Читать книгу Vom Wind geküsst - Lin Rina - Страница 13

5

Оглавление

Der Wagen ruckelte heftig, als wir vom weichen Waldboden auf den festen Weg ratterten.

Das Kappa, das vorgespannt war, muhte empört, da die Halterung an seinem Rücken zog.

Ich mochte diese riesenhaften, gutmütigen Tiere. Sie hatten so freundliche Augen und waren doch auch beeindruckend mit ihren breiten Hufen und den zwei in Spiralen gedrehten Hörnern.

Zwar reiste man mit ihnen nicht besonders schnell, aber dafür hatten sie Ausdauer und waren stark. Jedes von ihnen zog allein einen Wagen.

Da ich nicht zuständig war für die Kappa, beschäftigte ich mich wenig mit ihnen. Vor allem, weil der Wind sie besonders gern ärgerte und ich ihn dazu nicht auch noch anstiften wollte.

Heute früh saß ich bei Hanna auf dem Kutschbock und sah dabei zu, wie der Wind dem massigen Tier Wirbel in das bastartige Fell drehte.

Hanna hielt die Zügel, wobei es nicht viel zu tun gab, da das Kappa in gleichmäßigem Trott dem Gefährt vor uns folgte.

Sie sah müde aus, jedoch nicht so sehr wie Mei und Ayo, die sich hinter uns an die Wagenwand lehnten. Bei jedem Schlagloch hielten sie sich mit schmerzerfüllter Miene den Kopf, tranken abwechselnd aus einem Wasserschlauch und blinzelten in die strahlende Morgensonne.

»Wie wäre es mit ein paar Wolken, Cate?«, stöhnte Ayo und zog sich ihr dunkles, krauses Haar vor die Augen.

Mei äußerte sich nicht. Sie wusste, was ich davon hielt, wenn sie Wein trank. Würde sie jammern, bekäme sie eine Standpauke und darauf hatte sie wohl keine Lust.

Ich im Übrigen auch nicht. Gedankenverloren starrte ich in die Luft und war froh, mit niemandem reden zu müssen.

Hanna war glücklicherweise feinfühlig genug, um mich in Ruhe zu lassen.

Der Wind kitzelte das Kappa, streifte darüber hinweg, raschelte durch Blätter und tanzte mir durchs Haar. Die Zeit verging still. Der Wald zog an uns vorbei, wurde lichter und schlussendlich ließen wir ihn hinter uns.

Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich bald goldene Felder. Mais, der schon hoch stand, Weizen und Hafer, so weit das Auge reichte.

Zwischendurch hielten wir an einem Bauernhof, damit Tanja Eier kaufen konnte.

Bree kam von einem der hinteren Wagen zu uns und setzte sich zu Ayo und Mei, die ihr müßig Platz machten.

Auch Bree hatte schon mal besser ausgesehen. Da ihre Haut von Natur aus blass war, wirkte sie noch kränklicher als ihre Freundinnen.

»Meine Brüder nerven mich zu Tode«, jammerte sie und ich verdrehte die Augen. Ihre zwei jüngeren Brüder waren nicht immer einfach zu handhaben. Aber das lag wohl in der Familie.

Elia war zwölf und Cookie im letzten Monat acht geworden. Bei beiden würde es noch dauern, bis sich ihre Feuerkräfte entwickelten. Bree, die schon seit etwas mehr als zwei Jahren im Vollbesitz ihrer Kunst war, rieb ihnen diese Tatsache nur zu gern unter die Nase.

Zumal Jungen da sowieso später dran waren. So wie ich das bisher beobachtet hatte, erwachten die Feuerkräfte bei ihnen etwa im sechzehnten Lebensjahr. Das musste etwas mit der körperlichen Entwicklung zu tun haben. Mädchen waren da, wie bei so vielem, zwei Jahre früher dran.

Ayo legte wortlos die Arme um Bree, die ihr Gesicht in Ayos strubbligem Haar vergrub, als die Wagenkolonne sich wieder in Bewegung setzte.

»Mei«, murmelte Bree und schob ihren dicken roten Zopf zurück. »Was ist denn mit deinem Bruder los?« Sie streckte die Hand nach dem Wasserschlauch aus.

»Mit welchem?«, fragte Mei und reichte ihn ihr.

»Justus«, antwortete Bree und in mir machte sich sofort zittrige Aufregung breit, die mich hellhörig werden ließ, ob ich nun wollte oder nicht.

Vorhin war ich Justus aus dem Weg gegangen, nachdem ich das Lager wieder erreicht hatte. Die Kappa waren schon eingespannt gewesen und jeder hatte noch einmal nachgesehen, dass nichts vergessen wurde. Justus war beschäftigt und ich hatte mich eilig im grünen Wagen versteckt, bis wir losfuhren.

»Keine Ahnung, was ist denn mit ihm?«, stellte Mei die Gegenfrage und lehnte sich nach hinten. Bis das nächste Schlagloch kam. »Kappadreck!«, fluchte sie leise, als ihr Kopf gegen die Holzwand schlug, und legte anschließend die Stirn auf ihren angezogenen Knien ab.

»Er hat sich beim Frühstück Haferbrei geholt, aber keinen Löffel davon gegessen. Und dann hat er sein Kappa falsch herum eingespannt. Klar, die Dinger sind vorn so zottelig wie hinten. Aber die Hörner hätten ein Hinweis sein können«, sagte Bree in dem spottenden Ton, der so typisch für sie war, schraubte den Verschluss des Wasserschlauches auf und setzte zum Trinken an.

»Vielleicht hat er gestern ja zu viel Wein getrunken«, bemerkte Hanna spitz und es war das Erste, was ich heute von ihr zu hören bekam.

Sie war eine starke Verfechterin von Disziplin und Tugendhaftigkeit. Und sie wünschte sich, dass ihre Schwester Ayo und deren Freundinnen das ähnlich sehen würden.

Die Mädchen verstummten schlagartig. Die Kopfschmerzen und das schlechte Gewissen nagten sicher an ihnen.

Ich schwieg ebenfalls, war noch in Gedanken bei dem, was Bree gerade erzählt hatte.

Heute Morgen war ich Justus als Erste begegnet, direkt nach dem Aufwachen, und er hatte nicht gewirkt, als ob ihm der Wein von gestern zu Kopf gestiegen wäre.

Also blieben noch ich und mein verrücktes Verhalten, für das ich mich mittlerweile in Grund und Boden schämte. War es möglich, dass ich ihn so aus dem Konzept gebracht hatte, dass er bei einem Kappa hinten und vorn verwechselte? Oder war danach noch etwas vorgefallen?

Gedankenverloren drehte ich die Finger ineinander und starrte in den Himmel.

Ich könnte den Wind fragen, doch traute ich mich das? Missmutig seufzte ich in mich hinein, biss mir auf die Unterlippe und gab schlussendlich doch meiner Neugierde nach.

Wind!, rief ich und sofort war er bei mir, um fröhliche Kreise um mich zu drehen. Er mochte es, wenn wir unterwegs waren. Dann waren wir der Freiheit zum Greifen nah.

Was ist mit Justus? Was hat er heute gemacht?, erkundigte ich mich zögerlich.

Für gewöhnlich fragte ich den Wind solche Dinge nicht. Die Geheimnisse anderer sollten auch die anderer bleiben. Aber ich musste einfach sichergehen, dass nicht ich der Grund für Justus’ sonderbares Verhalten war.

Aufgeregt schwang der Wind hin und her.

Wie genau willst du es denn wissen?, gab er zurück und ich gebot ihm mit einer ungeduldigen Handbewegung, endlich anzufangen.

Er ist zu deinen Sachen gegangen und hat sie zusammengerollt, begann er und meine ungeteilte Aufmerksamkeit regte ihn dazu an, stärkere Böen durch die Felder zu schicken.

Dann ist er zum Lager zurück und hat sie in deinen Wagen gelegt. Er hat geseufzt und sich die Haare gerauft. Und er hat mit der Faust gegen den Türrahmen geschlagen. Bree hat ihm Haferbrei mit Honig gegeben, er hat ihn nicht gegessen und zu Marc gesagt, er habe keinen Hunger. Er hat den Brei an ein Kappa verfüttert.

Ich stoppte ihn und kaute wieder auf meiner Unterlippe herum. Ist irgendwas Besonderes vorgefallen?, versuchte ich die Sache zu präzisieren.

Irgendwas Besonderes vorgefallen, wiederholte er meine Worte als Zeichen seiner Verwirrung. Frustration schwang in den Kreisen, die er zog, da er mir nicht das geben konnte, was ich offensichtlich hören wollte.

Schon gut. Vergiss es, seufzte ich stumm und fuhr mit den Fingern durch ihn hindurch, um ihm zu zeigen, dass ich nicht unzufrieden mit ihm war. Der Wind war eben nur der Wind und sein Bewusstsein war anders als das von Menschen.

Nicht mehr so ausgelassen wie zuvor, kehrte er zu den Wiesen zurück, an denen wir gemächlich vorbeifuhren.

Ich starrte wieder in den Himmel.

»Manchmal bist du schon merkwürdig, Cate«, sprach mich Hanna unvermittelt an und schreckte mich damit auf.

»Wie bitte?« Irritiert blinzelte ich und brauchte einen Moment, um aus meinen Gedanken ins Hier und Jetzt zurückzufinden.

»Wenn du so in die Luft starrst, als wäre da etwas, und dann noch mit den Händen tanzt. Du siehst dann einfach ein bisschen verrückt aus«, meinte sie mit einem Lächeln im Mundwinkel und winzige Lachfältchen bildeten sich um ihre warmen braunen Augen. Sie sah inzwischen sehr viel wacher aus und die sanft gewellten blonden Haare umrahmten ihr schmales Gesicht, als sie mir einen kurzen Blick zuwarf.

Der Wagen ratterte durch ein Schlagloch und von hinten ertönte kollektives Aufstöhnen.

»Der Wind ist doch dort«, erklärte ich und er freute sich über meine Erwähnung.

»Ja, aber manchmal sieht es so aus, als würdest du mit ihm reden.« Sie sagte es, als hätte sie einen Witz gemacht. Meine Wangen färbten sich augenblicklich rot. Zum Glück sah sie nicht hin, sodass sie keine Rückschlüsse ziehen konnte.

Denn Hanna wusste es nicht. Keiner wusste es, da ich es niemandem gesagt hatte. Nicht einmal Justus.

Schon mehr als einmal hatte ich mir vorgenommen, es ihm zu verraten, und jedes Mal doch wieder aufgeschoben. Zu schwerwiegend war diese Information. Denn ich sprach ja nicht nur mit dem Wind; er antwortete.

Wir rasteten, als die Sonne gerade ihren Zenit überschritten hatte.

Tanja packte die Kochutensilien aus und ihr Mann Kai entfachte ein Kochfeuer. Hanna war, wie so typisch für sie, gleich hinüber­geeilt und hackte mit Garan zusammen Gemüse. In letzter Zeit schien sie etwas übereifrig. Und Garans Gesichtsausdruck nach zu urteilen, dachte er das auch. Ich verstand Hanna jedoch zu wenig, um den Grund zu erraten.

Ayo, Mei und Bree holten in unserem Wagen ein wenig Schlaf nach. Das würde ihnen guttun. Bree schlief meist mit Ayo in einem Bett, da sie ihres noch im Wagen ihrer Eltern hatte.

Obwohl sie bereits fast siebzehn war und ihre Kräfte sich entfaltet hatten, war ihr nicht das Privileg zuteilgeworden, bei den Frauen zu wohnen.

Das war keine böse Absicht, vielmehr waren sämtliche Betten bereits besetzt. Die gesellschaftliche Zurückstufung zu einem Kind, die sie dadurch empfand, machte ihr ziemlich zu schaffen.

Manchmal glaubte ich, sie gäbe mir die Schuld daran. Weil ich nicht zu ihnen gehörte und trotzdem ein Bett beanspruchte, in dem ich so gut wie nie schlief.

Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie mich nicht leiden konnte.

Um ihrer Schmach zu entgehen, legte sie sich so oft es ging zu Ayo, die sich ihrerseits über die Anwesenheit ihrer besten Freundin freute.

Im Gegensatz zu ihnen wäre es mir recht gewesen, ihr das Bett zu überlassen und die Hängematte zu meinem festen Schlafplatz zu bestimmen.

Ich war nun mal anders. Warum es leugnen?

Justus, der bei Marc und Dante stand, sah zu mir herüber und versuchte meinen Blick aufzufangen. Ich wandte mich jedoch wie zufällig ab. Noch war mir mein Wutausbruch von heute Morgen viel zu peinlich und mein Herz schmerzte bei dem Gedanken an Justus.

Neben mir im Gras saßen die Kinder, die mit Würfeln spielten. Ich beugte mich zu ihnen, um einen guten Grund zu haben, meinen Blick gesenkt zu halten, und wurde von ihnen direkt ins Spiel miteinbezogen.

Benji schob mir einen roten Würfel zu und Vivien zeichnete gleich eine Spalte für meine Punkte mit einem Stock in den Boden. Juju, die noch gar nicht richtig zählen konnte, kletterte mir wie selbstverständlich auf den Schoß.

Das Spiel war einfach, aber ich musste den Wind mehrmals davon abhalten, den Würfel nicht zu meinen Gunsten zu beeinflussen.

Ich war gerade haushoch am Verlieren, als er nah an mein Ohr kam und über meine Wange strich, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Da kommen vier Männer zu euch, flüsterte er mit Nachdruck und ich wandte mich ihm sofort zu. Sie sind bewaffnet. Sie suchen ein Mädchen. Es hat sich in Marcs Wagen versteckt.

Ich blinzelte ein paar Mal und war wie erstarrt. Was sollte ich mit dieser Information anfangen? Ich konnte ja schlecht zu Justus rennen und ihm sagen, dass ein Trupp zu uns unterwegs war. Wie sollte ich denn bitte erklären, woher ich das wusste?

»Da kommen Reiter auf uns zu!«, schlug in diesem Augenblick Bree Alarm und lehnte ihren leicht schwankenden Körper an den Türrahmen. Ihre sonst so fein säuberlich geflochtenen Haare sahen vom Schlafen sehr zerzaust aus. Ihre Feuergabe hatte sie wohl direkt aus dem Schlaf gerissen.

Alle erstarrten in ihren Bewegungen. Selbst die kleine Juju wurde mucksmäuschenstill.

Ich seufzte, von meiner Bürde befreit, erleichtert auf.

»Sind sie nur in der Nähe oder kommen sie tatsächlich auf uns zu?«, fragte Kai und Bree strich sich mit säuerlicher Miene den Zopf nach hinten.

»Glaubst du, ich würde aufstehen, wenn sie nur in der Nähe wären? Sie reiten in gerader Linie über die Felder genau auf uns zu. Es sind vier. Und sie haben ein zusätzliches Pferd dabei.«

»Aus welcher Richtung kommen sie?«, verlangte Kai zu wissen und sah zu Justus.

Bree hob den Arm nach Westen.

»Danke, Bree«, hielt Justus sich knapp und straffte die Schultern. Er tauschte Blicke mit Marc und Van. Die beiden stellten sich zu ihm, an die Seite ihres Vaters.

Angu, Janko und Fin kamen hinzu und alles geschah, ohne dass jemand ein Wort sagte. Jedem war klar, was getan werden musste, wenn es die Familie zu verteidigen galt.

Dante wollte ebenfalls aufstehen, doch sein Vater hielt ihn davon ab. Seine Geschicklichkeit im Kampf war noch dürftig und keiner von uns wollte, dass Dante sich unnötigerweise in Gefahr brachte.

Seine Feuerkräfte waren zwar gewaltig, aber nicht hilfreich, wenn man sie um jeden Preis geheim halten musste.

Juju klammerte sich mit ihren kleinen Fingern an mein Kleid und ich legte ihr beruhigend die Hände auf den Rücken. Sie spürte wohl die Spannung, die unter uns herrschte.

Vorsichtig zog sie sich an mir hoch, den kleinen Mund nahe an mein Ohr.

»Was ist los?«, wisperte sie.

»Nichts Schlimmes«, versicherte ich ihr, obwohl ich das eigentlich nicht wusste.

Moment, nein. Ich wusste sehr wohl, was los war. Ich hatte mich so daran gewöhnt, alle unerwünschten Informationen, die der Wind mir aufdrückte, gleich zu verdrängen, dass ich es gar nicht realisiert hatte.

Wieso war da ein Mädchen im Wagen der Männer?

Zögerlich stand ich auf, gab mir Mühe, nicht aufzufallen, und hob Juju auf den Arm, da sie sich weiterhin an mir festklammerte.

Justus’ Kopf schnellte sofort zu mir herum, als er meine Bewegung bemerkte. Auch wenn ich mir nicht erklären konnte, wie ihm das hatte auffallen können.

Sein Blick war eine offene Frage. Und ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, welche es war: Sind sie wegen dir hier?

Ich schüttelte leicht den Kopf, gerade so, dass er es verstehen würde, und versuchte mich an einem zuversichtlichen Gesichtsausdruck.

Er runzelte die Stirn und sah nicht überzeugt aus. Bist du sicher?, sollte das wohl heißen.

Ich schenkte ihm einen strengen Blick und gab Juju an ihre Mutter ab, die ihr sanft den Kopf streichelte und sich mit ihr und Sally in ihren Wagen zurückzog.

Justus schien noch immer nicht sonderlich überzeugt, aber er sah nicht weiter zu mir, sondern wandte sich in die von Bree angegebene Richtung.

Bree hatte inzwischen Gesellschaft von Ayo und Mei bekommen. Wenn etwas Spannendes passierte, konnten sogar Kopfschmerzen zur Nebensache werden.

Als die Reiter hinter einer kleinen Baumgruppe zum Vorschein kamen, wurden alle noch unruhiger.

Wir wurden während unserer Reisen selten behelligt. Wenn wir nicht gerade an einem Dorf haltmachten und Waren feilboten oder ein Feuerspektakel veranstalteten, interessierten sich die Menschen so gut wie gar nicht für uns.

Am Ende waren wir, so beeindruckend sie die Feuerspektakel auch fanden, nur ein Haufen Vagabundengesindel, das in bunten Holz­wagen durch die Lande zog.

Die Pferde näherten sich schnell. Die Reiter hatten ledernes Rüst­zeug an und der letzte von ihnen führte eine graue Stute mit sich.

Brees Feuerkunst war wirklich erstaunlich. Sie konnte Feuer und Wärme mit einem inneren Sinn erspüren und sogar grob bestimmen, in welcher Entfernung sie sich befanden. Daher diente Bree uns als Vorwarnung für solch ungebetene Besucher.

Die Männer und Fin bauten sich in einer Linie vor uns und den Wagen auf und zwangen die Reiter anzuhalten.

Der vorderste schwang sich geübt aus dem Sattel und landete mit den geputzten Stiefeln im Staub des Feldes. Ein schmales Langschwert hing an seinem Gürtel und seine Hand schwebte als stille Drohung über dem Griff. Er hob stolz das Kinn.

Auf seiner ledernen Brustplatte erkannte ich das Wappen, das ich schon über der Tür des Stadtrates gesehen hatte. Sie kamen also aus dem Ort, den wir heute früh verlassen hatten.

»Uns ist eine junge Frau abhandengekommen«, eröffnete er das Gespräch, ohne Atem an eine Begrüßung zu verschwenden.

»Beschreibt sie uns und wir werden nach ihr Ausschau halten«, entgegnete Kai, ungerührt von dem barschen Ton des Soldaten.

Der Truppenführer lachte humorlos auf und kam noch einen Schritt näher. »So einfach ist es nicht, Vagabund. Man sagt, sie wäre zuletzt bei euch gesehen worden.«

Kai schürzte die Lippen, sah nicht gerade überzeugt aus.

In meinem Kopf stauten sich die Gedanken, die ich nicht auszusprechen wagte. Der Wind hatte mir gesagt, dass da eine Frau in Justus’ Wagen war. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass es sich um die gesuchte handelte. Doch wieso war sie dort? Was hatte sie da verloren?

»Wie ihr sicher wisst, gab es gestern ein Spektakel. Etliche junge Frauen waren dort. Warum sollten wir dafür verantwortlich sein, wenn eine von ihnen nicht nach Hause gekommen ist?«, hielt Kai dagegen. Er war nicht so kaltblütig, wie er dabei klang, das wussten wir alle. Doch natürlich würde er vor dem Soldaten keine Schwäche zeigen.

Dieser seufzte genervt und gab seinen Männern einen Wink. »Wir werden eure Wagen durchsuchen müssen«, kündigte er an, und es war nicht als Bitte gedacht. Seine Männer schickten sich an, von ihren Pferden zu steigen.

»Nein«, erwiderte Kai schlicht. Er und die anderen traten dem Trupp einen Schritt entgegen, zeigten ihre Entschlossenheit.

Der Anführer wich instinktiv zurück, die Hand lag sofort am Schwertgriff. Eines der Pferde scheute bei all der Spannung in der Luft, sodass der Reiter Mühe hatte, es zu besänftigen.

Die Feuerleute waren aber auch ziemlich Furcht einflößend, wenn sie das wollten; selbst wenn man nicht wusste, dass sie Funkenbälle nach einem werfen konnten. Sie überragten alle um einen Kopf, in ihnen brannte das Feuer eines Kriegers und keiner von ihnen war für sein ruhiges Gemüt bekannt.

Die Miene des Soldaten verfinsterte sich zunehmend. Er war es offenbar weder gewohnt, Widerworte zu bekommen, noch auf Gegenwehr zu stoßen.

Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Ich wünschte mir, der Wind hätte mir nichts gesagt und ich dadurch auch nichts gewusst. Denn das Wissen darum, dass das Mädchen wirklich hier war, erdrückte mich.

Wenn diese Situation in einem Kampf endete und dabei jemand verletzt wurde, dann wäre ich schuld daran, weil ich nichts gesagt hatte.

»Es ist so«, setzte der Soldat nach, die Stimme ein wenig respektvoller. Er hatte also auch nicht vor, einen Streit zu provozieren. Sein Blick schweifte wachsam über die Gruppe. »Es ist nicht irgendein Mädchen«, sagte er endlich. »Sie ist die Tochter unseres Bürger­meisters. Da werdet ihr verstehen, dass wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen müssen, um sie zu finden«, betonte er, traf aber nicht auf Verständnis.

Die Feuerleute rührten sich nicht von der Stelle, nicht mal ein Wimpernzucken war zu sehen.

Mir glühte bereits der Kopf vor Anspannung. Jeder musste mir ansehen, dass ich etwas wusste.

Und da traf mich die Erkenntnis wie ein Stein am Kopf. Mir kam eine Erinnerung an blaue, goldbestickte Seide, ein zuckersüßes Kichern und zwei Gestalten, die in Marcs Wagen verschwanden. Das Mädchen, das wir zuvor im Hof des Stadtrats gesehen hatten.

Wind!, rief ich still und er kam unter meinem Haar hervor. Ist sie das Mädchen, das Marc heute Nacht bei sich hatte?

Ich konnte spüren, wie er kicherte. Das war dann wohl ein Ja. Kappadreck!

»Immer noch kein Grund, uns zu beschuldigen!« Kais Stimme war hart wie ein Fels.

Meine Lippen zuckten, doch die Worte wollten mir nicht über die Lippen. Dabei tat es mir so weh, weil ich wusste, dass er im Unrecht war.

Die Männer des Trupps sahen unsicher von einem zum anderen.

»Man behauptet, sie habe die Nacht in eurem Lager verbracht«, brachte der Soldat vor und umklammerte den Griff seines Schwertes fester.

Ich fuhr mir mit der Hand über meine schweißnasse Stirn, nahm mir vor, es zu sagen, sobald der Mann das Schwert ziehen sollte, und konnte nur hoffen, dass es dann nicht zu spät war.

Langsam müsste der Groschen doch auch bei den Feuerleuten fallen.

Und das tat er. Bei allen Winden! Ein Stein fiel mir vom Herzen, als sich plötzlich alle Köpfe zu Marc drehten.

Es war unter uns allgemein bekannt, was er in seinem Wagen so trieb. Meistens lachte man nur darüber oder hielt ihm vor, die Gefühle junger Mädchen nicht ernst zu nehmen. Manchmal bekam er auch eine Standpauke von seiner Mutter.

Aber heute war es anders.

»Marc?« Kai blickte ihn drohend an.

Marc zog den Kopf ein.

»Sie hat nicht gesagt, dass sie die Tochter eines Bürgermeisters ist. Und ich habe sie heute Morgen vor Sonnenaufgang nach Hause geschickt«, verteidigte er sich sofort und verschränkte reserviert die Arme vor der breiten Brust. Keiner sagte etwas, deshalb setzte er noch: »Ich schwör’s!«, hinzu.

Angu und Justus lösten sich aus der Reihe und liefen zum blauen Wagen hinüber. Justus riss die Tür auf und trat, dicht gefolgt von seinem Schwager, ein.

Es dauerte nur einen Augenblick, bis eine weibliche Stimme zu kreischen begann. »Lasst mich los, ihr ungehobelten Grobiane!«, schrie das Mädchen, das am Arm nach draußen gezerrt wurde.

Marcs Gesicht erbleichte und er wandte sich verschämt ab.

»Lady Elena!«, rief der Truppenführer und trat einen Schritt nach vorn.

Die Linie der Feuerleute löste sich auf und ließ ihn ungehindert durch.

»Nein, nein!«, klagte Elena wenig damenhaft und versuchte sich aus Justus’ Griff zu befreien.

»Ich habe nicht gewusst, dass sie da ist«, versicherte Marc uns immer wieder, doch er erntete nur böse Blicke.

Es war einfach zu typisch. Wäre ich nicht so erleichtert, dass es nicht zu einem Kampf gekommen war, wäre ich sicher auch wütend auf ihn gewesen.

»Nehmt sie mit«, sagte Justus, als er den Soldaten erreichte, und schob das zappelnde Mädchen von sich.

»Mylady.« Der Truppenführer verbeugte sich knapp vor ihr und übernahm sie.

»Nein!«, schrie sie weiter aus vollem Hals, dass es in den Ohren wehtat, und stemmte die Füße in den Boden. »Ihr versteht das nicht! Ich gehöre hierher!«

Der Anführer seufzte. »Jaja, das hatten wir ja schon«, grummelte er, blickte einen Moment verzweifelt drein und warf sich dann die junge Frau ungalant über die Schulter wie ein Sack voll Mehl. »Verzeiht, Lady Elena«, murmelte er dabei nur und ging zu seinem Trupp zurück.

»Es ist Liebe! Wir lieben uns! Ich will nicht weg! Er liebt mich!« Elenas Kreischen erreichte eine neue Tonhöhe.

Marcs Gesicht glühte vor Scham und er sah nicht hin, als man das Mädchen auf das freie Pferd setzte.

Kai trat vor. »Meine aufrichtige Entschuldigung«, sagte er und rieb sich die Stirn. Es war offensichtlich, dass auch er sich für seinen Sohn schämte.

Der Truppenführer zuckte jedoch mit den Schultern. »Ja, wir entschuldigen uns ebenfalls«, erwiderte er bescheiden und wahrte damit Kais Stolz, was ich für eine sehr großzügige Geste hielt.

Kai runzelte die Stirn. Wir hatten alle eine andere Reaktion erwartet.

Der Mann schwang sich in den Sattel. »Macht euch keine Sorgen«, rief er Kai zu. »Das war nicht das erste Mal. Danke für die Kooperation.« Er nickte ihm zum Abschied zu und setzte sein Pferd in Bewegung.

»Marc! Marc!«, schluchzte Lady Elena, und dann ritten sie auch schon über den Feldweg davon.

»Du Vollidiot!«, brüllte Kai und schlug Marc mit der flachen Hand ins Gesicht.

Dieser zuckte nicht zurück. Er war sich bewusst, dass er es verdiente.

Doch mein schlechtes Gewissen nagte weiter an mir. Ich hatte das Mädchen zwar nicht in den Wagen geführt, aber auch nichts dafür getan, die Situation sanfter zu lösen.

»Hat dir ein Kappa in den Kopf geschissen?!«, fuhr Kai ihn weiter an. »Wie kannst du uns nur so beschämen und in so eine Gefahr bringen? Was, wenn sie uns angegriffen hätten? Oder uns vorgeworfen hätten, sie entführt zu haben?«

Marc antwortete nicht und ließ Kais Schimpftiraden über sich ergehen, bis diesem die Puste ausging.

Erschöpft sah er seinen jüngsten Sohn an und schüttelte den Kopf. »Wenn ich sehe, dass du wieder ein Mädchen abschleppst, werde ich dir Feuer unterm Hintern machen!«, drohte er ihm, bedachte ihn noch einmal mit einem stechenden Blick und ging zu seiner Frau, die ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legte.

Der Vorfall fand ein Ende, die Spannung wich langsam und kurz darauf saßen alle beisammen und aßen.

Nur Marc war offensichtlich der Appetit vergangen. Er verkroch sich im Wagen und ließ sich nicht mehr blicken.

Und auch an mir ging es nicht spurlos vorbei.

Geheimnisse waren ein wichtiges Gut. Gerade die Feuerleute wussten das und Justus sagte mir auch ständig, ich solle besser darauf achten. Ihnen fiel das offensichtlich nicht so schwer wie mir. Doch das Feuervolk existierte aus diesem Grund ja auch noch, meins jedoch nicht.

Das verpasste mir den Dämpfer, den ich gebraucht hatte und der mein schlechtes Gewissen mit Angst überlagerte. Es war besser, dass ich nichts gesagt hatte.

Oder?

Ich machte es mir bei Juju und Sally bequem, die mir beim Würfel­spiel das Versprechen abgenommen hatten, mit ihnen zu essen. Mir war das nur recht, es lenkte mich ab. Sowohl von dem, was gerade passiert war, als auch von der Sache heute Morgen.

Justus sah immer wieder zu mir herüber und ich versuchte das geflissentlich zu übersehen.

Mein Herz zog sich jedes Mal zusammen, wenn ich seinen Blick auf mir spürte, und ich konnte nur mit Mühe verhindern, rot anzulaufen.

Juju nahm mich glücklicherweise voll in Beschlag. Wie ein kleines Wolfsjunges schlug sie ihre Zähnchen in einen Rebhuhnschenkel und verschmierte dabei Öl und Gewürze in ihrem ganzen Gesicht. Ihr zuzusehen brachte mich mehr als einmal zum Lachen, doch sie weigerte sich hartnäckig, sich beim Essen helfen zu lassen.

»Ich kann das allein«, sagte sie bockig und ihre ältere Schwester Sally kicherte vergnügt.

Ich löffelte ohne Appetit ein paar Linsen. In letzter Zeit bekam ich kaum etwas runter, ohne mich zu zwingen, und ich fürchtete, dass es an meiner verzwickten Verliebtheit lag.

Als Kai zum Aufbruch rief, hatte ich das großzügige Stück Rebhuhn, das auf meinem Teller lag, nicht mal angerührt.

Vom Wind geküsst

Подняться наверх