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Intro Der Faktor Mensch

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Wir sind in einem Vorort am Rande einer Großstadt. An einer Durchgangsstraße stehen direkt nebeneinander zwei große Kaufhäuser. Das Angebot ist identisch: Lebensmittel, Kleidung, Bücher, Unterhaltungselektronik, Medikamente, Spielzeug, ja sogar Möbel. Die Läden sind fast gleich groß und die Parkplätze unterscheiden sich kaum – gleicher Ort, gleiche Fläche, gleiches Produktsortiment. Und doch läuft das eine Kaufhaus extrem gut, während das andere sich gerade so über Wasser halten kann. Was geht hier vor?

Wir fragen die Manager von Kaufhaus Nr. 2, weshalb ihr Laden praktisch menschenleer ist. Sie sind um Antworten nicht verlegen: »Es liegt an Amazon, an den Online-Shops. Die treiben stationäre Geschäfte wie unseres in den Ruin. Überall machen Einkaufszentren dicht. Zudem findet man keine guten Mitarbeiter. Die Millennials, die heute etwa 20- bis 40-Jährigen, haben keine Arbeitsmoral. Die Chefs setzen zu sehr auf Rabatte und zu wenig auf Reklame und Werbung …«

Doch nebenan in Kaufhaus Nr. 1 brummt das Geschäft. Was machen die anders? Wir haben uns die beiden Läden einmal näher angeschaut:

In Warenhaus Nr. 2 ist es still. Die einzige Kassiererin lehnt gegen die Theke. Sie hat Kopfhörer auf und macht einen gelangweilten Eindruck. Ein paar Kunden stöbern in den Auslagen und versuchen, die winzigen Preisschildchen zu entziffern. Eine Frau, die etwas zurückgeben will, steuert auf einen Schalter mit der Aufschrift »Kundenservice« zu. Doch niemand kümmert sich um sie. Sie sieht sich immer wieder um. Tritt von einem Fuß auf den anderen. Keiner bemerkt sie. Schließlich ruft sie: »Hallo, ist da wer?« Eine gefühlte Ewigkeit später schlürft ein mürrisch dreinblickender Mann aus einem Nebenraum. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt er kaum hörbar.

Und wie sieht es in Warenhaus Nr. 1 aus? Zielstrebig strömen die Kunden herein. Ein extra hierfür abgestellter Mitarbeiter begrüßt sie, beantwortet ihre Fragen und weist ihnen den Weg in die verschiedenen Abteilungen. Große Schilder zeigen die Preise an. Die Mitarbeiter machen einen sehr motivierten Eindruck. Alle tragen blaue Westen und gehen offen und freundlich auf die Kunden zu. Sie bedienen die Kunden, beantworten ihre Fragen und lachen mit ihnen. Ein Mann steht unentschlossen vor den heruntergesetzten Blumensträußen. Ein Mitarbeiter kommt zu ihm und sagt: »Ich habe gerade frische Sträuße hereingebracht. Sie sind gleich dort um die Ecke.« Der Kunde lächelt, als der Mitarbeiter ihn zu den Blumen führt.

An einem großen Stand mitten im Laden werden den Kunden leckere Probierhäppchen mit Räucherschinken, spanischem Käse und in Trüffelöl gebratenen Kartoffelbällchen angeboten. Am Servicepoint gibt eine Kundin ein Produkt zurück. Sie entschuldigt sich. Der nette Mitarbeiter hinterm Tresen nimmt die Ware anstandslos entgegen. Er stellt keine Fragen und will auch keinen Kaufbeleg sehen. Er dankt der Kundin für ihre Mühe und wünscht ihr mit einem ehrlichen Lächeln einen guten Tag.

Warenhaus Nr. 1 ist eine Filiale von Costco. Das bekannte Finanz- und Wirtschaftsmagazin Barron’s schreibt über Costco: Das Unternehmen erfreut sich »leidenschaftlicher Loyalität von Kunden und Mitarbeitern und belohnt seine langfristigen Investoren«.1

Wissen Sie, wie hoch im Einzelhandel die Wahrscheinlichkeit ist, dass auf Stundenbasis bezahlte Mitarbeiter nach einem Jahr noch für dasselbe Unternehmen arbeiten? Es sind lediglich 45 Prozent. Bei Costco dagegen beträgt sie sage und schreibe 94 Prozent.2 Auch die Kunden von Costco sind extrem treu. Das Besondere dabei? Costco agiert als Klub, bei dem die Kunden jährlich einen Mitgliedsbeitrag zahlen. 91 Prozent der Costco-Kunden verlängern jedes Jahr ihre Mitgliedschaft. Das macht Costco zum »weltweiten Rekordhalter in Sachen Kundenloyalität«.

Einer unserer Klienten erwähnte, dass er und seine Frau jeden Samstag zu Costco gingen. »Warum?«, fragten wir. Er antwortete: »Weil ich dort alle meine Bekannten sehe.« Costco ist für ihn und seine Freunde zum bevorzugten Treffpunkt geworden – was für ein schönes Bild für wahre Kundenloyalität!

Wie schafft es Costco in einer Branche mit notorisch unzufriedenen Mitarbeitern, seine Leute so gut bei Laune zu halten? Wie konnte das Unternehmen eine Loyalitätskultur aufbauen, die sich in fast jeder Begegnung von Mitarbeitern und Kunden positiv bemerkbar macht? Die Antwort ist einfach: Costco hat so viele loyale Kunden, weil im gesamten Unternehmen Loyalität groß geschrieben wird. Die drei Kernprinzipien der Loyalität werden bei Costco von allen konsequent beherzigt. Empathie, Verantwortung und Großzügigkeit gegenüber der Belegschaft sind eine Selbstverständlichkeit. Beispielsweise wird den Mitarbeitern mehr als das Doppelte des branchenüblichen Lohns gezahlt. Zudem kommen sie in den Genuss vieler weiterer Extra-Leistungen. Deshalb wurden an der Wall Street Stimmen laut, dass die »übertrieben großzügige« Behandlung der Mitarbeiter bei Costco womöglich zulasten der Rendite für die Anteilseigner gehen könne. Daraufhin erwiderte Costco-Gründer Jim Sinegal: »Es ist uns wichtig, dass es unseren Kunden und unseren Mitarbeitern gut geht und dass unsere Zulieferer fair und respektvoll behandelt werden. Wir sind überzeugt, dass auch unsere Anteilseigner davon profitieren.«3 Und das tun sie tatsächlich. Hätten Sie 1985 beim Börsengang von Costco 1000 US-Dollar in das Unternehmen gesteckt, wäre Ihre Investition 2018 rund 100 000 US-Dollar wert gewesen!

Aber wie kann Costco in einer Zeit, in der der Online-Handel geradezu explodiert, Jahr für Jahr um etwa 40 Prozent zulegen? Warum geht es dem Unternehmen, das mit denselben Herausforderungen zu kämpfen hat wie unser Warenhaus Nr. 2, so gut? Costco fördert die Loyalität von Mitarbeitern und Kunden ganz gezielt. Ob Einzelhändler, Restaurants, Maklerbüros, Autovermietungen, Unternehmensdienstleister oder Schulen und Krankenhäuser: Genau das tun auch viele weitere Loyalitäts-Champions. Und sie alle haben eins gemeinsam: Ihre Kunden und Mitarbeiter wären untröstlich, wenn es diese Unternehmen auf einmal nicht mehr gäbe.

Die drei Prinzipien der Loyalität gelten in allen Branchen gleichermaßen. Wir sehen sie bei allen Unternehmen und Organisationen, die sich sowohl durch besonders loyale Kunden als auch durch besonders loyale Mitarbeiter auszeichnen.

Der Autor und Forscher Seth Godin unterscheidet zwei Arten von »Treue«. Da ist zum einen die Treue aus reiner Bequemlichkeit: »Ich schaue mich mal ein bisschen um, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich etwas Neues ausprobiere, ist gering. Ein Wechsel ist riskant und zeitraubend. Dabei kann ich Fehler machen, meine Vielfliegermeilen verlieren und in Rechtfertigungsnot kommen, warum ich mich so und nicht anders entschieden habe.« Treue aus Bequemlichkeit beruht auf Gewohnheit: Wir können täglich denselben Bus nehmen und dennoch das Busunternehmen schrecklich finden. Einer unserer Klienten sagt immer: »Bequemlichkeit ist nicht gleich Loyalität!«

Die zweite Art von Treue ist wahre Loyalität. Die beschreibt Godin so: »Ich schaue mich nicht anderswo um, und ich habe auch kein Interesse daran, mich anderswo umzuschauen.« Das ist die Treue von jemandem, der gar nicht wissen will, ob es woanders möglicherweise bessere oder günstigere Angebote gibt. Diese Form der Loyalität basiert nicht auf Bequemlichkeit, sondern auf emotionaler Verbundenheit. Vielleicht geht es Ihnen bei Ihrer Lieblingsmarke oder bei Ihrem Lieblingsanbieter ja genauso? Rabatte und Treueprogramm sind schnell aufgesetzt und führen möglicherweise zum einen oder anderen Wiederholungskauf. Aber sie allein schaffen noch keine emotionale Nähe. Doch genau das ist das Markenzeichen echter Loyalität.

Angenommen, Sie essen in einem Restaurant und finden ein Haar in Ihrer Suppe. Wie reagieren Sie darauf? Das hängt maßgeblich davon ab, wie loyal Sie dem Restaurant gegenüber eingestellt sind: Wenn es Ihr erster Besuch ist oder Sie aus reiner Bequemlichkeit hier sind, könnten Sie sich beschweren und um einen neuen Teller Suppe bitten. Oder Sie stehen einfach auf und gehen.

Wenn es nicht die erste negative Erfahrung mit diesem Restaurant ist, reagieren Sie womöglich ziemlich emotional: »Das ist ekelhaft! Hierher werde ich nie wieder kommen. Natürlich werde ich überall herumerzählen, wie schrecklich Ihr Restaurant ist. Darauf können Sie sich verlassen!« Vielleicht machen Sie ein Foto von der haarigen Suppe, posten es auf Facebook oder auf Instagram und sorgen so dafür, dass es möglichst viele Leute sehen.

Und was ist, wenn Sie in diesem Restaurant Stammgast sind? Man kennt Ihre Vorlieben und tut alles dafür, dass Sie sich rundum wohlfühlen. Sie haben schon vielen von Ihrem Lieblingsrestaurant vorgeschwärmt und Ihre Familie und Ihre Freunde oft hierhergebracht. Noch nie wurden Sie enttäuscht. Jetzt finden Sie ein Haar in der Suppe. Wie reagieren Sie? Vielleicht weisen Sie die Bedienung freundlich und dezent darauf hin. Sie entschuldigt sich überschwänglich und bringt Ihnen umgehend eine neue Suppe. Oder Sie sagen sich, dass das jedem mal passieren kann, sehen einfach darüber hinweg und vergessen die Sache. Schließlich mögen Sie dieses Restaurant!

Was veranlasst Sie jeweils zu Ihrer Reaktion? Im ersten Fall ist es Gleichgültigkeit und im zweiten Empörung oder Ekel. Aber im dritten Fall ist es emotionale Verbundenheit – wahre Loyalität!

Wie bereits erwähnt, entsteht emotionale Verbundenheit zu einem Unternehmen fast immer im direkten menschlichen Kontakt. Die Mitarbeiter sind freundlich, lächeln uns an und tun alles, um uns behilflich zu sein. Sie sind so liebenswürdig und zuvorkommend, dass wir uns unwillkürlich fragen: Wer sind diese Leute? Wo findet man heute noch solche Mitarbeiter?

Warum sind uns solche Mitarbeiter vom ersten Augenblick an sympathisch? Weil sie den Kontakt mit ihren Kunden lieben! Natürlich bemerken wir auch sofort, wenn wir den Mitarbeitern gleichgültig sind. Wenn sie uns kaum beachten, unsere Bestellung verbummeln, uns mit irgendwelchen Vorschriften und Ausreden abspeisen wollen. Besonders ärgerlich ist es, wenn etwas schiefläuft und niemand bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen.

American Express führte eine Befragung mit 1620 Kunden durch. 63 Prozent erklärten: »Der Gedanke an einen guten Kundenservice lässt mein Herz höherschlagen.« Studien belegen: Solche Gedanken lösen dieselben Reaktionen im Gehirn der Kunden aus, wie wenn Menschen sich geliebt fühlen. Was wir daraus lernen? Beim Kundenservice kommt es nicht darauf an, was der Kunde denkt. Guter Service schlägt sich in Emotionen nieder.4

Eigentlich ist es gar nicht so schwer, seine Kunden zu begeistern. Kunden lieben es, wenn sie aufmerksam und zuvorkommend behandelt werden. Sie sind dankbar, wenn sie am Serviceschalter in ein fröhliches Gesicht blicken oder an der Hotline eine freundliche Stimme hören, die sich wirklich um ihr Anliegen kümmert. Wir sind so sehr an unfreundliche Gesichter und unpersönlichen Service gewöhnt, dass allein das Gegenteil schon für echte Begeisterung sorgen kann.

»Was könnte einen Kunden dazu bewegen, einer Marke über längere Zeit treu zu bleiben?« Diese Frage stand im Zentrum einer von Oracle in Auftrag gegebenen Studie. 73 Prozent der Befragten antworteten: »freundliches Personal oder Kundendienstmitarbeiter«. Denken Sie doch nur an Ihre eigenen Erfahrungen in Sachen Kundenservice. Ganz gleich, ob Sie besonders zufrieden oder sehr unzufrieden waren: Meist verbinden Sie das mit den Mitarbeitern, mit denen Sie es zu tun hatten.

Natürlich können uns auch die Produkte oder Dienstleistungen, die Bestellprozesse, die IT-Systeme, die Rechnungsmodalitäten, die Zahlungsmethoden oder die Preisstrukturen begeistern oder verärgern. Doch unsere Gefühle gegenüber einem Unternehmen werden fast immer von Menschen geprägt. Deshalb konzentrieren wir uns in diesem Buch auf die positiven Emotionen, die wir bei anderen wecken können, wenn wir eine echte menschliche Verbindung zu ihnen aufbauen.

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