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zehn jahre früher aufwachen

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Allmählich holen mich alte palästinensische Lockrufe ein. Das Telefonklingeln erwischte mich an der Wohnungstür, nicht meine Wohnung, sondern gemietet und nicht mal ganz. Damals hatte es gerade mal für ein Zimmer in einem irisch-russisch-libanesischen Viertel im Süden Brooklyns gereicht. Es war neun vorbei, wie ich an der Wanduhr sah, als ich zurück in die Küche ging und den Hörer abnahm. Der afroamerikanische Freund meiner Mitbewohnerin war dran. Bleib zu Hause, sagte er voller Sorge. Und bombardierte mich mit Nachrichten von einem Anschlag. Zwei Flugzeuge. Zwei enthauptete Türme. Ich war schon spät dran für meinen ersten Unterricht. Vielleicht war es auch sein Akzent oder meine Probleme mit dem Englischen, damals. Er musste es mir wiederholen. Der U-Bahn-Verkehr ist eingestellt, Bahnhöfe und Flughäfen sind gesperrt. Schalte den Fernseher an, wenn du mir nicht glaubst, und weck Niki, hol sie ans Telefon. Please. Auf dem Bildschirm wurde geschrien. Die Fernsehmoderatorinnen rangen um Fassung und riefen Gott an, als würden sie ihn verfluchen. Oh my God, riefen sie, während sie zusahen, wie sich Menschen ins Leere stürzten. Hand in Hand die einen, andere in einsamem Flug. Diese Bilder verschwanden bald, und der Bildschirm füllte sich mit anderen Nachrichten: offizielle Erklärungen, Videos, Schuhe zwischen Trümmern, während ich in einem kalten Kaffee rührte, den Niki auf dem Tisch hatte stehen lassen. Gemeinsam sahen wir, wie der erste Turm zu Staub wurde. Die Sicherheit brach in sich zusammen, und aus der dunklen Wolke erhob sich grenzenlose Paranoia. Zu dem Zeitpunkt gab es noch kein Bekennerschreiben, aber man mutmaßte bereits, »eine arabische Terroristengruppe« räche sich an einem Land, das stets die Sache Israels unterstützt hatte. Bilder von palästinensischen Kindern kamen herein, die auf der Straße den Anschlag feierten. Das Bild zeigte nur einen Ausschnitt. Man wusste nicht, was sie da betrachteten oder vor wem sie die Fäuste hoben. Es war eine kurze Sequenz, doch sie kam immer wieder, im Wechsel mit Einsturz und nochmaligem Einsturz der Türme. Die Kinder. Die Türme. Immer dieselben Kinder mit denselben erhobenen Händen, die Gesichter leuchtend, dazu eine Stimme im Off, die sie als Komplizen der ewigen Intifada bezeichnete. Die Kinder und der Einsturz, danach ein Jassir Arafat, dem damals noch drei Jahre zu leben blieben und der die Tragödie bedauerte. »I am shocked«, sagte er in bestürztem Englisch, aber sofort kamen wieder die Türme und die arabischen Kinder, um ihn Lügen zu strafen. Diese Kinder, verwandelt in frühreife Terroristen, waren die Sendboten von damals. Ich schrieb an dem Abend über sie, für eine chilenische Tageszeitung, von dem Bedürfnis getrieben, das alles schriftlich zu bezeugen. Jetzt blättere ich durch die Zeitungsausschnitte jener Jahre und lese, was ich über die Fernsehszene geschrieben, was ich im Laufe des Tages empfunden hatte. »Ich dachte an meine palästinensische Herkunft, inmitten dieser Schlacht, an meinen Nachnamen, an die Möglichkeit, verdächtig zu werden für eine Gemeinschaft von Individuen, die sich im Augenblick des Unheils zusammenschließen, ihr Recht einfordern und Sicherheit gegenüber diesem vermeintlichen Gegner verlangen. Denn man wird die suchen müssen, die für das Attentat verantwortlich sind, für das Flugzeug, muss die abertausend Zerstückelten und Verbrannten unter den Trümmern des Imperiums rächen.« Ich traue meinen Augen nicht. Ich bin dreißig, als ich das unterschreibe und mir als verschlüsselte Botschaft in die Zukunft schicke. Meine eigene Sendbotin.

Heimkehr ins Unbekannte

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