Читать книгу Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch - Страница 12

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Was heißt das, nicht da?«

Der freundliche Mann, der sich als Manuel vorgestellt hat, schiebt sich den Sonnenhut in den Nacken und kratzt sich die Stirn. »Als meine Frau ihn vor einer halben Stunde zum Frühstück holen wollte, war sein Bett leer. Wahrscheinlich steht der Junge gerade bei Reka vor der Tür und verpasst dich.« Yanas Großvater lächelt mir zu, wobei sich tausend Falten um seine Augen bilden. Er schiebt die Schubkarre beiseite, die vor der Veranda steht. »Möchtet ihr vielleicht hereinkommen? Amanda würde sich mit Sicherheit freuen, dich kennenzulernen!« Manuel wirft Ocean einen strengen Blick zu. »Und ihren Enkel zur Abwechslung mal wiederzusehen.«

Ich schüttle den Kopf, bevor Ocean etwas erwidern kann. »Danke. Vielleicht ein anderes Mal.«

»Ich weiß, wo Hunter sein könnte«, sagt Ocean zögerlich, als wir wieder auf die Main Road stoßen. »Aber es wird dir nicht gefallen.«

Abseits der Hauptstraße werden die Häuserreihen schmaler, während die Strommasten ein Spinnennetz aus Kabeln über ihren Dächern bauen. Die Fenster der wenigen Häuser, an denen wir vorbeikommen, sind mit Pappkartons zugeklebt.

»Wie weit ist es noch?«, frage ich ungeduldig.

Ocean deutet die Straße hinab auf ein schmales Holzhaus, halb verdeckt von einer hohen Hecke. »Dort, neben dem Geisterhaus. Yana und Hunter haben einen Sommer lang die halbe Einrichtung in die Garage geschleppt.« Er zuckt mit den Schultern. »Manche Leute fühlen sich anscheinend wohl im Zwielicht.«

Ich denke an Yana und den Kerl, mit dem sie in der Nebenstraße gestritten hat. Das kannst du laut sagen …

Das »Geisterhaus« ist nicht das erste verlassene Gebäude, an dem wir vorbeikommen. Zwar haben die Kristallisierer ihr Wort gehalten und Las Almas mit den versprochenen Hilfen unterstützt, aber genügend Arbeit gibt es im Reservat offenbar immer noch nicht.

Wir betreten die verwahrloste Auffahrt. Ocean geht mir voraus zu einer niedrigen Garage und schiebt das Wellblechtor nach oben. Überrascht starren Hunter und Yana uns entgegen. Sie sitzen nebeneinander auf einem alten Sofa und sehen angespannt aus. Bei Yanas Anblick vergesse ich die Rede, die ich mir auf dem Weg hierher zurechtgelegt habe. »Ich werde mir Beths Anerkennung verdienen«, klingt ihre Stimme wieder in meinen Ohren.

»Skye!«, entfährt es Hunter, als ich auf Yana zustürme und ihr den Laptop entreiße, der auf ihrem Schoß liegt.

»Was –« Weiter kommt sie nicht.

»Willst du es Hunter sagen oder soll ich?«

»Skye, was ist hier los?« Sein Blick wandert von mir zu ihr.

Ich stelle den Laptop auf dem wackligen kleinen Tisch ab und schaue Hunter an. »Es war ein Fehler, ihr von dem Plan meiner Mutter zu erzählen«, stürzt es aus mir heraus. »Ich habe sie belauscht. Aber ich werde nicht zulassen, dass sie mich ins Hauptquartier verschleppt, womöglich noch mithilfe dieses unangenehmen Typen.«

Yana reißt erstaunt die Augen auf, bevor sie zu lachen beginnt. »Du bist es wirklich gewohnt, dass die Welt sich nur um dich dreht, oder?«

Hunter steht auf. »Wovon spricht Skye, Yana?«

»Von einem unfreiwilligen Treffen auf dem Weg hierher – mit jemandem, über den ich lieber nicht reden würde. Aber keine Sorge. Anders als deine Freundin vermutet, ging es ausnahmsweise einmal nicht um sie.«

Ich beiße die Zähne zusammen. Eine Erwiderung liegt mir auf der Zunge, aber was Yana Faray von mir denkt, muss mir im Augenblick egal sein. Sagt sie die Wahrheit? Yanas Erstaunen schien echt. Andererseits wird sie als Mitglied des Rings auch ein beträchtliches Schauspieltalent besitzen …

»War es Cren?«, fragt Hunter. Yana verschränkt die Arme vor der Brust. »Er hat sich über seine Versetzung beschwert, oder?« Hunter schnaubt. »Der kann froh sein, dass er nur nach Florida gekommen ist. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir ihn komplett rausgeworfen.«

Ich mustere Hunters Gesichtszüge, die mir auf einmal kantiger vorkommen, härter. Das ist der Mann, der für den Ring arbeitet. Beths Handlanger.

»Richtig«, sagt Yana widerstrebend. »Es ging um die Versetzung. Er vermisst das Hauptquartier.«

»Ich kann mir denken, was Cren vermisst«, erwidert Hunter düster. »Und das ist garantiert nicht das Hauptquartier. Der war doch öfter in den Bars der Lower Eastside als in der alten Bibliothek.«

»Oh bitte!« Yana verdreht die Augen. »Du bist wirklich der Letzte, der sich darüber ein Urteil erlauben darf.«

Ich beschließe, Yanas Bemerkung zu ignorieren, und werfe ihr stattdessen einen auffordernden Blick zu. Wir wissen beide, dass es diesem Cren nicht um irgendeine Versetzung ging. Er wollte sie auf seine Seite ziehen, was auch immer das bedeutet. Doch als ich den Mund öffne, deutet Yana mit dem Kinn zu Ocean, der noch immer am Tor der Garage steht, und schüttelt beinahe unmerklich den Kopf. Ich beiße mir auf die Lippe. Oceans Anwesenheit erinnert mich daran, warum ich eigentlich hier bin.

»Es ist noch etwas anderes passiert, oder nicht?« Hunter sieht mich fragend an. Er kennt mich so gut. Ein warmes Gefühl durchflutet mich. Wortlos umarme ich ihn, atme seinen Duft ein und schließe für einen Moment die Augen.

»Wir müssen den Inhalt des Diktiergeräts ins Internet stellen«, sage ich, nachdem ich mich von ihm gelöst habe. »Jetzt. Wir dürfen die Enthüllung keine Sekunde länger hinauszögern, wenn wir Luce und uns selbst retten wollen.«

Hunter senkt den Kopf. Anders als gestern Abend lese ich jedoch weniger Wut als Verzweiflung in seinem Gesicht. »Ich habe doch gesagt, dass ich –«

»Die Kristallisierer haben die Checks auf den Markt gebracht«, unterbreche ich ihn.

Hunter sieht mich erschrocken an. »Bist du sicher?«

Ich nicke. »Eine Touristin in Monas Café trug einen. Die Überwachung im Zentrum –« Meine Stimme stockt, als ich an die Mädchen in den schwarzen Overalls denke, verraten durch ein silbernes Armband. »Das war nur der Anfang.«

Meine Hand findet Hunters wie ein Magnet seinen Gegenpol. Wir brauchen keine Worte, um zu wissen, was der andere denkt: wie gut das alles zusammenpasst. Unsere Flucht, die überstürzte Marktpremiere der Checks. Die Regierung muss keine öffentliche Fahndung nach Hunter und mir ansetzen. Nicht, wenn jeder Winkel dieses Landes bald von unfreiwilligen Spionen besetzt wird. Die Kristallisierer haben die Jagd eröffnet – nicht nur auf uns, sondern auf jeden einzelnen Regierungsgegner, damit bis zum Programmstart von ReNatura kein Untreuer mehr übrig ist. Und damit sind wir nirgendwo mehr sicher …

»Könnte mir endlich jemand erklären, was hier los ist?« Ocean hat die Arme vor der Brust gekreuzt. »Seid ihr jetzt alle zu Verschwörungstheoretikern geworden, oder was?«

»Geh nach Hause, Ocean.« Yanas Stimme hat jede bissige Schärfe verloren. »Bitte.«

»Ich gehe nirgendwohin!«, protestiert der schmächtige Junge und sieht mich auffordernd an.

Doch ich kann nichts für ihn tun, denn ich weiß, wie gefährlich die Wahrheit ist. Und ich weiß, dass jemand, der so unverdorben ist wie Ocean, nicht damit umgehen kann.

»Es ist wirklich besser, wenn du uns allein lässt«, bringe ich heraus und bemühe mich, meine Worte nicht so ablehnend klingen zu lassen, wie sie in Wahrheit sind.

»Verstehe.« Ocean zieht Chief zu sich und sieht mich wütend an. »Du vertraust mir also auch nicht. Aber wenn du mir nicht sagen willst, warum du solche Angst um Luce hast, werde ich eben selbst herausfinden, was mit ihr und Reilly passiert ist.« Er dreht sich um und stürmt die Auffahrt hinunter.

»Ocean!«, rufe ich ihm hinterher, doch der Junge, der in so kurzer Zeit zu einem Freund geworden ist, verschwindet hinter der Hecke, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Yana schließt das Garagentor mit einem Knall. »Das wäre geklärt«, seufzt sie und stützt die Hände in die Hüften. »Also, zurück zu –«

»Machst du dir denn gar keine Sorgen um ihn?«, fahre ich sie an. »Ihr behandelt Ocean wie ein Kind, dabei führt das nur dazu, dass er sich beweisen will! Wir sollten noch mal mit ihm sprechen. Ihm zumindest einen Teil erklären –«

»Ich werde meinem kleinen Cousin garantiert nicht eröffnen, dass antifeministische Fanatiker unser Land regieren und in diesem Moment Gott weiß was mit dem Mädchen anstellen, in das er verliebt ist«, schneidet Yana mir das Wort ab.

Also hat Hunter ihr von ReNatura erzählt. Er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, doch ich sehe weg. Ich hoffe, dass du dein Vertrauen nicht bereuen wirst!

»Was ist, wenn Ocean anfängt, anderen Fragen zu stellen?«, bohre ich weiter. »Wenn er versucht, etwas über Daliawood herauszufinden? Das Konsilium registriert Suchverläufe im Internet. Man wird wissen, wenn Ocean gegen das System ist.«

»Wird man nicht.« Ungläubig sehe ich Yana an. »Weil Ocean nicht mehr im Netz recherchieren kann«, fügt sie hinzu.

»Was soll das heißen?« Ich drehe mich zu Hunter um, der sich wieder auf die Couch gesetzt hat und den Laptop aufklappt.

»Die Checks sind nicht unser einziges Problem, Skye.«

Mit einem unguten Gefühl setze ich mich neben ihn. »Seite nicht gefunden«, lese ich auf dem Bildschirm und klicke auf die anderen geöffneten Tabs. Sie verkünden alle dasselbe.

»Zuerst haben wir gedacht, es läge an unserer Verbindung. Oder an den einzelnen Adressen«, sagt Hunter. »Aber das ist es nicht. Nichts geht mehr, weder Nachrichtendienste noch soziale Netzwerke oder Suchmaschinen.«

»Das Internet kann man doch nicht einfach so abschalten.« Ich verstumme, als auf einmal eine ähnliche Diskussion in meiner Erinnerung lebendig wird. Das ist gegen die Menschenrechte. Elias und ich sahen schweigend die Bilder von den Protestzügen in Kairos Straßen, während der Sprecher darüber berichtete, dass die ägyptische Regierung den Nachrichtenverkehr blockiert hatte. So etwas passiert in einer Welt ohne Traits, haben wir damals gedacht.

Ich starre auf das kleine rote Ausrufezeichen auf dem Bildschirm vor mir und denke an die Touristin im Café, die ihren Mann nicht erreichen konnte. »Bist du sicher, dass der Ausfall nicht nur Las Almas betrifft?«, frage ich, doch Hunter schüttelt den Kopf.

»Dann hätte ich den Fehler längst entdeckt. Nein, die Gläsernen Nationen sind komplett abgeschnitten. Es gibt keine Möglichkeiten mehr, in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen. Die Mobilfunkleitungen sind tot, das Internet ist aus.«

Ich schließe die Augen und stütze die Stirn auf meine Hände. »So wollen die Kristallisierer uns aufhalten«, flüstere ich.

Nun erst wird mir klar, was dieser Shutdown bedeutet: Unser Diktiergerät ist wertlos. Ohne Internet, ohne die Möglichkeit, jede Frau, jeden Mann und jedes Kind in den Gläsernen Nationen hören zu lassen, wie die Kristallisierer die Emanzipation zurückdrehen wollen, sind wir nichts weiter als drei machtlose Teenager in einer verlassenen Garage am Ende der Welt.

Rising Skye (Bd. 2)

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