Читать книгу Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch - Страница 6

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Am Horizont beginnt der Morgen, die Dunkelheit zu verdrängen. Ich hebe den Kopf und betrachte Hunters Gesicht neben mir. Seine blonden Bartstoppeln, die so lang geworden sind, dass sie die feine Narbe auf seiner Wange verdecken. Die Locken, die ihm wie immer in die Stirn fallen. Irgendwann müssen wir so eingeschlafen sein, die Rücken gegen den Stamm einer Palme gelehnt, mein Kopf auf seiner Schulter. Der Sand unter mir ist kühl und ich fröstele.

Heute Nacht hatte ich keinen Albtraum. Ich lag nicht, wie unzählige Male zuvor, im Kofferraum eines Fluchtautos, habe keinen Schrei und keinen Schuss gehört. Aber seit gestern weiß ich, dass es diesen Kofferraum wirklich gegeben hat, genau wie den Schuss. Seit gestern weiß ich, warum Mum vor vier Jahren spurlos verschwunden ist und warum Hunter die Kristallisierer mit jeder Faser seines Körpers hasst – ganz besonders meinen Vater. Wer könnte es ihm verdenken? Jeder würde den Mörder seiner Mutter hassen. Mörder. Das Wort fühlt sich nicht richtig an in Verbindung mit dem Mann, der mich aufgezogen hat. Aber der Schmerz, den ich im Mondlicht in Hunters Augen gesehen habe, lässt keinen Zweifel zu. Mörder.

Neben mir beginnt Hunter, sich zu regen. Ich beuge mich vor und drücke meine Lippen auf seine. Nur kurz und nicht halb so leidenschaftlich wie gestern, denn mit der Helligkeit bahnt sich die kalte Realität ihren Weg zurück in mein Herz. Das hier ist ein Albtraum, aus dem ich nicht erwachen werde. Ich blicke hinaus auf das wütende Meer, das in der Nacht noch friedlich an den Strand plätscherte, und spüre den rauen Wind in meinem Gesicht. Wir haben es bis hierher geschafft. Aber alles, was wir erreicht haben, ist wertlos, wenn wir unsere Aufgabe jetzt nicht zu Ende bringen. In meiner Jackentasche schließen sich meine Finger fest um das kühle Metall des Diktiergeräts, das Luce mir im Zentrum gegeben hat. Da sind sie, die beiden kleinen runden Knöpfe. Aufnahme, Wiedergabe. Mein Finger drückt auf Play.

»Wir schwören der Kristallisierung Treue.« Chloe Cremontes Stimme ist trotz des Sturms, der sich über uns zusammenbraut, deutlich zu verstehen. Hell und scharf wie Glas. »Wir verpflichten uns, vor keinem Hindernis zurückzuschrecken, um den Menschen zu seiner Natur zurückzuführen. Für ein Leben in Klarheit!«

Ich bemerke erst, dass meine Hand sich zur Faust geballt hat, als Hunter sich streckt und das Diktiergerät behutsam aus meinen Fingern löst. Chloe Cremontes Worte werden vom Wind davongetragen.

»Sie war einmal wie wir. Sie wollte etwas verändern, diese Welt zu einem besseren Ort machen!« Ich höre selbst die Wut in meiner Stimme. Leiser füge ich hinzu, was mich seit gestern Nacht nicht mehr loslässt: »Ich kann einfach nicht glauben, dass hinter all den Ideen von der gläsernen Gesellschaft ohne Diskriminierung, von Klarheit durch Traits – dass dahinter die ganze Zeit in Wahrheit ReNatura gesteckt hat. Sieht sie denn nicht, dass das Programm Frauen erst zu Emotionalen und dann zu Rechtlosen machen wird?«

»Wir reden von der Frau, die, ohne zu zögern, die Karriere ihrer eigenen Mutter beendet hat«, sagt Hunter hart. »Chloe Cremonte würde für ihren Platz im Weißen Haus alles und jeden opfern.«

»Ich habe mir immer vorgestellt, dass es schwer für sie gewesen sein muss damals …«

»Schwer?« Hunter lacht bitter. »Skye, der große Skandal war für Chloe ein gefundenes Fressen.«

Ich denke an den Tag, als die Ministerin Jessica Cremonte ihre Tochter Chloe in den Händen von Entführern glaubte und den fatalen Befehl gab, sie mit allen Mitteln zu befreien. Am Ende waren unzählige junge Menschen tot, unter ihnen auch Chloes kleine Schwester. Und ihre Mutter war eine gebrochene Frau. »Wie meinst du das?«, frage ich leise. »Sie hatte doch so viel verloren!«

Hunter wirft mir einen langen Blick zu. »Noch am selben Tag, an dem ihre Mutter ins Exil flog, hat Chloe uns zu einer verdammten Feier eingeladen.«

»Uns?« Ich muss so verblüfft aussehen, wie ich mich fühle.

»Ja, uns.« Hunter seufzt. »Meine Eltern, um genau zu sein, und eine Reihe anderer Unterstützer der ersten Stunde. Sie haben auf die Traits angestoßen. Und ich schwöre dir, dass Chloe ihrer Mutter keine Träne nachgeweint hat.«

»Deine Eltern waren Kristallisierungsanhänger?« Der Gedanke will einfach nicht bei mir ankommen.

»Mein Vater vor allem.« Hunters Kiefer spannt sich an. »Bevor Dad bei der Times anfing, hat er Journalistik-Kurse an der Long Island Universität gegeben. Zur gleichen Zeit studierte Chloe dort Politikwissenschaft. Sie gründete eine Hochschulgruppe, eine Art politischen Debattierclub. Dad ging zu einem der Treffen und war von den Themen begeistert. Damit begann ihre Freundschaft.« Hunter schüttelt verächtlich den Kopf.

»Warum hast du mir das nie erzählt?«, frage ich.

Er schaut mich verlegen an. »Vielleicht, weil ich diese Vergangenheit meiner Eltern gern ausblende. Aber immerhin hat zumindest Mum noch rechtzeitig erkannt, dass sie auf der falschen Seite stand.«

»Und dein Dad?«

Hunter zuckt die Schultern und starrt aufs Meer hinaus. Wir schweigen. Ich wünschte, er würde nicht immer diese Mauern um sich hochziehen. Ich wünschte, er würde mir vertrauen.

Vorsichtig frage ich: »Also waren sie zu Beginn beide in diesem … Debattierclub?«

Er nickt. »Dad ging regelmäßiger zu den Treffen als Mum, aber sie waren beide Mitglieder. Als die Gruppe wuchs, organisierte Chloe Klimastreiks und fuhr nach Washington, um dort gegen Waffengewalt zu protestieren.«

Ich versuche, mir die kühle Chloe Cremonte als leidenschaftliche Demonstrantin vorzustellen, doch es gelingt mir nicht. »Wie konnte aus einer idealistischen Hochschulgruppe eine diktatorische Partei werden?« Wann ist alles aus dem Ruder gelaufen?

»Macht«, antwortet Hunter grimmig. »Macht verändert Menschen. Aber die Kristallisierer werden mit diesem Wahnsinn nicht durchkommen.« Er schiebt das Diktiergerät zurück in die Innentasche meiner Jacke, zu McCartys Bericht über den medizinischen Hintergrund von ReNatura, den ich aus dem geheimen Labor des Zentrums gestohlen habe. Dann steht er auf und streckt mir die Hand hin. »Von hier aus ist es nicht mehr weit bis in die Seaview Hills. Wenn außer uns beiden noch irgendjemand von diesen Plänen erfahren soll, dann –« Er braucht nicht auszusprechen, was wir beide wissen: Dann müssen wir Angelas Wohnung finden, bevor wir gefunden werden. Von dort aus können wir die Welt über ReNatura aufklären. Von dort aus werden wir das perfide Geheimprogramm der Regierung zerstören.

Der Wind treibt das Meer über den Strand, während wir uns Hand in Hand auf den Weg machen. Sandkörner prickeln gegen unsere Arme und Gesichter wie tausend winzige Nadelstiche. Eine Böe fährt durch die Palmwedel über uns und mein Herz schlägt schneller, als ich einen Moment lang glaube, Sirenen in der Ferne zu hören. Obwohl es Unsinn ist. Die schwarzen Transporter der Kristallisierer haben keine Sirenen. Ich versuche, mich zu beruhigen, doch es gelingt mir nicht. Wenn sie uns aufspüren, dann sind wir verloren. Genau wie die klugen und mutigen Mädchen, die mir im Zentrum so ans Herz gewachsen sind. Mit einem Kloß im Hals denke ich an Luce, Fiona, Maxeni und all die anderen, die sich der Kristallisierung nicht beugen wollen. Ganz besonders an Luce. Ich berühre ihre Kette, die geschliffene Glasscherbe, die an einem Lederband um meinem Hals hängt, und wiederhole stumm das Versprechen, das ich gestern Nacht in Schlafsaal 4 gegeben habe, bevor ich mich mit dem Diktiergerät in der Hand auf die Jagd nach der Wahrheit machte. Ich bringe die Kette zu Luce zurück. Zu Luce, die ihre Freiheit für die dieses Landes gegeben hat … Wo bist du jetzt?, denke ich. Was machen sie mit dir?

»Sieht aus, als wären wir fast da«, ruft Hunter gegen den Wind an.

Ich folge seinem Blick. In einiger Entfernung erkenne ich eine Promenade mit den üblichen Cafés und Strandläden, in denen man Plastikschaufeln und Sonnencreme kaufen kann. Ich streiche über meinen weißen Faltenrock, der mittlerweile klamm und voller Flecken ist. Erst jetzt wird mir klar, was für ein Bild wir beide abgeben müssen. Am liebsten hätte ich die verhasste Zentrums-Uniform gestern Nacht zusammen mit meinem Check im Meer versenkt, aber ich kann schlecht in Unterwäsche bei dieser Angela aufkreuzen.

Wenig später klettern wir über eine kniehohe Mauer auf die asphaltierte Promenade, und Hunter kauft einem Bäcker, der gerade seine Ladentür aufschließt, zwei Doughnuts ab. Der Mann entdeckt mich vor dem Geschäft, lächelt und zwinkert mir zu. Wahrscheinlich hält er uns für zwei harmlose Teenager, die sich für eine Nacht von zu Hause weggeschlichen haben. Immerhin haben mir die Ereignisse der letzten Stunden das Wort Verräterin also noch nicht auf die Stirn geschrieben. Hunter zieht mich mit der Papiertüte in der Hand in einen Hauseingang, wo wir vor dem Wind geschützt sind.

»Willst du Schokolade oder Streusel?«, fragt er und hält mir die offene Tüte entgegen.

»Schokolade.«

Mein Überlebensinstinkt sorgt dafür, dass ich den Doughnut in Sekundenschnelle aufesse. Hunter lacht, bricht die Hälfte von seinem ab und hält sie mir hin.

»Das geht doch nicht –«

»Immerhin bin ich schuld daran, dass du damals das Abendessen im Zug verpasst hast. Jetzt sind wir quitt.« Grinsend sieht er zu, wie ich auch seine Doughnut-Hälfte verschlinge.

»Was soll ich sagen.« Ich lecke mir die Finger ab. »Der Verzicht auf regelmäßige Mahlzeiten ist der Teil des Rebellinnen-Daseins, der mich am meisten stört!«

»Gut, dass es nicht der Teil ist, in dem du mit dem unfassbar heißen Kerl durchbrennst.« Hunters grüne Augen funkeln. Er hebt mich hoch und wirbelt mich herum, bevor er meinen Hals küsst. Für einen winzigen Moment sind wir die zwei harmlosen Teenager, die von zu Hause abgehauen sind – doch dann nehme ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Hunter lässt mich herunter.

»Dein Wechselgeld!« Der Bäcker läuft mit wedelnden Armen auf uns zu und ich atme erleichtert auf.

Hunter nimmt die Dollarscheine entgegen, die der rotgesichtige Mann ihm reicht, und bedankt sich. Der Bäcker will sich schon umdrehen und zurück zu seinem Laden gehen, als sein Blick auf etwas zu unseren Füßen fällt. Er bückt sich und hebt die schmale Broschüre vom morgenfeuchten Asphalt auf. Doch bevor er eine Chance hat, die Schrift auf dem Deckblatt zu entziffern, reiße ich ihm die zusammengehefteten Papiere aus der Hand.

»Wichtige Hausarbeit«, murmele ich und presse McCartys Bericht fest gegen meine Brust. Er muss aus der Innentasche meiner Jacke gerutscht sein, als Hunter mich herumgewirbelt hat. Der Bäcker sieht verwirrt von Hunter zu mir und fragt sich wahrscheinlich, warum ich eine Hausarbeit mit zu einem Date nehme, noch dazu an einem Wochenende. Doch zu meinem Glück beschließt er, dass ihn diese Dinge nichts angehen.

»Na dann.« Der Bäcker verabschiedet sich mit erhobener Hand.

Als er wieder in seinem Laden verschwunden ist, lehne ich meinen Kopf gegen Hunters Brust.

»Tut mir leid«, sagt er geknickt. »Manchmal fühlt sich alles an wie ein Spiel. Und dann vergesse ich, wo wir sind. Wer wir sind.«

»Bald sind wir nur noch wir

Ich drücke seine Hand und versuche, McCartys Bericht wieder in meiner Jackentasche zu verstauen, doch die Blätter des Forschungspapiers flattern widerspenstig im Wind. Voller Abscheu betrachte ich die Hormonkurven, die in der kranken Welt von ReNatura beweisen sollen, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter eine Fehlentwicklung ist.

Über uns steigt die Sonne langsam höher. Sie verdrängt die Sturmwolken und erinnert mich daran, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Denn Zeit ist unser einziges Ass im Ärmel.

»Lass uns gehen«, sage ich grimmig.

Nach ein paar Minuten biegen wir von der verlassenen Strandpromenade in eine Nebenstraße ein und passieren ein Schild mit der Aufschrift Seaview Hills.

»Wer ist diese Angela eigentlich?«, frage ich. »Du musst sie doch ziemlich gut kennen, wenn sie uns einfach so aufnimmt.«

»Nicht wirklich«, antwortet Hunter knapp. »Wir sind derselben Arbeit nachgegangen.«

Hunters Gesichtsausdruck ist mit einem Mal abweisend, und ich bohre nicht tiefer, obwohl die Fragen, die ich schon gestern Nacht heruntergeschluckt habe, mir keine Ruhe lassen. Was ist das für eine Arbeit, bei der er sich diese Narben zugezogen hat, eine über seiner Wange und eine, die seine helle Augenbraue streift? Was für eine Arbeit macht Codenamen nötig? Doch ich wische die Gedanken beiseite. Stattdessen erinnere ich mich daran, wie salzig Hunters Lippen geschmeckt haben – nach Meer, Tränen, nach Verzweiflung und so etwas wie Liebe. Uns bleibt noch ein ganzes Leben für den Rest unserer Geheimnisse. Hoffentlich.

»Warte mal.«

Ich folge Hunters Blick zu einem Appartementkomplex, dessen Tor im Gegensatz zu den Eingangstoren der anderen gesicherten Anwesen um uns herum weit offen steht.

»Ist das Angelas Adresse?«, frage ich.

Hunter nickt. »Ich versuche besser mal, sie zu erreichen, bevor wir reingehen.«

Er zieht sein altes Klapphandy aus der Hosentasche und tippt eine Nummer ein. Nervös spähe ich durch das Tor.

»Wir sollten –«, beginne ich, doch Hunter steht nicht mehr neben mir. Ich schaue mich um und sehe, wie er mit dem Handy am Ohr den Bürgersteig auf und ab geht. Was verheimlichst du mir noch immer?

Über mir werden Rollläden heraufgezogen und enthüllen Fenster, die auf mich herabstarren wie große, leere Augen. Mein Herz pocht. Die Seaview Hills erwachen zum Leben – und damit wird es höchste Zeit für uns, von der Straße zu verschwinden. Einen Moment lang bin ich hin- und hergerissen, mache einen Schritt in Hunters, einen in die entgegengesetzte Richtung. Dann schiebe ich mich vorsichtig durch das geöffnete Tor, gehe an einem parkenden Prius vorbei und bleibe vor der Eingangstür stehen. An der trostlosen Betonwand des Appartementblocks sind drei Klingelschilder befestigt, zwei davon ohne Namen. Neben der untersten Klingel stehtAngela Kent in handgeschriebenen Buchstaben.

Plötzlich höre ich das Geräusch eines Motors herannahen. Mein Herz schlägt schneller, doch ich traue mich nicht, zur Straße zu sehen. Was, wenn gleich ein schwarzer Transporter um die Ecke biegt? Bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann, habe ich schon die Klinke der Haustür hinuntergedrückt. Sie ist nicht verschlossen. Atemlos stolpere ich hinein und presse mich gegen die kalte Wand. Das Motorengeräusch kommt näher und ich sprinte zu dem Fenster im Treppenhaus. Ich erreiche es gerade rechtzeitig, um einen Ford mit ganz normalem Kennzeichen um die nächste Ecke biegen zu sehen. Wer auch immer da gerade vorbeigefahren ist, sucht nicht nach der Verräterin und dem falschen Testleiter. Mein rasendes Herz beruhigt sich. Die Kristallisierer werden vermuten, dass wir nach unserer Flucht aus dem Zentrum den Zugschienen nach Norden gefolgt sind, zurück in Richtung New York. Sie haben keine Ahnung, wo wir sind.

Ich laufe die wenigen Treppenstufen zurück ins Erdgeschoss und bleibe vor einer Wohnungstür mit Angelas Namen stehen. Überrascht sehe ich, dass sie nur angelehnt ist.

»Hallo?« Ich hebe die Hand und klopfe, doch drinnen rührt sich nichts. Es ist ihr doch nichts passiert?

Auf den Türrahmen ist eine Fünf mit einem Kreis drum herum gezeichnet. Als ich mit den Fingern darüberfahre, bleibt die staubige Farbe an meiner Hand zurück. Kohle. Was bedeutet das?

Und wo bleibt Hunter?

Irgendwo in der Ferne läuten Kirchenglocken. Sieben Mal. Sieben Uhr morgens. Also wird Luce mittlerweile seit neun Stunden vom Konsilium verhört. Ich denke an die Entschlossenheit, mit der sie Elias und dem Konsiliar entgegengetreten ist, und weiß, dass sie versuchen wird, stark zu bleiben. Für mich und für uns alle. Aber wie lange wird ihr das noch gelingen?

Ich klopfe erneut an Angelas Wohnungstür, doch wieder bekomme ich keine Antwort. Zögernd drücke ich die Tür auf. Strecke den Kopf in die Wohnung, sehe mich um. Keine umgeworfenen Möbel, keine Kampfspuren. Meine Anspannung sinkt. Wahrscheinlich leiden Hunter und ich einfach unter Verfolgungswahn.

»Angela?«, probiere ich es noch einmal. »Ich bin eine Freundin von Hunter.«

Zaghaft trete ich in ein Wohnzimmer, das mit hellgrauem Teppich ausgelegt ist. Ein scharfer Geruch steigt mir in die Nase. An irgendetwas erinnert er mich. Vielleicht ist es Desinfektionsmittel? Ich gehe ein paar Schritte weiter. Und dann fällt mein Blick auf den Schreibtisch an der gegenüberliegenden Wand. Ein Laptop!

Im Gehen nehme ich das Diktiergerät aus der Tasche. Alles, was wir brauchen, ist Zugang zum Internet, um den Menschen die Augen über unsere Regierung zu öffnen. Chloe Cremonte wird den Parteivorsitz verlieren, genau wie der Präsident seinen Platz im Weißen Haus. Denn noch werden die Leute sich dem verzerrten Weltbild von ReNatura nicht kampflos fügen!

Ich klappe den Laptop auf. Wenn ich es schaffe, unsere Aufnahmen in jeden wichtigen Social-Media-Kanal zu laden, haben wir es geschafft! Ich überlege, wie ich Angelas Passwort umgehen kann, als sich anstelle einer Anmeldeseite eine eisblaue Schrift über den schwarzen Bildschirm zu ziehen beginnt.

Man muss wissen, wann man verloren hat.

Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll. Dann ertönt ein Knall.


Das Geräusch von splitterndem Glas lässt mich herumfahren. »Skye!«

Ich stürze zurück, die Straße entlang, renne durch das offene Tor und die Eingangstür in den Flur, wo mir eine Welle von Hitze entgegenschlägt.

Skye! Bitte nicht …

Dicker, beißender Rauch verpestet die Luft, und meine Augen beginnen zu tränen, als ich mich in Angelas Wohnzimmer kämpfe. Es steht in grellen Flammen.

Nein.

Nein!

Ich kann Skye nicht verlieren. Ich kann nicht zulassen, dass die Kristallisierer mir auch noch sie nehmen!

Wo bist du?

Verzweifelt versuche ich, durch den dichten Rauch etwas zu erkennen. Ich wische mir die Tränen aus den Augen. Da liegt sie, auf dem Rücken. Umringt von Feuer, das sich unaufhaltsam durch den Teppich frisst. Ich stürze an der brennenden Couch vorbei und hebe Skye hoch. McCartys Bericht fällt aus ihrer Tasche und fängt augenblicklich Feuer. Benzin, denke ich mit zusammengebissenen Zähnen. Jemand hat hier Benzin ausgeschüttet!

Skye rührt sich nicht. Ich schirme sie mit meinem Körper vor den Flammen ab und entdecke eine Balkontür in unserem Rücken. Ich ziehe mein Shirt hoch, presse es über Nase und Mund, und haste mit Skye in den Armen durch das Zimmer, während sich die hohen Pieptöne der Rauchmelder in meinen Ohren mit dem Knistern der Flammenhölle vermischen. Ich reiße die Tür auf, stürze auf den Balkon und schaffe es, uns beide über die niedrige Brüstung auf den Parkplatz hinunterzuhieven.

Erst hinter dem nächsten Wohnblock bleibe ich im Schatten einer Toreinfahrt stehen. Vorsichtig lege ich Skye auf dem Asphalt ab.

»Bitte, Skye«, flüstere ich. Angsterfüllt lehne ich meine Stirn an ihre. Du weißt es nicht, aber ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt.

Eine Hand greift nach meiner, und mein Herz stolpert, als kornblumenblaue Augen zu mir aufblicken. Skye atmet rasselnd. »Wo ist –« Sie dreht den Kopf zur Seite und hustet. »Wo ist das Diktiergerät?«

Ich taste nach ihrer Jackentasche, doch Skye schüttelt den Kopf, langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Es war in meiner Hand! Ich muss es fallen gelassen haben.« Sie will sich aufsetzen und stöhnt.

»Es ist hier«, lüge ich hastig.

Skye lässt sich erleichtert zurück in meine Arme sinken.

»Dann haben wir es fast geschafft«, flüstert sie.

»Ja.« Eine dumpfe Verzweiflung breitet sich in mir aus. »Fast.«

Rising Skye (Bd. 2)

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