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Es war mir, als würde sich das Licht der Sonne verändern, je weiter wir nach Süden zogen. Es war strahlender, heller und es schmeckte nach Wärme und Heimat.

Erst gestern hatten wir mit den Wagen den Nordfluss an der Südlichen Übergehung überquert und das Fürstentum Albahr hinter uns gelassen.

Nun lag Mari vor uns und ich fieberte dem Moment entgegen, in dem wir das Meer erreichen würden. Nirgendwo war die Luft schöner als in der Nähe des endlosen Wassers.

»Kommst du mit in die Stadt, Catie?«, rief Marc quer über die Lichtung, an der wir das Lager für den nächsten Tag aufgeschlagen hatten.

Angu und Tai bauten gerade die Stände auf und Hanna trug einen Korb mit Kleinigkeiten herbei.

»Ja, Cate, komm mit«, ereiferte sich Mei mit fröhlicher Stimme, legte ihrem Bruder lässig den Arm um die Schultern und zwickte ihn in die Seite.

Marc wich vor ihr zurück, sie setzte nach. »Schnell, Catie, bevor sie mich zu Tode kitzelt!«, keuchte er, und auch wenn es sich dabei wohl um einen Scherz handeln sollte, klang Marc doch ein klein wenig zu panisch.

»Vom Kitzeln stirbt man nicht«, behauptete seine Schwester und zwickte ihn wieder.

Ich gab nach. Das sah viel zu lustig aus, um nicht dabei zu sein, und hier war ich sowieso nicht hilfreich. Also legte ich das Kleid beiseite, an dem ich gerade den Saum hochnähte, und erhob mich.

Mei brach in Jubel aus und erwürgte dabei beinahe ihren Bruder, der sich von ihr zu befreien versuchte.

»Was brauchen wir denn?«, fragte ich und musste ebenfalls lachen, weil die beiden zu komisch aussahen.

Der Wind hatte beschlossen mit ihnen zu spielen und brachte Meis Haare zum Tanzen, in denen sich die blauen eingeflochtenen Bänder ihres Feuerclans langsam auflösten, weil sie sich weigerte, sie zu erneuern.

»Wir geben Briefe ab«, sagte Justus, der hinter mir auftauchte, und ein warmer Schauder lief mir über den Rücken.

Mein Herz machte einen kleinen Sprung, und ich war doppelt froh, mich entschlossen zu haben mitzukommen.

Ich ging wirklich selten mit in die Stadt oder auch nur in die Dörfer, an denen wir vorbeikamen.

Zum einen war es mir unangenehm, zu viele fremde Menschen um mich zu haben, da der Wind einfach zu viel über sie wusste.

Bei der Familie, die mich umgab, hatte ich ihn davon überzeugt, mir die Dinge nicht mitzuteilen. Keine Ahnung, wie ich das geschafft hatte, denn er plauderte zu gern auch über die Menschen, die mir nahestanden. Aber deren Geheimnisse wollte ich nun wirklich nicht wissen.

Zum anderen war es gefährlich. So viele Menschen auf einem Fleck machten mir Angst, auch wenn ich das ungern zugab. Ich war ein Mädchen vom Windvolk. Die Menschen hatten uns gehasst, weil sie auf unsere Kräfte neidisch gewesen waren, genauso wie sie sie gefürchtet hatten. Dabei waren wir keine Bedrohung. Ich konnte nicht verstehen, wieso man eine Gefahr in jemandem wie mir sah.

Erpicht war ich also nicht darauf, dass jemand erfuhr, wer ich war.

Das Feuervolk hielt es da anders. Es hatte sich von Anbeginn der Zeiten vor den Menschen verborgen und seine Fähigkeiten geheim gehalten.

Wenn schon das friedfertige Windvolk so gefürchtet wurde, wie würde man erst auf ein Volk reagieren, das das Feuer leiten konnte.

Es hatte eine eigene Stadt inmitten des Egralin-Gebirges, die über dicke Mauern verfügte und in die niemand hineinkam, der nicht zu ihm gehörte.

Ich war bisher die einzige Ausnahme seit Errichtung der Stadt. Man gewährte mir Asyl, aus dem einfachen und traurigen Grund, dass es das Windvolk nicht mehr gab und ich die Einzige war, die den Genozid vor zwölf Jahren überlebt hatte. Ich allein. Ich war die Letzte meines Volkes.

Doch würde es mir wirklich helfen, mich immer zu verstecken und mich meinen Ängsten nicht zu stellen?

»Bringt mir ein kleines Fass Butter mit!«, rief Tanja uns hinterher.

»Ja, Mama«, antworteten Justus, Marc und Mei beinahe gleichzeitig.

»Und fragt nach Koriander.« Sie kam auf uns zu und drückte mir einen kleinen gelben Seidenbeutel mit Münzen in die Hand. »Und Cate. Achte ja darauf, dass sich die drei gut benehmen. Man kann nie wissen, was sie anstellen, wenn du nicht ein Auge auf sie hast.« Um ihre warmen dunkelbraunen Augen bildeten sich Lachfältchen, als sie mir zuzwinkerte.

Justus’ Iris hatten genau die gleiche Farbe.

»Als ob wir so schlimm wären«, beschwerte sich Marc mürrisch und verpasste Mei einen letzten rächenden Knuff in die Seite.

»Gerade du solltest lieber den Mund halten. Wegen dir haben wir immer den meisten Ärger«, erwiderte Tanja mit ernster Miene und stieß ihm mit dem Zeigefinger gegen die breite Brust. »Wehe, du lachst dir wieder ein Mädchen an, das so dumm ist und sich von deinem Charme einwickeln lässt.«

»Mama«, empörte er sich und zog eine Fleppe. »Du tust grad so, als wäre ich ein Lüstling.«

Energisch stemmte Tanja die Hände in die Hüften und hob herausfordernd die Augenbrauen. »Was du nicht sagst.«

»Müssen wir nicht los?«, warf ich ein, bevor die Scherze zwischen den beiden zu ernst wurden und sie sich wieder heftig in die Haare kriegen konnten.

»Dann los«, bestätigte Justus, der sich bei den Streitereien zwischen Marc und seiner Mutter meistens raushielt, sich dafür aber immer darüber amüsierte. Auch Mei grinste etwas zu gemein und Marc zog ihr dafür an einem ihrer unzähligen langen Zöpfen. Sie streckte ihm die Zunge raus.

Der Weg zu Stadtmauer war nicht weit. Wir gingen durch eine kleine Tannenschonung zu einer gepflasterten Straße, die an einem kleinen Brunnen vorbei und dann direkt in den Ort führte.

Es war uns wichtig, nicht in Sichtweite der Siedlungen haltzumachen. Man konnte nie wissen, was bei uns spontan in Flammen aufging und dann hatte man lieber keine unerwünschten Zuschauer.

Nur ein paar wenige Menschen waren bereits auf dem Weg zu uns, um die Stände anzuschauen, die die anderen aufgebaut hatten.

Wir näherten uns der Mauer, begegneten mehr Leuten und der Lärm der Stadt war bereits zu hören.

Es war keine große Stadt, doch größer als die Dörfer, an denen wir in der letzten Zeit vorbeigekommen waren. Es gab bunte Tore und viele Straßen. Als wir auf den Marktplatz zukamen, wuselte es nur so von geschäftigen Menschen. Vor mehreren Ständen mit Obst und Gemüse drängten sich die Leute. Frauen tratschten am Brunnen und füllten ihre Krüge und Eimer. Kinder eilten mit ihren Schreibtafeln und Büchern zur Schule. Männer saßen vor ihren Geschäften oder gingen in der Morgensonne ihren Handwerken nach.

Justus und Marc waren die Ruhe selbst und bahnten sich zielstrebig ihren Weg durch die Menge. Ganz dicht blieb ich bei ihnen und versuchte mich zusammenzureißen und dem Unwohlsein keinen Raum zu geben, auch wenn es sich anfühlte, als könnte ich nicht atmen.

Überall waren Menschen. Sie gingen dicht an mir vorbei, rempelten mich an, traten mir auf die Füße.

Ich achtete darauf, keinen lang genug anzusehen, damit der Wind mich nicht mit Wissen überschüttete.

Doch sie alle sahen mich an! Oder bildete ich mir das nur ein? Ich konnte ihre Blicke spüren, auf meinem Rücken, meinen Händen, meinem Gesicht. Ich konnte sehen, wie sie meine helle Haut und meine im Wind tanzenden Haare betrachteten.

Nein! Ich schüttelte den Kopf, drängte die Gefühle zurück, die nicht echt waren und bloß meiner eigenen Panik entsprangen. Man konnte mir nicht ansehen, dass ich ein Windkind war. Oder doch?

Was, wenn sie zu genau hinsahen? Wenn sie den Windhauch, der mich immer begleitete, richtig deuteten? Wenn sie wussten, wer ich wirklich war?

Meine Heimat war nicht weit weg von hier. Es war eine Reise von höchstens vier Tagen in Richtung Süden, zum Meer. Dort war das Stück Küstenland, das einmal dem Windvolk gehört hatte.

Die Menschen hier in den Dörfern waren Teil der Aufstände gewesen. Hatten uns gefürchtet, uns gehasst und alle auf einmal in einem Akt sinnloser Gewalt abgeschlachtet.

Ich bekam keine Luft mehr, als sich die Menge um mich herum enger schloss, mich erdrückte. Panik schlug wild um sich, flutete meinen Kopf.

Wieso war ich nicht einfach im Lager geblieben? Wieso hatte ich mich meinen Ängsten stellen wollen?

Eine Hand legte sich auf meine Schulter und schickte Todesangst durch meinen Körper, wie ein harter Schlag gegen die Brust. Mir setzte das Herz aus, meiner Kehle entfuhr ein halb erstickter Schrei. Die Beine versagten mir den Dienst und der Schweiß brach mir aus.

Justus schlang mir in diesem Moment die Arme um die Mitte und hielt mich aufrecht. »Cate«, stieß er hervor und mein Schreck spiegelte sich in seinen Augen.

Bei allen Winden!

Zittrig holte ich Luft und klammerte mich an ihn. Denn es war kein Meuchelmörder, der mich angreifen wollte. Es war nur Justus.

Er zog mich an sich, so nah, dass ich die Hitze seines Oberkörpers durch den Stoff seines grob gewebten Leinenhemdes spüren konnte. Mein Herzschlag stolperte und mir wurde noch schwindliger.

Es war, als ob jemand die Welt hinter einem Vorhang verborgen hätte, trüb und unscharf verschwand sie und alles um uns herum wurde bedeutungslos.

Nur Justus existierte. Seine Hände an meiner Taille, die mich zurück auf die Füße hoben. Seine Wange war so nahe, dass sie meine leicht streifte. Eine dunkle Haarsträhne kitzelte mich am Ohr.

»Was ist passiert?«, fragte er bestürzt und der Augenblick fiel in sich zusammen. Ich blinzelte.

Justus steuerte uns auf eine Seitengasse zu, raus aus der Menge, und das Gewicht, das auf meinem Brustkorb lastete, hob sich.

Doch kaum hatte er mich losgelassen, knickten mir die Knie ein und ich landete auf dem staubigen Boden. Justus beugte sich sofort zu mir herunter, musterte sichtlich besorgt mein Gesicht.

Auch Marc und Mei tauchten von der Seite auf und wirkten nicht weniger betroffen.

Ich musste noch einmal blinzeln, um ganz zu mir zu kommen und die beißende Panik aus meine Lunge wegzuatmen.

Der Wind drehte sorgenvolle Runden um meinen Kopf.

»Äm, ja … ich denke, ich …«, stammelte ich und versuchte mich zu konzentrieren. »Es waren nur die vielen Leute. Ich wäre doch besser nicht mitgekommen«, flüsterte ich und meine Stimme klang immer noch zitterig. Mühsam probierte ich mich an einem Lächeln, das in einer schüchternen Grimasse endete.

Der Wind versteckte sich in meinen Haaren und zerzauste sie noch mehr.

Justus seufzte lautlos, eindeutig erleichtert, doch sein Lächeln sah genauso gequält aus wie meins.

»Sag vorher was, damit du uns nicht so einen Schreck einjagst, verdammt, wenn du einfach so umkippst«, warf Marc mir leise vor und es überraschte mich, dass er so sanft fluchen konnte.

Moment, was hatte er gesagt?

»Ich bin umgekippt?«, fragte ich verblüfft. Wann war das denn gewesen?

Auf dem Platz. Ich bin auch erschrocken, flüsterte der Wind und pustete mir eine Haarsträhne aus der Stirn.

»Justus hatte dich ja sofort«, versuchte Mei mich zu beruhigen, drehte aber nervös ihre Zöpfe auf dem Finger auf.

Sah ich so furchtbar aus, dass alle sich solche Sorgen um mich machen mussten?

Ich blickte zu Justus, der mich noch immer beunruhigt ansah.

Ich bin in Ordnung, sagte ich ihm mit den Augen und er nickte. »Lasst uns zuerst zum Haus des Stadtrates gehen«, entschied er mit fester Stimme. »Da müssen wir nicht wieder über die Hauptstraße.« Die Gelassenheit ihres älteren Bruders wirkte auf Marc und Mei offenbar gleichermaßen beruhigend.

Der Wind tanzte um meine Fingerspitzen, als jagte er sich selbst.

Ich ergriff die Hand, die Justus mir reichte, und genau in dem Moment, als ich seine Haut berührte, durchzuckte es mich, als würde ein Blitz in mein Herz einschlagen. Der Wind zerstob erschrocken in alle Richtungen. Justus half mir auf die Füße und ließ mich wieder los. Doch mein Herz wummerte weiter, entschlossen, aus meiner Brust auszubrechen.

Es war mir unbegreiflich, wie er es nicht bemerken konnte.

»Lasst uns die Straße da vorn nehmen. Ich denke, ich weiß, wo wir langmüssen«, sagte er jedoch ungerührt zu Marc und zeigte in irgendeine Richtung. Die beiden setzten sich in Bewegung und Mei hakte sich bei mir unter, um mich mitzuziehen.

Ihr Blick ruhte auf mir, als befürchtete sie, dass ich noch einmal umkippen könnte. »Cate?«

Ich sah zu ihr auf. Obwohl sie ein Jahr jünger war als ich, überragte sie mich schon fast um einen Kopf. Aber in ihrer Familie waren ja schließlich alle groß.

»Ja?« Ich legte einen festen Schritt vor, um ihre Sorgen zu zerstreuen, und versuchte mich auf anderes zu konzentrieren. Das Pflaster hier in den Gassen war uneben und rau. Überall spross Moos aus den Ritzen hervor.

»Geht es dir wirklich gut?«, wollte Mei wissen. Misstrauen schwang in ihrer Stimme mit, jedoch sehr viel weniger Sorge, als ich geglaubt hatte.

»Ich denke schon, warum?« Ich ließ den Blick schweifen und sah zu der Wäsche, die viele Meter über uns von einem Haus zum anderen gespannt in der Sonne trocknete. Zu den luftigen, hell bemalten Fensterläden oder den beiden Frauen, die uns schwatzend entgegenkamen. Bloß um nicht zu Justus zu sehen, der vor uns herging.

»Dein Gesicht ist feuerrot«, behauptete Mei und musterte mich argwöhnisch. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, du bist ein glühendes Feuermädchen.«

Innerlich seufzte ich. Sie hatte recht. Zudem schwitzte ich, obwohl meine Hände eiskalt waren, und mein Herz raste immer noch, als wäre es vor mir auf der Flucht.

Der Wind war zurückgekommen und versuchte mir das Gesicht zu kühlen. Es half nichts.

Mei hatte sicher eine Erwiderung von mir erwartet, aber ich schwieg, wagte es nicht, den Mund aufzumachen, als sich mir langsam der Grund für all das aufdrängte.

Ich wusste es ja bereits, aber es mir einzugestehen war viel schwerer als gedacht. Justus war immer wie ein Bruder gewesen und die Tat­sache, dass er etwas anderes für mich sein könnte, machte mir Angst.

Mein Blick wanderte nun doch zu Justus, der uns durch die engen Seitenstraßen des Dorfes um den Marktplatz herumführte.

Er sah im gleichen Moment zu mir, als wüsste er doch, dass ich an ihn dachte, und lächelte so, wie er es immer tat. Ruhig und frei von versteckten Absichten.

Es raubte mir den Verstand und zauberte auch mir ein Lächeln auf die Lippen, das ich nicht kontrollieren konnte.

Bei allen Winden, ich war nicht krank! Nein, ich war bestimmt verrückt. Und Justus war schuld daran.

Vom Wind geküsst

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