Читать книгу Herz oder Hirn - Lillith Korn - Страница 14
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SARAH
»Los geht’s.« Im Kontrast zu seinen antreibenden Worten kratzte sich Ramirez am Kopf und gähnte.
»Auf in den Westen«, fügte Jackson hinzu, der engelsgleich aus seinem Zimmer tänzelte.
»Wow«, sagte Sarah. »Das ist jetzt echt klischeehaft, Jackson.«
Dieser quittierte ihren Kommentar mit einem Achselzucken und stopfte sich den heraushängenden Zipfel seines Hemdes in die Hose. Endlich trudelten auch Aiden, Julie und Daniel ein, die offenbar alle in Aidens Zimmer gewesen waren.
Sarah runzelte die Stirn. So wie die drei kicherten, hatten sie einen dicken Joint geraucht. Sie stöhnte auf. »Müsst ihr euch unbedingt vor der Fahrt zudröhnen?«
Aiden kam näher und wedelte mit dem Zeigefinger vor ihrer Nase herum, die Augen gerötet. »Niemand ist hier zugedröhnt, wir haben uns nur … ein wenig entspannt. Könntest du auch mal vertragen.«
Ramirez öffnete die Tür. »Los jetzt, Jungs und Mädels.«
Seufzend ergab sich Sarah ihrem Schicksal und folgte Ramirez und Jackson, während sie die anderen drei weiter hinter sich kichern hörte.
Der Wind hatte ein wenig aufgefrischt, war jedoch angenehm und pustete für einen Moment Sarahs Gedankenknoten in die hinterste Ecke ihres Gehirns. Hier, direkt im winzigen Garten vor dem Haus – der eher als plattgetrampelte Miniwiese bezeichnet werden konnte –, hatten sie die Räder und Anhänger angeschlossen. Autos konnten sich nur die Reichen leisten, zu denen sie beileibe nicht gehörten. Doch immerhin hatten sie dank Ramirez und Jacksons Bastelkünsten überhaupt irgendwelche Fortbewegungsmittel. Die beiden hatten die Fahrräder aus Einzelteilen, die sie in der Stadt gefunden hatten, zusammengebaut. Erstaunlich gut sogar.
Ein Tandem, das Julie und Aiden fuhren, sowie drei weitere normale Räder. Wenn sie wie heute zusammen fuhren, musste deshalb eine Person auf dem Gepäckträger Platz nehmen, denn sie waren zu sechst. Sarah schnappte sich das Rad mit dem größten Anhänger und schob es auf die Straße. Sie stieg auf und nickte Daniel zu, der sich grinsend hinter sie setzte.
»Ist wohl besser, wenn ich fahre, sonst nehmen sie dir noch deinen nicht vorhandenen Führerschein ab«, witzelte Sarah.
Daniel tat nichts, als weiter breit zu grinsen. Von wegen nur ein bisschen Entspannung, jaja …
Ramirez bildete die Spitze, gefolgt von dem Tandem. Sie selbst fuhr neben Jackson.
Den Weg zur zentralen Auszahlungsstelle hatten sie schon etliche Male bestritten und nach einigem Hin und Her eine gut passierbare Route ausgearbeitet, denn die Straßen waren zum Teil holprig und manch eine selbst mit dem Rad nicht mehr benutzbar.
Da es noch hell war, kreuzten einige Menschen ihren Weg und blickten ihnen skeptisch nach. Dass sie Jäger waren, war in ihrem Viertel kein Geheimnis und manch einer fand das befremdlich oder hielt die kleine Gruppe für gefährlich. Einige behaupteten sogar, sie würden die Verseuchten erst anlocken, dabei war das ausgemachter Unsinn. Andere wiederum schienen dankbar, winkten oder nickten ihnen beim Vorbeifahren zu. Dass an jeder Ecke Gefahr lauerte, blieb jedoch immer spürbar. Niemand schlenderte wie bei einem Spaziergang, alle wirkten gehetzt, wollten nach Hause, wo es sicherer war als auf den Straßen San Franciscos.
Wie es wohl vor dem katastrophalen Ausbruch gewesen sein musste? Sarah konnte sich kaum mehr erinnern.
Auf der Hut zu sein, war ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
Der Sandkasten für Erwachsene, wie Sarah ihn nannte, befand sich nicht weit von ihrem Haus entfernt. Er lag hinter einem Hügel auf dem Weg zum Produktionsviertel im Westen, wo sie regelmäßig ihre Prämien kassierten. Da die Zombieköpfe ja noch lebten, wenn man das Leben nennen wollte, hatten sie sich angewöhnt, diese dort zur Zwischenlagerung zu vergraben, um nicht für jeden einzeln losfahren zu müssen.
Ein einziges Mal war es passiert, dass Schmarotzer ihren Kasten gefunden und leergeräumt hatten. Doch dieser hier war gut versteckt und in einem Bereich, in dem sich viele Zombies herumtrieben. So schnell wurde hier nichts geklaut.
Um nicht aufzufallen, stellten sie die Räder zwei Ecken vorher ab, schnappten sich Schaufeln sowie die Jutesäcke, die der Stadtstaat großzügigerweise für Jäger zur Verfügung stellte, und machten sich kurz darauf an die Arbeit.
»Hngng!« – »Graaa«!
Jede Menge Geblubber und ähnlich röchelnde Geräusche drangen aus den Säcken, die sie zu den Fahrrädern wuchteten. Ein oder zwei Köpfe klapperten lediglich aufgebracht mit den Zähnen. Vielleicht versuchten sie gerade, sich gegenseitig zu fressen – Sarah wollte es gar nicht wissen.
Dafür ärgerte sie sich, dass sie den ersten der Köpfe von der Nacht zuvor vergessen hatte. Der steckte immer noch in der Nähe von dem Restaurant. Nun, dorthin wollte sie so oder so noch mal.
»Whoa, das sind echt richtig viele diesmal«, keuchte Daniel, der einen Großteil ihrer Beute schleppte.
»War auch echt die Hölle los«, murmelte Aiden, der ebenfalls einen Sack hinter sich her zog.
Zwei große Jutebeutel voller Köpfe. Das würde eine schöne Prämie geben. Julie dachte augenscheinlich dasselbe und wackelte mit den Augenbrauen, als sie Sarahs Blick einfing.
Ramirez hatte die Räder bewacht und half beim Beladen, ehe sie sich auf den Weg zur zentralen Auszahlungsstelle machten.
Zwei Mitarbeiter schoben die Säcke durch einen Scanner, der die Köpfe automatisch zählte. Das Gerät war alt und es brauchte immer mehrere Anläufe, bevor es keinen Fehlercode ausspuckte.
Am anderen Ende der Halle schlurfte Francis mit seiner Gang gerade durch die Tür und grinste ihr zu. Sarah schnaufte, hob aber die Hand zu einem kurzen Winken. Er schien das mit dem »Wir können ja Freunde bleiben« ernst zu nehmen, aber ihn zu sehen, schmerzte dennoch, weil es sie sowohl an ihr nicht vorhandenes Liebesleben als auch an die Tatsache, dass sie nicht fähig zu einer echten Beziehung zu sein schien, erinnerte. Dabei hatten sie sexuell echt gut harmoniert. Sie konnte sich ein Seufzen kaum verkneifen und Julie stieß ihr in die Seite.
»Schätzchen, willst du nicht doch mal wieder mit zum Training mit Bobby kommen?«, wisperte sie leise, sodass keiner der Jungs sie hören konnte.
Sarah schüttelte grinsend den Kopf. Julie meinte es gut und es war nicht so, dass Sarah sich nicht gern an die gemeinsamen Trainingssessions erinnerte. Nicht nur Bobby hatte einen verflucht heißen Körper … aber seit die Sache mit Francis in die Brüche gegangen war, hatte sie sich zurückgezogen. Momentan lebte sie beinahe wie eine Nonne.
Endlich piepste der Scanner zufrieden.
Anerkennend nickte der Mann am Schalter den Jägern zu, als die entsprechende Zahl auf seinem Bildschirm auftauchte. »Siebzehn. Nicht schlecht! Das macht …« Der Rest ging in einem konzentrierten Nuscheln unter und Sarah ließ den Blick einen Moment durch die kalte große Halle schweifen. Vier Wachposten mit Waffen waren abgestellt, um Überfälle und Ähnliches zu verhindern. Ansonsten gab es zwei Laufbänder mit jeweils zwei Mitarbeitern für den Scanner und zwei Schalter, hinter denen der Mann mit den dicken Brillengläsern gerade umständlich ihre Provision ausrechnete. »Sechshundertneunundzwanzig Dollar«, sagte er gerade und schürzte die Lippen, während er das Geld abzählte. Er legte es in die Durchreiche und Sarah nahm es an sich.
»Danke, schönen Tag noch.«
»Den wünsche ich Ihnen auch und danke, dass Sie der Bevölkerung einen Dienst erweisen. Weiter so.«
Es gab siebenunddreißig Dollar pro Kopf, was großzügig erscheinen mochte. Wenn man allerdings bedachte, dass man bei jedem Kopf sein Leben riskierte, war das keine große Summe. Sarah seufzte. Sie schnappte sich einige neue Jutesäcke, die anderen taten es ihr gleich, ehe sie sich auf den Rückweg machten.
Etwas verlegen erwiderte sie Francis’ Gruß beim Herausgehen und ärgerte sich im gleichen Moment dafür.
Julie sagte ihr immer wieder, dass sie endlich mal jemanden einfach so vögeln sollte, und sie hatte recht damit. Vor Francis hatte sie mehrere lockere Bettgeschichten gehabt und vielleicht wurde es Zeit für was Neues. Besser als einem Idioten nachzuhängen, der nach dem ersten Mal gleich von ewiger Liebe und der Zukunft gesprochen hatte, um sich dann aber schnurstracks aus dem Staub zu machen, weil Sarah sich als verkorkster wie zuvor vermutet herausgestellt hatte. Als hätte sie einen Kerl dafür gebraucht, der ihr bestätigte, was sie eh schon wusste: Sie war kaputt.
Aber all diese Überlegungen waren irrsinnig. Sie hatte deutlich wichtigere Dinge zu tun.
Sarah würde in der Nähe des Restaurants absteigen und Daniel das Rad überlassen. Sie musste unbedingt herausfinden, was es mit den Gerüchten aus dem Chat auf sich hatte.