Читать книгу Vom Wind geküsst - Lin Rina - Страница 12

4

Оглавление

Gerade setzte die Morgendämmerung ein, da weckte der Wind mich sanft, als er mal wieder versuchte, meine Haare auf dem Kissen zu drapieren. Er stellte seltsame Dinge damit an, wenn ich schlief. Meist waren sie einfach nur hoffnungslos verknotet, manchmal breitete er sie fein säuberlich aus. Einmal war ich auch mit einem gedrehten Zopf aufgewacht.

Guten Morgen, säuselte er, als ich blinzelte, und schmiegte sich an mich.

Ich lächelte. Deutlich spürte ich, wie sehr er mich mochte. Er liebte mich. Mich, die Letzte meines Volkes. Und ich liebte ihn.

Ich streckte die Finger unter der Decke hervor und fuhr damit durch den Wind, der warm meine Haut berührte.

Das Lächeln verging mir jedoch gleich wieder, als ich an Justus denken musste, und wich einem lautlosen Seufzen. Ihn liebte ich auch.

Innerlich fluchte ich alle Flüche, die ich je von Marc gehört hatte. Wie hatte mir so was nur passieren können?

Natürlich war mir schon länger klar gewesen, dass ich verliebt war. Und spätestens seit gestern Abend konnte ich es nicht mehr leugnen.

Hoffentlich hatte mich keiner gesehen und es wusste niemand außer mir. Wenn die anderen es erfuhren, würden sie sich die Mäuler darüber zerreißen. Oder mich beiseitenehmen und mir erklären, dass, egal was ich da empfand, niemand aus dem Feuervolk jemals mit jemandem zusammen sein konnte, der nicht wie sie war.

Bei allen Winden! Welch ein Schlamassel.

Ich zog die Hand unter die Decke zurück und vergrub das Gesicht hinter meinen Haaren.

Wie dumm ich doch war, mich zu verlieben. Ich musste damit aufhören und doch brauchte ich nur an gestern Abend zu denken und mein Magen verkrampfte sich.

Was war nur mit mir los? Es war doch nicht das erste Mal, dass Justus mit einem Mädchen geflirtet hatte. Das passierte eigentlich andauernd.

Trotzdem machte es mich diesmal so wütend!

Wie war ich denn damit in der Vergangenheit umgegangen? War es mir egal gewesen? Hatte ich nicht so genau hingeschaut? Ach, verflucht.

Es tröstete mich nur wenig, sicher zu sein, dass er nie eine von ihnen mit in seinen Wagen genommen hatte, wie Marc das gern tat.

Um vor Wut nicht laut aufzuschreien, drückte ich mein Gesicht fester ins Kissen und biss hinein.

Der Wind passte sich meiner Stimmung an und frischte auf, drehte sich um die Hängematte und wirbelte trotzig Laub durch die Gegend.

»Cate?«, fragte eine raue Stimme verschlafen.

Ich hielt die Luft an.

Justus! Er war hier. Mein Herzschlag setzte zur doppelten Geschwindigkeit an.

Natürlich! Dieser verdammte Mistkerl lag direkt unter mir.

Marc hatte den Wagen für sich besetzt und das hieß für Dante und Justus, dass sie woanders übernachten mussten.

Dante kam dann meist bei seinem kleinen Bruder Garan unter. Na ja, und Justus schlief draußen. Unter meiner Hängematte auf dem Boden.

Ich hatte ihm schon tausendmal gesagt, ich würde ihm auch eine Matte weben, wenn er das wollte. Doch er hatte jedes Mal abgelehnt. Die Erde sei sicherer, als in der Luft zu schlafen, hatte er erwidert. Und unter mir sowieso, denn das Regenrisiko war dort minimal.

»Ich weiß, dass du wach bist«, murmelte er und ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. Er hatte wirklich die Dreistigkeit, so zu tun, als wäre nichts gewesen. Wie mich das ärgerte! Dieser blöde Haufen Kappadreck!

»Der Wind pustet wie ein kleiner Orkan. Du wälzt dich von einer Seite zur anderen und schnaubst wie ein Kappa.« Er lachte.

Erneut biss ich ins Kissen und kniff die Augen fest zu, um vor Wut nicht zu weinen.

Ich antwortete ihm nicht, versuchte meine Gefühle zusammen­zuhalten und spürte, wie die Sekunden verstrichen.

»Alles in Ordnung?«, fragte er sanft und plötzlich spürte ich seine Hand an meinem Rücken. Sie war so heiß, dass ihre Hitze durch die Hängematte drang.

Das war zu viel für mich. Zu viel für meine Wut, für meine gespannten Nerven und zu viel für mein Herz.

Wie ein Pfeil schnellte ich aus meiner Hängematte in die Luft und stürzte mich mit einem Kampfschrei auf Justus.

Erschrocken riss er die Augen auf, als ich auf ihm landete. Dann holte ich aus, war entschlossen, mit meiner Faust gegen seine Brust zu hämmern, um meiner Wut Ausdruck zu verleihen. Und um meine Gefühle zu vertreiben.

Doch Justus wich im letzten Augenblick aus, packte mich und drehte sich mit mir zur Seite. Der Schlag erwischte nur seine Schulter, aber meine Fingerknöchel knackten trotzdem schmerzhaft. Es tat höllisch weh.

Wir rollten weiter durchs Laub und ich biss ihm wutentbrannt in den Oberarm. Wie damals, als wir noch Kinder gewesen waren.

»Aua! Cate!«, rief Justus verwirrt und schockiert zugleich.

Mir war das ganz recht. Sollte er sich ruhig erschrecken.

Er drückte meine Schultern mit den Armen zu Boden und hielt mich mit dem Gewicht seines Körpers nach unten gepresst. Wütend versuchte ich, ihn zu treten, doch ich bekam die Beine nicht frei.

Aus seinem Gesicht wich der erste Schreck einem langsam aufsteigenden Ärger. »Was ist denn in dich gefahren? Bist du verrückt geworden?!«, blaffte er und sah mir in die Augen, als wäre dort eine Antwort zu finden. Blätter rieselten ihm aus dem Haar und in seinen schwarzbraunen Augen glomm der Funke der Wut.

Sein Bein lag zwischen meinen und er war so warm, dass mir schwindlig wurde. Mein Magen flatterte fürchterlich und ich verlor zunehmend die Konzentration.

Verzweifelt nahm ich mich zusammen. »Geh von mir runter!«, schrie ich ihn an und Justus zögerte nur kurz, bis er reagierte und mich losließ. Hastig setzte er sich auf und gab mich frei.

Ich zögerte nicht, schwang mich vom Boden in die Luft und auf die Füße. Der Wind blies mir die Haare aus dem Gesicht.

Justus sah mich halb wütend, halb irritiert an.

Ich musste hier weg. Mein Ärger verrauchte langsam und verwandelte sich wieder zu einem quälenden Gefühl in der Brust. In meiner Hand pulsierte der Schmerz, aber ich ignorierte ihn. Mit einem letzten Schnauben drehte ich mich um und marschierte in den Wald.

Der Wind folgte mir, wühlte weiter Blätter auf und rauschte durch die Bäume.

Hinter mir hörte ich, wie Justus sich aufrappelte und mir hinterherlief. Äste knackten, Laub raschelte.

»Lauf mir ja nicht nach!«, kreischte ich, obwohl ich mir langsam doch etwas albern vorkam, und stapfte umso entschlossener weiter. Der Boden fühlte sich unter meinen nackten Füßen feucht und kalt an.

Justus war stehen geblieben. »Habe ich was angestellt?«, rief er mir hinterher, aber ich antwortete nicht. Sollte er ruhig selbst herausfinden, was er getan hatte. Ich würde ihm dabei sicher nicht helfen.

»Hast du etwa deine Tage?«, fragte er dann und ich kam vor Überraschung ins Straucheln. Das hatte er jetzt nicht wirklich gefragt? Die Wut, die schon fast verraucht war, loderte wieder auf. Ich wirbelte herum, hob in der gleichen Bewegung die Hand und riss Justus mit einem gezielten Windstoß die Füße unterm Körper weg. Noch während er fiel, stapfte ich weiter.

Nur das dumpfe Geräusch des Aufschlags und sein erstauntes Aufkeuchen waren zu hören. Und das verschaffte mir einen kleinen Funken Genugtuung.

Erst als ich einen kleinen See erreicht hatte, blieb ich stehen. Die Sonne ging gerade über den Baumwipfeln auf und ließ die Wasser­oberfläche glitzern.

Ich schickte den Wind los, um nachzusehen, ob ich wirklich allein war. Es dauerte nur einen Augenblick, bis er zu mir zurückkehrte.

Er hatte zwei streitende Eichhörnchen entdeckt und einen Hirsch, der auf der anderen Seite des Sees Haselnüsse fraß. Ansonsten war keiner in der Nähe.

Nicht einmal Justus. Er hatte die Warnung offensichtlich verstanden und war zurück zu den Wagen gegangen.

Er hat deine Sachen mitgenommen, teilte mir der Wind mit, während ich die Schnürungen an meinem Kleid öffnete.

Ich schälte mich etwas umständlich aus dem groben Leinenstoff, wickelte das Brustband auf und entledigte mich auch meiner restlichen Unterwäsche.

Ein Bad würde mir guttun. In vielerlei Hinsicht.

Ich atmete tief durch, nahm Anlauf und sprang in einem weiten Bogen bis zur Mitte des Sees.

Es platschte laut, als ich die Oberfläche durchdrang. Eisiges Nass umfing mich. Alle Geräusche wurden gedämpft und für einen kleinen Moment war ich in einer anderen Welt. Eine Welt, in der ich allein war, weil mir nicht einmal der Wind hierher folgen konnte.

Doch langsam ging mir die Luft aus und ich bekam Kopfschmerzen von der Kälte des Wassers. Doch wenigstens hatte ich es geschafft, für ein paar Augenblicke einfach alles zu vergessen.

Ich brach durch die Wasseroberfläche und schüttelte mir das Haar aus dem Gesicht. Einige Strähnen blieben an Stirn und Wange kleben.

Es war herrlich. Viel zu kalt, aber wundervoll. Genau das, was ich jetzt brauchte, um wieder einen freien Kopf zu bekommen.

Zitternd und mit schnellen Zügen schwamm ich zurück ans Ufer und rieb mich im seichten Wasser mit kleinen Kieseln ab.

Mir klapperten die Zähne, aber ich schrubbte weiter, bis meine Haut kribbelte und von allein wieder warm wurde. Sorgfältig kämmte ich mir die Haare mit den Fingern durch, die im nassen Zustand dunkler aussahen, als sie eigentlich waren, und zog einige Blätter und Ästchen heraus, die vom Kampf mit Justus stammen mussten.

Ich zwang mich, alle Gedanken daran aus meinem Kopf zu verbannen, um später darüber nachzudenken. Diesen seltenen stillen Moment wollte ich nicht kaputtmachen.

Noch einmal tauchte ich im tieferen Wasser unter, um die Sandreste abzuwaschen, und stieg ans Ufer, um mir die Haare auszuwringen. Der Wind wirbelte um mich herum und pustete mich in der langsam wärmer werdenden Morgensonne trocken. Rasch schlüpfte ich wieder in meine Kleider und machte mich mit nassen Haaren auf den Weg zurück zu den Wagen.

Nicht mehr lange und wir würden weiterreisen. Zum nächsten Dorf.

Sicher rief Tanja gleich zum Essen und danach trieben wir die Kappa von ihrem Weideplatz unweit der Lichtung, um sie vor die Wagen zu spannen.

Tanzend zog der Wind seine Kreise über den Waldboden, rauschte nun sehr viel sanfter in die Baumkronen und ärgerte einige Vögel, die darin nisteten.

Ich lächelte. Meine Wut hatte ich im See abgewaschen, doch der harte Klumpen im Bauch war geblieben. Und auch der Schmerz in meinem Herzen.

Es würde wohl noch eine Weile an mir nagen und ich würde mich in Zukunft hüten, Justus beim Flirten zuzusehen. Vielleicht erleichterte mir das die ganze Sache. Oder auch nicht.

Ich seufzte und schüttelte die Haare auf, damit der Wind sie schneller trocknen konnte.

Justus dachte bestimmt, ich hätte den Verstand verloren. Schließlich hatte ich ihn ohne Vorwarnung angegriffen. Jetzt, da die Wut verraucht war, wunderte ich mich über meinen Mut und fragte mich, wie ich so etwas Peinliches hatte tun können. Schließlich hatte ich ihn angegriffen und versucht, ihn zu schlagen. Mein Herz hatte sich mal wieder über meinen Verstand erhoben und wir waren über den Boden gerollt, sodass er …

Meine Ohren wurden sofort feuerrot, als ich daran zurückdachte, wie er auf mir gelegen hatte.

Bei allen Winden. Und ich wusste genau, dass es mir gefallen hatte.

Frustriert bedeckte ich mein Gesicht mit den Händen.

Wie sollte das nur weitergehen?

Vom Wind geküsst

Подняться наверх