holen, war ne harte nacht
Sarah_Mädchenaxt: und was hast du nun gehört?
DermitdemZombietanzt: mom, kurz anderer channel
»Meine Güte, nicht schon wieder«, brummte Sarah und trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch. »Sieh zu jetzt, ich hab noch zu tun heute.«
Luna1999: Ich hab gehört, selbst bei so was setzen die sich wieder zusammen
Cassandra_X: Schwachsinn ^^ Nur weil ich gehört hab, dass Einhörner Regenbögen pupsen, muss es ja nicht stimmen ^^
Luna1999: Muss jetzt gehen. Training. Ciao
Luna1999 verlässt den Channel.
Cassandra_X: Oooookay, so geht’s auch ^^ Muss aber eh los. Bis denn. Viel Erfolg bei der Suche euch allen
Cassandra_X verlässt den Channel.
DermitdemZombietanzt: wurde ja auch mal zeit. wieder da
Sarah_Mädchenaxt: du sagst es. also, erzählst du mir jetzt, was du gehört hast?
DermitdemZombietanzt: na ja, ist nur eine theorie, das sag ich gleich
Sarah_Mädchenaxt: ok
DermitdemZombietanzt: angeblich gibt es verseuchte, die als solche nicht gleich zu erkennen sind. eliteverseuchte wenn du so willst. Die unterwandern uns und wollen nicht DASS JEMAND ES RAUSFINDET UND haben Keinproblem damit dass die schon völlig kaputten zombies von jägern wie uns ausgemerzt werden. sorry, ich bin saumüde und treffe die tasten nicht oder doppelt
Sarah_Mädchenaxt: kein problem. hmmm. klingt schon ziemlich nach verschwörungstheorie. soweit ich weiß, ist man krank oder eben nicht. gibt’s irgendwelche argumente oder beweise, die das, was du sagst, untermauern? also ich habe davon noch nichts gehört.
DermitdemZombietanzt: nein, leider nicht. ich hab es nur über 5 ecken gehört. du weißt schon... es soll bis in die höchsten ränge gehen und eine verdammt große untergrundorganisation sein. die sollen sich sogar menschen heranzüchten die sie sich dann zum essen holen. das soll auch der grund sein warum so viele spurlos verschwinden. So ne züchtung geht jas nich von heut auf morgen. bin mir noch nichbt ganz sicher was ich davoin glauben soll und will versuchen was dazu rauszufinden. sorry ich muss mir jetzt ne mütze schlaf holen. bin heut abend wieder da wenn du noch was wissen willstz
Sarah_Mädchenaxt: alles klar, penn dich aus. bis dann.
DermitdemZombietanzt: bis dann sarah
DermitdemZombietanzt verlässt den Channel.
Sarah schloss den Chat und massierte sich die Schläfen. Mehr als eine Verschwörungstheorie hatte sie nicht bekommen, noch dazu eine unglaubwürdige. Sich Menschen irgendwo als Frischfleisch heranzuzüchten würde eine Reihe komplexer Denkvorgänge voraussetzen, zu denen die mit Sicherheit nicht in der Lage waren. Es war einfach nur absurd. Elitezombies, na klar. In ihrem Kopf formte sich ein Bild: Einer von ihnen saß mit einer Krone vor einem goldenen Teller, sabberte und sein eigenes Auge fiel platschend darauf. Dann spießte er es auf und aß es.
Warum dachte sie so etwas? Sie schüttelte sich kurz, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
Dass viele Menschen spurlos verschwanden, entsprach allerdings der Realität. In letzter Zeit hatte es häufig Meldungen darüber gegeben.
Der Geruch von Rührei und Speck stieg ihr in die Nase.
Seufzend stand sie auf, streckte sich und marschierte aus der Tür. Zeit für ein Mittagessen. Nach der anstrengenden Nacht hatte sie den halben Tag verschlafen.
Sie hüpfte flink die Stufen hinab und bog in die Küche ein, in der Daniel, die dunklen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, fröhlich vor sich hin pfiff und die Pfanne schwenkte.
»Hey, machst du das da gerade für mich?«
Daniel ließ die Pfanne los und drehte sich um. Sein Nietenarmband klimperte dabei gegen den Griff. »Nö. Aber ich würde mit dir teilen. Ausnahmsweise.« Grinsend schaltete er den Herd aus.
»Du bist ein Schatz.« Sarah holte zwei Teller sowie Gabeln aus dem Schrank und drapierte alles auf dem zerkratzten Tisch. Daniel stellte die Pfanne dazu und setzte sich. Begierig schob er die Ärmel seines dunklen Longsleeves nach oben und schaufelte sich etwas von dem Rührei auf den Teller. Danach reichte er den Pfannenwender an Sarah, sagte: »Guten«, und begann schmatzend zu essen.
Sie tat es ihm nach und füllte ihr Loch im Bauch endlich auf. Lediglich das Klicken der Haustür ließ sie kurz aufsehen. Julie kam mit mehreren Einkaufstüten in der Hand hereinbalanciert und knallte die Tür hinter sich mit dem Fuß zu. »Hi ihrs. Hab alles geholt, was auf der Liste stand.«
»Fuck!« Daniel knallte sich die flache Hand gegen die Stirn. »Ich hab vergessen, Klopapier draufzuschreiben.«
Julie starrte ihn einen Moment an und ließ dann entnervt die Tüten fallen. »Ich«, sagte sie und tippte sich auf ihr tätowiertes Dekolleté, »werde bestimmt nicht noch mal loslatschen. Pflicht erledigt, bäm!« Bei dem letzten Wort zielte sie auf Daniel und tat so, als würde sie ihn erschießen. »Ich geh jetzt trainieren, treffe mich mit Bobby im Golden Gate Park.«
»Uhh, mit Bobby also, ja?« Sarah leckte sich lasziv den Finger ab und erntete ein Lachen von Julie sowie ein entnervtes Stöhnen von Daniel.
»Genau, mit Bobby. Tschüss, ihr Süßen.« Auffällig schnell drehte Julie sich um und lief wieder hinaus.
»Euer Bobby nervt«, knurrte Daniel.
Kichernd erwiderte Sarah: »Wir lieben dich am allermeisten, Schatzi. Wo sind die anderen eigentlich? Alle ausgeflogen?« Hungrig schob sie sich den Rest des Essens direkt vom Teller in den Mund und wischte kauend die Hände an der Jeans ab.
Während Daniel sich Nachschlag auftat, brummte er: »Ja, heut ist Putztag. Du denkst jawohl nicht, dass da einer freiwillig anwesend ist.«
»Doch, ich. Ich weigere mich allerdings trotzdem zu putzen.« Sie grinste.
»Rat mal, wer sich ebenfalls weigert. Richtig. Ich. Ist auch nur fair, denn ich habe weder meine Matschstiefel im Eingangsbereich ausgeklopft – wie ein gewisser Aiden – noch meine eine Woche alten Nudeln auf der Arbeitsplatte stehen lassen und nicht weggeräumt – wie ein gewisser Jackson. Gut, Ramirez hab ich nicht wirklich was vorzuwerfen.«
»Hey, mir auch nicht. Und Julie höchstens, dass sie ihren Nagellack auf der Klobrille verteilt hat. Warum auch immer sie sich für ihre Kriegsbemalung ausgerechnet diesen Ort ausgesucht hat.« Sie rollte mit den Augen. »Jetzt mal was anderes: Ich war vorhin im ZHU-Channel. Ein Typ da meinte, er hätte Gerüchte gehört, ne Theorie.«
Neugierig lehnte Daniel sich auf dem Stuhl vor, stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und legte das Kinn auf die zusammengefalteten Hände. »Was für eine Theorie?«
Sarah ging zu den liegen gelassenen Einkaufstüten und kramte eine Flasche Orangensaft heraus, ehe sie sich wieder hinsetzte, ohne den Einkauf auszuräumen. »Angeblich soll es eine Untergrundbewegung von Zombies geben. Die sollen sich sogar Menschen als Fressreserve halten. Ich bezweifle das, die sind doch viel zu dumm dazu.«
»Ah, ah, ah, nicht so voreilig!«, mahnte er.
Irritiert blinzelte sie ihn an. »Was willst du damit sagen?«
»Das macht seit Neustem überall die Runde und ich wär mir da nicht zu hundert Prozent sicher, dass da gar nichts dran ist. Bevor du mich unterbrichst, um mir zu widersprechen: Ich meine nicht, dass die Zombies sich Menschen halten. Wie du schon sagst, die haben nicht mehr genug Zellen in der Birne, höchstens im Magen und da nützen sie nix. Aber könnte es nicht sein, dass es ne Organisation gibt, die Frischfleisch für die Monster besorgt, damit sie besänftigt sind oder so?«
»Na ja. Erscheint mir jetzt nicht ganz realistisch.« Sie öffnete die Flasche, trank einen Schluck und hielt sie Daniel hin.
»Es muss ja nicht genau so sein, war nur ein Beispiel. Oft steckt ja in solchen Gerüchten ein Fünkchen Wahrheit, sagt man ja nicht umsonst.«
Sarah seufzte. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass wenn überhaupt ein Stück Wahrheit in all dem steckte, es viel sein konnte.
»Danke fürs Frühstück. Ich geh mich mal ein bisschen schlau machen, bevor wir später die Köpfe für die Prämie holen. Was treibst du jetzt?«
»Ich hau mich ne Runde aufs Ohr.«
»Awww, braucht der Kleine Mittagsschlaf?«, neckte sie.
Daniel holte mit dem Pfannenwender aus, um ihr auf den Po zu hauen, doch sie hatte bereits die ersten Stufen hinter sich gebracht. »Nächstes Mal erwisch ich dich!«, rief er hinter ihr her. »Und dann kleben dir die Fruchtfliegen am Arsch!«
Grinsend ging Sarah zurück ins Zimmer, setzte sich an den Laptop und gewann augenblicklich ihre Fassung wieder.
Wie von selbst flogen ihre Finger über die Tastatur. Sie schickte eine Suchanfrage nach der anderen ins Netz und landete immer tiefer in den Sümpfen der Verschwörungstheorien. Las über verschiedene Orte und Namen, die ihr nichts sagten – bis auf einen. Das ›Franklin’s‹.
Langsam lehnte sie sich im Stuhl zurück und eine Idee formte sich in ihrem Kopf. Was konnte es schaden, sich den Laden nach der Abholung der Prämien mal genauer anzusehen? Immerhin war es eine recht noble Gegend, in der die Zombies sich herumgetrieben hatten. Und es handelte sich wie zufällig um das Restaurant, in dem der Typ gestern verschwunden war.