Читать книгу Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch - Страница 13

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Ich nehme den Kaffee entgegen, den Yana mir schweigend reicht, obwohl ich noch nie welchen getrunken habe.

»Es nennt sich Internet Kill Switch«, erklärt Hunter, während er in der Garage auf und ab läuft und dabei fast über einen Reiserucksack stolpert, den jemand achtlos auf dem Boden liegen gelassen hat. »Jeder, der sich ein bisschen für die Thematik interessiert, weiß, dass Staaten das Internet und das Mobilfunknetz stilllegen können, zum Beispiel im Fall von nationalen Krisen oder Angriffen. Das funktioniert wie mit einem Notausschalter.«

»Und das ist legal?«, wirft Yana ein und tippt auf ihrem Handy herum.

»Solange ein solches Gesetz existiert, ja.« Hunter lacht trocken. »Was auch immer das noch wert ist. Immerhin sprechen wir von einer Regierung, die Menschen verschwinden lässt und ihre Bürger ausspioniert.« Er setzt sich und zieht den Laptop erneut zu sich. »Sieht so aus, als müssten wir einen Weg finden, die Sperrung zu umgehen, wenn wir mehr wissen wollen«, murmelt er.

Der Kaffee ist noch zu heiß, aber ich trinke trotzdem einen bitteren Schluck, während ich seinen langen, schlanken Fingern dabei zusehe, wie sie auf die Tastatur einhämmern. Wie lange können die Kristallisierer diesen Shutdown halten, ohne Unruhen zu provozieren? Nervös tippe ich mit den Fingerspitzen gegen meine Tasse.

»Kannst du das bitte lassen?«, fragt Hunter angepannt. Er öffnet einen Browser – und anstelle des kleinen roten Fehlerzeichens baut sich vor unseren Augen die CCN-Seite auf.

»Du hast es geschafft!«, rufe ich.

Yana sieht erstaunt von ihrem Handy auf. »Wie hast du das denn gemacht?«, fragt sie anerkennend.

Doch Hunter schüttelt den Kopf. »Das war nicht ich.«

Yana, Hunter und ich rutschen dichter vor dem Bildschirm zusammen. Die Livestreamübertragung von CrystalClear-News funktioniert ohne jede Unterbrechung, als hätte im Internet nicht Sekunden zuvor noch gähnende Leere geherrscht.

»Mit dem nationalen Shutdown reagierte ein Krisenstab der Regierung heute Mittag auf den größten Social-Media-Eklat in der Geschichte der Gläsernen Nationen«, sagt Regierungssprecher Edward McCarty in ein Mikrofon, das ihm vor den Toren des Weißen Hauses entgegengehalten wird. Der Sitz des Präsidenten ist dem Washingtoner Original nach der Gründung der Gläsernen Nationen täuschend echt in einem abgeriegelten Teil des Central Parks nachgebaut worden.

»Ein Datenleck in bisher unbekanntem Ausmaß wurde zuvor vom nationalen Sicherheitsdienst detektiert. Woher der Hackerangriff stammt, ist noch unklar, aber er beweist die Unsicherheit der sozialen Netzwerke und Nachrichtendienste mit erschreckender Deutlichkeit.«

Ein Hackerangriff, ausgerechnet jetzt? Ich schaue zu Hunter, der die Worte des Regierungssprechers mit gerunzelter Stirn aufsaugt. »Das ist ein Vorwand, oder nicht?«, wispere ich.

Hunter nickt, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. »Die IT-Experten des Weißen Hauses werden das Silicon Valley eigenhändig lahmgelegt haben«, murmelt er. »Selbst der Kristall braucht einen Grund für den Einsatz des Kill Switchs.«

Wie aufs Stichwort schwenkt die Kamera von McCarty zu Chloe Cremonte. Sie trägt Weiß, wie immer, und trotz des Windes, der die Wipfel der Bäume bewegt, liegen ihre glatten Haare gleichmäßig um ihr Gesicht.

»Wir müssen die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger um jeden Preis gewährleisten«, verkündet sie mit ihrer klaren Stimme, die kein Mikrofon benötigt. Chloe Cremonte, der Kristall, ist das perfekte Beispiel einer Rationalen, ruhig und gefasst in jeder Krise. Und obwohl ich ihr Spiel durchschaue, erwische ich mich dabei, wie ihre Worte mich in dem alten Vertrauen wiegen. »Dieses Datenleck ist ein bedauernswerter Fehler, aber ein solcher Angriff wird zukünftig unmöglich sein.«

Chloe Cremontes glattes Lächeln verschwindet vom Bildschirm und lässt uns ohne Antworten zurück. Dass ich mein rechtes Handgelenk umklammert halte, bemerke ich erst, als Yana mir einen spöttischen Blick zuwirft.

»Was ist, kleine Rebellin? Trauerst du um das R, das du hättest haben können? Hast du etwa doch nicht die Seiten gewechselt?«

Ich starre auf die Adern, die durch die dünne Haut meines Handgelenks schimmern. Ein Teil von mir vermisst die Klarheit meiner früheren Welt. Rational oder emotional. Beherrscht oder impulsiv. Es gab nichts dazwischen. Es war nicht nötig, sich zu fragen, wer man wirklich ist – es war nicht nötig, sich überhaupt irgendetwas zu fragen. Ich schließe die Augen. Die Seiten gewechselt habe ich, daran besteht kein Zweifel. Aber wofür genau kämpft meine? Für eine Welt ohne ReNatura? Für eine Welt ohne Traits? Und wenn das der Fall ist, wie werden wir ohne die Buchstaben zurechtkommen, die unsere Identität ersetzt haben? Ich gebe mir einen Ruck und erwidere Yanas herausfordernden Blick.

»Ich bin auf der Seite derjenigen, die ReNatura aufhalten wollen«, sage ich und deute auf den Verband quer über meiner Schulter. »Das hier sollte als Beweis reichen.«

»Du musst nichts beweisen.« Hunter zieht mich an sich. »Bald sind die Traits Geschichte«, sagt er mit fester Stimme. »Dann entscheiden nur noch wir selbst, wer wir sein wollen.«

Ich lächle, obwohl sich mein Innerstes zusammenzieht. Hunter hasst die Traits von ganzem Herzen. Für ihn sind sie eine Fessel, von der er sich nicht schnell genug befreien kann. Was würde er über mich denken, wenn er wüsste, dass mir die Traits trotz allem, was passiert ist, noch immer wie ein Rettungsring vorkommen?

»Wenn ihr zwei Turteltauben eure Hormone nicht bald in den Griff bekommt, dann sind wir demnächst Geschichte.« Yana dreht den Laptop zu uns. »Es ist so, wie ich es mir gedacht habe«, verkündet sie düster. »Das Internet ist zwar wieder da und auch Handys funktionieren wie gehabt. Aber während des Shutdowns haben diese Schweine eine schwarze Liste erstellt.« Sie fängt meinen fragenden Blick auf. »Die Kristallisierer haben bestimmte IP-Adressen gesperrt«, erklärt sie. »Während das Internet abgeschaltet war, haben sie eine Firewall aufgebaut. Sie blockiert jede Seite, auf der die Kristallisierer unerwünschte Inhalte gefunden haben.«

»Mit anderen Worten, untreue Inhalte«, murmele ich.

Yana nickt. »Grob gesagt, ja. Wir haben mit CCN zwar seit der Gleichschaltung der Medien sowieso nur noch einen einzigen Nachrichtensender, und die Kristallisierer löschen kritische Artikel und Profile, seit sie an der Macht sind. Aber bisher hatte man Zugang zu ausländischen Websites. Jetzt komme ich zu denen nicht mehr durch. BBC, Al-Jazeera und sogar Youtube sind gesperrt.« Yana schaut uns an. »Sie haben endgültig ein Nachrichtenmonopol geschaffen. Ab jetzt sehen wir wohl nur noch, was wir sehen sollen.«

Ich starre auf den Bildschirm, auf dem sich das CCN-Logo langsam um sich selbst dreht. Es war alles umsonst. Das Labor, die Flucht, das Feuer. Bei der Erinnerung an die Hitze und den beißenden Rauch in Angelas Wohnung zieht sich erneut meine Lunge zusammen.

»Vielleicht hatten wir nie eine wirkliche Chance«, sage ich erschöpft. Mein Körper sinkt tiefer in die weichen Kissen der Couch, als hätte er sich bereits zur Kapitulation entschieden. »Vielleicht haben wir uns überschätzt.«

Hunter springt auf und zieht mich auf die Füße.

»Wir haben uns geschworen, ReNatura aufzuhalten. Zusammen. Wir werden nicht aufgeben, okay?«

Der Stress der letzten Tage scheint mit einem Mal von Hunter abzufallen. Er wirkt energiegeladen, beinahe euphorisch. Ich weiche seinem glühenden Blick aus. Wir haben keinen Geheimdienst im Rücken, keine allmächtige Partei, keine Journalisten, die uns treu ergeben sind, und keine Ordnungswahrer. Alles, was wir haben, ist ein Diktiergerät voller Worte, die ohne freies Internet niemand hören wird … Zögernd hebe ich den Blick, schaue in die smaragdgrüne Tiefe von Hunters Augen und spüre, wie die verzweifelten Stimmen in mir leiser werden.

»Wir können das schaffen«, sagt Hunter beschwörend. »Wir müssen

Ich merke, wie mein Kopf nickt. Ich habe diesen Kampf gewählt, als ich mich entschloss, nicht wegzusehen. Jetzt werde ich ihn zu Ende führen müssen, ob ich will oder nicht.

Ich hole tief Luft. »Wir müssen es schaffen«, wiederhole ich. Dann erwidere ich sein Lächeln und deute auf den alten Kühlschrank. »Aber ohne Lunch mache ich gar nichts.«

»Na wunderbar, dass wir uns darüber einig sind.« Yana klappt den Laptop zu und steht auf. »Ich würde allerdings Monas Café vorschlagen, wenn wir mehr als Cola und trockene Sandwiches zur Auswahl haben wollen.« Sie hält ihr Handy hoch. »Ma schreibt, sie lädt uns ein.«

Ich öffne schon den Mund zum Protest, doch Hunter kommt mir zuvor. »Dann lasst uns gehen.«

Erstaunt sehe ich ihn an. Yana kramt ein Päckchen Kaugummi aus der bunten Umhängetasche, die neben der Couch liegt. »Ich wäre bereit.«

»Aber die Checks –«, sage ich verständnislos.

Hunter streicht mir beruhigend über den Arm. »Die Checks sind gerade erst auf den Markt gekommen und hier wahrscheinlich noch nicht verbreitet. Außerdem hast du doch gehört, was Yana gesagt hat. Reka kommt extra aus Greenhill, um ihre Mittagspause mit uns zu verbringen.« Hunters Lächeln erreicht seine Augen nicht, und ich denke daran, wie er Reka gestern Nacht hinterhergestarrt hat. »Es wäre doch unhöflich, sie warten zu lassen.«

Er schiebt das Garagentor nach oben, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm und Yana hinaus ins Sonnenlicht zu folgen.


Auf der Main Road stauen sich Stoßstange an Stoßstange Trucks und Autos. Das Internet war keine Stunde lang tot – und in Las Almas herrscht bereits der Ausnahmezustand.

»Wer weiß, was dieser Angriff noch für Folgen haben wird«, höre ich eine Frau an einer Bushaltestelle sagen.

»Ich lösche auf jeden Fall sofort alle meine Social-Media-Profile«, erwidert ihre Begleiterin.

Sie beachten uns nicht, als wir an ihnen vorbeigehen. Schließlich können sie nicht wissen, dass das Mädchen in dem blauen Top und der Typ mit den Locken diejenigen sind, die die Kristallisierer eigentlich ausschalten wollen. Meine Hand fühlt sich kalt an in Hunters warmer.

»Bist du sicher, dass wir das tun sollten?«, zische ich Hunter zu, als wir vor der Glastür von Monas Café angekommen sind.

Yana hebt spöttisch die Augenbrauen. »Hast du dich hier schon mal umgesehen? Sind dir die eingeschlagenen Fensterscheiben und die heruntergekommenen Häuser entgangen? Das hier ist Las Almas, Schätzchen. Der letzte Ort, an dem die Leute ihr Geld für die neusten Technikspielereien aus New York ausgeben. Die einzigen Checks, die du hier finden wirst, sind die am Arm der Tagestouristen.« Sie öffnet die Tür. »Und die werden nach allem, was heute passiert ist, garantiert längst zurück auf dem Highway sein.« Sie deutet die Straße hinunter auf den Stau und tritt ein.

Ich sehe mich um. Am Fenster ist ein Tisch frei, doch ich steuere stattdessen auf einen kleineren in der Ecke neben den Toiletten zu. Yana verzieht genervt das Gesicht, sagt aber nichts. Unauffällig mustere ich die anderen Gäste und atme auf, als ich keine silbernen Armbänder entdecke.

»Wollt ihr schon etwas bestellen?« Mona taucht neben unserem Tisch auf, ein Tablett mit Milchshakes in der Hand.

Yana schüttelt den Kopf. »Wir warten noch auf meine Mutter.« Sie sieht zweifelnd aus dem Fenster. Der Stau auf der Main Road löst sich nicht auf, im Gegenteil, jetzt hupen die Fahrer in ihrer Wut darüber, dass es nicht weitergeht.

»Ich bringe euch schon mal eine Runde Eistee«, entscheidet Mona und zwinkert uns zu. »Geht aufs Haus.«

Ich will mich bedanken, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken, als plötzlich Chloe Cremontes Stimme ertönt. Sie ist überall gleichzeitig.

»Die Geschehnisse des heutigen Vormittags bieten Grund zur Sorge, aber die Gläsernen Nationen sind unangreifbar. Denn wir sind vorbereitet.« Die Worte multiplizieren sich. Der Kristall spricht aus jedem Smartphone um uns herum, aus jedem Laptop. Schlagartig verstummt das Café, und die Leute drehen sich zum Fernseher über dem Tresen, der sich ebenfalls selbst eingeschaltet hat. Anstelle von Chloe Cremontes Gesicht erscheint auf dem Bildschirm nun ein blaues Achteck auf weißem Grund. »Octagon ist ein soziales Netzwerk, an dessen Entwicklung unsere Experten seit Jahren arbeiten. Es gewährleistet einen sicheren Austausch, den verantwortungsvollen Umgang mit Ihren Daten und absolute Transparenz.« Das Achteck erhebt sich auf dem Fernsehbildschirm und dreht sich ins Waagerechte. Linien erscheinen darüber und darunter. Sie ziehen Verbindungen, bis uns ein stilisierter Kristall entgegenstrahlt. »Teilen wir unsere Gedanken, Ideen und unsere Worte, vereint an einem sicheren Ort.« Draußen auf der Straße haben die Autos aufgehört zu hupen. Die Leute auf den Bürgersteigen sind stehen geblieben, den Blick starr auf ihre Handys gerichtet. Chloe Cremontes Stimme schwebt über den Tischen des Cafés. »Die Welt des Internets braucht endlich Regeln und Ordnung. Sicherheit muss höchste Priorität bekommen. Für Klarheit und Weitsicht.«

Hunter und ich sehen uns an. Die Kristallisierer ziehen die Schlinge immer enger. Sie wappnen sich mit allen Mitteln gegen die Enthüllung von ReNatura. Um mich herum tippen die ersten Octagon schon in die Suchleiste ihrer Handys. Erkennt ihr denn keine verdammte Zensur, wenn sie euch ins Gesicht spuckt? Am liebsten würde ich schreien.

Die Kamera schwenkt herum, zeigt die dicht gefüllten Reihen des Parlamentsaals. Ich schiebe meinen Stuhl zurück und gehe auf den Fernseher über der Theke zu.

»Skye?«

Hunter erhebt sich ebenfalls, doch mein Blick klebt an dem grauhaarigen Mann im Anzug, der in der hintersten Reihe des Saals stehend applaudiert. Der Mann, von dem ich mich vor zweieinhalb Wochen an der New Yorker Central Station verabschiedet habe, um in den Zug zur Testung zu steigen.

»Nein.«

Meine Stimme ist kaum hörbar, als ich zusehe, wie mein Vater voller Stolz lächelt, während Chloe Cremonte unsere Freiheit begräbt.

Rising Skye (Bd. 2)

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