Читать книгу Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch - Страница 15

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Ich weiß, dass ich verschlafen habe, als Sonnenstrahlen mein Gesicht kitzeln. Ich strecke mich und drehe mich langsam zur Seite.

»Guten Morgen«, sage ich lächelnd.

So gut wie in dieser Nacht habe ich seit Wochen nicht mehr geschlafen. Ich öffne die Augen. Die Matratze neben mir ist leer. Hunter wollte mich wohl schlafen lassen. Ich sehe die beiden Kakaotassen auf dem Nachttisch stehen, deren Inhalt mittlerweile kalt geworden ist, und spüre Hunters Lippen wieder auf meinen. Rasch öffne ich meine Haare, kämme sie und flechte sie in einen Zopf, damit ich nicht länger aussehe wie die Hexe von Eastwick. Dann gehe ich in die Küche.

»Erhalten Sie Ihren kostenlosen Check und tragen Sie dazu bei, die Gläsernen Nationen wieder zu einem sicheren Land zu machen!«, schallt mir eine Stimme entgegen. »Sammelstellen für angreifbare Technologie finden Sie auch in Ihrer Nähe.«

Yana klickt auf Pause, bis ich mich mit einem Bagel in der Hand neben sie gesetzt habe und mit ihr zusammen auf den Laptop schaue. Die CCN-Nachrichten zeigen Schlangen vor zahlreichen Gebäuden. Schnitt. Lächelnde Menschen winken mit ihren neuen Armbändern in die Kamera.

»Das ist wahre Demokratie«, sagt ein Mann, dem der CCN-Reporter sein Mikrofon entgegenhält. »Die Checks erlauben jedem Bürger Zugang zu Nachrichten und den Vorgängen im Weißen Haus. Und das unabhängig davon, ob man sich das Gerät leisten kann!«

Der Journalist wendet sich zur Kamera. »Es sieht so aus, als wäre Chloe Cremonte die erste Politikerin, die ihre Wahlversprechen hält. Zugang zu Informationen, Bildung und Gesundheitsvorsorge darf nicht länger vom sozioökonomischen Status bestimmt werden. Die kostenlosen Checks sind ein großer Schritt in die richtige Richtung.«

Yana klickt den Bericht weg. »Sie stellen es klug an«, sagt sie. »Solange die Leute glauben, sie hätten diese Neuerungen selbst gefordert, stehen die Kristallisierer nicht als diktatorische Partei, sondern als großzügige Retter der Nationen da.«

»Aber wir sind klüger«, sage ich bestimmt. »Dass bald jeder nur noch über Octagon erreichbar ist, kommt uns doch eigentlich gerade recht. Statt ReNatura in allen möglichen Netzwerken zu leaken, wird ein einziger Klick reichen, um die gesamten Gläsernen Nationen die Wahrheit sehen zu lassen. Alles, was wir brauchen, ist ein Check.«

»Hoffen wir, dass es so einfach wird«, erwidert Yana ohne die geringste Spur ihrer sonstigen Überheblichkeit.

Überrascht sehe ich sie an. Zum ersten Mal klingt es, als wolle Yana tatsächlich mit mir zusammenarbeiten. Ich verdränge den Gedanken an ihr Gespräch mit dem seltsamen Typen in der Querstraße. Sie hat geschworen, mich nicht an meine Mutter zu verraten. Wenn wir ein Team sein wollen, muss ich ihr vertrauen.

Yana klickt auf den neu eingerichteten »Check-Finder«. Als sie Las Almas in die Ortszeile tippt, wird uns das Rathaus von Greenhill als nächste öffentliche Sammelstelle angezeigt, bei der man sein Handy gegen einen Check eintauschen kann.

»Wir sollten mit Hunter sprechen, bevor wir weitere Pläne schmieden.« Ich esse meinen Bagel auf. »Wo ist er? In der Garage?«

Yana sieht mich erstaunt an. »Ich dachte, er ist bei dir?«

Auf einen Schlag bin ich hellwach. Nein. Oh bitte, bitte nicht. Ich starre auf die Adresse in Greenhill. Denke an die beschützende Art, mit der Hunter mich seit dem Feuer in Angelas Wohnung behandelt. Bitte spiel nicht den Helden!

Der Bagel in meinem Magen verwandelt sich in einen Stein, während ich den Bungalow absuche. In Yanas Zimmer schiebe ich unsere Kakaotassen zur Seite. Vielleicht hat Hunter mir ja eine Nachricht hinterlassen? Fehlanzeige. Da liegt nur Oceans MP3-Player, den ich ihm noch zurückgeben muss. Ich wechsele einen Blick mit Yana, die mir von der Tür aus zusieht, und schlucke, als ich meine Sorge in ihren Augen erkenne. Was, wenn er sich allein auf den Weg zum Rathaus gemacht hat? Dort wird es mittlerweile von Checks nur so wimmeln – und damit auch von Kameras. Wir wollten in Ruhe einen Plan machen. Verdammt, Hunter!

»Ich gehe ihn suchen«, beschließe ich, stecke den Player in meine Tasche und stürme in den Flur. Warum bin ich nicht aufgewacht, als Hunter gegangen ist?

Ich schlüpfe in Yanas Ledersandalen und öffne die Haustür. Gestern Nacht habe ich zum ersten Mal seit Langem wieder tief geschlafen, eingelullt von Hunters Wärme und der Sicherheit, in der er mich wiegt. Ich hätte aufwachen müssen. Dann wäre er jetzt noch hier.

»Willst du zu Fuß nach Greenhill, oder was?«, keucht Yana hinter mir.

Ich verlangsame meine Schritte nicht. »Wenn mir nichts anderes übrigbleibt, ja.«

Yana schließt zu mir auf. »Links«, sagt sie knapp und deutet auf die Abzweigung der Main Road, die zu Manuels Cottage führt. »Wir nehmen Grandpas Wagen«, erklärt sie. »Du kannst im Auto bleiben, während ich Hunter im Rathaus suche.« Ich setze zu einem Protest an, doch Yana schneidet mir das Wort ab. »Ich habe keine Lust, ReNatura allein am Hals zu haben, wenn die Ordnungswahrer dich auch noch fassen. Verstanden?«

Ich schlucke.

»Was macht Mas Auto hier?« Vor mir bleibt Yana abrupt stehen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaut sie auf Rekas blauen Ford Fiesta, der in der Auffahrt des Cottages parkt. »Ma müsste doch eigentlich noch bei der Arbeit sein«, murmelt sie. »Sie kommt normalerweise nie vor neun von der Nachtschicht zurück, weil sie die Übergabe leitet.«

Yana tritt auf die Veranda und hebt die Hand, um an die Haustür zu klopfen. Geistesgegenwärtig halte ich ihren Arm fest. »Warte.«

Ich spüre wieder, wie sich Hunters Hände verkrampfen, nachdem Reka uns von dem Giftbefund in meinem Blut erzählt hat. Sehe vor mir, wie er sie anstarrt, als sei ihm auf einmal etwas klar geworden. Und wieder höre ich Hunters Stimme flüstern: Nicht hier. Aus irgendeinem Grund hat er in dieser Nacht angefangen, Reka zu misstrauen …

Yana schimpft leise über Paranoia und Zeitverschwendung, doch sie folgt mir trotzdem, als ich das Cottage umrunde. Versteckt hinter Manuels Sonnenblumenbeet bleibe ich stehen. Die Terrassentür ist offen.

»Der Brief war gefälscht?« Ich halte die Luft an, als ich Manuels Stimme höre. »Was genau willst du damit sagen, Reka?«

Yana versucht, sich an mir vorbeizudrängen. Ein paar Atemzüge lang führen wir einen stillen Kampf.

»Hunter hat ihn geschrieben«, höre ich Reka antworten.

»Das ist doch Unfug! Es war Sols Handschrift, sie hat ihn unterzeichnet –«

Reka unterbricht ihn. »Ich weiß, dass der Brief von Hunter stammte, Dad. Denn Sol kann ihn gar nicht geschrieben haben.«

»Jetzt hör auf, in Rätseln zu sprechen, und sag uns, was los ist.«

Ich spähe vorsichtig um die Ecke. Die fordernde Stimme gehört einer Frau, die Yanas Großmutter sein muss – dabei wirkt Amanda Cypress nicht gerade wie eine typische Oma, die Kekse backt und Geschichten vorliest. Sie ist schlank, fast schon hager, und ihre aufrechte Haltung verrät, dass sie es gewohnt ist, den Ton anzugeben.

Eine Weile herrscht Stille. Dann beginnt Reka zu sprechen, so leise, dass ich mich konzentrieren muss, um sie zu verstehen: »Als ich vor vier Jahren entschied, aus New York wegzugehen und wieder hierher, nach Las Almas, zu ziehen, hatte das nichts mit Daniels Krankheit zu tun.« Yana lässt meinen Arm los. »Sol war es, die mir dazu geraten hatte, zurück ins Reservat zu gehen.« Ich mache einen Schritt rückwärts, als Reka sich neben ihre Mutter in einen der Korbsessel setzt. »Sol … sie hat sich verändert, nachdem Matteo sie verlassen hat. Auf einmal schien sie nicht mehr so große Stücke auf Chloe Cremonte zu halten. Sie war zwar nie so ein leidenschaftlicher Fan von ihr wie er, aber vor seinem Verschwinden hat auch sie ständig von Cremontes Ideen gesprochen.«

Yana sieht mich an. »Wusstest du das?«, wispert sie. Ich nicke und lege den Finger an die Lippen.

»Sol wurde immer seltsamer, hat sich und Hunter immer mehr von allen abgeschottet. Bis sie eines Abends bei mir Sturm klingelte und mich schwören ließ, den Pakt, den die Kristallisierer den Reservaten soeben vorgeschlagen hatten, anzunehmen. Sie sagte … Sie sagte, ich solle meine Familie schützen, falls etwas schiefgeht.«

»Schiefgeht wobei?«, fragt Manuel argwöhnisch.

»Bei ihrem Versuch, den Kristall zu stürzen.«

»Reka!«, ruft Amanda empört.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Also hat Reka alles gewusst!

Es entsteht eine lange Pause, in der ich nur Yanas unterdrückte Atemzüge an meinem Ohr höre.

»Bist du deshalb so plötzlich nach Las Almas zurückgekommen? Weil etwas schiefgegangen ist?«, fragt Manuel schließlich.

»Ja.« Reka räuspert sich. »Ehrlich gesagt, habe ich Sols Warnungen anfangs gar nicht ernst genommen. Ich habe gedacht, dass sie den Kristall nach Matteos Verschwinden einfach hassen wollte, weil er immer so felsenfest hinter der Bewegung gestanden hat. Aber dann, in der Nacht zum 4. Juni, wurde … wurde eine Frau auf meiner Station eingeliefert.« Rekas Stimme bricht. Es dauert eine Weile, bis sie weiterspricht. »Sol war schon tot, als sie gebracht wurde. Die Polizei sagte etwas von einer Gang-Schießerei, aber ich wusste, warum sie wirklich ermordet wurde.«

Meine Fingernägel krallen sich in meinen Arm. Der Kofferraum. Der Schuss. Und mein Vater, der Mörder.

Eine Weile ist es still, jemand unterdrückt ein Schluchzen. Als Manuel spricht, wackelt seine Stimme. »Trotz alldem verstehe ich deine Forderung nicht, Reka.« Er schnäuzt sich. »Der Tod seiner Mutter ist doch kein Grund, Hunter jetzt wegzuschicken, ganz im Gegenteil. Er braucht eine Familie. Er hätte sie schon vor vier Jahren gebraucht!« Die Heftigkeit in Manuels Stimme lässt Yana neben mir zusammenzucken.

»Ich habe geglaubt, Matteo würde zurückkommen, um sich um Hunter zu kümmern«, stammelt Reka, doch Manuel hört ihr gar nicht zu.

»Ich kann es einfach nicht fassen. Sol ist tot –«

»Und eine Verräterin.« Das ist Amandas Stimme. »Wenn es wahr ist, was du sagst, Reka, dann bin ich deiner Meinung. Wir müssen Hunter und das Mädchen der Administration melden.«

»Das kann nicht euer Ernst sein!«, entgegnet Manuel, der seine Fassung langsam zurückgewinnt.

»Skye trägt keine Schuld«, sagt Reka schnell. »Sie ist verliebt und wurde in die Sache hineingezogen, ohne sich der Folgen bewusst zu sein.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob du das Mädchen da nicht unterschätzt«, erwidert Amanda scharf. »Genau, wie wir Sol unterschätzt haben. Sie war nicht die nette Journalistin, die wir zu kennen glaubten.« Sie schnaubt. »Sol war offenbar eine gefährliche Frau, die versucht hat, eine stabile Regierung zu stürzen. Und wenn ich mir ansehe, was passiert ist, seitdem Hunter und dieses Mädchen hier aufgetaucht sind, tritt ihr Sohn in ihre Fußstapfen.«

Unwillkürlich mache ich einen Schritt auf die Terrassentür zu, will erklären, mich rechtfertigen – doch Yana hält mich am Arm fest und schüttelt stumm den Kopf. Kalte Angst lähmt auf einmal meine Glieder.

»Du hast den Pakt selbst unterschrieben«, wendet Amanda sich an ihren Mann. »Untreue zu melden ist unsere Pflicht gegenüber denjenigen, die uns schützen.«

»Ich kannte Sol!«, donnert Manuel. »Und ich kenne Hunter. Keiner von beiden würde eine Regierung unterminieren, wenn sie keinen guten Grund dafür hätten. Und der Pakt –« Er hält inne, als würde ihm erst jetzt klar werden, welchem Handel er vor vier Jahren zugestimmt hat. »Wenn es wirklich die Kristallisierer waren, die Sol ermordet haben, dann ist es ein Pakt mit dem Teufel.«

»Wer sagt, dass sie es waren?« Der Korbstuhl wird zurückgeschoben, Amanda steht auf. »Reka hat uns gerade geschildert, dass es Sol nicht gut ging, nachdem Matteo sie verlassen hatte. Dass sie Verschwörungstheorien nachhing. Es gibt tausend Möglichkeiten, wie sie sich diese Kugel eingefangen haben kann. Vielleicht ist sie wirklich aus Versehen in eine Schießerei geraten. Vielleicht wollte sie sich das Leben nehmen. Aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass unsere Regierung versuchen würde, Menschen zu töten! Wir leben in einem Rechtsstaat!«

»Vielleicht hast du recht«, sagt Reka leise. »Vielleicht existierte alles nur in ihrem Kopf.«

»Das reicht«, zischt Yana, drängt sich an mir vorbei und stürmt durch die Terrassentür ins Wohnzimmer. »Sol war keine Irre, Ma!«

»Aiyana!«, stammelt Reka erschrocken.

»Du wusstest, was passieren wird, oder? Sol hat dir gesagt, dass die Kristallisierer die Medien gleichschalten würden, stimmt’s? Sonst wärst du gestern nach dem Shutdown nicht so nervös gewesen.« Reka setzt zu einer Antwort an, aber Yana ist noch nicht fertig. »Wovor hat Sol dich außerdem gewarnt? Wovor, Ma?«

»Vor einem Programm.« Rekas Stimme zittert. »Sie hat nichts Genaueres gesagt, weil sie mich nicht in Gefahr bringen wollte. Bloß, dass das hier – Octagon – der erste Schritt sein würde.«

Yana stößt einen triumphierenden Laut aus. »Siehst du, Grandma? Die Kristallisierer sind nicht die Fortschrittspartei, für die sie sich ausgeben! Das sind Fanatiker, die unser Leben bestimmen wollen.«

Ich starre auf Amandas Spiegelbild in der offenen Glastür. Ihr Mund verzieht sich nach unten, eine beinahe schmerzhafte Grimasse. »Sie haben ihr Versprechen uns gegenüber gehalten«, sagt sie. »Es gibt keine Traits im Reservat.«

»Noch nicht!«, ruft Yana wütend. »Aber was ist mit den Leuten, die nicht in einem Reservat leben? Wir schulden ihnen unsere Hilfe!«

Amanda richtet sich zu ihrer vollen Größe auf. »Als Dank für ihre Hilfe, all die Jahre? In den Gläsernen Nationen werden wir respektiert. Unsere Kultur wird respektiert. Ich werde mir nicht wegnehmen lassen, wofür ich mein ganzes Leben lang gekämpft habe!« Sie schüttelt den Kopf. »Es war ein Fehler, dass deine Mutter dir erlaubt hat, nach deinem Abschluss zurück nach New York zu gehen. Informatik hättest du auch bei uns in der Nähe studieren können. Du hast deine Herkunft vergessen, Aiyana! Vergessen, was es bedeutet, für jedes bisschen Freiheit dankbar sein zu müssen.«

»Vielleicht stimmt das«, entgegnet Yana, plötzlich ruhig. »Aber stattdessen habe ich gelernt, mir meine Freiheit selbst zu erkämpfen!« Sie wendet sich an Manuel. »Grandpa?«

»Wenn du erlebt hättest, was ich erlebt habe, dann wüsstest du eine Regierung zu schätzen, die vor Diskriminierung schützt.« Manuels Stimme klingt kraftlos. »Sieh doch, Aiyana. Ein reguliertes Internet ist ein kleiner Preis für Frieden!«

»Es geht nicht nur darum«, sagt Yana verzweifelt. »Das Internet war doch bloß der Anfang! Das Programm, vor dem Sol Ma gewarnt hat, heißt ReNatura. Und es … es wird die Rechte der Frauen abschaffen, darum geht es! Es geht um die verdammte Auslöschung der Emanzipation und der Freiheit aller, die nicht in das neue System passen werden oder wollen!« Sie wird lauter. »Begreifst du, was das bedeutet, Ma?«

Es dauert ein paar Atemzüge, bis Reka antwortet. »Niemand wird sie aufhalten, verstehst du? Sol hat es versucht – und sie ist tot.« Im Spiegelbild der Terrassentür sehe ich, wie Reka aufsteht und ihre Tochter an sich zieht. »Wir müssen unsere Familie schützen. Genau, wie Sol es gesagt hat.«

Yana löst sich aus Rekas Griff. »Ich hoffe, ihr könnt mit eurer Wahl leben.«

»Aiyana, bitte –«

»Ich hoffe es von ganzem Herzen«, schneidet Yana ihrer Mutter das Wort ab. »Denn ich könnte es nicht.«

Rising Skye (Bd. 2)

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