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Das Haus des Stadtrates lag nicht weit vom Marktplatz entfernt. Ich blickte durch die Gasse auf die Menschenmasse, die sich um die Stände des Marktes drängte, und war froh, nicht hindurchgegangen zu sein.

Marc schlug an die große, mit feinen Schnitzereien verzierte Holztür und sie erbebte unter seinen wuchtigen Hieben. Über der Tür geriet das Wappen des Bürgermeisters ins Schwingen.

Hier im Süden, wo das Wetter im Sommer sengend heiß und im Winter äußerst mild war, wurden die Häuser luftig und nicht besonders massiv gebaut. Türen und Fenster ließen immer einen leichten Windhauch hinein, selbst wenn sie mal geschlossen waren.

Ein junger Mann in weißen Gewändern öffnete uns die Tür und sah uns fragend an.

»Wir haben ein paar Briefe auszuliefern«, teilte Justus ihm mit und zog einen Stapel gefalteten Papiers aus einer ledernen Tasche, die an seinem Gürtel baumelte.

Der Mann nahm sie ausdruckslos entgegen und bat uns mit einer Handbewegung hinein. Der Vorraum wirkte leer und wurde lediglich von einem Schreibtisch, einem Stuhl und einem offenen Regal mit vielen kleinen Fächern geziert. Die großen Fenster ließen den Lärm des Markplatzes hinein.

Ich liebte die Art, wie die Häuser hier gebaut wurden, mit all dem hellen Holz und den zahlreichen Schnitzereien.

Der Wind mochte sie auch. Fröhlich spielte er mit den natur­farbenen Gardinen wie eine Katze mit einem Grashalm.

Ich ermahnte ihn, sich zu mäßigen, als er sich vorsichtig an den Papieren zu schaffen machen wollte, die fein säuberlich auf dem Tisch gestapelt lagen.

»Ich bin Ratssekretär Lar«, stellte der Mann sich vor und sah flüchtig die Briefe durch, die wir gebracht hatten. »Ich danke vielmals für eure Mühe. Schulden wir euch noch etwas? Oder wurde die Rechnung fürs Überbringen dieser Schriften schon beglichen?«, fragte er ernst und mit wenig Emotion.

Er nimmt diese Arbeit sehr ernst und ist sehr gewissenhaft. Er hat deshalb Ärger mit seiner Frau, weil er zu viel arbeitet, flüsterte der Wind und zupfte spielerisch an dem Dokument, das obenauf lag.

Lar merkte es sofort und legte einen Briefbeschwerer auf den Stapel, ohne ihm viel Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.

Ich sah mir den Mann an, wie er mit regungslosem Gesicht zu Justus blickte, und konnte mir kaum vorstellen, dass er verheiratet war oder wie seine Frau wohl aussehen mochte. Er war nicht hässlich, das war es nicht. Er war nur so … regungslos.

»Sieh dir das an, Cate«, wisperte mir Mei zu, ergriff meine Hand und zog mich zu den Fenstern, die vom Marktplatz wegzeigten. Durch die durchscheinenden Gardinen konnten wir auf die Straße hinter dem Gebäude sehen.

Ich folgte mit dem Blick ihrem ausgestreckten Finger. In der Nähe der Hauswand standen drei junge Männer, die lässig eine junge Frau umringten und ihren Erzählungen lauschten.

Sie hatte langes weizenblondes Haar und ihr tiefblaues, gold­besticktes Seidengewand betonte ihre schlanke Figur fast genauso gut wie ihre adrett in die Taille gestützte Linke.

»Die Stickereien sind wunderschön. Das hat sicher Monate gedauert, bis sie damit fertig war«, raunte Mei und sah schmachtend auf die blaue Seide.

Erst musterte ich die Frau und dann Mei. »Dir würde das bestimmt auch stehen«, sagte ich lächelnd und ihre Augen glitzerten geschmeichelt.

»Wirklich?«, fragte sie noch einmal spitzbübisch nach und biss sich geziert auf die Unterlippe. Mei liebte prachtvolle Kleider, so wie alle Mädchen in ihrem Alter, was ich ihr nicht verdenken konnte. Lachend lehnte ich mich an sie.

»Ich bezweifle aber, dass sie es selbst bestickt hat«, raunte ich und wandte mich vom Fenster ab.

Es war ein Geschenk von der Prinzessin von Berill, flüsterte der Wind.

Mit einer unauffälligen Handbewegung scheuchte ich ihn zu den Vorhängen zurück, damit er mir nicht noch mehr erzählte.

Marc stützte sich neben Mei an den Fensterrahmen und pfiff leise durch die Zähne. »Wer ist denn das?«, fragte er mit einem anzüg­lichen Lächeln auf den Lippen.

Ich musste einfach die Augen verdrehen, als er sich vorbeugte und ebenfalls zu der weizenblonden Schönheit hinausstarrte.

Mei funkelte ihn böse an und ich kniff ihn ziemlich fest in den Arm.

»Das sag ich deiner Mutter«, witzelte ich amüsiert.

Marc sah mich erschrocken an. »Ich habe gar nichts gemacht!«, verteidigte er sich und verschränkte reserviert die Arme vor der Brust. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.

»Ich kann hören, was du denkst«, erwiderte ich herausfordernd und hob demonstrativ die Augenbrauen.

»Kannst du nicht«, zischte er, trat aber dennoch vom Fenster zurück.

Ich musste keine Gedanken lesen können, um zu wissen, was Marc dachte. Dafür kannte ich ihn schon zu lange und seine Mimik war viel zu leicht zu durchschauen.

»Kann ich wohl«, behauptete ich weiterhin und wollte noch eine Stichelei nachsetzen, da sah Justus zu mir und zog meine Aufmerksamkeit sofort auf sich. Er nickte Richtung Tür.

»Wir gehen«, teilte ich den anderen mit und scheuchte sie vom Fenster weg zum Ausgang.

Bevor einer von uns jedoch nach der Klinke greifen konnte, wurde die Tür von außen geöffnet und ein Mann trat in den Raum. Blond, schlaksig, vielleicht Anfang zwanzig, in Justus’ Alter.

Er hielt uns die Tür auf und schenkte mir ein auffallendes Lächeln. Eins, bei dem die Mundwinkel sich nur minimal bewegten und die Augen zu glänzen begannen. Sie waren so blau, dass es mir sofort auffiel und tief wie das Meer. Er neigte leicht den Kopf zur Begrüßung, als ich an ihm vorbeitrat, und eine vorwitzige Locke fiel ihm in die Stirn.

Etwas in mir prickelte wie sich auflösender Schaum und ich sah rasch zu Boden. Hatte ich ihn etwa angestarrt?

Mit einem schweren Gefühl in den Beinen eilte ich die Stufen hinunter auf die Gasse, ohne mich noch einmal umzusehen, und hinter mir fiel geräuschvoll die Tür ins Schloss.

Justus und Marc ließen den Blick über den Marktplatz schweifen, auf dem das Gedränge nicht mehr ganz so groß war wie gerade eben noch, und ich schnappte die Worte Butterfass und Kräuterstände auf.

Justus reckte den Hals und versuchte wohl herauszufinden, wo sie die Besorgungen für ihre Mutter erledigen konnten.

Als hätte er es nötig, sich so zu strecken. Seine Körpergröße erlaubte es ihm, immer einen Blick über die Menge zu haben, und ich beneidete ihn darum. Er war den Wolken näher, wenn auch nur ein kleines Stück.

Mei blickte immer noch mit gerunzelter Stirn zur Tür des Stadtrates. »Kanntest du ihn?«, fragte sie und riss mich damit aus meinen Gedanken.

»Wen?«, gab ich zurück und zwang mich, die Augen von Justus abzuwenden.

»Diesen Mann gerade.« Sie zeigte zur Tür. Ihre bunten Armbänder klimperten. »Er hat dich angesehen, als ob ihr euch kennen würdet. Er hat dir sogar nachgesehen.« Da hellte sich ihre Miene plötzlich auf. »Oder«, flüsterte sie geheimnisvoll und kam einen Schritt auf mich zu. Mir wurde mulmig zumute. »Oder er findet dich toll. Vielleicht hat er dich angesehen, eure Blicke trafen sich und die Liebe ist ihm unerwartet ins Herz gefahren.« Sie legte theatralisch eine Hand an die Stirn.

O Mei. Widerwillig schüttelte ich den Kopf. Aber ich hatte eigentlich auch nichts anderes erwartet.

»Ja klar doch«, gab ich ironisch zurück, nahm ihre Rechte und hoffte, dass sie nicht sah, wie meine Ohren langsam rot wurden. »Ich glaube, die Jungs wollen weiter«, versuchte ich abzulenken und tat, als wäre es mir gleichgültig.

Als würde sich irgendein Wildfremder für mich interessieren. Das wäre doch absurd.

Mei lachte nur, sprang zu ihren Brüdern und zog mich mit. »Habt ihr den Mann gesehen, der uns die Tür aufgehalten hat? Ich denke, er hat ein Auge auf Cate geworfen«, verkündete sie sogleich, strich sich kokett ein paar ihrer Zöpfe aus dem Gesicht und wackelte albern mit den Augenbrauen.

»Im Ernst?«, sprang Marc sofort darauf an und grinste wölfisch.

Mir war sofort klar, dass er vorhatte, mich mindestens die nächsten zwei Wochen damit aufzuziehen.

Ich konnte nicht länger aufhalten, dass das Glühen von meinen Ohren in meine Wangen wanderte. Dabei lag mir an diesem Fremden nichts und an seinen möglichen oder auch eingebildeten Gefühlen schon gar nicht.

»Redet keinen Stuss«, fuhr Justus die beiden unvermittelt an und sah sie mit einem Ausdruck an, der deutlich machte, dass er sie nicht für voll nahm. Doch das führte nur dazu, dass sie anfingen, unkon­trolliert zu kichern.

Mein Kopf wurde immer heißer.

Justus verzog genervt die Lippen, griff nach meiner Hand und zog mich zu sich. Vor Schreck ließ ich Mei los.

»Achte nicht auf sie. Die haben nur nichts zu tun«, redete er mit ernstem Gesicht auf mich ein und neigte den Kopf näher zu mir. Sein Blick wurde noch eindringlicher.

Alles in mir kribbelte. Seine Finger waren so unglaublich warm. Ich schluckte gegen meinen ausgedörrten Hals an. Halte deine Sinne beisammen, Cate!, sagte ich zu mir und versuchte mich zu konzentrieren.

»Fühlst du dich stark genug, es mit der Menge aufzunehmen, oder soll ich mit dir zurückgehen? Marc und Mei können die Besorgungen auch allein machen«, fragte er und ich musste lächeln. Er machte sich Sorgen. Mal wieder.

Schon immer hatte er sich als mein Beschützer gefühlt. Seit damals, als er den Deckel eines Wasserfasses geöffnet und darin ein kleines weinendes Mädchen entdeckt hatte, dessen Eltern gerade in einer Schlacht ums Leben gekommen waren. Er hatte mich gefunden, meine Hand genommen und manchmal, so wie jetzt, hatte ich das Gefühl, er hatte sie niemals losgelassen.

»Es wird gehen«, versicherte ich ihm und konnte nur hoffen, dass das stimmte. Warm lagen seine Finger um meine.

Justus nickte und der Ernst wich seiner üblichen Gelassenheit. Er richtete den Rücken wieder auf, trat aus der Gasse auf den Platz hinaus und hielt mich dicht bei sich.

Die Menschen traten instinktiv zur Seite, als er durch die Menge schritt. Feuerleute hatten diese Wirkung, flößten anderen Respekt ein, auch wenn es ihnen vielleicht nicht bewusst war.

Mei und Marc kamen hinter uns her. Sie scherzten immer noch über heimliche Verehrer und wie vielen armen Bauernsöhnen ich wohl schon das Herz gebrochen hatte.

Als ich ein kleines Butterfass bei einem Stand am Rande des Platzes bezahlte und Marc es von der gebückten Marktfrau entgegennahm, bemerkte ich plötzlich, dass der Wind seit einiger Zeit verdächtig still war.

Stumm rief ich ihn und erwartete, dass er an meinen Haaren ziehen oder mir über die Wange streichen würde. Doch nichts geschah.

Ich rief ihn noch einmal und sah mich um, ob ich etwas entdecken konnte, was ihn aufhielt. Ein loses Tuch, das er bewegen wollte, oder ein Stück Wolle, das er über den Boden jagte. Aber ich fand nichts dergleichen.

Meine Füße fühlten sich an wie am Boden festgenäht.

Den Wind nicht mehr zu spüren, setzte ein zweites Mal an diesem Tag Panik in mir frei, die mir eiskalt im Nacken saß und mir den Brustkorb enger schnürte. Etwas stimmte nicht.

Justus blickte zu mir, sah mir meine Unruhe wohl sofort an. Matt seufzte ich in mich hinein, denn ich machte ihm heute nur Ärger. Er verstärkte den Druck um meine Hand und öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, als ein lautes Rauschen erklang.

Der Wind schwoll plötzlich an und fegte heftig über den Platz. Und da spürte ich ihn wieder, die Verbindung zwischen uns und die Leichtigkeit kehrte zu mir zurück, als mir die Haare aus dem Gesicht geweht wurden.

Männer hielten ihre Hüte fest oder rannten ihnen hinterher, Frauen versuchten ihre Röcke zu halten und kreischten, als der Wind sie hochwirbelte. Eine Schar Mädchen stützte ihren Milchstand und Marc konnte sich das Lachen nicht verkneifen, als eine Böe einem davon die Unterwäsche entblößte.

Der Wind ebbte so schnell ab, wie er sich aufgebäumt hatte, und sammelte sich als laues Lüftchen in meinen Haaren. Er wirkte seltsam erschöpft.

Ich fuhr mit den Fingern hindurch und streifte ihn dabei beruhigend. Was ist los?, fragte ich, bekam aber keine Antwort. Nur noch mehr Erschöpfung.

Und dann begann er leise zu singen.

»Was war das denn?«, zischte Justus und zog mich unauffällig vom Butterstand weg.

»Keine Ahnung. Ich war das nicht«, entgegnete ich verwirrt.

Der Wind summte weiter, wurde lauter und dann erklang die Melodie auch neben mir. Überrascht drehte ich mich um und brauchte nur einen Augenblick, bis ich die Quelle fand. Das Lied kam durch das offene Fenster eines kleinen Ladens zu mir herübergeweht.

Ich hielt die Luft an, als mich Emotionen übergossen wie ein Eimer kaltes Wasser. Die Melodie weckte etwas in mir. Bilder, Gerüche, verschüttete Erinnerungen. Eine Frau in einem langen grünen Kleid, der Duft von Vanille, eine goldene Kette, Salz in der Luft, blaue Muscheln und die starken Arme eines Vaters, der mich auf seine Schultern hob.

Ich blinzelte. Diese Melodie kam mir so bekannt vor.

»Hörst du das?«, fragte ich Justus und drückte ihm, ohne nachzudenken, den Beutel mit den Münzen in die Hand.

»Cate?« Er sah mich verständnislos an, als ich seine Hand losließ und mich umwandte.

»Dieses Lied. Ich kenne es. Kannst du es hören?«, wollte ich erneut wissen, wartete aber nicht auf eine Antwort.

Die vertrauten Klänge zogen mich an. Ich ging ihnen entgegen, achtete nicht auf die Menschen, an denen ich mich vorbeischob, und betrat den winzigen Geschäftsraum ohne Tür.

Der Wind kam unter meinen Haaren hervor, streifte sanft durch das halbdunkle Zimmer, das vollgestopft war mit Ramsch und Glitzer­zeug. In gleichmäßigen Bahnen begann er um einen Gegenstand zu kreisen, der vor einem der hinteren Fenster hing.

Bedächtig ging ich darauf zu und betrachtete ihn. Es handelte sich um einen hölzernen Ring, an dem silberne Röhren unterschiedlicher Dicke baumelten. Immer wieder ließ der Wind sie gegen eine Kette blauer Muscheln stoßen, sodass die verschiedenen Töne zum Lied beitrugen, das der Wind weiter vor sich hin summte. Wie in Trance drehte er seine Runden um das klimpernde Gebilde.

Ich streckte die Hand aus und berührte eine der blauen Muscheln. Es waren die gleichen, die ich gerade in meinen verschütteten Erinnerungen gesehen hatte. Sie schimmerten im Licht der Vormittagssonne, das durch die Fenster fiel, und erinnerten an das Meer und an Wellen und …

»Ähm, kann ich behilflich sein?«, erkundigte sich eine Stimme von der Seite und ich fiel zurück in die Wirklichkeit.

Erschrocken drehte ich meinen Kopf und sah auf einen Mann hinunter. Er war erstaunlich klein und hatte schütteres Haar, ein winziges Brillengestell auf der knubbeligen Nase und eine geschäftstüchtige Miene.

Nicht weit von mir entfernt stand Justus in den Türrahmen gelehnt und beobachtete mich mit erstauntem Gesichtsausdruck.

Ich war selbst überrascht. Normalerweise machte ich mir nichts aus Trödel und noch nie hatte ich aus eigenem Antrieb so einen Laden betreten.

»Was ist das?«, fragte ich den Verkäufer und fuhr mit den Fingern durch die herunterhängenden Silberröhren, die dadurch aufgeregt klimperten. Der Wind löste sich widerwillig aus seiner Bahn und tanzte zu den Vögeln, die am Himmel kreisten, als wäre nichts gewesen.

»Oh, das …« Der Mann rückte seine Brille zurecht. »Das ist ein Windspiel.«

»Windspiel«, echote ich, als hätte ich nichts Besseres zu sagen, und sah wieder zu den Muscheln.

»Ja. Diese Muscheln sind etwas Besonderes. Man findet sie nur an der Windküste im Süden.«

Mir zog sich bei diesen Worten der Magen zusammen und mein Puls beschleunigte sich. Zögerlich berührte ich das schimmernde Blau und hörte das Meer in meinen Ohren rauschen.

»Wie viel kostet es?«, erkundigte sich Justus, löste sich vom Türrahmen und schlenderte auf uns zu.

Überrascht musste ich feststellen, dass er das erste Mal seit Wochen nicht zu den vorherrschenden Gedanken in meinem Kopf gehörte. Ich hatte sogar vergessen, dass er da war.

»Ähm, mein Herr. Es ist mir wirklich peinlich, ähm.« Der kleine Mann spielte mit seinen dicken Fingern nervös an den schimmernden Knöpfen seines Hemdes. »Ähm, es ist, soweit mir bekannt ist, nicht verkäuflich.«

Justus zog die Augenbrauen zu einer bedrohlichen Miene zusammen.

Es war bei ihm bloß ein Ausdruck von Nachdenklichkeit, doch auf den Mann, der neben ihm wie ein Zwerg aussah, musste es angsteinflößend wirken.

»Ich, ähm …«, stammelte dieser sofort los, strich sich fahrig das Hemd glatt und glitzernde Schweißperlen sammelten sich auf seiner hohen Stirn. »Ähm, man könnte natürlich darüber verhandeln. Es ist ein Sammlerstück. Ihr stammt nicht vor hier, nicht wahr?« Sein rechtes Bein zuckte.

Der arme Kerl musste richtig mit der Angst kämpfen.

Sachte legte ich Justus eine Hand auf den Arm, damit er davon abließ, den Armen in Grund und Boden zu starren.

Er sah mich an und ich versuchte ihm ohne Worte mitzuteilen, dass er ein wenig sanfter vorgehen sollte.

Seufzend wandte er sich wieder dem Verkäufer zu.

»Wie viel soll es kosten?«, fragte er erneut und bemühte sich um einen freundlichen Ton.

»Ähm … sagen wir mal, ähm … zwanzig Silberlinge?«, erwiderte dieser und zwinkerte unsicher. Der freundliche Ton hatte ihn wohl etwas mutiger werden lassen.

Meine Augen wurden groß, als ich die Summe hörte.

»Zwanzig Silberlinge?!«, fuhr Justus ihn grob an. »Das ist der Preis eines ganzen Kappa! Lebendig!«

Der kleine Mann schrak zusammen und wäre vermutlich am liebsten geflohen. Sein Gesicht wurde noch blasser.

Auch ich war zusammengezuckt.

»Zehn, ähäm, zehn Silberlinge. Aber weiter runter kann ich nicht gehen.« Die Stimme des Verkäufers hatte einen jammernden Tonfall angenommen.

Justus knirschte mit den Zähnen. »Acht«, sagte er bedrohlich und ich legte ihm wieder die Hand auf den Arm. Das war zu viel. Selbst acht Silberlinge waren noch überteuert.

Der Händler zog ein Tuch aus der Hosentasche seiner weit geschnittenen Leinenhose und wischte sich damit den Schweiß vom Gesicht. »Neun«, gab er halblaut von sich und ich musste zugeben, dass ich seinen Mut bewunderte.

Justus nickte. Weiter runter konnte er ihn kaum treiben, ohne dass der arme Kerl einen Nervenzusammenbruch erlitt. Er zog einen roten Beutel aus seiner Ledertasche und öffnete ihn.

Überrascht sah ich ihn an. Mir war auch nicht bewusst gewesen, dass Justus so viel Geld hatte. Er holte neun silberne Münzen heraus und legte sie dem Händler in die zitternde Hand.

Es war kaum zu glauben. Neun Silberlinge! Er hatte gerade neun Silberlinge für ein Windspiel bezahlt.

»Nehmt es«, sagte der Mann und zog sich sichtlich erleichtert in die Schatten seines Ladens zurück.

Ganz vorsichtig nahm ich es von dem Haken und betrachtete die metallenen Röhren, in die jemand buntes Glas eingearbeitet hatte, mit Ehrfurcht.

Der Händler reichte mir ein Stück weiches Tuch, in das ich es einschlagen konnte. Ich bedankte mich mit einem Lächeln und verließ mit Justus den Laden.

Ein paar Schritte weiter warteten Marc und Mei auf uns. Marc wedelte sich mit einem Bündel Koriander Luft zu.

Justus ging auf sie zu, doch ich hielt ihn am Arm zurück.

»Neun Silberlinge?«, fragte ich ihn skeptisch und zuckte unsicher mit den Schultern. »Ich glaube, ich habe nicht genug Geld, um es dir zurückzuzahlen.«

Ein schiefes Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Musst du auch nicht«, meinte er und ich schüttelte den Kopf.

»Aber«, wollte ich gerade zu einer Erwiderung ausholen, als er die Hand ausstreckte und mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Nur ganz leicht streiften seine Finger meine Stirn und schon spielte mein Herz verrückt.

»Es ist ein Geschenk«, sagte er eindringlich, sah mir in die Augen.

Mein Hals war ganz trocken, meine Wangen fühlten sich heiß an und ich nickte zaghaft.

Er hatte mir ein Geschenk gemacht. Ich konnte es kaum fassen, so glücklich war ich darüber. Neun Silberlinge hatte er ausgegeben. Nur für mich!

»Aber es war so teuer«, brachte ich meinen letzten leisen Widerspruch hervor und versuchte, keine Regung in Justus’ Gesicht zu verpassen.

Doch er lachte nur. »Sehr wahr. Erzähl das ja nicht den anderen.«

Vom Wind geküsst

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