Читать книгу Herz oder Hirn - Lillith Korn - Страница 18
SARAH
ОглавлениеUnser heutiges Tagesmenü!
Vorspeise: Frittierte Calamari an Feldsalat mit Balsamicodressing
Hauptspeise: Hirnscheibchen vom Kalb à la ›Franklin’s‹
Nachspeise: Denkersmoothie
Nur 179 Dollar pro Person für das komplette Menü ~ weil Liebe durch den Magen geht.
»Bitte was?«, murmelte Sarah, während sie die Speisekarte überflog. »Das liegt definitiv außerhalb meiner Preisklasse …«
Bis auf die exorbitante Summe konnte sie jedoch nichts Verdächtiges entdecken. Drinnen standen Kerzen auf den Tischen und verbreiteten gemeinsam mit dem gedimmten Licht eine gemütliche Atmosphäre. Die Möbel waren in Weiß gehalten und Bilder mit seltsamen Farbklecksen, die vermutlich Kunst darstellten, schmückten die teilweise goldverzierten Wände. Alles wirkte vollkommen normal, wenn man davon absah, dass hier lediglich die Reichen der Gesellschaft speisen konnten. Erneut las sie ein paar Gerichte auf der Karte und schüttelte den Kopf. Ein Blattgold-Brownie mit knackigen Nüssen für 47 Dollar? Da würde sie lieber auf das Blattgold verzichten und die Dinger selbst backen. Vorausgesetzt, sie könnte backen, was leider nicht der Fall war.
Ob sie hier wirklich ein Geheimnis finden würde? Schon immer hatte es die Elite gegeben, denen keine Seuche, keine Zombies, einfach nichts zu schaden schien. Das hier war ein weiterer Beweis für die Ungerechtigkeit der Welt.
Frustriert kramte sie ihr Handy heraus. Monatelang hatte sie dafür gespart. Es war der eine Luxus, den sie sich gönnen wollte, und obwohl sie ihren Freunden wieder und wieder versuchte, die Wichtigkeit eines solchen Geräts zu vermitteln, besaß sie als Einzige eines. Die Teile waren einfach zu teuer und das Mobilnetz beinahe instabiler als das Internet. Gerade an solchen Tagen freute sie sich über die kleine Freiheit, die ihr das Handy brachte. Wenn sie ein wenig bettelte, würde Daniel sie sicher mit dem Rad abholen und sie müsste nicht den ganzen Weg zu Fuß laufen.
Gerade tippte sie die Nummer vom Haustelefon ein, da flog die Tür auf und der Duft von Aftershave stieg ihr in die Nase.
Sie erkannte den Kerl sofort. Der grimmige Blick, der muskulöse, mahlende Kiefer.
»Hey«, stieß sie in Ermangelung passender Worte hervor. Nichts zu sagen und ihn bloß anzustarren kam trotzdem nicht infrage. Sonst hielt er sie am Ende für ein Duckmäuschen.
»Du!« Er knurrte das Wort beinahe. »Was zur Hölle treibst du dich schon wieder hier herum? Hab ich dir nicht schon einmal erklärt, dass kleine Mädchen wie du hier nichts verloren haben?«
Bevor sie ihm das Passende an den Kopf werfen konnte, war er bereits an ihr vorbeigerauscht. Sie sog scharf die Luft ein, als sie bemerkte, dass sie auf seinen Hintern gestarrt hatte. Hatte sie es echt so nötig? Schnell verdrängte sie den Gedanken. Zu gern hätte sie den Typen in ein Gespräch verwickelt und versucht, etwas über das ›Franklin’s‹ durch ihn herauszufinden. Was tat er hier? Servicekraft war er bei seinem Benehmen mit Sicherheit nicht.
»Dann mach ich es eben anders, Mr Bad Boy«, knurrte sie und gab ihrem Bauchgefühl nach. Bevor sie zu lange darüber nachdenken konnte, folgte sie ihrem Retter vom Tag zuvor.
Sarah lugte um die Ecke und sah ihn gerade noch die nächste Straße rechts einbiegen. Lautlos eilte sie ihm hinterher.
Die nächste Straße, in die er lief, war eine kleine Sackgasse, umgeben von Fassaden ehemaliger Wohnhäuser. Gerade groß genug, um ein oder zwei Fahrzeuge zu parken.
Oder einen Lieferwagen.
Der Typ umrundete das große Gefährt und verschwand dahinter.
Sollte sie oder sollte sie nicht …?
Verdammte Neugier.
Sie ignoriere ihren beschleunigten Puls, huschte leise hinter den Lieferwagen und lauschte auf seine Schritte.
Stattdessen hörte sie eine Tür knallen, gefolgt von einem lauten Scheppern. Aufmerksam sah sie sich um. Niemand zu sehen, der sie hätte beobachten können. Da es erst zu dämmern begann, hatte sie ein wenig Zeit, bis die ersten Verseuchten sich blicken ließen. Also schlich sie vorsichtig weiter am Fahrzeug entlang und schaute am Fahrerhäuschen vorbei. In genau diesem Moment klirrte es und die Autotür flog auf. Hastig zog sie den Kopf ein. Ihr Herz hämmerte gegen die Brust und sie erstarrte. Wenn sie sich jetzt bewegte, egal in welche Richtung, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jemand sie bemerkte. Andererseits … Falls es doch hart auf hart käme, würde sie eben kämpfen – oder rennen.
»Das ist das letzte Mal, dass ich dich frage! Warum lieferst du vergammelte Ware?«
Sie erkannte die Stimme desjenigen, der da drohte. Es war der Typ, der ihr geholfen hatte und dem sie aus unerfindlichen Gründen folgte.
»Ich weiß nicht, was damit passiert ist, ich … ich liefere doch nur, ich kann nichts dafür. Bitte!«
Ein weiteres Mal schepperte es und neben ihr spritzte Blut auf den Boden. Der Mann schrie auf. Erschrocken zuckte sie zusammen. Hier handelte es sich auf keinen Fall um einen harmlosen Streit zwischen zwei Männern. Denn bei einem solchen schlug niemand so hart zu.
Der Verletzte wimmerte. »Bitte«, wiederholte er, diesmal kläglicher. »Es tut mir leid! Ich weiß nichts darüber!«
Mr Obercool schnaubte und sie konnte förmlich hören, wie er ein weiteres Mal ausholte. Ein klatschendes Geräusch folgte, begleitet von einem widerwärtigen Knirschen, und Sarah ballte die Hände zu Fäusten. Als erneut Blut vor ihr auf den Boden spritzte, reichte es ihr und sie stürmte zornig um die Ecke. Der Verletzte und sein Angreifer wandten überrascht den Blick in ihre Richtung, doch Sarah wartete nicht. Sie nahm Anlauf und trat dem Angreifer – ihrem arroganten Retter – fest in die Eier. Ha! Das hatte er nicht kommen sehen. Schmerzerfüllt sackte er zusammen und keuchte. Der andere hingegen, dieser Lieferant, nahm die Beine in die Hand. Sie meinte, ihn ein »Danke« flüstern zu hören, ehe er trotz Verletzung behände in den Lieferwagen sprang und mit quietschenden Reifen rückwärts aus der Gasse fuhr.
Der Typ vor ihr hielt sich noch immer die Eier und sah erst dem Fahrzeug hinterher, danach zu Sarah. »Was sollte das, du verblödete Sumpfkuh?«, röchelte er.
Sarah schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Hüfte. Obwohl ihr Herz sich nicht beruhigen wollte und sie nicht wusste, ob sie gleich gegen ihn würde kämpfen müssen, war sie fest entschlossen, keinesfalls Schwäche zu zeigen. Ärger stieg in ihr auf. Darüber, dass ausgerechnet so ein gewalttätiger Fuzzi ihr geholfen und sie es wohl oder übel zugelassen hatte. »Du fragst mich, was das soll? Ist das ein Scherz? Oder ist das dein Ding, erst vermeintlich arme Mädchen retten, ihr dann dumme Sprüche an den Kopf werfen und nebenbei irgendwelchen wehrlosen Typen eins auf die Fresse geben? Er lag schon am Boden, da schlägt man nicht noch mal zu!«
Mr Rührei richtete sich langsam auf und sah ihr fest in die Augen. Seine leuchteten in dem schönsten Grün, das sie je gesehen hatte, und sie hasste sich für diesen Gedanken. Warum dachte sie derartigen Unsinn, während er angriffslustig vor ihr stand? Mit seiner Kraft würde er sie locker besiegen, wenn es zu einem Kampf kam, und sie schmachtete ihn hier wie eine Bescheuerte an …
Wobei ihre Wendigkeit ebenfalls nicht zu verachten war. Außerdem war sie mit Sicherheit intelligenter als er – schon allein emotional.
Seine Lippen waren zusammengepresst, seine Kiefermuskeln mahlten. Verdammt, konnte dieser Typ nicht aus etwas anderem als diesen wohlgeformten Muskeln bestehen? Arschloch!
Er ging einen Schritt auf sie zu.
Sie würde nicht zurückweichen. Einen Teufel würde sie tun!
Sollte er doch versuchen, sie zu schlagen. Ihre Hand senkte sich langsam und löste den Verschluss, der die Axt hielt.
»Du bist mir gefolgt«, stellte er das Offensichtliche fest. Klang er amüsiert? Oder bildete sie sich das ein?
»Ein Glück für den Typen, den du gerade fast zu Brei geschlagen hast.« Sie richtete sich ein wenig mehr auf. Er überragte sie, aber keinesfalls würde sie ihm deshalb das Gefühl vermitteln, dass er eine Machtposition innehätte.
»Was ich getan habe, hatte einen Grund!«, brüllte er so plötzlich, dass sie für den Bruchteil einer Sekunde zurückzuckte. Schnell riss sie sich wieder zusammen, drückte bewusst den Rücken durch.
»Ist mir scheißegal!«, brüllte sie zurück. »Niemand hat das Recht, einen anderen halb zu Tode zu prügeln!«
Nun ging sie ebenfalls einen Schritt auf ihn zu, lediglich eine Armlänge trennte sie jetzt.
»Du weißt gar nichts, absolut gar nichts, du dumme Schnepfe.« Sein Brüllen war einem fast verzweifelten Flüstern gewichen.
Unwillkürlich stieg Mitleid in ihr auf. Für einen Moment wirkte er wie ausgewechselt. Seine coole Fassade bröckelte und die Person, die dahinter hervorblitzte, weckte neues Interesse in ihr. Bevor sie wusste, was sie tat, überwand sie die Distanz zwischen ihnen. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und fragte: »Was war eben wirklich los? Erzähl’s mir und ich lass dich in Ruhe.«
Statt zu antworten, packte er sie vorn am Kragen und zog sie mit einem heftigen Ruck an sich heran.
Sarah erstarrte für einen Moment. Dann blitzte etwas in seinen Augen auf und – sie küsste ihren verhassten Retter. Einfach so, ohne nachzudenken. Bevor sie ein weiteres Mal erstarrte, aber er wich nicht zurück. Stattdessen leckte er an ihrer Oberlippe, als würde er eine Frage stellen.
Viel zu sanft für jemanden, der gerade so gewaltvoll gehandelt hatte.
Seine Lippen waren weich und warm und seine Berührung hauchzart, sodass ihr Verstand sich ausschaltete und sie den Kuss erwiderte. Das war anscheinend die Antwort, auf die er gewartet hatte. Sofort wanderten seine Hände unter ihr Shirt und seine Bewegungen wurden fordernder, brachten sie beinahe um den Verstand. Er hob sie hoch und drückte sie gegen die Wand, wobei sie seine Erregung deutlich spürte. Ach, zur Hölle mit der Vernunft! Wenn das Arschloch in allem anderen nur halb so gut wie im Küssen war, dann …
Ein Stöhnen entwich ihr und sie riss ihm das gebügelte Hemd aus der Hose, zog ruckartig daran und hörte einen Knopf auf den Boden fallen. Ihre Hände fuhren über seinen nackten Rücken. Scheiße, er fühlte sich genauso gut an, wie er aussah. Ihre Finger wanderten seine Brust entlang und hielten auf Höhe seines Herzens inne. Sein Herz … es raste wie wild – ehe es einfach aussetzte, unregelmäßig schlug und dann wieder raste.
Er küsste sich ihren Hals entlang, schien ihre Irritation gar nicht zu bemerken.
Mit einem Mal traf es sie wie ein Schlag.
Zombies, die die Menschheit unterwandern und uns unterdrücken …
Zombies, die aussehen wie wir, kaum von uns zu unterscheiden sind … die nur mit uns spielen.
Geschockt drückte sie ihn von sich und wich ein Stück zur Seite.
Seine Lippen waren vom Küssen gerötet und er starrte sie finster an. »Was soll das denn jetzt, bitte?« Wütend warf er die Arme in die Luft und bot einen skurrilen Anblick mit seinem zerfetzten Hemd – dass sie ihm gerade erst zerrissen hatte, als er mit seinen Händen ihren Körper erkundet hatte …
Beinahe wurde ihr schlecht. Die Erkenntnis bohrte sich in ihren Magen und hinterließ einen stechenden Schmerz. Hatte sie gerade mit einem intelligenten Zombie herumgemacht? Diesmal löste sie die Axt wirklich von ihrem Gürtel und drehte sie in ihrer üblichen, geschickten Bewegung um ihre Hand. Schlagartig wirkte er anders auf sie. Geheimnisvoller. Furchteinflößender – und gefährlicher.
»Du bist einer von ihnen!«, stieß sie hervor. »Du bist ein verdammter, beschissener Zombie, du bist verseucht!« Ihre Stimme überschlug sich fast. Dieser Typ im Chat hatte recht gehabt. Es gab sie wirklich! Weitere Fragen überrollten sie. Was, wenn sie sich angesteckt hatte? Wenn sie nun auch zu einer Verseuchten werden würde?
Sein Lachen hallte von den Wänden wider. »Sehe ich aus wie einer von diesen Hirnverbrannten? Es war doch gerade so nett zwischen uns. Mach das nicht kaputt. Ich tu dir nichts. Jedenfalls nichts, das du nicht willst.« Er ging einen Schritt auf sie zu.
»Stehen bleiben. Ich warne dich!« Sarah hielt die Axt höher, bereit, seine stählernen Muskeln zu durchtrennen, wenn es sein musste.
Er blieb tatsächlich stehen und musterte sie von oben bis unten. »Schade«, seufzte er. »Sogar sehr schade.«
Plötzlich preschte er nach vorn und stieß sie unvorbereitet nach hinten. Schmerz explodierte in ihrem Hinterkopf, als sie auf die Wand traf. Sofort drückte sie sich daran ab und holte mit der Waffe aus. Mit vollem Tempo rammte sie ihm die Schneide in die Seite. Er schrie auf und stürzte.
Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, setzte sie sich rittlings auf ihn und drückte ihm das kalte Metall gegen den Hals. An ihrem Bein spürte sie das Blut aus seiner Wunde laufen. Es pulsierte unregelmäßig wie sein Herzschlag. Wütend darüber, dass sie darauf überhaupt geachtet hatte, drückte sie fester zu.
Er röchelte einmal leise, wehrte sich aber nicht, sondern starrte sie stumm aus seinen smaragdgrünen Augen an.
Sie musste ihn töten.
Jetzt!
Sarah atmete tief ein und bereitete sich auf den tödlichen Schlag vor.
Sie zögerte.
Scheiße.
Wie er sie ansah. Beinahe flehend. Als würde er von ihr umgebracht werden wollen! Sie konnte es nicht tun.
Er blieb ruhig, wartete, während das Blut weiter aus ihm heraussickerte. Wenn die Wunde sich nicht schloss oder versorgt werden würde, würde er ohnehin elendig verrecken. Auch ohne ihre Hilfe.
»Fuck!«, rief sie. »Lauf mir ja nie wieder über den Weg!«
Dann sprang sie auf und stürmte davon.