Читать книгу Herz oder Hirn - Lillith Korn - Страница 9
ETHAN
ОглавлениеSein Herz schlug unregelmäßiger als sonst.
Wütend presste er die Handfläche an den Hals, wo seine Ader nervös pulsierte. Was zur Hölle war bloß los mit ihm? Er war doch kein Teenager, der beim Anblick einer heißen Frau die Kontrolle verlor! Aber immer noch sah er sie vor sich, wie sie gegen die Hirnlosen gekämpft hatte. Wie geschmeidig ihr Körper sich während der Verteidigung bewegt hatte. Beinahe hätte er es verpasst, selbst zu kämpfen, so fasziniert war er gewesen.
»Mr Franklin, Sir!« Die Restaurantmanagerin eilte auf ihn zu. »Ihr Vater erwartet Sie bereits.«
»Was glauben Sie, warum ich hier bin?«, grollte Ethan und für eine Sekunde zuckte die Angestellte vor ihm zurück, dann legte sich ihre Professionalität wie eine Maske über ihre Furcht.
»Hier entlang, Sir.« Mit einem leichten Neigen ihres Kopfes trat sie zur Seite.
Er begnügte sich damit, ihr einen strafenden Blick zuzuwerfen, bevor er sich einen Weg an den Tischen vorbei Richtung Küche bahnte.
Obwohl die Sonne erst vor einer Stunde untergegangen war, war das Restaurant bereits gut besucht und das Gewirr der Gespräche machte ihn zornig. Am liebsten hätte er alle nach draußen gejagt. Was war nur los mit ihm?
Insgesamt acht Hirnlose so nah am Restaurant. Sie werden immer aufdringlicher, dachte Ethan unkonzentriert, ehe sich erneut das Bild der Blondine in sein Gedächtnis schob. Trotz ihrer frechen Art, mit der sie ihm entgegengetreten war, hatten ihre strahlend blauen Augen die Angst nicht vollständig verbergen können.
Knurrend schob er die Drehtür auf und augenblicklich strömten die scharfen Essensgerüche auf ihn ein. Er schenkte den zwei Köchen und ihrer Belegschaft ein kühles Lächeln und ignorierte ihre Begrüßungen. Er wollte die Sache mit seinem Dad hinter sich bringen und anschließend nach Hause, wo er hoffentlich seinen gesunden Menschenverstand wiederfinden würde.
Überall herrschte ein hektisches Gewusel, aber wie üblich gingen ihm alle aus dem Weg. Endlich war er im hinteren Teil des Gebäudes angelangt und die aufgeregten Geräusche verstummten, als wagte selbst der Schall nicht, Howard Franklin bei der Arbeit zu stören.
Ethan straffte die Schultern, bevor er nach einem kurzen Klopfen das Arbeitszimmer seines Vaters betrat.
Hinter einem wuchtigen Schreibtisch, auf dem sich Bestellscheine, Steuerunterlagen und Entwürfe für das neue Speisekartendesign stapelten, ragte die ebenso massige Gestalt Howards auf. Er sah nicht hoch, als sein Sohn in das Zimmer kam, und Ethan wartete stumm ab, wobei er ungeduldig den Daumen in seine Handfläche bohrte.
Endlich schob Howard die Papiere zur Seite. Ein Blick aus kalten engen Augen traf Ethan. »Du bist spät.«
»Ich bin so schnell gekommen, wie –«
»Stiehl mir meine Zeit nicht, Sohn! Was gibt es für Neuigkeiten?«
Ethans Fingernagel kratzte über seine Haut, während die Wut in ihm kochte. Natürlich gab er ihr nicht nach. Stattdessen reckte er das Kinn in die Höhe und gab mit ausdrucksloser Stimme Auskunft: »Das Chaos in Los Angeles ist beseitigt, unser Geschäft dort ist gerettet. Ich habe den Manager auf die Straße gesetzt und einen neuen gefunden. Wie ich bereits vorher gesagt habe, war das Produkt unrein und hat deswegen unsere Gäste –«
Ein weiteres Mal ließ sein Vater ihn nicht ausreden. Er donnerte die Faust auf den Tisch. »Genug mit der Klugscheißerei! Ich will Ergebnisse und keine Entschuldigungen oder Rechtfertigungen hören!«
Ethan schnaubte, zog sein Smartphone hervor, tippte kurz auf dem Display herum und zeigte mit einer knappen Kopfbewegung zu Howards Bildschirm. Während dieser die Mail öffnete und die Zahlen überflog, erläuterte Ethan die Statistik. Ein Wissenschaftler hatte sie für ihn angefertigt und Ethan hatte sich die wichtigsten Fakten gemerkt.
»Schon eine etwas größere Fläche pro Nutztier könnte dafür sorgen, dass die Hygiene immens steigt. Außerdem regelmäßige Gesundheitskontrollen und Impfungen. Wenn wir zusätzlich das Futter von Zucker und verschiedenen anderen Zusätzen befreien, reduziert das die Wahrscheinlichkeit, dass das Gehirn befallen wird, um weitere 12,7 Prozent.«
Noch während er redete, bemerkte er die anschwellende Ader an Howards Schläfe. Schließlich platzte diesem der Kragen. »Und wer soll den ganzen Mist bezahlen?«
»Dad«, protestierte Ethan, »unsere Kette steht für höchste Qualität, willst du ernsthaft, dass die Leute das ›Franklin’s‹ mit dem nächsten Gammelskandal in Verbindung bringen?«
Howard sprang auf. Im Stehen war seine Gestalt noch imposanter und Ethan musste sich beherrschen, nicht zur Tür zurückzuweichen, während sein Vater auf ihn zustürmte. Dicht vor ihm blieb er stehen und stieß ihm den Finger in die Brust. »Es wird keinen Skandal geben, hast du mich verstanden, Ethan? Das ›Franklin’s‹ wird weiterhin die oberste Schicht unserer Gesellschaft anziehen und du wirst dafür sorgen, dass dieses kleine Malheur in Los Angeles nicht an die große Glocke gehängt wird. Kapiert?«
»Ist längst erledigt«, zischte Ethan zurück. »Ich bin ja nicht bescheuert! Niemand wird darüber reden. Ich meine nur, dass –«
»Ich will diesen Unsinn nicht mehr hören! Unsere Fabriken produzieren gute Ware. Glaubst du ernsthaft, irgendwen interessiert es, woher ihr Essen kommt, solange es weiterhin nahrhaft ist?«
»Die Änderungen, die ich vorgeschlagen habe, müssten uns gar nicht so viel kosten«, versuchte Ethan es erneut, obwohl er längst wusste, dass er auf verlorenem Posten kämpfte.
Howard musterte ihn abfällig. »Was habe ich nur für einen verweichlichten Scheißkerl großgezogen? Verschwinde jetzt, ich kann dieses Gejammer nicht mehr hören. Dein Job ist es, dich darum zu kümmern, dass unsere Produktion weiterhin billig bleibt, aber teuer verkauft werden kann. Ist das klar?«
»Ja.«
»Dann sieh zu, dass du verschwindest. Sally soll dir die Termine für nächste Woche geben. Die Zeit ist nicht stehen geblieben, während du durch die Weltgeschichte gereist bist.«
Ethan nickte stumm. Ohne sich zu verabschieden, rauschte er aus dem Zimmer und konnte sich nur schwer zurückhalten, die Tür zuzuknallen.
Warum zum Teufel versuchte er es überhaupt? Er wusste doch, dass er bei seinem Vater nie etwas erreichen würde, wenn es nicht darum ginge, Geld einzusparen.
Brodelnd vor Wut suchte er die persönliche Assistentin seines Vaters auf und es kümmerte ihn nicht, dass sie ängstlich und hektisch ihren Terminkalender durchblätterte, weil er sie so laut anschnauzte, dass er sicher bis in die Küche zu hören war. Es war nicht seine Schuld, dass sie unvorbereitet war. Sie wusste so gut wie jeder andere von seiner heutigen Rückkehr.
Ihre Hände zitterten, als sie ihm endlich einen Plan überreichte. Er faltete ihn, ohne einen Blick darauf zu werfen, zusammen und steckte ihn in die Hosentasche.
»Beim nächsten Mal haben Sie den gefälligst fertig, bevor ich danach frage«, knurrte er zum Abschied und ging.
Vor ihrer herrschaftlichen Villa lungerte ein schlaksiger Kerl herum. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen und als Ethan an ihn herantrat, zuckte er erschrocken zusammen.
»Mann, ey, wieso schleichst’n dich so an mich ran?«, schimpfte er mit brüchiger Stimme.
Ethan seufzte. »Was machst du hier, Henry?« Er schob ihn zur Seite, wobei er in der Hosentasche nach seinem Handy kramte. Zum einen hoffte er, Henry so abwimmeln zu können, zum anderen hatte er an diesem Abend wirklich keinen Nerv mehr auf die Unterwürfigkeit der Bediensteten.
»Dich besuchen«, nuschelte Henry im selben Moment und schob die Kapuze vom Kopf. Er sah aus, als hätte ihn eine Horde Hirnloser durch die Wälder gejagt; in seinen Haaren steckten Äste, und Streifen voller Dreck zierten seine Wangen. Verwundert nahm Ethan zur Kenntnis, dass sogar seine Jeans zerrissen war. Außerdem wirkten seine Pupillen so groß wie Teller. Der Teufel wusste, was der Kerl schon wieder konsumiert hatte.
Inmitten des Bonzenviertels mit seinen gepflegten Gärten und weißen Zäunen wirkte Henry so deplatziert wie ein Sack Knochen in einem Schmuckladen.
Für einen Moment hatte Ethan das Bedürfnis, sich tatsächlich das Handy ans Ohr zu halten und ihn einfach stehen zu lassen. Er konnte auf Gesellschaft verzichten, wollte sich auf sein Zimmer verziehen und die Anstrengung der langen Reise abwaschen. Vielleicht ein bisschen an die heiße Blondine denken und wie sie hätte reagieren sollen, nachdem er ihr – zumindest großteils – den Arsch gerettet hatte. Eventuell würde er dann nicht immer noch an sie denken.
Seufzend schob er die Gedanken zur Seite.
»Magst keinen Besuch heute?« Henrys zögerliche Frage brachte ihn in die Gegenwart zurück.
Ihm lag das barsche »Nein!« bereits auf der Zunge, aber dann überlegte er es sich achselzuckend anders. Obwohl er keine Ahnung hatte, warum, bemühte Henry sich seit dem Internat, mit ihm befreundet zu sein. Ethan legte zwar keinen besonderen Wert darauf, aber Henrys Mutter, Lucy Johnson, war eine bekannte Lokalpolitikerin, die in letzter Zeit landesweit viele Schlagzeilen machte, und es konnte nie schaden, Kontakt zu einflussreichen Leuten zu haben. Auch wenn das bedeutete, sich mit einem professionellen Verlierer wie Henry abzugeben.
Entsetzt ertappte er sich bei dem Gedanken, dass er damit nicht besser war als die Frauen, die sich ihm wegen seines reichen Vaters an den Hals warfen.
»Komm rein«, schnauzte er deswegen nur und warf das Gartentor hinter Henry ins Schloss, ehe er ihn die Steinfliesen zur Verandatür hinaufführte.
»Cool, danke, Mann.« Henry trottete brav hinter ihm her und es schien ihn nicht zu stören, dass Ethan sich lang und breit über den Abend ausließ. Immerhin musste man Henry zugestehen, dass er ein guter Zuhörer war.
Während Henry sich auf dem Barhocker vor der weitläufigen Theke niederließ, durchsuchte Ethan hungrig den Kühlschrank. Er hatte den ganzen Tag nichts in den Magen bekommen und spürte, wie sich seine schlechte Laune dadurch verschlimmerte. Außerdem bekam er Kopfschmerzen.
Schließlich mixte er sich einen Shake zusammen und bot seinem Besuch ebenfalls einen an.
Henry wiegelte ab, wobei er wild in der Luft gestikulierte. »Nee, Alter, ich leb doch jetzt vegan!«
»Stimmt ja.« Ethan verdrehte die Augen, musterte Henry anschließend zum ersten Mal an diesem Abend wirklich. »Bist du deshalb so dürr geworden? Du siehst krank aus.«
»Mir geht’s viel besser seitdem!«
»Ich bin nicht sicher, ob das wirklich gesund ist.« Verwundert bemerkte Ethan, dass er sich tatsächlich Sorgen machte. Henry wirkte bleicher als sonst und seine Wangen waren eingefallen. Sicherlich ein erstes Zeichen der Mangelernährung.
»Na klar ist es das«, protestierte Henry, doch seine Augen folgten Ethans Hand und dem Glas, das er darin hielt, gierig. Er schluckte, bevor er sich wieder dem Dreck unter seinen Fingernägeln widmete. »Ich hab mir Studien durchgelesen, das ist echt interessant, was der Körper alles an Gift mit sich rumschleppt! Vegan ist die Zukunft, ich sag’s dir, Mann!«
Auf einmal hatte Ethan wieder die engen Käfige vor Augen und die grausigen Zustände, die in den Fabriken herrschten. Unwillkürlich schauderte er, aber seine Worte waren hart. »So ein Schwachsinn! Hast du schon mal was von Evolution gehört, du Idiot? Was glaubst du, warum wir uns so entwickeln konnten?«
»Das heißt ja nicht, dass wir das für immer machen müssen.«
Ethan bereute es zutiefst, Henry mit ins Haus genommen zu haben. Nach dem ganzen Stress hätte er auf eine weitere fruchtlose Diskussion durchaus verzichten können. Er knallte das halb leere Glas auf den Tresen und es hätte ihn nicht gewundert, wenn es auf dem glatten Marmor zerschellt wäre.
»Boah, alles klar bei dir?«
»Nein, ist es nicht!« Im letzten Moment hielt Ethan sich vom Brüllen ab. Er fuhr sonst nicht so leicht aus der Haut, doch an diesem Tag reizte ihn einfach alles. Schließlich strich er sich müde mit der Hand durch die Haare. »Ich glaube, ich hab heute keine Lust auf Gesellschaft.«
»Okay, okay.« Henry hob abwehrend die Hände. »Is ja gut, ich geh ja schon.«
Er sah ernsthaft enttäuscht aus, wie er da in seinen weiten Klamotten durch den langen Flur schlurfte, aber Ethan hielt ihn nicht auf. Er brauchte Ruhe, um endlich wieder zu sich zu finden.
Als Henry gegangen war, eilte Ethan zu seinem Fitnessraum. Er hatte sich damals gegen seinen Vater durchgesetzt und liebte dieses Zimmer, das komplett nach seinen Wünschen eingerichtet war. Hier konnte er sich auspowern und wenn der Schweiß in Strömen lief, ließen ihn auch seine Gedanken in Ruhe.
Während er die Hebel der Brustpresse zu sich zog, blitzte das Bild der jungen Frau wieder vor seinen Augen auf. Was sie wohl gesagt hätte, wenn er sie einfach an seinen Oberkörper gezogen hätte? Er stellte sich vor, wie er die Strähnen ihres hellen Haares, das in der Dunkelheit beinahe geleuchtet hatte, aus ihrem Gesicht strich und sie so hart küsste, dass all ihre schlauen Sprüche sie verließen und sie sich willenlos in seine Umarmung sinken ließ. Stattdessen hatte er sich ernsthaft auf ein Wortgefecht mit ihr eingelassen …
Verärgert begann er mit Klimmzügen und genoss, wie seine Muskeln unter der Anspannung zitterten. Wie Schweiß sein Gesicht hinunterlief. Wie der Geruch nach Stahl und Kraft seine Nasenflügel zum Beben brachte.
Den leichten Vanilleduft der Fremden konnte er jetzt fast nicht mehr riechen.
Fast.