Читать книгу Vom Wind geküsst - Lin Rina - Страница 11

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Ich lag auf meinem Bett im Wagen und bestaunte meinen neuen Schatz.

Obwohl ich so gut wie nie in diesem Bett schlief, bestanden die anderen darauf, dass es mir gehörte. Wahrscheinlich, weil sie mich nicht ausschließen wollten.

Der Wind tanzte mit den Muscheln, erzeugte leise Klänge. Das Licht verfing sich in den silbernen Röhren und das Glas zauberte bunte Muster an die Wände.

»Verflucht noch mal!«, keifte Marc lautstark von draußen und ich hob den Blick. Mit verzerrtem Gesicht schüttelte er seine schmerzende Hand. Alarmiert ließ ich mich auf den Boden gleiten und rannte hinaus.

»Verdammt!«, fluchte Marc weiter und kam auf mich zu. Den zur Hälfte abgebauten Verkaufsstand und Dante, der die Überreste aufrecht hielt, ließ er einfach stehen.

»Kannst du mir den verfluchten Splitter rausziehen?«, fragte er und streckte mir die Hand entgegen.

»Natürlich.« Ich setzte mich auf die Stufen vor der Tür und Marc ließ sich daneben ins Gras fallen.

Eingehend begutachtete ich seine Handfläche und fand schnell die gerötete Stelle. Der Splitter saß ganz schön tief, war aber nicht allzu groß.

»Willst du damit nicht lieber zu Fin gehen?«, wollte ich wissen und drückte knapp neben das Holzstück, um es ein wenig aus der Haut zu schieben.

Marc zuckte zusammen, verzog schmerzerfüllt den Mund und gab einen zischenden Laut von sich. »Bist du verrückt? Die Quacksalberin hackt mir womöglich gleich die ganze Hand ab«, schnaubte er und sah beunruhigt zu seiner Tante Fin hinüber, die mit Tanja zusammen­saß, quatschte und Bree ein grünes Band in die Haare einflocht. Bree war mächtig stolz darauf, wie schön die Farbe ihres Feuerclans zu ihrem feuerroten Haar passte. So sehr, dass sie mir damit immer wieder auf die Nase binden musste, dass ich nicht zum Feuervolk gehörte und daher keine bunten Bänder tragen durfte.

Stumm schüttelte ich den Kopf, drängte die beißenden Gefühle weg und konzentrierte mich wieder auf Marc.

»Oder sie schmiert mir eine ihrer stinkenden Salben drauf und ich rieche dann tagelang nach totem Tier oder Moorschlacke. Nein danke«, wetterte er weiter und verhalf mir zu besseren Gedanken.

Ich griff hinter mir in den Wagen und zog den Nähkorb hervor, in dem noch mein Kleid mit dem halb hochgenähten Saum lag. Ich zog eine Nadel aus dem Heft und sah mich nach Mei um.

Sie saß auf Justus’ Wagendach, hielt ihr Gesicht in die Sonne und baumelte mit den Beinen.

»Mei«, rief ich und winkte sie heran.

Geschickt kletterte sie an der Seitenwand herunter und kam mit schnellem Schritt auf uns zu. Mit Schwung ließ sie sich neben mir auf die Stufen plumpsen, sodass unsere Hüften zusammenstießen, und grinste mich an. »Was gibt’s?«, fragte sie und legte mir spielerisch den Kopf auf die Schulter. Sie musste sich dafür nach unten beugen, was sehr verkrampft aussah, mich aber zum Lachen brachte.

»Was hast du da oben gemacht?«, erkundigte ich mich und hielt ihr die Nadel hin. »Einmal mit Feuer säubern bitte.«

Rasch zog sie einen feurigen Faden mit Daumen und Zeigefinger um die schmale Metallspitze, die kurz aufglühte. Es zischte leise, als Mei die Flamme allein durch ihren Willen wieder verlöschen ließ.

»Ich habe das Dach repariert«, sagte sie beiläufig und Marc schnaubte.

»Das war aber auch nötig«, schimpfte er und unterbrach sich selbst mit einem Fluch, als ich mir mit der Nadel vorsichtig Zugang zum Splitter verschaffte.

»Heul nicht rum, du Memmenbruder«, blaffte Mei ihn an und steckte eines ihrer vielen Zöpfchen wieder zurück in den Knoten auf ihrem Hinterkopf. »Vor einer Woche hat Tante Fin mir einen Splitter aus dem Fuß gezogen. Der war locker doppelt so dick und ich habe nicht mal mit der Wimper gezuckt«, behauptete sie, schlug die langen Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. Ich bezweifelte ihre Geschichte sehr, sagte dazu aber nichts.

»Pah, das Märchen glaubt dir nicht mal Juju«, erwiderte Marc großkotzig und straffte die breiten Schultern.

Ich lächelte und sah zu Juju, die nicht weit von uns mit ihren kurzen Beinchen über die Wiese stakste. Sie war gerade mal drei.

»Au! Kannst du nicht ein bisschen sanfter sein?« Marc giftete mich mit zusammengekniffenen Augen an. Und ich hätte schwören können, dass eine Träne darin glitzerte.

»Kannst du ein bisschen weniger fluchen und netter zu deiner Schwester sein?«, fragte ich ihn meinerseits und wies ihn an, nicht hinzusehen, wenn ich den Splitter herausholte.

»Warum hattet ihr eigentlich ein Brandloch in der Decke?«, wollte Mei von ihrem Bruder wissen und zeigte auf den Wagen, von dem sie gerade heruntergeklettert war.

»Sagen wir, Dante träumt manchmal sehr lebhaft«, gab er zurück und verdrehte die Augen.

»Ich mache das doch nicht mit Absicht!«, verteidigte sich Dante, der sich zu uns gesellte. Er hatte es wohl aufgegeben, den Stand allein abzubauen.

Der junge Mann hatte die Fähigkeit, Feuer mit seinem Körper zu erzeugen. Eine Kraft, die im Feuervolk hoch geehrt wurde. Wenn man es kontrollieren konnte.

Denn so fantastisch das auch klang, haperte es noch etwas an der Umsetzung. Mit viel Konzentration schaffte Dante es, nur eine Hand oder seinen Kopf in Brand zu setzen. Aber es kam oft genug vor, dass sich der Rest von ihm ebenfalls entzündete und er am Schluss ohne Kleider dastand.

Die Tatsache, dass wir ihn alle schon einmal nackt gesehen hatten, trug auch nicht gerade zur Steigerung seines Selbstbewusstseins bei.

Dabei bräuchte er genau das dringend.

»Du bist doch nur neidisch, dass ich Feuer selbst erzeuge, während du dir immer erst eine Fackel vors Gesicht halten musst«, würgte er Marc rein und schob trotzig das Kinn nach vorn.

Das war sein einziger Trumpf, denn Marc brauchte zumindest einen Funken, mit dem er seinen hitzigen Atem entzünden konnte, im Gegensatz zu Dante, der selbst Feuer hervorbrachte.

Doch Marc ließ sich dieses Mal nicht beirren. »Ha! Dafür weiß ich, was ich tue, wenn ich es tue«, erwiderte er mit einem anzüglichen Ton in der Stimme. »In jeglicher Hinsicht.«

Gezielt spießte ich das Holzstückchen mit der Nadel auf.

»AU! Bei allen sengenden Feuerstürmen!«, fluchte Marc, als ich ihm den Splitter aus der Wunde zog.

Ich hielt ihm das winzige Stück Holz vors Gesicht und wusste schon, was er über das kleine Splitterchen denken würde.

Marc begutachtete erst die gerötete Stelle an seiner Hand und nahm mir dann das winzige Stück Holz ab. »Das ist alles?«, fragte er und hielt ihn gegen das Licht. »Der ist ja winzig«, meinte er sichtlich enttäuscht. Er hatte wohl etwas Dramatischeres erwartet.

»Sag ich doch: Memmenbruder.« Mei zuckte selbstgefällig mit den Schultern und lehnte sich zurück, um sich wieder die letzten Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen zu lassen.

Ich hatte dafür gesorgt, dass der Himmel wolkenlos war, und der Sonnenuntergang an diesem Abend würde sicher wunderschön werden. Allerdings konnte ich ihn mir nicht ansehen, da die Bäume um uns herum die Sicht auf den Horizont versperrten. Und fliegen war nicht drin, obwohl alles in mir mich hinauf in den Himmel zog.

Ich seufzte sehnsüchtig, steckte die Nadel zurück ins Heft und schob den Korb auf seinen Platz neben der Tür.

Dante und Marc erhoben sich, nicht ohne sich weiterhin gegenseitig aufzuziehen. Mei rannte ihnen hinterher und lachte über Marcs Schimpftiraden.

Gemeinsam klappten sie den Stand zusammen und räumten alles dahin, wo es hingehörte, während ich ihnen zusah, das Wetter aufrechterhielt und dem Wind lauschte.


Die Dunkelheit kam schnell. Van und Justus hatten gerade die letzten Fackeln entzündet, als die ersten Dorfbewohner auf dem Weg auftauchten. Aufgeregt redeten sie miteinander und gafften zu uns herüber, in der Hoffnung, einen der Tricks schon im Voraus zu sehen.

Doch das war vergebliche Mühe.

Marc und Dante waren in ihrem Wagen und zogen sich für den Auftritt Kleidung aus robustem Kappaleder an. Auch alle anderen bereiteten sich vor. Van und Felice, Miso und Angu, Tai und natürlich Mei und Justus.

Laila hielt sich seit ein paar Wochen zurück, da ihr Babybauch immer größer wurde. Wir alle wussten, dass sie auf einen Jungen hoffte, während Tai lieber ein Mädchen wollte und der Rest der Familie die ständigen Diskussionen darüber längst leid war.

Zu Lailas Aufgabe gehörte ein langes besticktes Kleid, auf dem unzählige Glasperlen glitzerten. Hanna machte es Freude, die silbernen Stickereien auf dem nachtblauen Stoff weiterzuführen, immer wenn sie dafür Zeit fand.

Ich hatte mich oben auf unseren Wagen gesetzt und überblickte die Szenerie.

Es sah aus, als wäre das ganze Dorf gekommen. So ein Spektakel ließ sich kaum jemand entgehen.

Obwohl ich es schon Hunderte Male gesehen hatte, war ich doch jedes Mal aufs Neue von der Schönheit der Feuerspiele überwältigt. Und von der Eleganz der Akteure.

Ayo begann die Trommel zu schlagen und Stille senkte sich über das Publikum.

»Willkommen! Willkommen in dieser wunderschönen, sternenklaren Nacht!«, rief Laila mit ihrer klaren Stimme, die mit Leichtigkeit bis in den letzten Winkel der Lichtung drang.

Ich mochte es, wenn sie die Begrüßungsworte sprach. Ihr Tonfall hatte etwas ähnlich Beruhigendes wie der von ihrem Bruder Justus.

Im letzten Winter hatte sie ihren Liebsten geheiratet, was für eine Menge Trubel gesorgt hatte. Tai und sie hatten schon seit Jahren füreinander geschwärmt und miteinander geflirtet, sich jedoch nie getraut, einander ihre Gefühle zu gestehen. Ob nun aus Schüchternheit oder weil Tai der Letzte eines aussterbenden Clans war, konnte ich nicht sagen. Dafür kannte ich mich zu wenig in der Politik des Feuervolkes aus.

Doch mit der Zeit hatten sich die Wogen gelegt und die beiden erwarteten ihr erstes Kind.

»Dies ist eine Nacht, die für viele unvergessen bleiben wird«, fuhr Laila fort und hob elegant die Arme. »Eine Nacht voller Geheimnisse, spektakulärer Kunststücke, Feuerkunst und Magie.« Sie ließ ihre Hände umeinander tanzen, um ihre Worte zu unterstreichen, und ihr Blick schweifte über das Publikum. »Und nun …« Sie senkte die Stimme und die Menschen lauschten gespannt. »Lasst das Spektakel beginnen!« Sie verdeckte die Linke mit der Rechten, und als sie sie wieder voneinander trennte, brannte darin eine blaue, sich windende Flamme.

Die Dörfler holten erschrocken Luft. Obwohl viele von ihnen die Feuerspiele jedes Jahr aufs Neue besuchten, schien es sie jedes Mal wieder zu überraschen.

Applaus ging durch die Reihen. Laila verbeugte sich mit einer Hand auf dem runden Bauch, die andere mit der langsam verlöschenden Flamme nach vorn gestreckt. Dann verließ sie den mit Fackeln abgesteckten Platz im Halbkreis der Wagen und zog sich zu Ayo, Hanna und den anderen Musikern zurück.

Ich lachte in mich hinein, amüsiert von dem Trick, dem die Dörfler auf den Leim gingen. Die ganze Ansprache, das Spektakel, das Feuer. Das alles diente nur zweitrangig der Unterhaltung. In Wirklichkeit erfüllte es den Zweck, zu verstecken, was die Wagenleute wirklich waren.

Erzählte man den Menschen offen, es handele sich um Magie, um Feuerkunst, um etwas Übernatürliches, dann glaubten sie es nicht. Sie lachten darüber und freuten sich, nicht auf die Täuschung hereingefallen zu sein. Für sie waren es nur Tricks wie Kartenzauberei und Zirkuskunst.

Es schien schon fast zu einfach. Die Feuerspektakel schützten das Feuervolk, schützten ihr Geheimnis, die Wahrheit, dass es die Feuermagie wirklich gab.

Ayo begann wieder zu trommeln und ich rief den Wind zu mir. Ohne zu murren, legte er sich in meine Hände und ließ die Lichtung windstill zurück.

Ihm machte es nichts aus, mir jedoch gab es das Gefühl, etwas zur Sicherheit der Vorstellung beizutragen, wenn ich ihn ruhigstellte. Obwohl er sich dazu nie äußerte, vermutete ich, dass er sich die Feuer­kunst auch gern ansah.

Marc trat mit einer Fackel in die Mitte und spie durch die Flamme eine gewaltige Feuerwolke.

Beress und ihr jüngster Sohn Garan setzten mit ihren Flöten zu einer verspielten und schnellen Melodie an.

Mei tauchte hinter einem von Marcs riesigen Flammenstößen auf, als wäre sie im Feuer erschienen. Sie zog mit allen Fingern Feuerfäden zwischen ihren Händen, die flackernd heller und dunkler wurden, und drehte sich zum Tanz. Die Fäden wirbelten um sie herum und ihre vielen schmalen Zöpfe peitschten um ihren Kopf, als sie sich drehte und die Arme in die Luft warf.

Die Musik wurde schneller und schneller und Meis verschlungene Bewegungen ebenso, bis sie aussah wie ein wirbelnder Feuerkokon.

Dann endete das Stück abrupt und die Feuerfäden um Mei zerfielen zischend zu Rauch.

Tosender Applaus folgte auf die plötzliche Stille. Ich klatschte mit ihnen und der Wind flog begeistert um meine Hände herum.

Der Junge mit dem blauen Hut ist in sie verliebt. Schon seit dem letzten Jahr, flüsterte er mir zu.

Meine Mundwinkel verzogen sich wie von selbst zu einem Lächeln, während ich nach dem besagten Jungen Ausschau hielt.

Es war nicht schwer, ihn zu entdecken. Er stand weit vorn, hatte gebräunte Haut, blonde Locken, die unter seinem Hut hervorlugten, und sah Mei mit glänzenden Augen hinterher.

Wie sehr es mich auch freute, dass Mei bewundert wurde, so tat es mir für den Jungen auch leid. Er würde sie niemals für sich gewinnen.

Auch wenn es nicht verboten wäre, sich mit einem Menschen außerhalb des eigenen Volkes einzulassen, würde sie sich nicht für ihn interessieren. Das Feuervolk war so stark in seinen Traditionen verwurzelt, dass Mei nicht im Traum daran denken würde, ihm ihr Herz zu schenken.

Aber wenn er nicht schüchtern war, blieb ihm zumindest die Möglichkeit, ein wenig mit ihr zu flirten. Darin waren die Feuerleute nämlich auch besonders gut. Den Charme spielen lassen!

Doch die Vorstellung ging weiter und ich verlor den Jungen aus den Augen.

Felice und Miso traten auf, begleitet von Ayos rhythmischem Trommeln und Brees engelsgleichem Violinenspiel. Während Felice in einer Feuerschale allerlei Dinge aus dem Feuer formte, bewegte Miso sie in die Luft und hauchte ihnen zauberhaftes Leben ein. Es war ein wirklich beeindruckendes Schauspiel.

Kaum erhoben sich die beiden wieder und verbeugten sich zum Klatschen der Dorfbewohner, begann mein Bauch zu kribbeln. Denn nun folgte endlich mein Lieblingsteil des Spektakels.

Justus, Marc, Van, Angu, Tai und Dante erschienen mit brennenden Stöcken, die sie in einer perfekten Choreografie durch die Luft wirbelten, sich gegenseitig zuwarfen und darunter durchtauchten. Justus gab seinen an Tai ab, öffnete die Hände und erzeugte schimmernde Feuerkugeln, mit denen er kunstvoll jonglierte.

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, wenn ich ihm dabei zusah, wie er sich drehte, sich die Muskeln an den Armen anspannten und das Feuer geheimnisvolle Züge auf sein Gesicht zauberte.

Marc spuckte Feuer durch die Flammen seines Stabes. Glühende Funken schossen durch Vans Hand in den Himmel und explodierten mit lautem Krachen. Laila, die immer noch am Rand stand, verwandelte sie in viele bunte Flammen, die auf das Publikum herabregneten.

Miso achtete peinlichst genau darauf, dass niemand davon getroffen wurde und alle Funken vorher erloschen.

Falls ihr etwas entging, gab es noch mich, die der Stelle die Luft entzog, um das Feuer zu ersticken. Ich agierte sozusagen als letzte Sicherung, auch wenn ich nur selten gebraucht wurde.

Angu und Dante setzten ihre Hände in Brand und zogen flammende Schlieren durch die Luft, malten Blumen und Schleifen. Letzterer brach seine Vorführung allerdings ab, als sich das Feuer über die Arme ausbreitete. Er trat zur Seite und zwang es unter großer Anstrengung zurück zu den Händen. Sein großer Auftritt würde noch kommen.

Die Instrumente spielten ein wildes Lied, das an Kampf und Abenteuer denken ließ, mit schnellem Rhythmus und schreienden Violinsaiten, die den Puls nach oben trieben.

Selbst mir raste der Puls und ich musste mich konzentrieren, da gleich das große Finale anstand. Ich konnte es an der Musik erkennen. Der Wind wurde unruhig, als ich mich aufrichtete und bereithielt.

Dante trat in die Mitte des wirren Feuerspiels und vergewisserte sich, dass Marc hinter ihm war. Für einen winzigen Moment entzündete er seinen ganzen Körper, sodass er eine lebendige Fackel abgab. Doch ehe es jemand im Publikum genauer sehen konnte, holte Marc tief Luft und spuckte durch Dantes Feuer eine gigantische Feuerwolke, die über das Gras leckte und das Publikum vor Freude aufschreien ließ.

Bevor die Flammen jedoch ausbrechen und Schaden anrichten konnten, stieß ich den Wind hinunter auf den Platz. Er raste los, kostete jede Flamme und löschte sie mit einem Mal bis auf den letzten Funken.

Im gleichen Augenblick, als die Feuer erloschen und die Lichtung stockfinster zurückließen, endete auch die Musik und das Spektakel war vorbei.

Das Publikum applaudierte mit Verzögerung, dafür so tosend, dass der Wagen unter mir vibrierte.

Ein Gefühl von Glück und Stolz breitete sich in meinem Bauch aus und ich grinste so breit, dass mir die Wangen schmerzten. Es fühlte sich gut an, Applaus zu bekommen, selbst wenn die Menschen aus den Dörfern nicht wussten, dass ich zu dem pompösen Schluss genauso beigetragen hatte wie die Feuerleute. Aber das war mir auch nicht wichtig.

Justus entzündete eine einzelne Fackel und lief den Halbkreis ab, um die Lichter erneut zu entfachen.

Einige offiziell aussehende Männer traten aus der euphorischen Menge, scheuchten die aufgeregt schwatzenden Leute beiseite und trugen lange Tische heran.

Es dauerte nicht lange, bis sie aus den mitgebrachten Körben allerlei Gebäck darauf verteilt hatten. Auch Fässer voll Wein und gezuckertem Limonensaft wurden aufgestellt und dörfliche Musikanten lösten die unseren ab.

Die Bewohner der Dörfer zelebrierten unser Erscheinen gern in einer Art Volksfest, das jeder Landstrich auf seine eigene Weise beging. Hier im südlichen Mari feierte man mit Beerenwein und süßem, traditionellen Gebäck.

Ich liebte das Hefegebäck dieser Gegend. Es erinnerte mich an Heimat und eine Geborgenheit, die mir ab und zu in meinen Träumen begegnete.

Gerade biss ich von einem ab, das aussah wie eine Schnecke und zusätzlich mit kandierten Nüssen bestreut war, als mir Mei auffiel. Sie wurde gerade von einem jungen Mann angesprochen, der seinen blauen Hut nervös zwischen den Händen zerdrückte. Da traute sich einer also wirklich.

Lachend ging ich näher heran, um zu lauschen, war gespannt, was er ihr wohl sagen würde. Sie lächelte, als er ihr anbot, ihr einen Becher Wein zu bringen, und strich sich verlegen von seinen Komplimenten die Zöpfe aus dem Gesicht. Sie wurde nicht mal rot dabei und zwinkerte ihm kokett zu. Sie war in solchen Dingen so viel gelassener als ich.

Meine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als ich den Blick eines Fremden bemerkte. Hinter den beiden lehnte ein Mann an einem Tisch und trank aus einer Holzschale, ohne die Augen von mir zu nehmen. Sein Starren war so intensiv, dass ich es fast körperlich spüren konnte. Wie ein Prickeln, das mich runterzog und zu Boden drückte.

Wie versteinert stand ich da. Es war derselbe Mann, der uns im Haus des Stadtrates die Tür geöffnet hatte. Der, von dem Mei behauptete, er hätte mir nachgesehen.

Ein Unwohlsein beschlich mich, als er mir zulächelte. Dieses besondere Lächeln, das er bereits bei unserer ersten Begegnung gezeigt hatte. Schnell senkte ich mit flammend rotem Gesicht den Kopf und drehte dem Mann eilig den Rücken zu.

Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte, und war zu feige, um mich noch einmal umzudrehen.

Wind, mein Freund. Was tut er? Und wer ist er?, fragte ich im Stillen. Doch die Antwort blieb aus. Wind, rief ich energischer, aber nichts geschah. Irritiert schüttelte ich den Kopf und legte die Hände an meine heißen Wangen.

Das war schon das zweite Mal an diesem Tag, dass er mir nicht antwortete. Was war nur los mit ihm?

Sonst war er immer so versessen darauf, bei mir zu sein, mir die Haare zu zerzausen und mich damit zu locken, meine Möglichkeiten und Freiheiten auszuleben. Was war heute nur anders als sonst?

Ein Klimpern drang an mein Ohr. Klar und deutlich, obwohl die Menschen in meiner Nähe laut redeten und Musik die Lichtung erfüllte. Doch ich wusste gleich, dass es das Windspiel war, konnte es bis in mein Innerstes hinein spüren. Dieses Windspiel trug etwas Besonderes in sich. Lag es an ihm, dass der Wind sich so seltsam verhielt?

Mit hochgezogenen Schultern schlängelte ich mich zwischen lachenden und schwatzenden Dörflern hindurch und lief zügig zu meinem Wagen. Fetzen des Liedes, das mich am Vormittag in den kleinen Laden gezogen hatte, kamen mir entgegen und übertönten die Tanzmelodien der dörflichen Musikanten in meinen Ohren.

Hastig eilte ich die Stufen hinauf und da war er. Mein Wind.

Ich war so erleichtert, dass ich mich gleich viel leichter fühlte. Der Wind kreiste völlig erschöpft um die silbernen Röhren und sang mit den Tönen des Windspiels vor sich hin.

Ich streckte die Hand nach ihm aus und hatte keine Erklärung für das, was gerade geschehen war. Als sanfter Hauch zog er meinen Arm hinauf, streichelte mir den Hals und kroch in meine Haare.

Was ist mit dir?, fragte ich ihn, doch er antwortete wieder nicht. Da war nur noch mehr Erschöpfung. Genau wie am Vormittag.

Argwöhnisch musterte ich das schimmernde Gebilde. Schwächte das Windspiel ihn in irgendeiner Form? War es schlecht für ihn? Aber wie konnten eine Ansammlung von Röhren und blauer Muscheln dem Wind schaden? Es war doch der Wind! Eines der vier Elemente, der Urheber von Meereswellen, vom Rauschen der Bäume und von Stürmen.

Wie sollte so ein kleines Ding ihm etwas anhaben?

Ein Geräusch von draußen ließ mich aufschrecken und ich spähte vorsichtig zur Tür hinaus.

Im schwachen Licht der Fackeln konnte ich zwei Gestalten ausmachen. Die eine war klein, schmal gebaut und kicherte, während die andere sich groß und stämmig gegen das Licht der Fackeln abzeichnete.

Als sich beide an Justus’ Wagenwand drängten und sich küssten, wurde mir schlagartig klar, dass es Marc war.

Natürlich war er es. Als er sich ein wenig zur Seite lehnte, sah ich sein Wolfsgrinsen. Und auch das Mädchen wurde vom Licht­schimmer gestreift. Ich erkannte die weizenblonde Schönheit aus dem Hinterhof des Stadtrats. Die Stickereien auf ihrem Kleid schimmerten im fahlen Lichtschein.

»Das ist dein Wagen?«, hörte ich sie flüstern. Sie kicherte, als Marc zustimmend brummte und sie am Hals küsste.

Ich wandte den Blick ab und versteckte mich im Schatten, bis die Tür hinter ihnen zuschlug.

Das war ja mal wieder typisch. Hatte ihn seine Mutter nicht am Morgen noch genau davor gewarnt? Dieser triebgesteuerte Hornochse.

Vorsichtig trat ich nach draußen, um nachzusehen, ob sie wirklich verschwunden waren. An der Türklinke hing ein in Metall gefasstes Trinkhorn, das an einer Lederschnur baumelnd den Feuerschein der Fackeln zurückwarf.

Das war ihr Zeichen. Justus und Dante würden ihn heute Nacht nicht stören und sich einen anderen Ort zum Schlafen suchen.

Ich lief zu den anderen zurück. Sie hatten in der Mitte des Platzes einen Kreis geöffnet, in dem sich Paare zum Tanz aufstellten.

Um mich abzulenken, sah ich mich nach Mei um, die ich bei Ayo und Bree fand. Von dem Jungen mit dem blauen Hut keine Spur. Die drei Mädchen kicherten, tauschten Blicke mit einer Schar Burschen aus, die bei den Platten voller Gebäck standen, und bedienten sich ungesehen am Weinfass.

Sie würden morgen mit Kopfschmerzen erwachen, das wusste ich bereits jetzt. Und dann bekämen sie gewaltigen Ärger mit ihren Müttern, die ihnen vergorene Getränke schon mehr als einmal verboten hatten.

Gerade wollte ich hinübergehen, als hinter einer Ansammlung von Dörflern Justus auftauchte. Wie von einem Magneten wurde mein Blick von ihm angezogen.

Auch er hatte einen Krug in der Hand und nahm einen tiefen Schluck daraus. Ich bezweifelte stark, dass er sich für Limonensaft entschieden hatte. Doch diese Überlegung wurde sofort nebensächlich, als ich die wunderschöne junge Frau sah, die neben ihm stand und mit ihrer eindeutigen Haltung all ihre Vorzüge zur Geltung brachte.

Mit einem Mal zog sich mein Herz so schmerzhaft zusammen, dass ich aufkeuchte.

Die Frau fuhr sich mit ihren langen, schlanken Fingern durch die goldenen Haare und lachte über etwas, das er gerade gesagt haben musste.

Auch er lachte und wandte sich ihr ein wenig mehr zu.

Seine Augen funkelten geheimnisvoll und sein Lächeln war eine einzige Einladung.

Mein Magen verkrampfte sich, ich glaubte, ich müsse mich übergeben, so schlecht war mir auf einmal. Trotzdem war es mir unmöglich, den Blick zu senken oder einfach woanders hinzusehen. Meine Beine zitterten und ich konnte mich kaum noch halten, als Justus den Kopf neigte und den Abstand zwischen sich und der jungen Frau noch verringerte.

Sie grinste lockend und wand sich in gespielter Geziertheit.

Er wird sie küssen. Bei allen Winden, das war zu viel für mich. Ich konnte es nicht länger ertragen.

Es brannte wie Feuer in meinem Inneren und ehe ich wusste, was ich tat, rannte ich zurück zum Wagen. Wie von Sinnen stürmte ich hinein, griff in das Fach am Ende des Bettes und zog mein Schlaf­bündel hervor.

Keinen Augenblick später war ich schon wieder draußen und lief in den Wald. Das Blut rauschte mir in den Ohren, das Herz schlug heftig gegen meine Rippen.

Erst als ich die Fackeln nicht mehr sah, blieb ich stehen. Mein Schlafbündel fiel zu Boden, löste sich und rollte auf dem Waldboden auseinander.

Angestrengt atmete ich ein und wieder aus, versuchte Luft zu bekommen, doch es fühlte sich an, als säße jemand auf meiner Brust. Meine Augen starrten auf meine Hängematte aus Kappafell, die Schafwolldecken und das kleine Kissen, ohne sie wirklich zu sehen.

Die Musik vom Platz konnte ich mehr erahnen als hören und das war gut so.

Ich konzentrierte mich weiter auf meine Atmung, den Wind und das Rauschen der Blätter in den Bäumen. Langsam schloss ich die Lider und ließ die Welt für einen Moment verschwinden.

Mein Herz entkrampfte sich ein wenig, nur um sich im gleichen Augenblick erneut schmerzhaft zusammenzuziehen. Vor meinem inneren Auge sah ich Justus. Meinen Justus, wie er sie anlächelte. Mit diesem geheimnisvollen, alles versprechendem Blick, der nur mir gelten sollte.

Die ersten Tränen rannen mir über die Wange und ich schluchzte auf.

Ich spürte den Wind kaum noch, der um mich herumwirbelte wie ein kleiner Sturm. Bei allen Winden! Warum tat es so weh?

Nur mühsam befreite ich mich aus der Starre meines Körpers und befestigte die Hängematte zitternd und schluchzend zwischen zwei Buchen. Wie immer legte ich die Decke und das Kissen hinein, schnürte meine ledernen Schuhe auf und hängte sie an den Schnürsenkeln an einen Ast.

Vorsichtig hob ich vom Boden ab und es war mir gerade völlig egal, ob mich jemand dabei sehen konnte. Die Matte schwankte leicht, als ich mich in ihr niederließ. Frustriert kroch ich unter die Decken, zog sie mir eng um die Schultern und weinte, bis der Schlaf mich in dunkle Gleichgültigkeit zog.

Vom Wind geküsst

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