Читать книгу Herz oder Hirn - Lillith Korn - Страница 13

ETHAN

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Obwohl er mit Kopfschmerzen aufgewacht war, führte ihn sein Weg nicht direkt in die Küche. Bevor er frische Nahrung zu sich nahm, musste er seine Gedanken durchpusten und das gelang ihm am besten beim Sport.

Im Haus herrschte Stille, keiner der Angestellten störte ihn, während er, nur in Shorts gekleidet und ein Handtuch lässig über die Schulter geschlungen, durch die Flure lief.

Er klopfte leise am Schlafzimmer seiner Eltern und öffnete bei dem gekrächzten »Herein« die schwere Tür. Howard war längst unterwegs, seine Mutter hingegen lag in dem riesigen Doppelbett und versank beinahe in den Kissen und Decken.

»Morgen, Mum«, sagte er, die Stimme sanft und vorsichtig.

»Ethan! Du bist endlich zurück.« Die zierliche Frau setzte sich auf und wandte sich ihm zu. Tiefe Ringe lagen unter ihren Augen.

Sacht ließ er sich neben ihr nieder und küsste sie auf die Wange. »Ich wollte dich gestern Abend nicht mehr stören, aber ich hab dir was mitgebracht.« Mit einem strahlenden Lächeln zog er die Hand, die er hinter den Rücken gehalten hatte, hervor und öffnete sie.

Auf Mary Franklins Gesichtszügen blühte Glück auf. »Sie ist wunderschön«, hauchte sie und griff behutsam nach der winzigen Gladiole, die aus Glas gefertigt worden war. Sie leuchtete in Lila und Grün und die Blütenkelche waren so filigran, dass sie wirkten, als würden sie bei der leisesten Berührung zerbrechen.

Er brachte ihr von jeder Geschäftsreise Blumen mit. Ihr Gesundheitszustand erlaubte es ihr nicht, das Haus zu verlassen, und so holte er den Frühling zu ihr, wann immer es ihm möglich war. In dem wuchtigen Schlafzimmer, das an jeder Ecke Howards einnehmende Persönlichkeit widerspiegelte – dunkle Vorhänge, massive Möbel und eine Tapete, die Henry als ›die Kotzgrüne‹ bezeichnete – blitzte hier und da Marys Einfluss auf: am Fenster hatte sie sich eine Leseecke mit einem weichen Sessel und hohen Bücherregalen eingerichtet und auf dem Couchtisch stand der letzte Blumenstrauß, den Ethan ihr geschenkt hatte. Die Tulpen und Chrysanthemen ließen bereits die Köpfe hängen und er nahm sich vor, bald für Nachschub zu sorgen.

»Du siehst müde aus, Mum«, sagte er und musterte ihr blasses herzförmiges Gesicht. »Nimmst du deine Tabletten? Ich schicke Matthew gleich mit dem Frühstück zu dir.«

»Ich habe keinen Hunger, mein Schatz. Erzähl mir lieber, wie es unterwegs war.« Sie strich über seine Wange und an ihrem Erschrecken bemerkte er, dass er wieder zu kalt war.

Er seufzte. Er musste wirklich regelmäßiger essen. In letzter Zeit hatte er das viel zu sehr vernachlässigt. Die Arbeit für das Restaurant seines Vaters verlangte ihm alles ab und die ständigen Reibereien mit Howard machten es nicht besser. Aber er war es seiner Mutter schuldig, dass er bei Kräften blieb.

»Später«, erwiderte er und stand auf. »Ich muss mich erst mal auspowern. Dad wird grantig, wenn ich nicht um acht beim ›Franklin’s‹ auf der Matte stehe.«

Sicher schaute sie ihm enttäuscht nach, doch er drehte sich nicht um. Obwohl er seine Mutter über alles liebte, hatte er Pflichten und Aufgaben, die nicht auf ihn warteten.

Im Fitnessraum machte er so lange Liegestütze, bis seine Arme zitterten. Nach einer Runde an den Geräten begab er sich in das Schwimmbad, das außer ihm kaum einer nutzte. Er liebte es, im Halbdunkeln durch die Wellen zu pflügen; Licht spendeten nur die Lampen im Pool und das Wasser spiegelte sich blau und weiß an der Decke. Hier war er völlig allein.

Mit kräftigen Kraulzügen bewegte sich sein muskulöser Körper durch das Becken, das Wasser schlug nach jedem Atemzug über ihm zusammen und für eine unendlich kostbare Weile existierte die Welt nicht mehr.

Bis die Tür aufgerissen wurde und eines der Dienstmädchen hereinstolperte. Es arbeitete erst seit Kurzem in der Villa und Ethan bezweifelte, dass es länger als ein paar Monate aushalten würde. Das war auch gut so, denn Howard war ein Sklaventreiber und die Angestellten der Franklins wurden zwar gut bezahlt, mussten jedoch dementsprechend viel erdulden. Die Kleine mit dem geflochtenen Zopf und der Porzellanhaut, die jetzt zitternd vor ihm stand und ihre Finger in die knappe weiße Schürze krallte, pustete vermutlich der leiseste Windhauch um. Er fragte sich, was sie überhaupt in einem Haus wie diesem zu suchen hatte.

Ohne die junge Frau – wie hieß sie gleich? Wahrscheinlich etwas Zuckersüßes wie Netty oder Becca oder Susi – im Geringsten zu beachten, beendete Ethan seine letzte Runde. Er stemmte sich aus dem Becken. Wasser perlte von seinem Körper, tropfte auf die Fliesen und amüsiert beobachtete er, wie das Dienstmädchen knallrot anlief, während ihr Blick an seinen definierten Bauchmuskeln hängen blieb.

Es konnte nicht schaden, ihr zu verdeutlichen, wo sie gelandet war … Vielleicht war es sogar seine verdammte Pflicht.

»Keine Sorge. Du guckst mir nichts weg, Süße«, sagte er und verlieh seiner Stimme den rauen Tonfall, von dem er wusste, wie selbstüberzeugt er wirkte. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich so nette Gesellschaft bekomme, hätte ich auf das Stück Stoff verzichtet.«

Er ging auf sie zu und automatisch wich sie nach hinten, zuckte sogar zusammen, als er an ihr vorbei zum Handtuchhalter griff. Schließlich trat er einen winzigen Schritt zurück, gab ihr etwas ihrer Privatsphäre zurück und grinste, während er sich abtrocknete.

»Was gibt’s?«, wollte er wissen, als ihm das Spiel zu langweilig wurde.

»Ihr Vater, Sir, er … er …«, stammelte sie.

Sie hatte Augen wie ein Reh. Eigentlich war sie ganz hübsch, dennoch: Er hielt besser Abstand von diesen Gedanken.

»Musst du Sprachunterricht nehmen, bevor du einen Satz hervorbringst?«, blaffte er unhöflicher als nötig. Sie würde in diesem Haushalt untergehen. Es wäre wirklich schlauer, wenn sie möglichst bald kündigte.

»T-t-t-ut mir leid, Sir, es ist nur … Ihr Vater … er will … er möchte … Sie sollen sofort zum Restaurant kommen.«

»Na, geht doch!«

Jetzt zitterte sie deutlich und krampfte ihre Hände derart fest in die Schürze, dass er Angst hatte, sie würde sie zerreißen. Kurz wallte schlechtes Gewissen in ihm auf, doch er ignorierte es.

Sie lebten in gefährlichen Zeiten und sanfte Häschen waren dazu bestimmt, aufgefressen zu werden. Jeder Hirnlose würde frohlocken über einen Leckerbissen wie diesen. Die Welt war zu hart geworden für diese Art von Menschen. Er konnte nur hoffen, dass Netty, Betty, oder wie auch immer sie heißen mochte, das rechtzeitig kapierte. Heutzutage half niemand mehr dem anderen. Und sie war im größten Haifischbecken der Stadt gelandet.

Er knotete das Handtuch um die Hüften und musterte sie abschätzig. »Nun geh schon«, forderte er sie auf, »wartet nicht dein Staubwedel auf dich?«

Tiefe Röte breitete sich über ihren Wangen aus, bevor sie einen ungeschickten Knicks machte und anschließend so schnell aus dem Schwimmbad flüchtete, dass man hätte denken können, es wäre tatsächlich eine Horde Zombies hinter ihr her.

Mit einem Mal wieder schlecht gelaunt begab sich Ethan in sein Zimmer, wo er sich richtig abtrocknete, die nassen Sachen auf das Bett schmiss und sich die Zeit nahm, sich vor dem riesigen Spiegel vernünftig zu stylen. Sollte sein Vater ruhig warten … Er legte keinen besonderen Wert darauf, sich erneut dessen Schimpftiraden auszusetzen.

Erst nach einer halben Stunde war er mit seiner Out-of-Bed-Frisur zufrieden. Er zupfte ein letztes Mal an den Strähnen seines rabenschwarzen Haares, das ihm gerade so in die Augen fiel und dadurch deren Grün betonte.

Auf seiner Hüfte bemerkte er angewidert einen grauen Fleck und nahm sich vor, in Zukunft besser auf seine Ernährung zu achten – sonst würden es mehr werden. Ein dunkelgraues, eng anliegendes Hemd verdeckte diesen Makel jedoch problemlos, genau wie die alte Narbe an seiner Schulter.

Schließlich verließ er das Haus. Dank seiner Harley hielt er bereits wenige Minuten später vor dem ›Franklin’s‹ und betrat das Restaurant mit üblich gelassener Miene. Dieses Mal stellte sich ihm niemand in den Weg. Außer den Angestellten, die den abendlichen Betrieb vorbereiteten, war auf seinem Weg durch die Gänge Richtung Büro niemand zu sehen.

Ohne zu klopfen, trat er ein, doch zu seiner großen Verwunderung fand er Howard nicht in seinem Arbeitszimmer vor.

»Dad?«, rief er durch die Flure, während er tiefer in das Gebäude vordrang.

Schließlich kehrte er in die Küche zurück, und bevor er den Chefkoch fragen konnte, wo zur Hölle sein Vater steckte, schob sich dessen massige Gestalt aus dem Kühlraum. Ethan sah ihn noch nicht einmal richtig, da spürte er bereits, wie die Temperatur schlagartig abkühlte. Sein Vater packte ihn am Kragen, zerrte ihn in den Kaltraum und donnerte die schwere Tür hinter ihnen zu.

Grelles weißes Licht blendete Ethan für eine Sekunde. Er war derart verdutzt, dass er erst reagierte, als Howard ihn gegen die Wand schob und außer sich schüttelte.

»Was soll das?«, brüllte er seinen Vater an und befreite sich zornig aus dessen Griff. »Mich so vor unseren Angestellten anzugehen und –«

»Halt die Klappe!«, schnauzte Howard zurück. »Wir sind ruiniert, verdammte Scheiße noch mal!«

»Was?!« Ethan kämpfte um seine Beherrschung. Mühsam richtete er sich auf, glättete sein Jackett und entgegnete das aufgebrachte Starren Howards so unbeeindruckt wie möglich.

Dieser schnaufte, sein Gesicht wies weiße Flecken auf und der Schnäuzer auf seiner Oberlippe zitterte vor Wut. »Dieser Dreckslieferant. Der wird mir bezahlen für diese Scheiße, ich bring den kleinen Hurensohn um, wenn ich –«

»Für den Chef eines Millionenkonzerns«, fiel Ethan ihm ins Wort, »redest du, als wärst du der letzten Gosse entsprungen. Statt hier herumzutoben, sag mir lieber, was los ist.«

Howards Augen verengten sich. Er zuckte nach vorn, und ehe Ethan reagieren konnte, schlug sein Vater ihm so heftig ins Gesicht, dass er rückwärts durch den Raum flog und in ein Regal stürzte, dessen gefrorene Waren ihn augenblicklich unter sich begruben. Obwohl das Fleisch über und über mit glitzernden Eiskristallen bedeckt war, stieg Ethan der faulige Verwesungsgeruch sofort in die Nase. Hektisch und ebenso wütend wie beschämt wühlte er sich aus dem Haufen und unterdrückte ein Würgen.

»Das ist los, du nichtsnutziger Bastard!«, schrie sein Vater. »Die komplette Lieferung ist verfault. Wenn wir das zubereiten, bringen wir unsere Gäste um. Die Publicity – nicht auszudenken, was das mit unserer Ladenkette machen würde. Hirnlose würden aus dem ›Franklin’s‹ quellen, stell dir vor, was das für einen Skandal gibt! War Los Angeles nicht genug? Mist, verfluchter!«

Dieses Mal sprach Ethan ihn nicht mehr auf seine Wortwahl an. Er tobte innerlich, dennoch blieb seine Miene nach außen hin glatt und kühl. Die Lieferanten unter Kontrolle zu halten – das war seine Aufgabe. Zum zweiten Mal innerhalb von ein paar Wochen hatten sie ihn enttäuscht. Und er war es, der die Ausfälle seines Vaters erdulden musste. Das würde sich von jetzt an ändern.

»Was soll ich tun?«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Kümmere dich gefälligst darum! Die komplette Ware muss entsorgt werden und dieser verfickte Wichser von einem Lieferanten ist bis zum Abend um einen Kopf kürzer!«

»Wir können es uns nicht leisten –«

Howard bewegte sich schneller auf ihn zu, als man es ihm angesichts seiner Körpermasse zugetraut hätte. Er packte seinen Sohn an der Krawatte und zog ihn zu sich. »Was wir uns nicht leisten können«, sagte er und nun hatte sich sein Brüllen in ein leises, ungemein gefährliches Zischen verwandelt, »ist es, unsere Gäste mit minderwertiger Nahrung zu vergiften. Wenn ich bis zum Ende des Tages nicht gute Neuigkeiten von dir höre, wird es jemand büßen. Muss ich erst aussprechen, wer das sein wird, Sohn?« Das letzte Wort spuckte er so gehässig aus, dass Ethans Knie beinahe einknickten.

Angestrengt beherrschte er sich, um keine Schwäche zu zeigen. Mit einem tiefen Luftzug befreite er seine Krawatte aus den Wurstfingern Howards, straffte sich und schüttelte den Kopf. »Musst du nicht«, entgegnete er kalt. »Ich sorge dafür, dass das nicht mehr vorkommt.«

»Deine letzte Chance«, knurrte Howard und stürmte aus dem Kühlraum.

Obwohl Ethan mittlerweile das Gefühl hatte, nur noch aus Eis zu bestehen, folgte er ihm nicht sofort. Stattdessen lehnte er die Stirn an die gefrorene Wand und zwang sich dazu, zwanzigmal ein- und auszuatmen. Der süßliche Duft des verrotteten Fleisches waberte um ihn herum.

Ich hasse ihn.

Ich hasse ihn.

Ich hasse ihn.

Die kalte Luft schmerzte in seiner Lunge und das brachte ihn wieder einigermaßen zu Bewusstsein.

Er richtete die Krawatte, klopfte Eiskristalle aus seinem Sakko und verließ erhobenen Hauptes den Raum. Der Chefkoch sowie seine zwei Gehilfen arbeiteten, die Köpfe hochrot, an dem Gasherd und vermieden es tunlichst, in seine Richtung zu sehen. Besser so. Sein Blick hätte sie sonst einen nach dem anderen getötet.

Herz oder Hirn

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